TGA: Herr Quiel, die Schnittstellenkoordination für Modernisierungen in bestehenden Gebäuden liegt nun in einer aktualisierten Form vor. 1999 erschien die erste Version für den Neubau. Was waren die Beweggründe, solch ein Werk extra für den Bestand zu erstellen?
Quiel: Die Notwendigkeit, sich dem Einsatz der Flächenheizung auch in bestehenden Gebäuden zu widmen, war dem stetigen Zuwachs der Fußbodenheizung in den 1980er- und 1990er-Jahren im Neubau geschuldet. Die gestiegenen Komfortwünsche der Nutzer sind heizungstechnisch eng mit der Fußbodenheizung im Neubau verknüpft.
Um dem Markt das Zusammenspiel der unterschiedlichen Gewerke näherzubringen, ist damals die Schnittstellenkoordination im Neubau entstanden. Diese positive Entwicklung übertrug sich vom Neubau auch auf den Bestand. Im Bestand sind jedoch meist ganz andere Randbedingungen maßgebend für die ordnungsgemäße Erstellung des Gewerks Fußbodenheizung. Diesen besonderen Rahmenbedingungen hat man mit der ersten Ausgabe der Schnittstellenkoordination für bestehende Gebäude im Jahr 2002 Rechnung getragen.
TGA: Welche Vorteile bietet die Schnittstellenkoordination und für wen ist das Werk gedacht? Gehören auch Endgebraucher zur Zielgruppe?
Quiel: Aus meiner Sicht gibt es zwei besonders erwähnenswerte Vorteile. Zum einen findet man in diesem Werk die einzelnen Arbeitsschritte chronologisch folgend, die zur Entstehung des Gewerks notwendig sind. Selbst nicht so in der Materie Bewanderte können aufgrund dieser Auflistung das System kennenlernen und den Bauablauf nachvollziehen, Schritt für Schritt. Den anderen maßgeblichen Vorteil sehe ich in der Herstellerneutralität. Ähnlich wie im Normenwesen werden das System und die einzelnen Gewerke unabhängig vom Hersteller / Produzenten beschrieben. Nur so hat sich das Werk den Status nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik erarbeitet.
Die breite Darstellung der Fußbodenheizung soll vorrangig Planern und dem verarbeitenden Handwerk dienen. Mit den eingearbeiteten Normvorgaben und allgemeinen Hinweisen steht ihnen ein fundiertes Arbeitspapier zur Verfügung. Der Endgebraucher ist damals wie heute nicht Teil der Zielgruppe. Allerdings kommt er auf der Suche nach Informationen zur Flächenheizung mit der frei zugänglichen Schnittstellenkoordination über die BVF-Internetseite in Kontakt und informiert sich ausführlich.
TGA: Die aktuelle Fassung hat 230 Seiten. Kritische Stimmen sagen, dass das zu viel sei und niemand Zeit hätte, alles zu lesen.
Quiel: Die zunehmende Anzahl von Anbietern von Flächenheizungen bedingt ein erweitertes Systemangebot im Markt. Das spiegelt sich in der gestiegenen Systemvielfalt wieder. Parallel dazu haben sich auch die daran beteiligten Gewerke wie Estriche, Bodenbeläge und deren Verarbeitung etc. weiterentwickelt. Um das alles umfassend auf dem aktuellen Stand der Technik zu halten, bedarf es Platz.
Zwar ist die Seitenzahl enorm gestiegen, aber die Übersichtlichkeit ist geblieben: Jedes System kann für sich einzeln betrachtet werden, plus zwei oder drei Protokolle, mehr ist nicht notwendig. Das sind für die konkrete Anwendung im Schnitt 15 von den 230 Seiten. Ein Umfang, der jedem zuzumuten ist, um ein ordnungsgemäßes Gewerk abzuliefern. Die allgemein gefasste Einleitung muss nicht jedes Mal gelesen werden. Diejenigen die sich mit Flächenheizung und -kühlung beschäftigen, sollten die zugehörigen Normen kennen oder wenigstens solche Essenzen wie die Einleitung.
TGA: In den letzten Jahren haben Wand- und Deckenheizungen an Raum gewonnen. Sind diese ebenfalls in der Neuauflage vertreten?
Quiel: Wie schon erwähnt treten bei Fußbodenheizungen im Bestand oft nicht im Vorfeld kalkulierbare Überraschungen oder sogar Hindernisse auf, im Besonderen im Bereich Untergrund. In den Protokollen ist hierfür das Kapitel „Bestandsaufnahme“ zuständig. Eine nicht realisierbare Aufbauhöhe oder der alte (Holz)Bodenbelag, der weiter genutzt werden soll, sind oft ein weiteres Kriterium, um die Ausrichtung zu wechseln. So ist die Wandheizung als Alternative zur Fußbodenheizung entstanden.
