Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Modernisierungsreihenfolge

Innere oder äußere Werte zuerst?

Ohne Zweifel – alle Maßnahmen der ener­getischen Sanierung eines Gebäudes sind sinnvoll. Egal ob es sich um die Dämmung der Fassade, den Austausch von Fenstern oder die Erneuerung der Heizungsanlage bzw. den Einbau einer kontrollierten Wohnungslüf­tungsanlage mit Wärmerückgewinnung handelt. Zumindest aus energetischer Sicht. Aber die ­Budgets der Verbraucher sind begrenzt. Darum findet in der Regel eine Auswahl nach Prioritäten statt.

Doch welche Reihenfolge ist in Wirklichkeit die beste, wenn es sich um vorgezogene Maßnahmen handelt, also aus technischer oder bauphysikalischer Sicht kein akuter Bedarf existiert? Zuerst die Fassade dämmen – empfiehlt erwartungsgemäß die Dämmstoffindustrie. Zuerst die Fenster austauschen – wirbt die Fensterindustrie. Zuerst die Heizanlage erneuern – raten die Heiztechnikhersteller. Zurück bleibt der Immobilienbesitzer, der eine Entscheidung treffen muss. Im schlimmsten Fall unternimmt er dann gar nichts.

„Ganz objektiv und schon gar nicht pauschal kann jemand behaupten, dass seine Lösung die beste ist und dementsprechend bevorzugt werden muss“, sagt Andreas Bieber, Leiter Technische Beratung & Planung bei Vaillant Deutschland. „Die ‚beste Lösung‘ zu finden, bedarf einer individuellen Betrachtung. Meistens ist die Investition in eine neue Heizungsanlage im Vergleich zu anderen Maßnahmen gering. Die Investitionskosten für eine Gebäudedämmung inklusive Einrüstung Gerüst, Verputzen und Anstrich sind demgegenüber so hoch, dass sie sich erst nach einer viel längeren Nutzungsdauer rechnet. Der reine Kesseltausch, heute in der Regel zusammen mit dem Einbau einer Solarthermieanlage, bringt dagegen eine plakative sofortige Ersparnis. Das liegt jedoch nicht nur am technischen Fortschritt und der Einkopplung erneuerbarer Energien, sondern auch an der oft üppigen Überdimensionierung der Anlagen im Bestand. Früher waren bis zu 100 % Sicherheitszuschlag auf die benötigte Heizleistung üblich. Allein die Leistungsanpassung an den tatsächlichen Bedarf, führt zu einer deutlichen Verbrauchsreduzierung.“

Maßnahmen haben Wechselwirkung

Die gerechtfertigte Grundlage jeder Analyse eines Energieberaters lautet: Die nachhaltigste Lösung ist die, bei der möglichst viel Wärmeverlust vermieden wird – egal durch welche Aktion. Doch wird beispielsweise ein Bestandsbau nach aktuellem EnEV-Standard oder besser gedämmt und so der Energiebedarf drastisch reduziert, muss zwangsläufig auch im kurzen Zeitabstand die Heizanlage erneuert werden, um tatsächlich adäquat den Energieverbrauch zu senken.

Bieber: „Bei jeder energetischen Sanierungsmaßnahme muss beachtet werden, dass dieser Eingriff ein bestehendes System verändert. Jede Veränderung hat Auswirkungen u.a. auf die Heizlast und die Lüftungserfordernis. Auch die Nutzer müssen mitunter ihr Verhalten anpassen. Welchen Einfluss der Austausch von Bauteilen haben kann, zeigt sich besonders negativ daran, dass mittlerweile 22 % aller Wohnungen in Deutschland ein Schimmelpilzproblem aufweisen. Meistens, weil nach einem Tausch von Fenstern das Lüftungsverhalten der Bewohner nicht geändert bzw. keine mechanische, kontrollierte Lüftung eingebaut wurde.“

Wer wartet, macht es teurer

Wird zuerst der Wärmeverlust über die Gebäudehülle (deutlich) reduziert, aber ein schon zuvor an den tatsächlichen (ursprünglichen) Bedarf angepasster, modulierender Heizkessel im Gebäude belassen, führt die Dämmung der Gebäude nur zu einem Teilerfolg. Weil der Wärmeerzeuger nun für den neuen Nutzungsfall überdimensioniert ist, kann er den tatsächlichen Wärmebedarf nur noch mit schlechterem Nutzungsgrad zur Verfügung stellen. Zwar sinkt der Energie- bzw. Brennstoffbedarf, häufiges Takten führt aber zu unnötigen Verlusten.

