Kompakt informieren
- Bisher einträgliche Geschäftsmodelle der Energieversorger belasten bereits heute vielfach ihre Bilanzen und haben auf absehbare Zeit keine wirtschaftliche Zukunft. Damit steht eine ganze Branche vor der Notwendigkeit, sich neu zu erfinden.
- Neue Dienstleistungen und Produkte, die den heutigen Geschäften von Energieversorgern und Stadtwerken naheliegen, haben ein großes Überschneidungspotenzial mit den Aktivitäten der Gebäudetechnikbranche.
- In den meisten überschneidenden Zukunftsmärkten wird seit Jahren über zu viel Bürokratie und veraltete oder fehlende Rechtsrahmen geklagt.
- Im Bereich Gas geht die Energiebranche davon aus, ihren Versorgungsanteil zu halten. Die Zukunft mit trotzdem sinkenden Gasmengen wird bisher kaum diskutiert.
Die klassischen Akteure am Energiemarkt sind verunsichert: Welche bestehenden Geschäftsmodelle haben die Chance zu überleben? Welche Maßnahmen sind nötig, um Strom- und Erdgaskunden durch attraktive Produkte und Dienstleistungen nicht an Google & Co zu verlieren?
Wie komplex die Situation der Energiewirtschaft durch den rasanten Aufstieg erneuerbarer Energien im Strommarkt und ihre privilegierte Einspeisung geworden ist, spiegeln die Vorträge auf dem 10. Deutschen Energiekongress des Süddeutschen Verlags am 8. und 9. September 2015 in München wider. Die größten Unwägbarkeiten werden in einem weiter unkontrollierten Zubau von Windkraft- und Photovoltaik(PV)-Anlagen gesehen, aber auch im Markteintritt preisattraktiver Stromspeicher und Mikro-Power-Anlagen jeglicher Art. Stadtwerke und Energieversorger befürchten eine weitere Dezentralisierung der Energieerzeugung aufgrund des Wunsches ihrer Kunden zur Energieautonomie (Und-dann-Tschüss-Modell). Durch die Perspektive energieautonomer Kunden, ihre Privatsphäre besser vor Big-Data-Abgriffen schützen zu können, erhalten autonome PV-/Stromspeicherlösungen zusätzlichen Auftrieb.
Ein schneller Ausbau der dezentralen Energiesysteme hätte auch Auswirkungen auf den Stromnetzausbau, denn mit einer weiteren Dezentralisierung der Stromerzeugung – gepaart mit Stromspeichern und dezentralen Netzdienstleistern – wären die jetzt projektierten Stromtrassen womöglich überdimensioniert, ja teilweise sogar überflüssig.
Voraussetzung für eine funktionierende dezentrale Energieversorgung ist dann ein regionales respektive dezentrales Lastmanagement, das bis in die Gebäude- und Haustechnik hineinreicht. Das vom Think Tank Agora Energiewende vorgestellte Konzept „FlexEfficiency“ empfiehlt, Lastmanagement-Funktionen künftig direkt in die Geräte und Anlagen einzubauen, um damit eine netzdienliche Betriebsweise quasi automatisch auf der Basis von Signalen aus dem digitalen Stromnetz zu initiieren Abb. 1.
Energiesparcontracting: noch viel Luft
„Die erneuerbaren Energien sind mit einem Anteil von 32 % bereits heute ein zentraler Pfeiler des Strommarkts. Jetzt ist es wichtig, sich von weiteren staatlich fixierten Fördersätzen zu verabschieden und mehr Wettbewerb zwischen konventioneller und erneuerbarer Energieerzeugung zuzulassen.“ Uwe Beck-meyer, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, plädiert dafür, die Vorschläge des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz (NAPE) zügig umzusetzen.
Dabei gehe es nicht nur um Energiesparmaßnahmen bei Industrie, Gewerbe und privaten Verbrauchern, sondern auch um neue Geschäftsmodelle rund um das künftige Strommarktdesign. Ziel sei eine möglichst effiziente Nutzung der erneuerbaren Energien unter Einbindung flexibler, konventioneller Kraftwerke inklusive vorzugsweise gasbetriebener KWK-Anlagen. Letztere sollen weiterhin gefördert werden, um das Flexibilisierungspotenzial zu erhöhen.
Wichtig sei es, den Rechtsrahmen den veränderten Gegebenheiten in der Energiewirtschaft anzupassen, auch um die Einführung neuer Geschäftsmodelle zu erleichtern.
Dasselbe gelte für die Netze, denn dort habe man es aktuell schon mit der Einbin-dung von mehr als 2 Mio. Anlagen zur Stromerzeugung zu tun; vor etwa 20 Jahren seien es nur einige Hundert Kraftwerke gewesen. Diese Netze unter den heutigen Bedingungen stabil und sicher zu halten, sei eine anspruchsvolle Aufgabe. Deshalb sei es wichtig, die rechtlichen Voraussetzungen für die Digitalisierung der Netze voranzutreiben und die Netzkosten-systematik auf Kosteneffizienz zu prüfen. Dabei gehe es hauptsächlich darum, die asymmetrische Verteilung der Systemkosten zwischen Nord und Süd, West und Ost sowie Stadt und Land auf eine realistischere Basis zu stellen.
