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Wärmerückgewinnung

Kinderhaus heizt mit Wärme aus Abwasser

Kompakt informieren

  • Für das neu gebaute Kinderhaus Märzwiesen wird der Abwasserstrom des Straßenkanals als Wärmequelle für eine Wärmepumpe zur Gebäudeheizung genutzt.
  • Der in den Kanal (DN 1800) nachträglich eingebaute Wärmeübertrager hat eine Länge von 10 m und erreicht eine Entzugsleistung von 36 kW. Bei der Auslegung wurden Ablagerungen und die Bildung ­eines Biofilms berücksichtigt, um Wartungskosten zu vermeiden.
  • Mit einer Heizlast von 45 kW liegt die Anlage an der unteren Grenze für eine wirtschaftliche Realisierung. In Verbindung mit einer Projektförderung und abhängig von der Energiepreisentwicklung ist eine Amortisation in elf Jahren möglich.

In der Stadt Rauenberg im Rhein-Neckar-Kreis wurde ab 2002 am Standort einer ehemaligen Ziegelei das Baugebiet Märzwiesen realisiert. Eine der letzten Baumaßnahmen auf dem Areal war das Kinderhaus Abb. 1. Träger der Einrichtung ist die Stadt. Derzeit werden insgesamt 29 Kinder im Krippenbereich und 37 Kinder im Kindergarten von insgesamt 18 Mitarbeiterinnen (zwölf in Vollzeit, sechs in Teilzeit) betreut.

Beheizt wird das Kinderhaus über eine Wärmepumpenanlage. Das Besondere ist, dass sie den Abwasserstrom des Straßenkanals als Wärmequelle nutzt. Etwa 30 Anlagen dieser Art, die dem sogenannten Rohabwasser bis zu 1000 kW Wärmeleistung entziehen, existieren bereits. Die Erschließung der Wärmequelle Abwasser mit einem in den Kanal integrierten Wärmeübertrager ist bei einem Kälte- oder Wärmebedarf von mindestens 50 kW eine interessante Option. Die individuelle technische und wirtschaftliche Eignung lässt sich allerdings erst durch eine Machbarkeitsstudie absichern. In Baden-Württemberg fördert das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft solche Studien mit bis zu 50 %.

Abwasser steckt voller Energie

„Abwasser ist kein Abfallprodukt, sondern ein Wertstoff mit viel bisher ungenutzter Energie. Die Bewirtschaftung von Abwassersystemen setzt allerdings Fachwissen und Erfahrung für eine rentable und nachhaltige Betriebsweise voraus“, so Mark Biesalski, Leiter der Uhrig Kanaltechnik GmbH in Geisingen an der Donau. Über „Therm-Liner“ Abb. 2 von Uhrig – das sind Wärmeübertrager, die in den Abwasserkanal integriert werden – erfolgt seit Dezember 2010 die Wärmerückgewinnung aus dem Abwasser für das Kinderhaus Märzwiesen.

Abwasser ist eine sichere, lokal vorhandene Energiequelle. Das übliche Temperaturniveau im Abwasser ist mit 12 bis 20 °C für die Wärmegewinnung prädestiniert. Wird im Sommer eine Kühlleistung benötigt, lässt sich der Abwasserkanal auch als Wärmesenke verwenden. Für beide Bedarfssituationen ermöglicht das Temperaturniveau des Abwassers hocheffiziente Lösungen.

Drei Standorte sind generell für die Energiegewinnung aus Abwasser geeignet: Noch im Gebäude, in der Kanalisation oder nach dem Klärprozess, wenn das gereinigte Abwasser die Kläranlage verlässt (was dann ungefähr der häufig praktizierten Erschließung eines Fließgewässers als Wärmequelle für eine Wärmepumpe entspricht). Eine Rückgewinnung der Abwasserwärme im Gebäude1) ist nur sinnvoll, wenn regelmäßig große Mengen Abwasser mit möglichst hoher Temperatur anfallen. Gleichzeitig muss im Gebäude oder in unmittelbarer Nähe eine sinnvolle Verwendung für die Wärmeenergie zur Verfügung stehen. Infrage kommen hierfür Krankenhäuser, Hallenbäder und Industrieanlagen.

Wärmeübertrager im Kanal

Die Wärmeentnahme aus der Kanalisation Abb. 3 Abb. 4 bietet sich an, wenn kontinuierlich größere Wassermengen zur Verfügung stehen. Um einen einwandfreien Betrieb zu gewährleisten, sollte der Abwasserkanal als Energiequelle folgende Richtwerte erfüllen:

  • minimaler Kanalquerschnitt DN 300
  • mindestens 10 l/s Trockenwetterabfluss
  • mindestens 10 °C Abwassertemperatur (Heizfall)

Beim Projekt Kinderhaus Märzwiesen waren diese Voraussetzungen mit 15 l/s Trockenwetterabfluss erfüllt. Der Kanalquerschnitt war mit DN 1800 sogar sehr gut für die nachträgliche Montage der Wärmeübertrager-Elemente geeignet. Beim Einbau der Elemente in bestehende Kanäle ist der kostenoptimale Zeitpunkt eine ohnehin anstehende Sanierung.

