Langsam wird es ernst. Das Versprechen der Bundesregierung, man werde die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure gegen Angriffe der EU-Kommission verteidigen, war bisher nicht von Erfolg gekrönt.
Am 25. Februar 2016 hat die EU-Kommission die zweite Stufe im Vertragsverletzungsverfahren gegen die in der HOAI verbindlich geregelten Mindest- und Höchsthonorare für Architekten und Ingenieure eingeleitet. Dies ist eine mit Gründen versehene Stellungnahme der EU-Kommission, warum ihrer Ansicht nach ein Verstoß gegen EU-Recht vorliegt.
„Diskriminierend, überflüssig und unverhältnismäßig“
In der ersten Stufe des am 18. Juni 2015 eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens hatte die Bundesregierung Gelegenheit, Stellung zu nehmen und so die weitere Verfolgung abzuwenden. Wie von den Vertretern der Freien Berufe bereits befürchtet, konnten die zusammengetragenen Argumente für das nationale Preisrecht die EU-Kommission nicht überzeugen. Sie geht weiterhin davon aus, dass die Honorarregelungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie zuwider laufen. Der Binnenmarkt für freiberufliche Dienstleistungen könne so nicht optimal genutzt werden. Zitat: „Diese verschleierten Hindernisse sind diskriminierend, überflüssig und unverhältnismäßig.“ „Verhältnismäßigkeit“ ist für das Vertragsverletzungsverfahren und seinen Ausgang der entscheidende Begriff, siehe unten.
Die dritte Stufe: Klage vor dem EuGH
Die Bundesregierung hat nun zwei Monate Zeit, um der Kommission mitzuteilen, welche Maßnahmen zur Behebung „des Problems“ ergriffen wurden. Andernfalls kann die Kommission als dritte Stufe im Vertragsverletzungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Klage erheben. So weit kommt es zwar meistens nicht. In den letzten Jahren wurden über 85 % der Fälle vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens geklärt.
Die HOAI scheint jedoch zu den eher schwierigen Fällen zu gehören. Deutschland argumentiert, dass Honorarordnungen (und Berufsregeln) eine am Gemeinwohl orientierte Leistungserbringung ermöglichen und damit dem Verbraucherschutz dienen. Zudem würden sie einen Preiswettbewerb auf Kosten der Qualität verhindern. Dies dürfte auch für die EU-Kommission schlüssig sein und die Ziele dürfte sie prinzipiell gutheißen. Allerdings hält sie dagegen, dass bei verbindlichen Honorarsätzen, die Kunden keine Möglichkeit haben, den Preis auszuhandeln, den sie für eine bestimmte Qualität zahlen möchten. Sie vertritt zudem die Ansicht, dass bei den in der HOAI preisrechtlich geregelten Dienstleistungen bereits mit anderen, weniger einschneidenden Schutzmaßnahmen, eine angemessene Qualität gewährleistet wird.
Eine Ende Juli 2015 von der Bundesingenieurkammer, der Bundesarchitektenkammer und dem Ausschuss der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten für die Honorarordnung (AHO) vorgelegte Stellungnahme zu dem Vertragsverletzungsverfahren liefert zwar auf 30 Seiten Fakten und Argumente, aber keine, die eine Ausnahme im Sinne der Dienstleistungsrichtlinie zwingend begründen. So wird der Fortbestand der heutigen HOAI eventuell vom Gerichtshof entschieden. Die EU-Kommission kann Klage erheben, falls die Bundesregierung binnen zwei Monaten gar nicht antwortet oder ihre Antwort die EU-Kommission nicht zufriedenstellt. Letzteres scheint ohne eine Quasi-Abschaffung des Preisrechts kaum möglich zu sein.
Der Gerichtshof fällt nach durchschnittlich zwei Jahren eine Entscheidung darüber, ob ein Verstoß gegen EU-Recht vorliegt. Das betreffende Land muss dann seine Gesetze oder Verfahren anpassen und damit die ursprüngliche Streitigkeit so rasch wie möglich beenden.
Verhältnismäßigkeit...
...definiert die EU-Dienstleistungsrichtlinie in Artikel 15 wie folgt: „Die Anforderungen müssen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sein; sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; diese Anforderungen können nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden, die zum selben Ergebnis führen.“ Man muss kein Jurist sein, um zu erahnen, dass es Deutschland kaum gelingen wird, die Erforderlichkeit von Mindest- und Höchsthonoraren als alternativlos nachzuweisen. Eine eventuelle Klage wird man mit anderen Hebeln zu Fall bringen müssen.
Die Auseinandersetzung rund um die HOAI-Honorare bedeutet allerdings auch, dass die HOAI-Beratungsleistungen (z.B. Bauphysik, Wärmeschutz und Energiebilanzierung) wohl nie wieder zu Planungsleistungen erhoben werden und andere Planungsleistungen kaum eine Chance auf eine Integration haben: Entweder übersteht die HOAI das Vertragsverletzungsverfahren nicht in ihrer heutigen Form oder – wenn Deutschland sich durchsetzt – wird die Bundesregierung kaum kurz danach der EU-Kommission ein neues Angriffsziel anbieten. Die Abstufung zu Beratungsleistungen wurde übrigens einst mit der EU-Dienstleistungsrichtlinie begründet. „Man müsse der EU-Kommission die Hand reichen.“ Diese Taktik ist wohl nicht aufgegangen. ■