Es kommt selten vor, dass ein Neubau ganz auf die Arbeitsgewohnheiten einer Berufsgruppe zugeschnitten wird. Für den Generalplaner war es auch ein Novum, dass sich ein Bauherr derart engagiert in die Planung einschaltet. „Viele Ideen, die wir in der Konzernzentrale des Süddeutschen Verlags verwirklicht haben, wären mit anderen Bauherren nicht umsetzbar gewesen“, erklärt Sönke Reinhard von WSP CBP Consulting Engineers, München, die Besonderheiten des Gebäudes sowie des Energie- und Raumkonzepts. „Wir sind buchstäblich mit der Stoppuhr in der Hand in die alten Büros der Journalisten in der Münchner Innenstadt gegangen, um herauszufinden, wie ein typischer Arbeitstag eines Journalisten bei einer überregionalen Tageszeitung abläuft und wie die einzelnen Büros frequentiert werden. (Siehe auch Interview auf Seite 36)
Das Ergebnis: Anders als in einem normalen Büro- oder Verwaltungsgebäude gibt es bei Journalisten überregionaler Tageszeitungen keine festen Arbeitszeiten und keine 5-Tage-Woche, kein „working-nine-to-five“, wie es der Architekt Oliver Kühn formulierte. Auch ist die Belegung der Büros eher untypisch für ein Bürogebäude: Manche Arbeitsplätze sind über mehrere Tage nicht besetzt, andere nur wenige Stunden am Tag, wieder andere eher in den Abend- und Nachtstunden. Auch wünschten sich Journalisten und Redakteure intime Einzelbüros und keine „flexibel bespielbare Bürolandschaften“, wie sie der Architekt gerne gehabt hätte. Mit der ursprünglich geplanten Zentralklimaanlage hätte man deswegen sehr viel Luft konditioniert, die im täglichen Betrieb gar nicht nötig gewesen wäre.
Hybrides Lüftungssystem
Durch den Münchner Bürgerentscheid vom 21. November 2004, wonach künftig kein Gebäude höher sein darf als die Türme der Frauenkirche, musste jedoch der ursprünglich geplante 146 m hohe Büroturm auf 99 m gestutzt und das Bauvolumen auf andere Gebäude umverteilt werden. Damit ergab sich die Chance, auch das Energie- und Raumkonzept nochmals zu überdenken und neu zu entwerfen. Entstanden ist ein Raumklimakonzept, das aus einem hybriden Lüftungssystem in Verbindung mit Betonkerntemperierung und dezentraler natürlicher Lüftung, mechanischer Lüftung (öffenbare Fenster/fassadenorientiertes Unterflur-Klimagerät mit Frischluftansaugung in der Fassade bzw. mit Umluftfunktion) sowie einer zentralen Abluftanlage mit Wärmerückgewinnung besteht. Auch die Optionen Nachtlüftung/Nachtauskühlung sind Teil der Systemlösung.
Dadurch können die Mitarbeiter in den Einzelbüros selbst entscheiden, ob sie ihre Raumtemperatur manuell über die in der Doppelfassade integrierte Fensterlüftung regulieren oder sich bei geschlossenen Fenstern dem Raumautomationssystem anvertrauen. Dabei werden mögliche Wärmedefizite bzw. Wärmeüberschüsse über fassadenorientierte Unterflurkonvektoren im Umluftverfahren bzw. durch Frischluftansaugung in der Fassade kompensiert. Letztere erfolgt per Tastenanforderung durch den jeweiligen Nutzer über das Raumbediengerät, wobei die „Frischluftdusche“ auf 30 min begrenzt ist. In diesem Fall wird die Abluft abgesaugt und einem Hocheffizienz-Kreislaufverbund-Wärmerückgewinnungssystem den Zentralklimaanlagen zugeführt, die wiederum Konferenzräume, Lager, Casino und andere Großräume mit aufbereiteter Luft versorgen.
„Diese Aufgabe regelungstechnisch zu lösen war nicht ganz einfach“, erinnert sich Reinhard. „Im Grunde bestand die Aufgabe darin, im Maximum 100000 m3/h Abluft aus den Büros in 60-m3/h-Stufen so zu regeln, dass die Zuluftmenge über die dezentralen Lüftungsgeräte und die über die Nachströmöffnungen in den Fluren abgesaugte Abluftmenge im Gleichgewicht ist.“ Die große Herausforderung lag in der Auswahl und in der Regelungsstrategie der Volumenstromregler, wobei man sich hier an den Beispielen von Laborlüftungen orientierte, so Reinhard.