Da auch der Verschleiß steigt, wird oft versucht, den Wärmeerzeuger durch einen neuen Brenner und einen Pufferspeicher zu modifizieren. Bieber: „Das ist selten ein Patentrezept und ist das Arbeiten an Symptomen ohne die Ursachen abzustellen. Zudem steigen durch die Oberfläche des Speichers und seiner Anbindeleitungen die Wärmeverluste. Auch wenn das Konzept technisch funktioniert, wirtschaftlich ist es kaum. Wenn ich 2000 Euro für die Modifikation bezahlen muss, aber schon für 5000 Euro einen Heizkessel auf dem neuesten Stand der Technik bekomme, macht sich sein Mehr an Effizienz sehr schnell bezahlt. Die Modifikation würde nur Sinn machen, wenn in zwei bis drei Jahren eine wesentlich effizientere Technik marktreif verfügbar wäre. Da unsere heutigen hochwertigen Brennwert-Heizkessel, die Ener­gieträger Gas und Öl aber schon nahe der physikalisch möglichen Grenze einsetzen, wird ­diese Hoffnung nicht erfüllt werden. Weitere Einsparungen sind nur möglich, wenn erneuerbare Energien eingesetzt oder, wie bei der Solarthermie heute üblich, eingekoppelt werden. “

Was rechnet sich denn nun?

Doch was tun bei einem begrenzten Budget, das eine Komplettsanierung nicht zulässt? Bieber: „Machen wir es uns einfach und stellen den Investitionsbedarf für einen Heizkesselaustausch und eine Gebäudedämmung jeweils abzüglich möglicher Fördergelder und der eingesparten Energiekosten gegenüber, gibt es einen klaren Gewinner und einen klaren Verlierer. Statisch gesehen rechnet sich die Heizungssanierung am schnellsten. Doch den Kundenwunsch nach einer dauerhaften Absenkung der Energiekosten kann sie nicht ­bewirken.“

„Zudem lässt sich das Ranking nicht halten, wenn eine dynamische Betrachtung vorgenommen wird. Berücksichtigt man die jeweils aktuellen Kosten für die Wärmebereitstellung und die Finanzierungskosten, dann zeigt sich, dass trotz höherer Startinvestition für eine Komplettsanierung die monatliche Nettobelastung mittelfristig geringer ist, als wenn nur in die Gebäudehülle oder nur in die Heizungsanlage investiert wird.“

Beim dynamischen Ansatz werden die obligate Steigerung der Energiekosten und die Finanzierungskosten in der Berechnung berücksichtigt. Den nachfolgenden Beispielen wurde ein Einfamilienhaus mit 150 m2 Wohnfläche, Baujahr 1983 mit zwei Geschossen zugrunde gelegt. Die Wärmeversorgung erfolgt durch einen Niedertemperatur-Ölheizkessel mit 28 kW Leistung und witterungsgeführter Steuerung. Der berechnete Wärmebedarf liegt bei 25000 kWh/a, der tatsächliche Verbrauch beträgt jährlich 3300 l Heizöl. Bewohnt wird das Gebäude von drei Personen. Eine Sanierung des 26 Jahre alten Wärmeerzeugers wäre aus technisch-energetischer Sicht notwendig, er ist aber noch funktionstüchtig.

Nach Quellen des Unternehmens Tecson ist der Ölpreis in den vergangenen 15 Jahren gemittelt jeweils um ca. 15 % gestiegen. Als Grundlage für die Berechnungsmodelle werden jedoch moderat einmal 5 % jährliche Preissteigerung für Öl und 2 % für Strom und einmal 10 % jährliche Preissteigerung für Öl und 3 % für Strom zugrunde ­gelegt.

