Zurzeit wird trotz großer Risiken für das Klima der Anteil der Kohle an der Energieversorgung weltweit deutlich ausgeweitet. Doch dieser Weg könnte in eine Sackgasse führen: Die Energy Watch Group hat erstmals die internationalen Statistiken über die Kohlereserven analysiert. Der Bericht gibt zudem einen Ausblick über die Kohleförderung in den kommenden Jahrzehnten. Fazit: Viele Statistiken sind veraltet.
Statistiken suggerieren Verfügbarkeit
Vermutlich ist deutlich weniger Kohle verfügbar als weithin angenommen. „Die Statistiken suggerieren, dass die Kohle in nachgewiesenen Lagerstätten zu heutigen Marktpreisen verfügbar sei, doch davon kann keine Rede sein“, sagt Dr. Werner Zittel, der die Studie bei der Energy Watch Group leitet. „Viele Angaben wurden seit Jahren nicht mehr aktualisiert. Wo dies erfolgte, wurden die Reserven meist nach unten korrigiert teilweise sehr drastisch.“
Herabstufungen um bis zu 99%
So hatte die Bundesanstalt für Geowissenschaften die deutschen Steinkohlereserven über Jahrzehnte mit 23 bis 24 Mrd. Tonnen angegeben. 2004 wurden sie auf 183 Mio. Tonnen, also um 99% herabgestuft. Als Erklärung findet sich die Bemerkung, dass spekulative Ressourcen jetzt nicht mehr berücksichtigt würden. In der intensiven Diskussion um die Zukunft des deutschen Steinkohlebergbaus spielten diese Daten keinerlei Rolle, obwohl sich damit die Diskussion um einen „Sockelbergbau“ erübrigt. Auch bei der Braunkohle gab es dramatische Abwertungen um mehr als 80%. Deutschland ist der größte Braunkohleförderer der Welt. Ähnliche Tendenzen, wenn auch nicht ganz so massiv, gibt es beispielsweise in Großbritannien oder Polen.
Kohle als Ersatz für Erdöl und Erdgas fragwürdig
Ungeachtet dieses Trends wird die Kohle aber vielerorts als Ersatz für Erdöl und Erdgas gehandelt, deren Lagerstätten in den kommenden Jahren deutlich abnehmen werden. „Diese Hoffnung steht auf wackeligen Beinen“, warnt Zittel. „Die Datenlage ist sehr unsicher. Für einige Staaten wie Vietnam wurden die Daten seit 40 Jahren nicht mehr aktualisiert. Die letzte Aktualisierung der Daten aus China stammt aus dem Jahr 1992.“ Rund ein Fünftel der damals angegebenen Reserven wurden im Reich der Mitte seitdem gefördert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die chinesische Kohleförderung in den kommenden zehn Jahren ihren Höhepunkt überschreiten wird.
Reserven nur noch für 155 Jahre
Nur Indien und Australien haben in den vergangenen 20 Jahren die Reserven angehoben: Indien von 12,6 Mrd. Tonnen (1987) auf 90 Mrd. Tonnen (2005) und Australien von 29 Mrd. Tonnen (1987) auf 38,6 Mrd. Tonnen (2005). Für alle anderen Länder wurden die Reserven im Schnitt um 35% abgewertet. Insgesamt wurden 2005 die weltweit verfügbaren und abbaubaren Steinkohlelager um 15% geringer eingeschätzt als 1987. Bei Braunkohle ergibt sich der gleiche Trend. Die weltweit vermuteten Lagerstätten wurden im gleichen Zeitraum um 50% herabgestuft. Bei heutigem Verbrauch würden die in den Statistiken berichteten Kohlereserven noch für 155 Jahre ausreichen.
Sechs Staaten teilen sich 85% der globalen Kohlereserven
Sechs Staaten teilen sich 85% der globalen Kohlereserven. An der Spitze stehen die USA (2005: 120 Mrd. Tonnen Öläquivalent), es folgen Russland (69 Mrd. Tonnen), Indien (61 Mrd. Tonnen), China (59 Mrd. Tonnen), weiter abgeschlagen Australien und Südafrika. Wer die meisten Reserven hat, ist nicht automatisch die wichtigste Fördernation: China ist der weltgrößte Kohleförderer (2005: 1,1 Mrd. Tonnen), besitzt aber nur halb so große Reserven wie die USA. Die Vereinigten Staaten förderten 2005 rund 576 Mio. Tonnen, sie halten hingegen 30% der Weltreserven. Die Australier holten 202 Mio. Tonnen aus der Erde, Indien 200 Mio. Tonnen. Rechnet man Südafrika und Russland hinzu, decken diese sechs Staaten rund 80% der Weltproduktion an Steinkohle ab.
Kohleförderung konkurriert mit Landwirtschaft
Die Kohlereserven der USA reichen auf dem Papier für mehr als 200 Jahre. Dennoch deutet einiges darauf hin, dass dort das Fördermaximum kurz bevorsteht – wenn es nicht schon überschritten wurde. Aufgrund des seit 1990 rückläufigen Anteils von Steinkohle stagniert der Beitrag der heimischen Kohle zur US-amerikanischen Energieversorgung seit 1998 oder sinkt sogar. Hochwertige Kohle muss bereits importiert werden. Es ist wahrscheinlich, dass die vermuteten Kohlereserven in Montana nie gefördert werden, da der Tagebau dort direkt in Konkurrenz zu den Weideflächen der Farmer steht. Viehzucht ist der wichtigste Wirtschaftszweig dieses Bundesstaates. In Montana aber liegt bereits die Hälfte der amerikanischen Kohlereserven.
Clean Coal ist Ablenkungsmanöver
Geht man nun davon aus, dass die Kohle in den kommenden Jahrzehnten die Förderrückgänge bei Erdgas und Erdöl auffangen soll, wäre zunächst eine Ausweitung der globalen Förderung um 30% denkbar. Diese Zunahme müsste vor allem aus Australien, China, Russland, der Ukraine, Kasachstan und Südafrika kommen. Danach wird die Förderung konstant bleiben, um ab 2025 kontinuierlich abzufallen. „Damit kommen wir zu einem anderen Schluss als viele Beobachter“, meint Zittel. „Eine Investition in Clean Coal bindet viel Geld und Aufmerksamkeit. Sie wird vor allem dazu dienen, den Bau neuer Kohlekraftwerke in den kommenden zehn bis 15 Jahren zu rechtfertigen. Wenn die so genannte Sequestrierung von Kohlenstoff danach marktreif sein sollte, wird dies irrelevant, weil die emittierenden Kraftwerke bereits gebaut sein werden und ein weiterer Zubau mangels Verfügbarkeit von Kohle nicht mehr erfolgen wird.“ ToR
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