Gleichzeitig gelte es, die Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen in Energieeffizienz und Energiedienstleistungen zu verbessern, um damit wirtschaftlich lohnende Effizienzmaßnahmen anzustoßen. „Beim Energiesparcontracting sehe ich noch viel Luft nach oben“, betont Beckmeyer. Besonders kleine und mittlere Unternehmen hätten hier noch erheblichen Beratungsbedarf Abb. 2.
Rolle der Verteilnetze unterschätzt
„Die erste Hälfte der Energiewende scheint erfolgreich zu sein: Der 32-%-Anteil der erneuerbaren Energien am Strommarkt ist beachtlich, aber wie sieht es bei der CO2-Bilanz und beim Netzausbau aus?“ Stefan Wenzel, Stellvertretender Ministerpräsident und Umweltminister von Niedersachsen, sieht sein Bundesland in der Pflicht, den Netzausbau zu forcieren, auch durch Kooperationen mit den europäischen Nachbarn. Wenzel plädiert für einen zügigen Ausbau der großen Stromtrassen, aber auch von regionalen und lokalen Verteilnetzen, deren Rolle bislang weitgehend unterschätzt werde.
Dabei müsse man die Einwände und Sorgen der betroffenen Menschen ernst nehmen und eine möglichst konfliktarme Trassenführung wählen, zur Not auch eine Erdverkabelung in Kauf nehmen Abb. 3. [Anmerkung: Einen Monat nach dem Energiekongress hat die Bundesregierung beschlossen, dass künftig mehr Leitungen mit Erdkabeln gebaut werden sollen. Wo Menschen wohnen, sollen Höchstspannungstrassen, die als Gleichstromleitungen geplant sind, verboten werden und als Erdkabel verlegt werden.]
Wichtig sei die Entbürokratisierung der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen, beispielsweise die doppelten Netzentgelte bei Pumpspeicherwerken für das Einspeisen von Pumpenstrom und das Ausspeisen von Spitzenstrom. Die Herausforderungen des 2. Teils der Energiewende sieht Wenzel in einer moderaten Anpassung des jetzigen EEG an die Realitäten des Marktes, im Ausbau der neutralen Energieberatung (in Niedersachsen durch das Land) sowie in Anreizprogrammen zur Verbesserung der Energieeffizienz bestehender Anlagen. Er plädiert dafür, die Digitalisierung der Energiewirtschaft zügig voranzutreiben, um damit auch die Wettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Energien zu stärken. Eine tragende Rolle bei der Umsetzung der Energiewende komme den Kommunen zu, die sich teilweise schon zu 100 % mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgen. Hier müsse künftig stärker auf die E-Mobilität und den Wärmemarkt fokussiert werden.
4955 Vergütungskategorien im EEG
Weniger Bürokratie, mehr Qualität, mehr Versorgungssicherheit und einen angemessenen Netzausbau verspricht Ilse Aigner, Bayerische Staatsministerin für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie. 4955 Vergütungskategorien im EEG seien ein Zeichen der Überbürokratisierung. Und die EEG-Umlage in Höhe von 21 Mrd. Euro/a sei ein Kostentreiber, der Industrie und Bevölkerung nicht mehr vermittelbar sei. Wichtig im EEG 3.0 sei es, die Qualität von Ökostrom qualitativ höher zu bewerten als Strom aus fossilen Energien.
Auch die Kosten zur Kompensation der Volatilität von Wind- und Solarstrom mit Speichern und hochflexiblen Gaskraftwerken Abb. 4 müssten künftig stärker berücksichtigt werden. Es sei jetzt an der Zeit, die Energiewende in eine Klimawende und eine Wärmewende zu überführen. Dazu sei es nötig, die Ausbaudynamik zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung zu dämpfen. „Versorgungssicherheit muss Vorrang vor einem unkontrollierten Ausbau haben“, betont Aigner. „Wir brauchen eine Verstetigung der Einspeisung von EE-Strom mithilfe von Speichern.“ Eine wichtige Rolle zur Stabilisierung der Netze könnten neben Gaskraftwerken auch bestehende KWK- und Biogas-Anlagen übernehmen, die entsprechend umgebaut oder mit Speichern ergänzt werden sollten.
Zum umstrittenen Trassenausbau wiederholte Aigner die bekannten bayerischen Positionen: So viel Netzausbau wie nötig, wenn sinnvoll auch als Erdverkabelung. Bevorzugt sollten Bestands-Trassen genutzt bzw. aufgerüstet und die Digitalisierung bestehender Netze vorangetrieben werden.
Ohne Geschäftsmodelle keine Wende
Zu viele Visionen, zu wenig umgesetzte Pläne. So bewertet Andreas Kuhlmann, der neue Chef der Deutschen Energieagentur (dena), den aktuellen Stand der Energiewende. „Leider hat die Begeisterung für die Energiewende nachgelassen“, bedauert Kuhlmann. „Es gibt hier viele Irrungen und Wirrungen.“ Den aktuellen Anteil der erneuerbaren Energien am Strommarkt bezeichnet Kuhlmann als gute Grundlage für die Zukunft. Entscheidend sei jetzt, die Rahmenbedingungen für Geschäftsfelder rund um die Energiewende zu verbessern, sonst würden die Mahner die Oberhand bekommen.