Vier Fallbetrachtungen

  • <b>Bestand:</b> Das oben beschriebene Gebäude wird nicht energetisch saniert. Der Wärmeerzeuger wird weiter betrieben.
  • <b>Variante 1:</b> Die Heizanlage wird erneuert und gegen einen Ölbrennwert-Heizkessel in Verbindung mit sechs Solarmodulen (16 m<sup>2</sup> förderfähig) zur Trinkwassererwärmung und Heizungsunterstützung ausgetauscht. Die Gebäudehülle wird nicht saniert.
  • <b>Variante 2:</b> Es erfolgt eine energetische Sanierung der Gebäudehülle mit einer Dämmung auf den Standard „EnEV-2007 minus 30 %“. Die Heizungsanlage wird weiter betrieben.
  • <b>Variante 3:</b> Es erfolgt eine Komplettsanierung mit dem Austausch der Heizanlage gegen eine Sole-/Wasser-Wärmepumpe mit Erdsonde plus Solarmodulen zur besonders hohen Nutzung erneuerbarer Energien und der Sanierung der Gebäudehülle auf EnEV-2007-Standard minus 30 %.

Berücksichtigt wurde zum einen die Möglichkeit, zinsgünstige Kredite der KfW aufzunehmen, zum anderen wurden die Förderangebote des Marktanreizprogramms ausgeschöpft.

Die Ergebnisse

Betrachten wir zunächst die optimistische Variante mit einer jährlichen, moderaten Ölpreissteigerung von 5 % und 2 % für elektrische Energie.

Moderate Ölpreissteigerung

In Variante 1 sind bereits sechs Jahre nach dem Austausch des Heizkessels die Vorteile der Verbrauchsreduzierung von der Energiepreissteigerung kompensiert worden: Die Gebäudenutzer ­haben jetzt wieder die gleichen Aufwendungen für Energie wie vor der Sanierung. Zu einer weiteren (neuen) Kostensenkung ist die Sanierung der Gebäudehülle notwendig. Erfolgt diese gemäß der Parameter für Variante 2 (wobei dann vermutlich bereits strengere gesetzliche Anforderungen formuliert sind) ist der nur sechs Jahre alte Wärmeerzeuger um mindestens 60 % überdimensioniert. Die Verfügbarkeit günstiger KfW-Darlehen darf zumindest infrage gestellt werden, wenngleich auch eine höhere Förderung nicht auszuschließen ist. Da nach dem Szenario zu diesem Zeitpunkt die Wirtschaftlichkeit einer Sanierung gestiegen ist, ist aber eher eine Reduzierung anzunehmen.

Auch bei Variante 2 – der reinen Sanierung der Gebäudehülle – müssen schon nach zehn Jahren die gleichen Kosten für Energie geleistet werden, wie vor der Sanierung.

Variante 3 demonstriert, was eine gleichzeitige energetische Sanierung von Gebäudehülle und Heizanlage bewirkt. Hier werden die Energiekosten tatsächlich nachhaltig reduziert und bewegen sich dauerhaft unter dem Preisniveau vor der Sanierung.

„Normale“ Ölpreissteigerung

Wird die realistischere Perspektive einer jährlichen Ölpreissteigerung von 10 % und 3 % für Elektrizität zugrunde gelegt, bleibt das Ergebnis tenden­ziell gleich – die Zahlen sind jedoch noch über­zeugender. Bereits vier Jahre nach dem Heizungstausch sind die Gebäudeeigentümer ­wieder auf den Energiekosten vor Beginn der ­Sanierung angekommen. Und auch die positiven Auswirkungen der kostenintensiven energetischen Sanierung der Gebäudehülle sind bereits nach sechs Jahren aufgebraucht. Das Ziel einer dauerhaften Absenkung der ursprünglichen Energie­kosten wird verfehlt. Weil die durchschnittliche Gehaltssteigerung erheblich unter der Energiepreissteigerung liegen wird, kommt es zu einem Wohlstandsverlust. Wird allerdings gar nicht ­saniert, fällt dieser noch viel deutlicher aus.

