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Fossile Energiewirtschaft (Teil 2)

Der Wechsel ist eine Willensfrage

Der Ausbau der Energiegewinnung aus Wind, Sonne, Biomasse und Erdwärme ist nicht durch den Umfang von Lagerstätten begrenzt wie bei Kohle, Öl, Gas und Uran, sondern hauptsächlich von den Investitionen in die Anlagen. Prinzipiell folgt der Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien der klassischen Wachstumskurve bei der Einführung neuer Technologien in drei Phasen:

  • Zuerst die Anlaufphase mit einem relativ langsamen Wachstum, in der viel Entwicklung stattfindet, um die Techniken massentauglich zu machen und schnelles Wachstum zu ermöglichen.
  • Danach folgt ein sich rasch beschleunigendes exponentielles Wachstum mit Massenproduktion.
  • Bei hohem Marktanteil, geht dann die Entwicklung in eine Sättigung über.

In zwei hochaktuellen Studien lieferten Wissenschaftler der Energy Watch Group (EWG) Szenarien für die Ausbaumöglichkeiten erneuerbarer Energien. Ob diese Ausbaumöglichkeiten genutzt oder sogar übertroffen werden, ist nicht in erster Linie eine Frage der Potenziale oder der Technologien, sondern abhängig vom politischen Willen und von den Investitionsbedingungen. Das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz zeigt, wie schnell der Ausbau vorangehen kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Und es zeigte, dass Prog­nosen, die sich am augenblicklichen technischen und wirtschaftlichen Potenzial orientieren, viel zu pessimistisch sind, denn sie unterschätzen bei Weitem die Macht politischer Rahmenbedingungen, die Dynamik der Massenfertigung und den Entwicklungseifer der Ingenieure.

Windenergie überflügelt Prognosen

Rudolf Rechsteiner, Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der EWG und Schweizer Parlamentarier, untersuchte das am Beispiel der Wind­energie. Ihre Entwicklung hat im hinter uns liegenden Jahrzehnt alle offiziellen Vorhersagen weit übertroffen. In den 1980er-Jahren hatte es noch jeweils sechs Jahre gebraucht, bis sich die installierte Gesamtleistung verdoppelte. Seit 1998 sind es im Mittel nur noch drei Jahre. Im Jahr 2008 wurden erstmals 100000 MW installierte Leistung überschritten. Schreibt man das weltweite Wachstum der Windenergie und der Stromnachfrage fort, wird ab dem Jahr 2019 mehr als die Hälfte aller weltweit neu gebauten Kraftwerksleistung in Windkraftanlagen installiert. Schon bis 2037 könnten erneuerbare Energien ­sogar die vollständige Stromversorgung weltweit übernehmen.

Laut Rechsteiner spricht vieles dafür, dass die Entwicklung der Windenergie tatsächlich ungebremst weitergeht: die kostenlose und unerschöpfliche Primärenergie „Wind“, die weltweite Verfügbarkeit, die von Anfang an sicher kalkulierbaren Kosten, zunehmende Wettbewerbsfähigkeit, keine Kohlendioxidemissionen oder giftige Abfälle im Betrieb, kein Kühlwasserbedarf, sinkende Energierücklaufzeit und der rasante technische Fortschritt.

In vielen Regionen kann eine Kilowattstunde Windstrom für 6 bis 8 Eurocent erzeugt werden, an sehr guten Standorten sogar noch billiger. Damit ist Windenergie unter neuen Kraftwerken häufig die billigste Stromerzeugungstechnik. In den letzten 25 Jahren wuchs die Produktivität von Windturbinen um das Hundertfache und die durchschnittliche Leistung einer einzelnen Turbine nahm um über 1000 % zu. Internationale Konzerne wie General Electric, Siemens, Areva, Alstom und Suzlon sind in die Technologie eingestiegen, ihnen folgt eine wachsende Zahl chinesischer Unter­nehmen.

Finanzieller Aufwand in Grenzen

Trotzdem gibt es noch immer massive Widerstände gegen die erneuerbaren Energien. Das hat auch strukturelle Gründe. Die erneuerbaren Energien unterscheiden sich von den rohstoffgebundenen Energien nämlich auch durch ihre Finanzierungsstruktur. Die Widerstände müssen durch politische Maßnahmen und andere Rahmenbedingungen aufgelöst werden. Entscheidend ist dabei, dass es kaum technische Hürden gibt, um den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv zu beschleunigen. Selbst das am häufigsten genannte Speicherproblem ist im Mix der verschiedenen erneuerbaren Energien kleiner als vielfach angenommen wird. Mit der heute verfügbaren Technik und mit vorhandenem energiewirtschaftlichen Know-how ist dieses Problem bereits lösbar.