Derzeit sei der Markt durch die Konfrontation von „schnell gegen langsam“ geprägt. Gemeint sind die Prozesse Bottom-up und Top-down. Zur schnellen Bottom-up-Entwicklung zählt Kuhlmann PV-Anlagen und Energiespeicher; die langsamen Top-down-Kandidaten seien die traditionellen EVU, die ihre neue Stellung im Markt noch nicht gefunden hätten.
Nächstes Ziel, um neuen Geschäftsmodellen am Energiemarkt den Weg zu bereiten, sei die Digitalisierung der Netze. Dadurch entstehe ein neues Strommarktdesign, das nicht mehr durch wenige große Energieversorger, sondern durch viele innovative Stromanbieter und Energiedienstleister geprägt sein werde.
Ob damit auch der Roll-out intelligenter Stromzähler Abb. 5 in Gang kommen wird, vermag Kuhlmann derzeit noch nicht einzuschätzen. Hier habe der Verbraucher das letzte Wort – und der mache sich Sorgen um die Datensicherheit. Auch die energetische Sanierung des Gebäudebestandes will Kuhlmann vorantreiben. Obwohl der Förderrahmen seiner Einschätzung nach ideal ist, sei der Abruf von Fördermitteln eher rückläufig. Kuhlmann dazu: „Wir müssen viel mehr darüber reden. Es mangelt nicht an Programmen, es mangelt an der Kommunikation.“
Stromgestehungskosten auf Augenhöhe
Einen durchgängig positiven Eindruck über die Zukunft der erneuerbaren Energien vermittelte Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende, Berlin – trotz der zunächst noch steigenden EEG-Umlage. Laut Prognosen von Agora Energiewende sinken die Stromgestehungskosten von derzeit 6 bis 9 Ct/kWh für Onshore-Windstrom und 8 bis 9 Ct/kWh für Strom aus PV-Anlagen in den nächsten 15 Jahren auf 4,7 bis 7 Ct/kWh für Windstrom und 4 bis 7 Ct/kWh für PV-Strom. Damit lägen die Kosten für erneuerbare Energien auf Augenhöhe zu den Stromkosten konventioneller Kraftwerke.
In Dubai sei bereits eine PV-Anlage mit Stromgestehungskosten von 5,5 Ct/kWh im Aufbau. Das sei günstiger als das ursprünglich vor Ort geplante Gas-Kraftwerk. Grundsätzlich werde die künftige Rolle der Photovoltaik aus Sicht der Agora global unterschätzt, so Graichen. Wichtig sei, generell die Energieeffizienz von Geräten, Komponenten und Anlagen weiter zu verbessern, zumal die Ökodesign-Richtlinie am Strommarkt bereits eine positive Wirkung zeige: Trotz wachsendem Wirtschaftsvolumen gehe der Stromverbrauch zurück.
Um die weiter steigenden Anteile der stark wetterabhängigen erneuerbaren Energien auch nutzen zu können und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, müsse das gesamte Stromsystem flexibler werden. Den Schlüssel dazu sieht Graichen in der Digitalisierung des Stromnetzes sowie in der Einbindung von Kraftwerken und Speichern, die flexibel auf die Volatilität von Wind- und Solaranlagen reagieren. Dazu bedürfe es eines technologieneutralen Wettbewerbs, der alle Flexibilisierungsoptionen wie Lastmanagement, Energiespeicher, Power-to-X-Anlagen sowie flexible fossile und Biomasse-betriebene Kraftwerke einschließt. Dabei sei anzustreben, dass der künftige Strompreis je nach Angebot und Nachfrage „atmet“.
Graichen räumt ein, dass durch effizientere, digitalisierte Netze die Anreizwirkungen, beispielsweise für Power-to-Gas-Anlagen, gemindert und damit deren Wirtschaftlichkeit infrage gestellt werden kann. Die Digitalisierung des Stromnetzes bedeute jedoch auch, dass die vielen EEG-Kleinanlagen in der Lage sind, große Beiträge für das Gesamtsystem zu leisten. Das könne mit ein Grund sein, warum die Digitalisierung nur schleppend vorankommt, denn damit entfalle die Geschäftsgrundlage der etablierten Stromanbieter.
Eine wichtige Botschaft an die HLK-Industrie: Flexibilität auf der Nachfrageseite und Energieeffizienz könnten künftig zu dem Konzept „FlexEfficiency“ verschmelzen. Geräte und Anlagen wählen dann mithilfe von Lastmanagement-Funktionen bzw. Signalen aus dem digitalen Stromnetz die netzdienliche Betriebsweise selbst Abb. 6. Die Kleinteiligkeit der Netzstabilisierung könnte allerdings dazu führen, dass die heute geplanten und in etwa zehn Jahren in Betrieb gehenden Stromtrassen in dem Maße gar nicht mehr gebraucht werden.