Um dem Rechnung zu tragen, ist die Fußbodenheizungsnorm um die Wandheizung erweitert und diese auch in die Schnittstellenkoordination aufgenommen worden. Die Umsetzung ist wohl aus Gewohnheiten nur sehr zaghaft angelaufen, heute wird sie aufgrund der niedrigen spezifischen Heizlasten aber viel häufiger realisiert. Ursache sind Auswirkungen aus den politischen Rahmenbedingungen, die sich zum Beispiel aus der Energieeinsparverordnung (EnEV) ergeben.
Die Klimaentwicklung des letzten Jahrzehnts hat die Ausrichtung Decke verstärkt in den Vordergrund gedrängt, wobei nicht die Heizung, sondern die moderate Kühlung interessant ist. Ein System, zwei Möglichkeiten, und das ohne zusätzliche lufttechnische Anlagen. Man muss aber auch sehen, dass zur klassischen Konstruktion „Rohre direkt an der Decke im Putz“ mehrere abgehängte Varianten hinzugekommen sind. Nicht nur andere Normen, sondern auch andere Gewerke sind jetzt mit im Boot. Um dieses anwendungsfreundlich aufzuarbeiten, wurde im BVF der neue Arbeitskreis „Decke“ gegründet.
TGA: Eine weitere Anwendung ist die elektrische Flächenheizung. In wie weit ist diese in der aktuellen Fassung zu finden?
Quiel: Von der Speicherheizung zur Direktheizung. Mit dem schnell steigenden Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung wächst auch die Akzeptanz dieser Ausführung. Allerdings ist schon vor langer Zeit im BVF der Beschluss gefasst worden, die warmwassergeführten Lösungen von den elektrischen zu trennen. Deswegen findet man in der aktuellen Version der Schnittstellenkoordination keine elektrische Flächenheizung. Wer hier Informationen sucht, wird auf der BVF-Internetseite fündig, dieser Bereich wird vom BVF-Arbeitskreis Elektroflächenheizung umfassend gepflegt.
TGA: Das Handwerk muss (fast) immer nach den aktuellen anerkannten Regeln der Technik arbeiten. Geschieht dies nicht, könnte es bei Mängeln spätestens vor Gericht problematisch werden. Welchen Stellenwert hat die Schnittstellenkoordination? Spiegeln sie den in der VOB Teil B geforderten Stand wider, sodass der Handwerker ruhigen Gewissens danach arbeiten kann?
Quiel: Mängel, nein danke! Das könnte auch ein Slogan der Schnittstellenkoordination sein. Die detaillierte Beschreibung der Systeme und die Abfrage der Arbeitsschritte, ob erledigt oder nicht, ermöglichen die Kontrolle über den fortschreitenden Bauablauf. Im Gegensatz zu Normen haben wir die Möglichkeit der ständigen Aktualisierung. Somit sind wir mit der Ausgabe oft auf dem neueren Stand und / oder stoßen Entwicklungen an.
Dass die Schnittstellenkoordination einen sehr hohen Stellenwert einnimmt, zeigt die Akzeptanz bei den Sachverständigen. Bei Streitigkeiten werden oft Auszüge vor Gericht zitiert und dienen so der Rechtsprechung. Das wertet zwar die Schnittstellenkoordination auf, unsere Intention war allerdings eine andere: Der BVF wollte und will, dass sich möglichst wenig Fehler in der Planungsphase und während der Umsetzung einschleichen.
TGA: Welcher Zeitrahmen war nötig, um die Neuauflage fertigzustellen und was sind dabei die größten Hürden gewesen?
Quiel: Am Anfang stand nur die Notwendig-keit der Überarbeitung. Es zeigte sich jedoch sehr schnell, dass der Umfang erheblich wachsen würde. Neue Systeme, neue Materialien, neue Verarbeitungsmethoden, neue Erkenntnisse, neue Verordnungen und Normen mussten eingearbeitet werden. Wir haben uns trotzdem entschlossen, zunächst nur in einem kleineren Expertenteam die Sache anzugehen. Voraussetzung war die Zusage, intensiv und zeitnah zuzuarbeiten, soweit es die eigentliche Arbeit zulässt.