Das Institut ISUSI hat für die EWG im „Renewable Energy Outlook REO 2030“ die Ausbaumöglichkeiten in den Bereichen Strom und Wärme näher untersucht. Dieses Szenario ist keine Prognose. Es zeigt also nicht auf, was eintreten wird, sondern was unter bestimmten Bedingungen möglich wäre: Der Ausbau der erneuerbaren Energien kann sehr viel schneller und mit deutlich geringeren Investi­tionen erfolgen, als manche befürchten. Vertreter der untersuchten Energiesparten kritisieren sogar, dass selbst das ambitioniertere der beiden im REO2030 ausgeführten Szenarien sehr zurückhaltend sei und dass die vielversprechenden Technologien, die gerade in der Entwicklung stecken, noch gar nicht berücksichtigt seien.

Definiert wurden Investitionsbeträge pro Kopf der Bevölkerung, unterschieden nach den Regio­nen der Welt. Die getroffenen Annahmen führen im Jahr 2030 zu einem Anteil der erneuerbaren Energien an der Gesamtversorgung mit Elektrizität und Wärme von mindestens 29 %. Der Deckungsgrad bei Elektrizität ist dabei höher als der bei der Wärme. So liegt der Erneuerbaren-Anteil im Jahr 2030 für den Wärmebereich bei 16 % gegenüber 62 % für den Strom, von dem die Windkraft knapp die Hälfte liefert.

Voraussetzungen für die skizzierte Entwicklung sind eine starke politische Unterstützung, ein freier Marktzugang und Investitionen, die bis 2030 auf gut 1000 Mrd. Euro/a ansteigen. Das sind im Zieljahr 2030 umgerechnet 124 Euro pro Kopf der Weltbevölkerung. Zum Vergleich: Im Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2030 ist das ein Viertel weniger als die heutigen jährlichen Militärausgaben. Dabei geht dieser Vergleich sogar zu Ungunsten der erneuerbaren Energien, denn bei den Militärausgaben handelt es sich sozusagen um Konsumausgaben des Staates, die keine neuen Einnahmen generieren, wogegen die Investitionen in Energietechnik aus den Erlösen des Energieverkaufs refinanziert werden. Somit hält sich der finanzielle Aufwand in Grenzen.

Dies unterstreicht ein weiterer Vergleich: Addiert man die laut IEA in den Mitgliedsländern geplanten Investitionen für neue Kraftwerke4) (6) zu den jährlichen weltweiten Subventionen für fossile Energien (5), ergibt sich etwa die Summe an Inves­titionen des Szenarios REO2030.

Auch technologisch liegen die Anforderungen weit unter unseren Möglichkeiten. Die Industrie produziert heute jährlich Pkw-Motoren mit einer Leistung von insgesamt etwa 6500 GW. Im REO-Szenario wird demgegenüber im Jahr 2030, dem Jahr des höchsten Zubaus, Energietechnik mit einer Leistung von nur 550 GW installiert.

Es lohnt sich, mehr zu investieren

Derartig hohe Deckungsgrade bei den vergleichsweise moderaten Investitionssummen wurden selbst von den Wissenschaftlern der Energy Watch Group nicht erwartet. Dabei wurde als Vergleichsmaßstab die Steigerung des globalen End­energiebedarfs aus dem „World Energy Outlook“ der Internationalen Energieagentur (IEA) entnommen, obwohl die Energy Watch Group nicht davon ausgeht, dass konventionelle Energieträger im dafür erforderlichen Umfang zur Verfügung stehen werden. Das heißt: Bei politischem Willen ließe sich mehr erreichen. Und: Sollte der Energieverbrauch nicht steigen, sondern stabilisiert oder gesenkt werden, wäre auch noch schneller mehr erreichbar.

Vergleicht man die beiden Szenarien des REO2030 hinsichtlich ihrer Wirkung, so zeigt sich auch, dass bei dem Szenario mit höheren Investi­tionen ein überproportional höherer Energieanteil erreicht wird. Höhere Investition führen also zu einem beschleunigten Ausbau und damit zu einem schnelleren Umstieg von den sich verknappenden und damit teurer werdenden fossilen Energien. Mehr Investitionen führen damit sogar zu insgesamt niedrigeren Energiekosten. Es würde sich also lohnen, schon heute wesentlich höhere Investitionsanreize zu setzen.

Kein Wettbewerb mit Energieeffizienz

Wer glaubt, Energieeinsparung und deren ­effiziente Nutzung wären der Schlüssel zur Energiewende und müsste somit Vorrang haben, hat recht und unrecht zugleich. Er hat recht, weil ­Energie, die nicht verbraucht wird, nicht bereit­gestellt werden muss und somit Investitionen vermieden werden. Aber er hat auch unrecht, weil erneuerbare Energien gar nicht mit Einsparinvestitionen konkurrieren, sondern gleichzeitig mit ­diesen umgesetzt werden können und müssen, nämlich dort wo heute Energie verschwendet wird. Das sind in erster Linie die Industrieländer mit ­ihrem hohen Energieverbrauch für die Industrie und Konsumwirtschaft. Deshalb will die Euro­päische Union im Rahmen ihrer Klimaschutzziele bis zum Jahr 2020 den Energieverbrauch um 20 % reduzieren.