Starke Argumente für Erdgas
Erdgas wird sich auch in Zukunft am Wärmemarkt behaupten, selbst wenn der Energieverbrauch weiter abnimmt. Allerdings müsse sich die Gaswirtschaft in der Energiewende besser positionieren, denn im allgemeinen Verständnis gehe es bei der Energiewende immer noch um eine Stromwende. Werner Lutsch, Geschäftsführer des AGFW, Frankfurt am Main, sieht in der Kombination von Kraft-Wärme-Kopplung und Fernwärme einen wichtigen Absatzmarkt für Erdgas. Langfristig gesehen könnten dann durch die Einbindung erneuerbarer Energien in die Wärmenetze die energiepolitischen Treibhausgas-Verminderungsziele (Klimaneutralität bis zum Jahr 2050) erreicht werden.
Der AGFW-Vorstand hat dazu die 70/70-Strategie initiiert, die belegen soll, dass die 70 einwohnerstärksten Städte Deutschlands bei konsequentem Ausbau der Fernwärme, dem Einsatz von KWK, Wärmespeichern, erneuerbaren Energien und Power-to-X-Verfahren einen Anteil von 70 % an der städtischen Wärmeversorgung erreichen können.
Der Power-to-Gas-Technologie werden vorläufig kaum Chancen am Wärmemarkt eingeräumt. Sie sei eine Option, die in 15 bis 30 Jahren wirtschaftlich werden könne, so Lutsch. Er sehe eher die Option, Überschussstrom in Wärme umzuwandeln, da sich dieses Verfahren bereits heute rechnet. Auch Oliver Hill, Generalbevollmächtigter des Vorstandsressorts Handel der VNG AG, Leipzig, sieht Power-to-Heat als Option, noch vor der Stromspeicherung.
Dr. Timm Kehler, Vorstand der Initiative Zukunft Erdgas, Berlin, beurteilt die Stellung von Erdgas am Energiemarkt ebenfalls als gesichert, allerdings vorrangig durch den Ausbau der dezentralen Systeme. Impulse für den Erdgasmarkt kämen von neuen Gas-Wärmepumpen und preisattraktiven Brennstoffzellen-Heizgeräten. Entscheidend für die Sicherstellung des Bestands an Gasheizungen sei die Kombination von Brennwert-Heizgerät und Solarthermie. Auch in Zukunft rechne er mit einem Anteil von rund 50 % Erdgas bei Heizungsanlagen im Neubaubereich. Bei der Modernisierung von Bestandsanlagen würden sich heute vier von fünf Nutzern wieder für Erdgas entscheiden. Bedauerlicherweise käme die Förderung von Mikro-KWK-Geräten im Zusammenhang mit der KWK-Novelle zu kurz. Dadurch fehle es an Skalierungseffekten, um die Geräte preisgünstiger anbieten zu können.
Als wenig hilfreich bei der Modernisierung des Gebäudebestands hat sich das ursprüngliche Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWärmeG) Baden-Württembergs mit der Vorgabe, mindestens 10 % des Heizwärmebedarfs mit erneuerbaren Energien abzudecken, erwiesen. Karl Greißing, Ministerialdirigent, Abteilungsleiter Energiewirtschaft, Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, begrüßt deshalb die seit Juli 2015 gültige Novellierung und die darin angebotenen Ersatzmaßnahmen für den nunmehr auf 15 % angehobenen Anteil an erneuerbaren Energien.
Das Gesetz erlaube es jetzt, bei einer Erneuerung der Heizungsanlage vorhandene Komponenten anzurechnen, beispielsweise bestehende Solarthermie- und PV-Anlagen oder eine sehr gute Wärmedämmung. Auch ein 10%iger Anteil an Biogas oder Bioöl erfüllt die neuen EWärmeG-Kriterien, ebenso Teilwärmedämmungen, wie die obere Geschossdecke, die Kellerdecke oder einzelne Außenwände. Ebenso gilt der Anschluss an ein Wärmenetz mit Wärmeerzeugung über eine KWK-Anlage als Ersatzmaßnahme. Zweifel seien allerdings bei Biomasse-Fernwärmeanlagen Abb. 7 angebracht, die ihre Pellets aus Kostengründen aus Nordamerika oder Russland importieren, wie es in Dänemark oftmals der Fall ist. Interessant sei allerdings die in Dänemark immer häufiger genutzte Option, großflächige Solarthermie-Anlagen in Fernwärmesysteme einzukoppeln.
Der Schlüssel liegt in den Städten
Das Tempo der Energiewende wird weit-gehend durch das Engagement der Städte sowie die Fähigkeit der städtischen Werke bestimmt, sich von tradierten Angeboten zu verabschieden. Beim Round-Table-Gespräch mit dem Titel „Stadtwerke zwischen Tradi-tion und Innovation“ wurde deutlich, dass Stadtwerke mit der Konzentration auf die Commodities, also dem Verkauf von Strom, Erdgas, Fernwärme und Wasser, kaum überlebensfähig sein werden. Schon heute lasse sich mit konventionellen Kraftwerken praktisch kein Geld mehr verdienen, so der Tenor der Runde.
Hinzu komme der Wunsch vieler Stromkunden nach einer möglichst hohen Stromautarkie durch PV-Anlagen, die künftig durch die Preisdegression bei PV-Modulen und Batteriespeichern noch unterstützt werde. Während Kongress-Moderator Michael Bauchmüller, Energiepolitischer Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, das Image der Stadtwerke aus Kundensicht als eher „piefig“ (kleinbürgerlich, spießig) einschätzt, sehen sich viele Stadtwerke als gut gerüstet für den zweiten Teil der Energiewende.