Die am Boden des Kanals eingesetzten ­Wärmeübertrager-Elemente aus Edelstahl (1.4404, V4A) werden vom Abwasser überströmt und erhöhen dabei den im Element ­zirkulierenden Wärmeträger (normalerweise Wasser2)) bei einer typischen Entzugsleistung von 0,9 kW/(m2 K) um etwa 4 K. „Unter solchen Bedingungen lässt sich mit der Wärmepumpe eine hohe Effizienz erreichen. Mit der Anlage für das Kinderhaus Märzwiesen er­reichen wir eine Jahresarbeitszahl von 4,0“, ­berichtet Leonhard Schmitt, einer der beiden Geschäftsführer vom Planungsbüro Schmitt & Partner (PSP), das für die Planung der technischen Gebäudeausrüstung verantwortlich war.

Das Prinzip „Energie aus Abwasser“ ist Stand der Technik, zumindest seit dem Erscheinen des DWA-Merkblatt M 114 [1]. Es beschreibt Einsatzmöglichkeiten und -grenzen, gibt Informationen für Gemeinden, Stadtentwässerungen und Planungsbüros. Enthalten sind auch Anforderungen seitens Kläranlage und Kanal sowie Musterverträge für Vereinbarungen zwischen Bauherr und Kanalbetreiber.

Wirtschaftlichkeit der Abwasserwärme

Die Abwasserwärme kann mit Wärmepumpen für die Beheizung von Gebäuden und für Prozesse nutzbar gemacht werden. Das Potenzial ist riesig: Statistisch könnten 10 % aller Gebäude in Deutschland mit dem quasi unerschöpflichen Wärmeangebot des Abwassers beheizt werden. Steigende Energiepreise (für Brennstoffe zu Heizzwecken) und der technische Fortschritt bei Wärmepumpen und Wärmeübertragern verbessern die Wirtschaftlichkeit der Abwasserwärmenutzung. Bei günstigen Rahmenbedingungen ist der Wärmepreis nach einer Abwasser/Wasser-Wärmepumpe im Vergleich zu einer Öl- oder Gasheizung schon heute wettbewerbsfähig. Bei fachgerechter Planung und Ausführung entstehen weder für das Entwässerungssystem noch für die Abwasserreinigung Nachteile.

Die Investitionskosten für eine Abwasser/Wasser-Wärmepumpenanlage liegen deutlich über den Investitionskosten für Öl- und Gasheizungsanlagen. Der Kostenvorteil muss also in der Betriebsphase erwirtschaftet werden. Positiv wirkt sich bei der Kostenvergleichsrechnung auch die lange Nutzungsdauer der Wärmeübertrager aus. Ihre Wartungskosten sind gering, da insbesondere bei Bauarten ohne mechanisch bewegte Teile kein Verschleiß auftritt. Die Energiekosten sind von der Bauart der Wärmepumpe (elektrisch oder gasbetrieben) sowie vom Betriebskonzept abhängig. Sie liegen deutlich unter den Energiekosten für Öl- oder Gasheizungsanlagen. Beim Kinderhaus Märzwiesen wurde die zu erwartende Verschmutzung durch Ablagerung und Biofilm (Sielhaut) auf den Wärmeübertragern schon bei der Bemessung der Anlagen berücksichtigt, sodass keine Wartungskosten für eine regelmäßige Säuberung anfallen. Bei größeren Anlagen kann jedoch eine andere Auslegung wirtschaftlicher sein.

Eigenregie oder Contracting

Als Wärmeabnehmer kann man sich entscheiden, ob man die Realisierung in Eigenregie ausführen will oder erfahrene Contractoren Planung, Bau und Betrieb übernehmen. Die Stadt Rauenberg hat sich für die erste Möglichkeit entschieden. Thomas Glasbrenner, Leiter des Bauamts, schlüsselt die Kosten und Einsparungen folgendermaßen auf:

1. Die Gesamtbaukosten des Kinderhauses ­belaufen sich auf 2,545 Mio. Euro inklusive Außenanlagen und Honoraren. Die reinen Baukosten ohne Honorare liegen bei 2,1 Mio. Euro.

2. Fördermittel wurden beantragt und ­gewährt vom Ausgleichstock (kommunaler Finanzausgleich), der Krippenförderung des Bundes sowie dem Konjunkturprogramm II. Beantragt, aber noch nicht beschieden, sind Mittel aus dem Programm Klimaschutz-Plus der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA).

3. ie Kosten der Wärmeversorgungsanlagen inklusive Abwassernutzungsanlage belaufen sich auf insgesamt 0,194 Mio. Euro.