Jedes Arbeitszimmer ist mit einer individuell regelbaren Mini-Lüftungsanlage ausgestattet, die – auf Energieeffizienz und Wohlbefinden getrimmt – auch extrem hohen Ansprüchen hinsichtlich Raumklima und Arbeitszeit gerecht wird. Im Grundsatz funktioniert die Raumregelung ohne weiteres Zutun der Nutzer, zumal der im akustischen Deckensegel integrierte Präsenzmelder nicht nur die tageslichtabhängige Lichtsteuerung ein- bzw. ausschaltet, sondern auch die fassadenorientierte Lüftung in Gang setzt bzw. abschaltet. Auch die Fenster sind über Kontakte in die Raumautomation eingebunden, das heißt, sobald ein Fenster geöffnet wird, schaltet die mechanische Lüftung inklusive Heiz- oder Kühlfunktion im jeweiligen Raum ab. Erste Erfahrungen zeigen, dass die Mitarbeiter weitgehend auf individuelle Eingriffe über das Raumbediengerät verzichten und die „thermischen Entscheidungen“ der übergeordneten Raumautomation überlassen. Auch greifen die Mitarbeiter eher zum Fenstergriff als zur Lüftertaste, wenn sie frische Luft wünschen.
Für Sönke Reinhard ist das Raumkonzept dem Berufsalltag der Journalisten und Redakteuren der Süddeutschen Zeitung wie auf den Leib geschneidert: „Unsere Raumautomatisierung und damit die Gebäudetechnik ist in der Lage, zu jeder Tages- und Nachtzeit auf Weltereignisse reagieren zu können, selbst dann, wenn sich alle Anlagen im Absenkmodus befinden.“
Saisonaler Geothermiespeicher
Auch bei der Wärme- und Kälteversorgung gingen die Planer neue Wege. Herzstück des ganz auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Gebäude- und Energiekonzepts ist eine geothermische Wärmepumpe, die das energetische Speicherpotenzial des Erdreichs über 36 thermisch aktivierte Pfahlfundamente für Heiz- und Kühlzwecke erschließt. Im Idealfall soll die Geothermie-Wärmepumpe das Erdreich unter dem Gebäude als saisonalen Speicher nutzen. Das heißt, im Winter wird über die Wärmepumpe dem Erdreich Wärme entzogen, dabei kühlt es sich ab. Im Sommer kann der so entstandene Kältespeicher zur Grundtemperierung des Gebäudes über betonkernaktivierte Decken genutzt werden. Dadurch und durch den Betrieb der Wärmepumpe als Kältemaschine wird das Erdreich unter dem Gebäude zum Wärmespeicher für die nächste Heizsaison. Der geringe Restwärmebedarf wird über einen Anschluss an das städtische Fernwärmenetz (Kraft-Wärme-Koppelungsanlage) abgedeckt.
Die Bereitstellung nachhaltig erzeugter Wärme und Kälte mittels geothermischer Wärmepumpe ist jedoch nur ein Teil des Energiekonzepts. Vorrangig wird im gesamten Ensemble die Wärme aus inneren Lasten, Sonneneinstrahlung und individueller Fensterlüftung dazu genutzt, die Büros in der Übergangszeit zu temperieren. Erste Erfahrungen zeigen, dass die innere Wärmelast ausreicht, das Gebäude bis in den Winter hinein auf komfortablen Temperaturen zu halten. Die Doppelfassade in Kombination mit automatisierten Sonnenschutzeinrichtungen und aufgeschalteten Tageslichtsystemen – in Abhängigkeit des Sonnenstandes beziehungsweise der Tageslichtintensität – übernimmt dabei die wichtige Funktion, die solare Einstrahlung in geordnete Bahnen zu lenken.
Multifunktionale Deckensegel
Der hohe Anspruch des Kunden an Raumakustik, Raumflexibilität, Ergonomie, Energieeffizienz und Wirtschaftlichkeit führte zu einem multifunktionalen Deckensegel, das akustische, gestalterische und funktionale Aspekte erfüllt. Die Entscheidungsfindung war keinesfalls banal: Betonkerntemperierung, Beleuchtung und Akustik können sich in so einem Gebäude schnell gegenseitig behindern, da es überwiegend harte Oberflächen gibt und die Funktion der Betonkerntemperierung durch Akustikmaßnahmen nicht beeinträchtigt werden darf.