Dr. Johannes Kleinsorg, Geschäftsführer der Stadtwerke Leipzig, räumt allerdings ein, dass die Geschwindigkeit bei der Reform der Stadtwerke und bei der Umsetzung von Energiewende-Projekten erhöht werden müsse, auch wegen der drohenden Konkurrenz durch Google & Co Abb. 8. Voraussetzung für die Stärkung der Stadtwerke sei die Automatisierung und Digitalisierung der Netze, denn nur so seien Projekte wie Smart City und Smart Home zu verwirklichen. Bislang sei die Resonanz der Kunden auf Smart-Home-Angebote durch Stadtwerke trotz hohem Werbeaufwand eher verhalten. Hier müssten langfristige Strategien angelegt werden.
Für Sebastian Jurczyk, Geschäftsführer der EWE Vertriebs GmbH und der EWE TEL GmbH, Oldenburg, ist es eine Frage des Vertriebs, wie man Kunden mit Verlangen nach Energieautarkie auch weiterhin bei der Stange hält. „Und-dann-Tschüss-Modelle“, bestehend aus PV-Anlage und Batteriespeicher, müsse man langfristig einkalkulieren. Mit der Digitalisierung der Netze könnten neue Produkte ins Portfolio aufgenommen werden, die idealerweise auf Familien zugeschnitten sein sollten. „Familien sind die besten Kunden für Stadtwerke, wenn entsprechende Produkte angeboten werden. Wir wissen aber heute noch nicht, ob wir mit Produkten, wie Smart Home, Smart City oder Hausspeichern, Geld verdienen werden.“ Voraussetzung für eine dauerhafte Kundenbindung sei, mit Kundendaten sensibel umzugehen. Im Gegensatz zu Google & Co sehen sich die Stadtwerke diesbezüglich als eher unbelastet.
Auch Dr. Florian Bieberbach, Vorsitzender der Geschäftsführung Stadtwerke München, sieht die Option als sehr begrenzt, mit den Daten der Kundenanlagen Geschäfte zu machen. „Wir müssen mit den Daten sensibel umgehen; das Vertrauen der Verbraucher kann schnell verloren gehen.“
Einig waren sich die Teilnehmer des Rundtischgesprächs darin, dass die große Mehrheit der Stadtwerke-Kunden, Zitat, „Smart Meter und andere Gimmicks“ aus datenschutzrechtlichen Gründen ablehnen. Die Kunden hielten sich auch deshalb zurück, weil es keine wirtschaftlich interessanten Tarifangebote gibt. Bieberbach gibt zu bedenken, dass ein digitales Stromsystem viel anfälliger als ein konventionelles ist. Günstiger als die Verteilung von Überschussstrom über Smart-Meter-Angebote sei es, diesen in Wärme umzuwandeln und in Fernwärmenetze einzuspeisen Abb. 9. Bieberbach dazu: „Die produzierte Kilowattstunde wird immer billiger. Wir rechnen mit gigantischen Potenzialen an Überschussstrom.“
Andreas Feicht, Vorstandsvorsitzender der Wuppertaler Stadtwerke dazu nüchtern: „Auf dem Strommarkt sind wir auf dem Weg zur Flatrate. Richtig viel Geld verdient man da künftig nicht mehr.“
Treppe von oben nach unten kehren
Hat Rifkin Recht? (siehe Info-Kasten) Markus Basler, Wirtschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung und Co-Moderator des Energiekongresses gab diese Frage gezielt weiter an Dr. Frank Mastiaux, Vorsitzender der Geschäftsleitung EnBW Energie Baden-Württemberg AG, Karlsruhe. Ja, das Geschäftsmodell der großen Energieversorger sei passé. Ja, früher rechnete man dort mit Wirkungshorizonten von 30 bis 50 Jahren. Ja, die Margen waren eher üppig.
Umso wichtiger sei es, schnell die richtigen Entscheidungen zu treffen und die Dinge jetzt anzugehen und nicht in einem Vierteljahr. „Der Vorstand gibt das Tempo vor, die Umsetzung durch die Beschäftigten ist aus Erfahrung rund zwanzigmal langsamer“, weiß Mastiaux. „Wir müssen viele Ideen zulassen, dann aber kurzfristig zu Entscheidungen kommen und diese rechnerisch belegen.“ Als Vorbild sieht Mastiaux die Amerikaner, die zu Meetings mit Taschenrechnern erscheinen und Vorschläge unmittelbar auf ihre Wirtschaftlichkeit prüfen. Die Zukunft von EnBW sieht Mastiaux im sicheren Betrieb von Datennetzen, von systemkritischen Infrastrukturen in Städten, im Betrieb von Versorgungsnetzen sowie in Systemdienstleistungen rund um die erneuerbaren Energien.
