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Staufen im Breisgau

Katastrophenstimmung durch Geothermieprojekt

Nein, es waren keine angelernten Friseure am Werk und auch keine arbeitslosen Bäcker, die das Bohren im geothermischen Untergrund im Schnellkurs gelernt haben. Alles ging ordnungsgemäß zu und trotzdem herrscht in der Fauststadt Staufen im Breisgau Katastrophenstimmung. Zumindest die Hausbesitzer rund um das Rathaus rechnen mit dem Schlimmsten.

Was passiert ist: Im September 2007 wurden auf dem Platz zwischen Rathaus und Bauamt durch eine österreichische Spezialfirma sieben Erdbohrungen in eine Tiefe von bis zu 140 m niedergebracht. Die Erdsonden sollten das Rathaus mit regenerativer Erdwärme versorgen. Der Bohrantrag wurde vorschriftsmäßig der zuständigen Abteilung des Regierungspräsidiums Freiburg – dem Landesamt für Geologie, Bergbau und Rohstoffe – vorgelegt und von der Unteren Wasserbehörde des Landratsamtes genehmigt. Ende 2007 wurden erstmals am Rathaus und umliegenden Gebäuden Haarrisse entdeckt – in einer tektonisch aktiven Gegend wie dem Oberrheingraben eigentlich nichts Beunruhigendes. Doch die Risse wurden größer und die Anzahl der betroffenen Häuser stieg besorgniserregend. Inzwischen sind in der historischen Altstadt bei 120 Gebäuden Risse festgestellt worden.

Am Rande der Kongressmesse „Geotherm 2008“ (28. und 29. Februar) in Offenburg hieß es zunächst, ein „Arteser“, also ein unter hydrostatischem Druck stehender Grundwasserleiter, könne durch die Erdsondenbohrung leer gelaufen sein und im Stadtgebiet zu den Setzungen geführt haben. Andere Fachleute wiesen auf den bekannt problematischen Untergrund zwischen Rheintal und Schwarzwald hin, der instabil und stark zerklüftet sei.

Wasser in Gipskeuper-Schicht

Seit Oktober 2008 liegt ein erstes Sachverständigen-Gutachten vor. Demnach ist in eine 75 m mächtige Gipskeuper-Schicht Wasser ein­gedrungen. Gipskeuper ist ein Gesteinspaket, das aus wechselnden Lagen von Mergeln, Gips und Anhydrit besteht. Letzteres Mineral hat bei anhaltender Wasserzufuhr ein hohes Quell­vermögen; dabei wird Anhydrit in Gips umgewandelt. Die Volumenzunahme durch die chemische Reaktion ist so groß, dass sich eine Sprengwirkung aufbaut.

In Baden-Württemberg ist die teilweise verheerende Wirkung von Gipskeuper bekannt. So verformten sich Wände und Fahrbahnbelag im 1999 eröffneten Engelbergtunnel nahe Stuttgart durch das Eindringen von Wasser in Gipskeuper-Schichten so sehr, dass eine Geschwindigkeits­begrenzung verhängt werden musste. Auch die Bodenseeautobahn Stuttgart-Singen beult und ­buckelt sich südlich von Obersdorf regelmäßig und muss deshalb immer wieder nivelliert, also ab­gefräst und neu asphaltiert werden.

Die Gutachter von Staufen sind allerdings zurückhaltend mit einer eindeutigen Schadensursache. So heißt es, die Setzungen und Hebungen könnten auch durch die „ständigen tektonischen Verschiebungen unter der Stadt“ verursacht worden sein. Warum bei dieser Kenntnislage dann überhaupt eine Genehmigung für die Bohrung erteilt wurde, ist unter diesen Umständen nicht nachvollziehbar. Nach einem Bericht in „Spiegelonline“ vom 15. November 2008 hätte das Risiko der Erdsondenbohrung der genehmigenden Behörde bekannt sein müssen. So gelte Staufen unter Geologen als Risikozone, zumal auch die Gipskeuper-Schicht unter dem Ortskern dokumentiert sei.

Schuld- und Haftungsfrage ungeklärt

Die offenen Fragen in der Begutachtung haben für die Betroffenen weitreichende Konsequenzen: Derzeit kann man weder die Genehmigungsbehörde noch den Fachplaner noch die Bohrfirma in die Verantwortung nehmen, will heißen, auch nicht deren Versicherungen. Für die Hausbesitzer ist diese Situation besonders prekär: Solange die Ursachen nicht gerichtlich geklärt sind, müssen die Versicherungen auch nicht für die Schäden aufkommen. Um den Frieden in der nun vom „Riss-Tourismus“ heimgesuchten Altstadt zu wahren, strebt Staufens Bürgermeister Michael Benitz bis zur endgültigen Ursachenermittlung die Einrichtung eines Hilfsfonds an, aus dem die Schäden bezahlt werden sollen. Wie es heißt, prüfe das Land Baden-Württemberg noch eine Beteiligung.

In Staufen machen mittlerweile Gerüchte die Runde, wonach sich das Terrain der Altstadt durch die chemische Umwandlung von Anhydrit zu Gips sogar um bis zu 2m heben könne. Mehr noch: Man befürchtet sogar, dass sich der so entstandene Gips durch weiteren Wasserzufluss wieder auflöst und dadurch Hohlräume unter der Stadt entstehen. Bereits vor 14 Jahren habe es beim Umbau des Gasthauses „Kreuz-Post“ Probleme mit dem Untergrund gegeben, als man in einer Tiefe von 13m auf einen Hohlraum stieß. Das historische Gebäude konnte damals nur durch die Verfüllung des Hohlraums mit Beton vor dem Einsturz gerettet werden.

Das Risiko beim Bohren bleibt

Mag sein, dass in Kreisen der Geothermieakteure das Projekt Staufen als „Kollateralschaden“ eingeordnet wird; immerhin kann die Branche mit 40000 geothermischen Heizungsanlagen im Jahr 2008 – Vorjahr 27000 Anlagen – neue Rekorde verbuchen. Doch das Risiko beim Bohren bleibt – trotz Routine und trotz wachsender Information über die Zusammensetzung des Untergrunds. So hat die alte Bergmannsweisheit „vor der Hacke ist es dunkel“ auch weiterhin ihre Gültigkeit.

Wolfgang Schmid

ist Freier Fachjournalist für Technische Gebäudeausrüstung, München, E-Mail: wsm@tele2.de

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