Gesamtkostenbetrachtung

Noch aussagekräftiger ist das Ergebnis, wenn die Summe aus den monatlichen Kosten für Energie und Finanzierung der Sanierungsaktivitäten analysiert wird. Bei der moderaten Preisentwicklung für Energie ist Variante 2 – die alleinige energetische Sanierung der Gebäudehülle – die mit Abstand teuerste Lösung. Die gleichzeitige Sanierung von Gebäudehülle und Heizanlage (Variante 3) weist trotz der gegenüber der reinen Heizungserneuerung 3,3-fach höheren Startinvestition nur zwei Jahre später die gleiche monatliche Belastung aus Energiekosten und Finanzierung auf. Die Vollsanierung ist damit nach zwölf Jahren kosten­neutral im Vergleich zur Ausgangssituation. Bereits nach 15 Jahren fallen sogar 80 % geringere ­monatliche Kosten an als bei der vermeintlich ­günstigeren, ausschließlichen Heizungssanierung gemäß Variante 1.

Mit den höheren Preissteigerungsfaktoren für Energie verschieben sich die Zeitpunkte. Während die alleinige Sanierung der Gebäudehülle wiederum die mit deutlichem Abstand höchste monatliche Belastung ergibt, treffen sich die monatlichen Kosten für Energie und Finanzierung bei einer Vollsanierung und dem reinen Heizungstausch bereits nach fünf Jahren. Interessant ist bei dieser Variante auch die Entwicklung der monatlichen Belastung nach Auslaufen und Ablösung der Finanzierung. Im Vergleich zu den anderen Modellen sinkt die monatliche Belastung drastisch und stabilisiert sich auf einem äußerst geringen Niveau. Die monatliche Belastung aus Energiekosten und Finanzierung entwickelt sich in Variante 1 und Variante 2 dagegen dynamisch weiter.

Besonders bemerkenswert ist aber die Tatsache, dass sich die monatlichen Kosten für die gemeinsame Sanierung aufgrund der dann besonders niedrigen KfW-Zinssätze unterhalb der monatlichen Kosten für die reine energetische Sanierung der Gebäudehülle bewegen. Auch der Unterschied in der monatlichen Belastung zwischen den Varianten „Vollsanierung“ und „reiner Austausch der Heizungsanlage“ beträgt im ersten Jahr nur etwa 100 Euro pro Monat und schmilzt in nur fünf Jahren ab. Im sechsten Jahr liegt die monatliche Belastung dann deutlich unter denen der anderen Fälle.

Fazit

Wird bei begrenztem Investitionsvolumen und dem Wunsch einer energetischen Gebäudesanierung eine statische Energiekostenentwicklung zugrunde gelegt, geht die alleinige Sanierung der Heizanlagentechnik kurzfristig als klarer Gewinner in punkto Invest und Ersparnis hervor. Wird jedoch eine dynamische Steigerung der Energiekosten angenommen und die Kosten der Finanzierung eingerechnet, wird deutlich, dass nur die gleichzeitige Sanierung von Gebäudehülle und Heizungsanlage das Potenzial hat, die Kosten langfristig zu senken. Trotz deutlich höheren Anfangsinvestitionen sinken selbst bei einer unterdurchschnittlich angesetzten Energiepreisentwicklung die ohnehin nur geringen monatlichen Mehrkosten für Energie und Finanzierung relativ schnell unter die aller anderen Szenarien. Für auf mittlere und lange Sicht bezahlbare Energiekosten ist die Vollsanierung damit kompromisslos.

Martin Schellhorn

Dipl.-Kfm., Freier Fachjournalist und Inhaber der Fachpresseagentur Kommunikations-Management Schellhorn in Haltern am See und Herne. Telefon (0 23 64) 10 81 99, info@die-agentur.sh

Jetzt weiterlesen und profitieren.

+ TGA+E-ePaper-Ausgabe – jeden Monat neu
+ Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
+ Fokus TGA: Sonderhefte (PDF)
+ Webinare und Veranstaltungen mit Rabatten
uvm.

Premium Mitgliedschaft

2 Monate kostenlos testen