Die Herausforderungen für die großen Energieversorger seien die Kleinteiligkeit und die Eigentumsverhältnisse der Einspeiser in das Stromnetz. Ein wichtiges Anliegen ist ihm, ein hohes Tempo vorzulegen, sei es bei der Inbetriebnahme von Windparks oder bei der Realisierung von Datennetzen und Servicediensten. Den Ausstieg aus der Kohle hält er für unumkehrbar, da Kohlekraftwerke im Betrieb inzwischen unwirtschaftlich seien Abb. 1. Mastiaux trocken: „Die Treppe wird von oben gekehrt, also fangen wir bei unseren konventionellen Kraftwerken an.“
Fazit
Die Energiewende nimmt an Fahrt auf. Für die klassischen Energieversorger bedeutet das, Überlebensstrategien zu entwickeln und diese möglichst schnell umzusetzen. Bei den künftigen Geschäftsmodellen werden Stromspeicher sowie die Digitalisierung der Stromversorgung eine entscheidende Rolle spielen. Unklar ist, wie sich ein möglicherweise unkontrollierter Ausbau von Windstrom- und PV-Anlagen bei gleichzeitiger Digitalisierung der Netze auf das künftige Stromdesign auswirken wird.
Die Gaswirtschaft betrachtet die Entwicklung eher nüchtern und vertraut auf die Trägheit des Marktes, aber auch auf die kommende Generation preisattraktiver Brennstoffzellen-Heizgeräte und Gas-Wärmepumpen. Offen bleibt, inwieweit die unter Druck stehenden Stadtwerke und EVU in den angestammten Bereichen der Infrastruktur- und Gebäudetechnik Fuß fassen werden.
" class="chapter-heading">Ein Haufen Mist!
„Big Data ist die Verarbeitung von Massenkundendaten, damit wir – in unserem Sinne – dem Kunden ein besonderes Angebot machen können, weil wir Angst haben, der Kunde könnte plötzlich kündigen. Die Fiktion vieler Marketingstrategen, dass Big Data die Welt retten wird, teile ich nicht. Das ist ein Haufen Mist, der da gerade passiert, aber wir müssen das machen!“ Michael G. Feist, scheidender Vorstandsvorsitzender der Stadtwerke Hannover AG
“Batteriespeicher schützen vor Big Data“
Womit verdient die Energiewirtschaft in Zukunft Geld, wenn die konventionellen Kraftwerke nicht mehr gebraucht werden? Auszüge aus der Podiumsdiskussion „Innovationen – wem gehört die Zukunft der Energiewirtschaft“:
- „Wer am schnellsten ist, macht das Geschäft.“ Christoph Kahler, Leiter Öffentlichkeitsarbeit Thüga, München
- „Große Batteriespeicher sind das entscheidende Element in der Energiewende. Sie öffnen das Tor, um konventionelle Stromerzeuger abzubauen. Eine vorrangige Aufgabe dieser Speicher ist die Ausregelung der Frequenz im Millisekundenbereich.“ Clemens Triebel, Gründer Younicos AG, Berlin
- „Der Connected-Home-Markt startet innerhalb eines Jahres durch. Ich glaube, der Kunde vertraut uns, weil wir – die Energiewirtschaft – das am besten können, da wir die Kommunikations- und Energieseite beherrschen. Wichtig ist, das Produkt Strom zu emotionalisieren.“ Thorsten Kühnel, Leiter Digital Transformer Unit, E.on SE, Berlin
- „Auf der Google-Webseite „Sunroof“ können sich Interessierte informieren, ob sich ihr Hausdach für die Installation von Solarzellen lohnt. Basis sind Daten aus Google Maps. Die Beratung erfolgt online, das heißt, es kommt niemand ins Haus. Die Erfahrung hat gezeigt, dass unsere Vorhersage einer möglichen Stromerzeugung extrem genau ist.“ Und: „Batteriespeicher schützen den Nutzer vor Big Data.“ Dr. Wieland Holfelder, Leiter Google Entwicklungszentrum, München
- „Innovative Geschäftsmodelle rund um die Energiewende haben gute Chancen, besonders im Industrie- und Gewerbebereich. Die Telekommunikation ist dabei unser wichtigster Partner. Speicher haben großes Potenzial als Geschäftsmodell.“ Hendrik Sämisch, Geschäftsführer Next Kraftwerke GmbH, Köln
- „Sicherheit und Datenschutz ist bei Smart Metering extrem wichtig. Datenschutz hat bei der Produktentwicklung einen ganz hohen Stellenwert. Wichtig ist ein offener Umgang, wie und in welchem Umfang Kundendaten genutzt werden. Mit guten Produkten und überzeugenden Ideen kann man den Kunden dazu bringen, etwas mehr von sich preiszugeben; das ist nun mal unser Geschäft. Im Übrigen hat ein Batteriespeicher eine wunderbare Datenschutzfunktion, weil der Stromversorger vieles, was in einem Haushalt abläuft, nicht mehr mitlesen kann.“ Dr. Frank Schmidt, Leiter Konzerngeschäftsfeld Energie, Deutsche Telekom AG / T-Systems, Frankfurt
“Die Leute wollen Speicher haben“
„PV-Anlagen und Batteriespeicher rechnen sich nicht, aber die Leute wollen sie trotzdem haben.“ Josef Hasler, Vorsitzender der Geschäftsführung der Städtischen Werke Nürnberg GmbH und Vorsitzender des Vorstands der N-Ergie Aktiengesellschaft, beurteilt die Entwicklung auf dem Energiemarkt nüchtern: „Langfristiges Ziel vieler Endverbraucher ist die Trennung vom öffentlichen Stromnetz.“ Derzeit gebe es am Strommarkt Entwicklungen mit zwei Geschwindigkeiten: der schnelle Ausbau dezentraler PV-Anlagen und die langsame Digitalisierung der Stromnetze. Doch während die Industrie bereits das Lastmanagement zur Senkung der Stromkosten erkannt habe, hielten sich die privaten Nutzer bei der Digitalisierung ihrer Haushalte zurück. „Hier haben wir es eher mit einer Evolution zu tun und nicht mit einer Revolution“, so Hasler.