Entwickelt wurde ein abgehängtes Deckensegel mit der Funktion eines Akustikelements, in das Leuchten, Präsenzmelder und Sprinkler nahtlos integriert sind. Die projektspezifische Leuchte zeichnet sich durch eine blendfreie Lichtverteilung aus, die durch eine Mikroprismenstruktur-Abdeckung entsteht. Schreibtische können flexibel im Raum angeordnet werden, ohne dass es zu einer Schattenbildung oder Blendwirkung kommt. Die tageslichtabhängige Dimmfunktion erlaubt es, vorrangig Tageslicht zu nutzen. Die Präsenzmeldung schaltet die Beleuchtung ab, wenn sie nicht mehr benötigt wird und spart damit Energie.
Die hohe Energieeffizienz des Beleuchtungskonzepts resultiert in erster Linie auf dem elektronischen Vorschaltgerät (EVG) Quicktronic Dali Dim (QTi Dali) von Osram, das zusätzlich eine flexible Zuordnung der Lichtgruppe zu einem Schaltelement ermöglicht. Ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal des QTi-Dali-Vorschaltgerätes ist die Cut-off-Technologie, die im Bereich 100 bis 80 % Lichtstrom die Vorheizung für die Lampenwendel abschaltet, sobald der optimale Lampen-Betriebspunkt erreicht ist. Gegenüber konventionellen elektronischen Vorschaltgeräten lassen sich damit rund 8 % an „Lichtstrom“ einsparen, so Osram. Rund 3000 solcher Hocheffizienz-EVGs sind im neuen Verlagsgebäude eingebaut.
LEED-Zertifizierung
Erst während der Ausführungsphase entschieden sich Investor, Nutzer und Planer in Anbetracht der hohen ökologischen wie auch ökonomischen Planungsziele, das Gebäude für die Zertifizierung nach dem amerikanischen Green-Building-Standard LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) anzumelden. Der jetzige Eigentümer des Gebäudes, die Prime Office AG, begründet den Schritt so: Die nachhaltig errichtete Immobilie hat mit ihrem konsequent durchgedachten Klima- und Energiekonzept vor allem im Bereich Energie- und Wassereffizienz überzeugt. Der durch die LEED-Zertifizierung belegte schonende Umgang mit Ressourcen und ein deutlich reduzierter Primärenergiebedarf tragen zu einer verbesserten Wertsubstanz bei. Gleichzeitig steigen Attraktivität und Marktgängigkeit der ausgezeichneten Immobilie bei geringeren Lebenszykluskosten. Die Ende 2008 in Betrieb genommene Zentrale des Süddeutschen Verlags erreichte in der Zertifizierung insgesamt 42 Punkte in den sechs Hauptkategorien
- Nachhaltiger Standort
- Wassereffizienz
- Energie
- Materialien und Ressourcen
- Innenraumqualität
- Innovation und Planungsprozesse
Zum Erreichen des Gold-Status sind 39 Punkte erforderlich. Insbesondere bei den LEED-Schwerpunkten Innovation, Energie und Wassereffizienz sticht der SV-Büroturm hervor; hier erhielt das Gebäude in allen drei Kategorien nicht nur die maximale Punktzahl, sondern darüber hinaus Bonuspunkte für „Exemplary Performance“.
Die Anmeldung zur Zertifizierung nach LEED-Standard erfolgte gemeinsam mit den Projektpartnern Süddeutscher Verlag GmbH, GKK+ Architekten, FOM Real Estate GmbH, LBBW Immobilien GmbH, der Prime Office AG als Eigentümer sowie der WSP CBP Consulting Engineers AG, die den Zertifizierungsprozess und den Neubau als Generalplaner begleitete.