Eine der größten Herausforderungen war, die Termine für die zu erledigenden Zuarbeiten einzuhalten, denn dies musste in der Regel neben dem Tagesgeschäft erfolgen. Ein weiteres Problem war der erhebliche Zeitaufwand für die Korrekturlesungen. Parallel dazu sind schon andere Verbände oder Personen zu speziellen Themen miteinbezogen worden. Der kritischste Punkt betraf die neuen CM-Werte [Wert für die zulässige Restfeuchte bis zur Belegreife] für die Estriche. Hier war sogar Schlichtung angesagt. Zu einem Zeitpunkt X ist dann die neue Version an alle beteiligten Verbände und Verkehrskreise versendet worden. Der Umfang, teilweise nicht berücksichtigte Punkte und Korrekturen verzögerten berechtigterweise die Fertigstellung. Zuletzt waren es dann vom ersten Entwurf bis zur fertigen PDF-Version zwei Jahre.
TGA: Wie groß war der Kreis der beteiligten Verbände?
Quiel: In der Schnittstellenkoordination steckt enorm viel Expertenwissen. Dass kann vom BVF allein natürlich nicht gestemmt werden. Das ist nur möglich mit einem guten Netzwerk unter allen Verbänden, deren Gewerke zur Gestehung einer ordnungsgemäßen Flächenheizung und/oder -kühlung notwendig sind. Vom Untergrund bis zum abschließenden Bodenbelag, vom Putz über den Trockenbau bis zur abgehängten Decke – überall existiert spezielles Know-how und das musste gebündelt werden. Das Ergebnis: 18 Verbände tragen die aktuelle Ausgabe.
TGA: Lassen Sie uns abschließend eine andere Perspektive einnehmen. Flächensysteme unterstützen die Beheizung im Winter sowie die Temperierung im Sommer. Zahlreiche Meinungen gehen davon aus, dass durch die Entwicklung der Bauweise das Heizen zukünftig vermehrt in den Hintergrund rückt.
Quiel: Schon vor über 20 Jahren habe ich Artikel gelesen, in denen der Verzicht auf die Heizung prognostiziert wurde, ausgehend von Entwicklungen in der Bauweise. Mittlerweile sind die spezifischen Heizlasten geringer, aber die Ansprüche an den Wohnkomfort sind erheblich gestiegen. Innentemperaturen von 21 °C und mehr sind heute keine Seltenheit. War früher das Passivhaus die Messlatte beim Bauen, sind es heute Plus-Energiehäuser und weitere Standards mit anderen Optimierungszielen. Eines haben sie gemeinsam: Sie haben immer noch eine Heizung. Auch in naher Zukunft wird es eine Heizung geben, es stellt sich höchstens die Frage, wie die Wärme erzeugt wird und wie sie in den Raum gebracht wird. Die Strahlungsheizung wird aufgrund ihrer Vorteile nicht so schnell verdrängt werden.
TGA: Und welche Projekte fokussiert der BVF gerade, was ist in Planung?
Quiel: Im fließenden Übergang wird nun die Schnittstellenkoordination für den Neubau überarbeitet. Wie im Bestand, sind auch hier Sonderkonstruktionen wie Dünnestrichsysteme usw. auf dem Vormarsch. Weg von den „dicken“, hin zu schlanken, schnell reagierenden Systemen ist der Trend. Hierzu passt auch der schon erwähnte neue Arbeitskreis „Decke“.
Des Weiteren wird an einem Sachverständigenpool gearbeitet. Hierdurch sollen strittige Themen, die an den Verband herangetragen werden, neutral und unabhängig beantwortet werden können.
Im Moment werden die Fußbodenheizungsnorm und die Estrichnorm überarbeitet. Hier sind wir aktiv mit eingebunden. Nachdem die Normung heute nicht mehr auf Deutschland (DIN) beschränkt ist, geht es bei der Fortschreibung in den EN- und ISO-Normen auch um die Bestandssicherung. Unsere Qualitätsansprüche müssen Bestand haben.
Oft sind es aber auch nur kleinere Projekte, die immer wiederkehrende Fragen klären sollen, wie: Soll die Fußbodenheizung auch unter der Küchenzeile verlegt werden? Um die Antwort vorwegzunehmen: Hier ist ein klares Ja zu geben.
TGA: Herr Quiel, vielen Dank für die Einblicke.
Vita
Bernd Quiel (Jahrgang 1959), Dipl.-Ing. (FH), ist seit 1987 bei den Wieland Werken, Ulm, im Bereich Technisches Marketing im Bereich Flächenheizung tätig. Im Bundesverband Flächenheizungen und Flächenkühlungen e. V. (BVF), Dortmund, ist er Vorsitzender des BVF-Arbeitskreises Technik und Ehrenmitglied des BVF. www.flaechenheizung.de