Dr. Frank Büchner, Leitung Energy Management Division, Siemens Deutschland, sieht die Entwicklung so: „Bis zu einem Anteil von 80 % erneuerbarer Energien geht es auch ohne Digitalisierung der Netze. Wichtig sei eine vorausschauende Erzeugung und Kenntnisse über den voraussichtlichen Verbrauch, also Transparenz von Angebot und Nachfrage. Im Übrigen sei die Digitalisierung der Netze schon im Gange.
Einigkeit herrschte darin, dass die Rolle des intelligenten Stromzählers in der Energiewende überschätzt wird. Für Johannes Kempmann, Präsident des BDEW und Technischer Geschäftsführer der Städtischen Werke Magdeburg, macht ein zwangsweiser Rollout der Smart Meter derzeit keinen Sinn, da es keine Geschäftsmodelle gibt. „Der Smart Meter hilft uns nicht weiter, das ist Unsinn, den brauchen wir zur Netzstabilisierung nicht. Wir wollen unsere Kunden nicht zwangsweise damit beglücken.“ Wenn Google in diesen Markt einsteige, sei das nur unter dem Aspekt des Datensammelns über den Kunden zu sehen. Büchner dazu: „Google kann keine Netze managen. Auch die anderen neuen Player haben kein Know-how, um Netze zu stabilisieren.“
Dr. Carsten Rolle, Leiter Abteilung Energie- und Klimapolitik, Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), warnt davor, Kundeninformationen über Smart Meter abzugreifen. „Die Energieversorger verlieren das Vertrauen ihrer Kunden, wenn persönliche Daten über Smart Meter ausgelesen werden.“ Selbst der Siemens-Mann Büchner plädiert dafür, Smart Metering nicht per Zwangsbeschluss einzuführen. „Das private Haus muss geschützt werden. Ich sehe den Smart Meter eher als eine Möglichkeit für Industriebetriebe, ihren Energieverbrauch transparent zu machen.“
Nach diesen Aussagen haben die Wärmepumpenhersteller ein Verkaufsargument weniger: Da am Strommarkt weiterhin keine entsprechenden Tarife angeboten werden scheint das Smart-Grid-Ready-Label für Smart-Grid-fähige Wärmepumpen – jenseits der Nutzung von selbsterzeugtem PV-Strom – vorerst ein Marketing-Gag zu bleiben.
Rifkin: “Deutschland und China retten die Menschheit“
„EVU, die weiterhin nur Strom verkaufen, investieren in ihre eigene Abschaffung.“ Ökonom Jeremy Rifkin, Gründer und Vorsitzender der Foundation on Economic Trends, Bethesda, Maryland, USA, liebt klare Worte und drastische Prognosen. Zugeschaltet über Video aus New York warnte er seine Zuhörer auf dem 10. Deutschen Energiekongress im Stakkato vor den kommenden Veränderungen der Weltwirtschaft durch die weltweite digitale Revolution. Vereinfacht gesagt, versetzt die globale Digitalisierung aus Sicht von Rifkin jeden engagierten Menschen in die Lage, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, selbst Unternehmer zu werden. Die kommende digitale Revolution basiere auf drei Technologien: Kommunikation über das Internet, erneuerbare Energien und selbstfahrende Autos. Allerdings müsse bei der Realisierung des Internets der Dinge mit Rückschlägen durch Cyberkriminalität gerechnet werden. Im Idealfall könnten alle für alle produzieren, denn durch die globale Vernetzung und erneuerbare Energien im Überfluss – und damit zu Grenzkosten gegen null – vereinfache sich die Gründung von Start-ups. So gut wie jeder Markt müsse mit gravierenden Veränderungen rechnen. „Jedes iPhone wird künftig zur Geschäftsplattform, die Apps sind die Basis für neue Geschäftsmodelle“, orakelt Rifkin. Beispiele über den Einfluss der Digitalisierung auf konventionelle Geschäftsmodelle gebe es heute schon genug. Exemplarisch nannte er den Niedergang der Musikindustrie durch Streaming-Dienste, die Telefonie oder den Buchmarkt.