Die Amortisation der Abwassernutzungsanlage ist in Abhängigkeit der Energieteuerung und bei Bewilligung der beantragten Fördermittel in elf Jahren möglich.

Wird häufig die Grundlast über die Nutzung erneuerbarer Energie und die Spitzenlast mit Brennwerttechnik abgedeckt, so handelt es sich beim Kinderhaus Märzwiesen um ein monovalentes System mit zwei Wärmepumpen von Tecalor (TTF 20 GM) für eine Heizlast von insgesamt 45 kW Abb. 5. Der Wärmeübertrager im Kanal (Therm-Liner Form A, Uhrig Kanaltechnik Abb. 2) hat eine Gesamtlänge von 10 m und dabei eine Entzugsleistung von 36 kW. Die Stadtverwaltung legt Wert darauf, dass im ersten Gebäude Rauenbergs mit Abwasserwärmenutzung die Öffentlichkeit über die Ergebnisse informiert wird. Deshalb soll zukünftig das Erreichte durch ein Monitoring im Eingang des Kinderhauses sichtbar gemacht werden. •

1) Neben der Wärmequelle Abwasser (Schwarzwasser) bietet sich im Gebäude die etwas einfachere Nutzung des Wärmepotenzials von Grauwasser an, insbesondere in Kombination mit einer Grauwasser­aufbereitungsanlage.

2) Beim Neubau des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in Berlin wurde erstmals ein Direktverdampfer eingesetzt, der Wärmeübertrager (10 l/s, 41 kW Entzugsleistung) im Abwasserkanal ist damit Bestandteil der Wärmepumpe.

Literatur und Links

[1] DWA-Merkblatt M 114 Energie aus Abwasser – Wärme- und Lageenergie. Hennef: Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA), Juni 2009

[2] Energie aus Abwasser. Regenerativ, innovativ, wirtschaftlich. Informationsschrift der Uhrig Kanaltechnik GmbH. Geisingen, 2011. https://uhrig-group.com/ https://energie.uhrig-group.com/ http://www.psp-ing.de

Mehr Infos zum Thema im TGAdossier 718: Webcode Wärmepumpe

Wichtig für TGA-Planer, Anlagenbauer und Bauherren

TGA-Planer: Die Nutzung von Abwasser als Wärmequelle ist zwar noch nicht weit verbreitet, aber bereits Stand der Technik (DWA-Merkblatt M 114). Aus den realisierten Projekten liegen positive Ergebnisse über lange Nutzungsdauern vor. Eine neue Entwicklung sind im Kanal eingebaute Direktverdampfer.

Anlagenbauer: Wie bei der Erschließung oberflächennaher Geothermie über eine Erdwärmesonde ist auch die Erschließung der Wärmequelle Abwasser im öffentlichen Kanal eine Aufgabe für spezialisierte Unternehmen. Der sonstige Aufbau der Wärmepumpenanlage entspricht weitgehend dem einer Sole/Wasser-Wärmepumpe.

Bauherren: Die Nutzung von Abwasser als Wärmequelle rechnet sich auf längere Sicht. Bei größeren Wärmeleistungen können Realisierung und Betrieb auch über Contractoren erfolgen. Vielerorts werden Machbarkeitsstudien und/oder die Investitionen finanziell gefördert. Die Abwasserwärmenutzung ist eine EEWärmeG-Ersatzmaßnahme.

Abwasser und EEWärmeG

Seit dem 1. Januar 2009 ist bei der Gebäude­planung auch das Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (EEWärmeG) vom 7. August 2008 (BGBl.1 Nr.36 vom 18. August 2008, S. 1658) zu beachten. Seit 1. Mai 2011 ist eine Neufassung in Kraft. Laut EEWärmeG (Webcode 305260) wird Ab­wasserwärme nicht als erneuerbare Energie (§ 2 Abs. 1), sondern als Abwärme (§ 2 Abs. 2) eingestuft. Die Nutzung von Abwärme ist damit eine nach dem Gesetz zulässige Ersatzmaßnahme, wenn der Wärme- und Kälteenergiebedarf zu mindestens 50 % aus Anlagen zur Nutzung von Abwärme gedeckt wird (§ 7). Dabei ist eine Mindest-Jahresarbeitszahl gemäß der Anlage zum Gesetz, Abschnitt III und IV von 4,0 bei Nutzung der Wärmepumpe nur für die Raumheizung und von 3,8 bei Nutzung für Raumheizung und Trinkwarmwasser nach den anerkannten Regeln der Technik rechnerisch nachzuweisen.

Dipl.-Ing. Klaus W. König

ist ö.b.u.v. Sachverständiger für Bewirtschaftung und Nutzung von Regenwasser, Fachjournalist und Vorstandsmitglied der Fachvereinigung für Betriebs- und Regenwassernutzung (fbr), Überlingen, Telefon (0 75 51) 6 13 05, mail@klauswkoenig.com, http://www.klauswkoenig.com