Vielfach behindern Subventionen für die alten Energien den Umstieg auf Erneuerbare und bremsen die Entwicklung zu mehr Effizienz in der Nutzung von Energie. Gerade in Schwellenländern wird der Verbrauch von Energie in gut gemeinter „Entwicklungshilfe“ hoch subventioniert. Laut einem im August 2008 vorgestellten Bericht der UNEP summieren sich diese Subventionen weltweit auf jährlich 300 Mrd. US-Dollar5). Prinzipiell sind Energiesubventionen das wirkungsvollste Hindernis für Energieein­sparung. Nur wo Energiepreise die wahren Kosten widerspiegeln, gehen Verbraucher sparsam damit um.

Doch obwohl die Preise für nukleare und fossile Energienutzung durch Subventionen künstlich niedrig gehalten werden, wie beispielsweise im Flugverkehr, würden sich bereits heute viele Energiesparmaßnahmen lohnen. Dass trotzdem nicht alle umgesetzt werden, liegt oft an fehlenden Informationen und schlechtem Energiemanagement von Nutzern und Bauherren. Während beispielsweise der mediale und politische Kampf „Energiesparlampe versus Glühlampe“ tobt, wissen die wenigsten, dass allein durch richtiges Einstellen oder gar Austauschen der häuslichen Heizungs-Umwälzpumpen ganze Kraftwerke stillgelegt werden könnten.

Langfristig ist Energieeinsparung schlicht eine rechnerische Frage. Was ist billiger: die Investition in erneuerbare Energiebereitstellung oder die Investition in Energieeinsparung? Fast keine Effizienzmaßnahme ist kostenlos, während die Nutzung erneuerbarer Energien immer günstiger wird. Und schließlich verbraucht die Herstellung verbrauchs­ärmerer neuer Produkte und Einspartechnologien selbst auch Energie. In der Übergangsphase zu den erneuerbaren Energien sollte der sparsamere Umgang mit Energie immer im Blick bleiben, jedoch nicht alternativ, sondern gleichzeitig.

Vor dem Scheitelpunkt

Fasst man die Analysen zu fossilen Energien und Kernenergie zusammen, stehen wir kurz vor dem Scheitelpunkt der konventionellen Energieversorgung innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre. Erstmals in der modernen Industriegeschichte reichen diese Energieträger nicht mehr aus für ein Wirtschaftswachstum, das unser Finanzsystem stabilisieren könnte. Gleichzeitig befinden sich die Erneuerbaren erst am Beginn eines exponentiellen Wachstumsprozesses. Sie könnten die Lücke aus steigendem Verbrauch und sinkender Verfügbarkeit fossiler Energieträger nur dann rechtzeitig schließen, wenn ihr Wachstum über alle bisherigen Szenarien hinaus beschleunigt wird. Leider wurden die Erschließung dieser unbestritten einzig langfristigen Energiequellen über viele Jahre behindert statt gefördert.

Erst der Klimaschutz gab den Erneuerbaren die notwendige Aufmerksamkeit. Zu befürchten ist, dass die Frage der ausreichenden Verfügbarkeit von Energie schon bald die ökologischen Aspekte in den Hintergrund drängen wird. Die Verknappung fossiler Energien würde dann zu erheblichen wirtschaftlichen, sozialen und sicherheitspolitischen Konflikten beitragen. Vielleicht ist also die Friedensdividende der erneuerbare Energien sogar deren gesellschaftlich wichtigster Nutzen.

4) Tackling Investment Challenges in Power Generation (in IEA Countries), IEA, 2007, http:// http://www.iea.org/w/bookshop/add.aspx?id=321

5) Erst kürzlich hat das UN-Umweltprogramm (UNEP) am Rande der Klimakonferenz im August 2008 in Accra einen Bericht zu den weltweiten klimaschädlichen Subventionen vorgelegt. Daraus geht hervor, dass die Regierungen der Welt fossile Energieträger jährlich mit rund 300 Mrd. US-Dollar subventionieren, meist um die Preise von Öl, Gas und Kohle auch für ärmere Bevölkerungsschichten ­erschwinglich zu halten. Das entspricht nach Angaben der UNEP jährlich etwa 0,7 % der weltweiten Wirtschaftsleistung. Die UNEP kritisiert, dass manche Länder mehr für die Subventionierung von Öl ausgeben als für Gesundheit und Bildung zusammen. Auch ist von einigen afrikanischen Staaten bekannt, dass sie ausländische Entwicklungshilfegelder dazu verwenden, die steigenden Brennstoffpreise zu finanzieren (zitiert nach Bundestagsdrucksache 16/11206 vom 3. Dezember 2008).

Thomas Seltmann

ist seit zwanzig Jahren in der Energiewirtschaft tätig und beschäftigt sich besonders mit Fragen der Nachhaltigkeit. Er ist Referent für Energie­fragen, Autor des Fachbuch-Bestsellers „Photovoltaik – Strom ohne Ende“ (4. Auflage, Berlin 2009) und derzeit Projektmanager der „Energy Watch Group“. Thomas Seltmann referiert auch auf Tagungen zu den Themen dieses Beitrags. http://www.thomas-seltmann.de

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