„EVU, die weiterhin nur Strom verkaufen, investieren in ihre eigene Abschaffung.“ Ökonom Jeremy Rifkin, Gründer und Vorsitzender der Foundation on Economic Trends, Bethesda, Maryland, USA, liebt klare Worte und drastische Prognosen. Zugeschaltet über Video aus New York warnte er seine Zuhörer auf dem 10. Deutschen Energiekongress im Stakkato vor den kommenden Veränderungen der Weltwirtschaft durch die weltweite digitale Revolution. Vereinfacht gesagt, versetzt die globale Digitalisierung aus Sicht von Rifkin jeden engagierten Menschen in die Lage, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, selbst Unternehmer zu werden. Die kommende digitale Revolution basiere auf drei Technologien: Kommunikation über das Internet, erneuerbare Energien und selbstfahrende Autos. Allerdings müsse bei der Realisierung des Internets der Dinge mit Rückschlägen durch Cyberkriminalität gerechnet werden. Im Idealfall könnten alle für alle produzieren, denn durch die globale Vernetzung und erneuerbare Energien im Überfluss – und damit zu Grenzkosten gegen null – vereinfache sich die Gründung von Start-ups. So gut wie jeder Markt müsse mit gravierenden Veränderungen rechnen. „Jedes iPhone wird künftig zur Geschäftsplattform, die Apps sind die Basis für neue Geschäftsmodelle“, orakelt Rifkin. Beispiele über den Einfluss der Digitalisierung auf konventionelle Geschäftsmodelle gebe es heute schon genug. Exemplarisch nannte er den Niedergang der Musikindustrie durch Streaming-Dienste, die Telefonie oder den Buchmarkt.
Spätestens 2045 gebe es in Deutschland einen Anteil von 100 % bei den erneuerbaren Energien und damit eine Fülle an neuen Geschäftsmodellen rund um die Bereiche Kommunikation, Energie und Transport. Bis dahin würden die unzähligen kleinen Stromeinspeiser die etablierten Energieversorger aus dem Markt drängen, denn der reine Stromverkauf sei dann kein Geschäftsmodell mehr. Doch wer erneuerbare Energien generiert, muss auch an deren Speicherung denken. Deshalb entwickeln sich nach Auffassung von Rifkin Mikro-Power-Anlagen in Verbindung mit Stromspeichern und den dazu gehörenden netzdienlichen Dienstleistungsangeboten zu einem wichtigen Marktsegment. Wenn Deutschland das Innovationstempo bei der Speichertechnologie nicht beschleunige, gerate es allerdings ins Hintertreffen. Auch rund um das Thema Internet-der-Dinge und selbstfahrende Fahrzeuge entwickeln sich neue Geschäftsmodelle mit „nahezu-null-Grenzkosten“, wobei Rifkin den Schwerpunkt der Selbstfahrer vorläufig eher beim Warentransport sieht.
Um das Risiko von Rückschlägen zu mindern, rät Rifkin den Unternehmen zu zwei getrennten Portfolios: ein konventionelles und ein Internet-der-Dinge-basierendes. Entscheidend sei die konsequente Datennutzung aller möglichen Quellen zur Verbesserung der Produktivität und zur Minderung des CO2-Fußabdrucks.
„EVU, die weiterhin nur Strom verkaufen, investieren in ihre eigene Abschaffung.“ Ökonom Jeremy Rifkin, Gründer und Vorsitzender der Foundation on Economic Trends, Bethesda, Maryland, USA, liebt klare Worte und drastische Prognosen. Zugeschaltet über Video aus New York warnte er seine Zuhörer auf dem 10. Deutschen Energiekongress im Stakkato vor den kommenden Veränderungen der Weltwirtschaft durch die weltweite digitale Revolution. Vereinfacht gesagt, versetzt die globale Digitalisierung aus Sicht von Rifkin jeden engagierten Menschen in die Lage, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, selbst Unternehmer zu werden. Die kommende digitale Revolution basiere auf drei Technologien: Kommunikation über das Internet, erneuerbare Energien und selbstfahrende Autos. Allerdings müsse bei der Realisierung des Internets der Dinge mit Rückschlägen durch Cyberkriminalität gerechnet werden. Im Idealfall könnten alle für alle produzieren, denn durch die globale Vernetzung und erneuerbare Energien im Überfluss – und damit zu Grenzkosten gegen null – vereinfache sich die Gründung von Start-ups. So gut wie jeder Markt müsse mit gravierenden Veränderungen rechnen. „Jedes iPhone wird künftig zur Geschäftsplattform, die Apps sind die Basis für neue Geschäftsmodelle“, orakelt Rifkin. Beispiele über den Einfluss der Digitalisierung auf konventionelle Geschäftsmodelle gebe es heute schon genug. Exemplarisch nannte er den Niedergang der Musikindustrie durch Streaming-Dienste, die Telefonie oder den Buchmarkt.
Visionär Rifkin ist überzeugt, dass Deutschland bei der digitalen Industrierevolution eine Schlüsselrolle spielt. „Deutschland ist weltweiter Vorreiter bei den erneuerbaren Energien, Deutschland kann die Welt retten.“ Auch Chinas Regierung höre auf ihn und orientiere sich an dem, was in Deutschland passiere. Allerdings müsse Deutschland bei der Umsetzung der „nahezu-null-Grenzkosten-Gesellschaft“ mehr Bereitschaft zeigen, die Führung zu übernehmen.
Spätestens hier denkt man als Chronist an das berühmte Zitat von Helmut Schmidt: „Wer Visionen hat, der sollte zum Arzt gehen.“ Noch ein Hinweis: Die Veranstaltung fand vor dem Bekanntwerden des VW-Abgas-Skandals statt. Die Vorreiterrolle Deutschlands in Sachen Weltrettung scheint damit erst einmal vom Tisch zu sein.
Wolfgang Schmid
ist freier Fachjournalist für Technische Gebäudeausrüstung, München, wsm@tele2.de