Rund 278.000 neue Wohnungen sind im Jahr 2016 in Deutschland fertiggestellt worden – doch der Neubau bleibt weiter deutlich hinter der Nachfrage zurück, vor allem in den Ballungsgebieten. Im vergangenen Jahr wurden 90.000 bis 120.000 Wohnungen weniger fertiggestellt als erforderlich, um bestehende Wohnungsengpässe zu beseitigen.
Eine aktuelle Analyse von KfW Research unter Beteiligung des Forschungsinstituts empirica belegt: Der anhaltende Trend zur Urbanisierung und Zuwanderung treiben den Neubaubedarf nach oben. Kein Engpass hingegen besteht bei den Baugenehmigungen –- über die letzten Jahre hat sich ein Überhang von 600.000 Wohnungsbaugenehmigungen angehäuft, der auf Umsetzung wartet.
„In der öffentlichen Debatte wird der Schwarze Peter gerne den Kommunen zugeschoben, deren langwierige Genehmigungsverfahren für den Wohnungsmangel verantwortlich sein sollen. Einer empirischen Überprüfung hält dieser Vorwurf jedoch kaum Stand. Das Fertigstellungsdefizit entsteht vielmehr dadurch, dass genehmigte Bauvorhaben oftmals nur mit Verzögerungen oder gar nicht fertiggestellt werden“, kommentiert Dr. Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der KfW Bankengruppe.
Kapazitätsengpässe und Baugenehmigungen auf Vorrat
Für die Verzögerung bei der Umsetzung von Baugenehmigungen gibt es verschiedene Ursachen: So dauert der Bau von größeren Mehrfamilienhäusern auch bei zügigem Baufortschritt oftmals länger als zwei bis drei Jahre.
Ebenso spielen Kapazitätsengpässe in der Bauwirtschaft eine Rolle, die durch die anhaltende Hochkonjunktur am Bau seit Jahren stark ausgelastet ist. Insbesondere in den großen Ballungszentren zeigt sich außerdem das Phänomen, dass Investoren Baugenehmigungen auf Vorrat einholen und die dahinterliegenden Projekte zunächst nicht umsetzen, weil sie auf steigende Mieten und Immobilienpreise in der Zukunft setzen.
Bedarf von 4,4 Mio. neuen Wohnungen bis 2030
Ohne Intensivierung der Bautätigkeit werden laut KfW Research Wohnraumknappheit und Mieten insbesondere in Berlin, Hamburg, München und dem Rhein-Main-Gebiet in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Bis 2020 wird die Bevölkerung im Bundesgebiet durch Arbeitnehmerzuzug insbesondere aus EU-Mitgliedstaaten auf einen Spitzenwert von rund 83 Mio. ansteigen, wodurch der Druck auf die Wohnungsmärkte vor allem in Ballungsgebieten zunehmen wird. Um die Nachfrage nach neuen Wohnungen auch längerfristig zu befriedigen, müssen bis 2030 etwa 4,4 Mio. neue Wohnungen entstehen, rund die Hälfte davon dürfte auf Ein- und Zweifamilienhäuser entfallen.
„Bereits der Abbau des bestehenden enormen Überhangs von Baugenehmigungen würde erheblichen Druck von den angespannten Wohnungsmärkten nehmen. Um die Situation mittel- bis längerfristig zu verbessern, brauchen wir nicht nur Empfehlungen zur Senkung von Baukosten, sondern auch Ideen für ganzheitliche Ansätze, um Bauvorhaben grundsätzlich schneller umzusetzen“, sagt Zeuner.
Akute Engpässe und strukturelle Leerstände
Die aktuelle Analyse von KfW Research zeigt jedoch auch, dass sich die Probleme auf den Wohnungsmärkten perspektivisch verschieben: Während derzeit vor allem die akuten Engpässe in den Ballungszentren im Zentrum der Diskussion stehen, werden ab dem nächsten Jahrzehnt steigende strukturelle Leerstände in den Fokus der Betrachtung von Wohnungspolitik und Kommunalentwicklung rücken: „Nach 2020 ist ein Rückgang der Bevölkerung zu erwarten. Bei anhaltender Urbanisierung dürfte steigender Wohnungsleerstand vor allem in strukturschwachen, dünn besiedelten Gebieten die wirtschaftspolitische Herausforderung des nächsten Jahrzehnts in Deutschland werden.“ ■