Konzernzentrale Süddeutscher Verlag
Bauherr: SV-Hochhaus Hultschiner Str. GmbH & Co. Vermietungs KG
Architekt: GKK+Architekten, Berlin
Generalplanung, Baumanagement, Technische Ausrüstung, Tragwerksplanung: CBP Consulting Engineers
Generalübernehmer: FOM/LEG Generalübernehmen GmbH & Co. KG
Generalunternehmer: Hochtief Construction AG
Eigentümer: Prime Office AG
Mieter: Süddeutscher Verlag
Mietlaufzeit: 15 Jahre
Gebäudedaten
Gebäudehöhe: 99,95 m
Geschosse: 28
Untergeschosse: 3
Brutto-Grundflächen
- oberirdisch 51200 m<sup>2</sup>
- unterirdisch 27200 m<sup>2</sup>
- gesamt 78400 m<sup>2</sup>
Arbeitsplätze: 1850
Gebäudetechnik in Kürze
- 36 tragende, thermisch aktivierte Bohrpfähle mit je 20 m Länge
- Geothermie-Wärmepumpe mit 210 kW Wärmeleistung und 315 kW Kälteleistung (Restwärme über Fernwärme)
- saisonale Wärmeverschiebung im Erdreich (Sommer/Winter)
- Betonkernaktivierung zur Grundtemperierung der Räume im Winter bis 21 °C, im Sommer bis 20 °C
- Hybridlüftung mit Fensterlüftung in Kombination mit fassadenorientierter, dezentraler mechanischer Zuluftanlage in Kombination mit einer zentralen mechanischen Abluftanlage, inklusive Wärmerückgewinnung über Kreislaufverbundsystem
- Gefahrenmanagementsystem „Topsis“ für die Überwachung von Brandmeldeanlage, Einbruchmeldeanlage, Videoüberwachung und Verwaltung der Aktions- und Evakuierungspläne
- Brandmeldeanlage mit 3000 intelligenten Brandmeldern, 120 Ansaug-Rauchmeldern in Doppelboden und Zwischendecken sowie 350 Druckknopfmelder
- Evakuierungsstrategie: Über die Elektroakustikanlage werden nur der jeweilige Brandabschnitt sowie das darüber und darunter liegende Stockwerk informiert
- Foyer mit speziellen Lautsprechern mit Richtcharakteristik (harte Oberflächen)
- Stromschienen anstatt Kabel, insgesamt 1110 m Länge; spezieller Schienenstrang zur Ankoppelung von Stromzählern (unter Last) bei nachträglicher Vermietung einzelner Stockwerke
- Medientechnik mit Koppelung zum Raum- und Gebäudeautomationssystem
Weniger Datenverkehr — mehr Regelungseffizienz
Die nutzerfreundliche Automatisierung von Beleuchtung, Raumtemperaturregelung, Fensterlüftung, mechanischer Lüftung und Sonnenschutz kommt nicht von ungefähr: Im Hintergrund arbeiten insgesamt 1730 LON-Einzelraumregler vom Typ Desigo ACX von Siemens mit insgesamt etwa 57000 Datenpunkten, die über ein eigenes, physikalisch getrenntes TCP/IP-Datennetz mit dem übergeordneten BACnet-Gebäudeautomationssystem Desigo kommunizieren. „Intelligente Switches“ stellen sicher, dass der Datenverkehr in geregelten Bahnen verläuft, das heißt, die entsprechenden „Ports“ nur bedient werden, wenn diese auch angesprochen sind. Um langfristig eine möglichst große Flexibilität in der Raumaufteilung und Gebäudenutzung sicherzustellen, wird jeder Raum bzw. jede Zone über einen LON-Ring im Doppelboden (Unterflurkonvektor, Sonnenschutz, Fenster) wie auch in der Decke (Dali-Schnittstelle, Beleuchtung, Bewegungsmelder) angefahren. Für die Verarbeitung der Daten aus den Einzelraumreglern ist in der GLT-Zentrale die neuartige Integrationsplattform „SX OPEN“ aus sechs Koppelservern installiert, die eine prozessnahe Funktionsverknüpfung vom LON-System auf das Desigo-Gebäudeautomationssystem erlaubt. Zur Einbindung der beiden Klimazentralen „Nord“ und „Süd“ sowie der Zentralen „Heizung“, „Kälte“, „Sanitär/Sprinkler“ und „Abluft Tiefgarage“ sind insgesamt 22 Desigo-PX-Automationsstationen installiert.
Eine wichtige Rolle kommt künftig der Bewirtschaftung und Optimierung der gebäudetechnischen Anlagen mittels Gebäudeautomation zu, insbesondere der Geothermieanlage. Im praktischen Betrieb hat sich bereits gezeigt, dass die Doppelfassade bessere Dämmwerte aufweist als vorausberechnet. Die Heizgrenze konnte deshalb aufgrund der Erfahrungen auf wenige Grad über Null abgesenkt werden. Entsprechende Mess- und Zählerfunktionen für Energiemanagement- und Energiecontrolling-Funktionen sind bereits implementiert und über eine MOD-Bus/BACnet-Schnittstelle verfügbar. Für ein effizientes und kostenwirksames Energiemanagement sind alle Zähler auf das Internet-basierende System EMC (Energy Monitoring & Controlling) von Siemens aufgeschaltet.
Wolfgang Schmid
Der Beitrag basiert auf einem Manuskript von Hans Hofmann, Siemens-Division Building Technologies, München; Dominik Ortmann, Osram GmbH, München; Sönke Reinhard, WSP CBP Technische Ausrüstung GmbH, München. Bearbeitung mit Ergänzungen sowie Interview durch Wolfgang Schmid, Freier Fachjournalist für Technische Gebäudeausrüstung, München, wsm@tele2.de