TGA: Herr Mertz, kürzlich wurde auf der BTGA-Mitgliederversammlung beschlossen, dass der Verband sein bisheriges Engagement für Building Information Modeling (BIM) verstärkt. Gibt es dafür einen konkreten Anlass?
Mertz: Das Engagement des BTGA für BIM ergibt sich aus der berechtigten Erwartung und Zielsetzung, dass diese Methode die Planung, Errichtung und Betrieb von Gebäuden und damit auch die Prozesse in der Technischen Gebäudeausrüstung in vielen Facetten grundlegend ändern wird. In die Zukunft geblickt, gilt dies für alle Arten von Immobilienprojekten.
Andere Wirtschaftsbereiche machen es uns seit vielen Jahren eindrucksvoll vor. Heute entsteht keine Maschine, kein Auto, keine Fabrikanlage, kein Kreuzfahrt- oder Containerschiff, ohne dass für das zu realisierende Produkt ein komplettes Datenmodell mit allen Simulationen, kinematischen Prüfungen und Kollisionskontrollen abgebildet wird. Die Projektbeteiligten liefern hierzu ihre Beiträge und erhalten umgekehrt aus dem Datenmodell heraus die für ihre Aufgabenstellungen relevanten Informationen.
Das Grundprinzip ist, erst virtuell und dann real zu bauen. Eine vergleichbare Arbeitsweise, übertragen auf die Gegebenheiten der Bauwirtschaft, kann mittels BIM erreicht werden. Von der Mitgliederversammlung des BTGA geht ein Weckruf an alle mit der TGA befassten Unternehmen aus, den mit BIM möglichen Wandel aktiv mitzugestalten – auch, um von den Entwicklungen nicht überrollt zu werden.
TGA: Wie sieht das verstärkte Engagement des BTGA kurz- und mittelfristig aus?
Mertz: BIM wird im Jahr 2015 ein Kernthema des BTGA sein. Dies wird sich intensiv im Rahmen des BTGA-Immobilienforums bei der kommenden ISH zeigen. Aktuell arbeitet der BTGA zum Thema BIM mit der RWTH Aachen zusammen. Es ist geplant, ein komplett auf BIM-Methoden aufbauendes Pilotprojekt zu realisieren. Ein Ziel dabei ist, die Potenziale herauszuarbeiten, die sich aus der Anwendung von BIM für die TGA-Branche ergeben. Vorbereitet wird das Forschungsvorhaben an der RWTH Aachen vom Lehrstuhl für Anlagen- und Gebäudetechnik unter der Leitung von Prof. Dr. Dirk Müller und Prof. Dr. Christoph van Treeck, der den Lehrstuhl für Energieeffizientes Bauen innehat.
Langfristig sollen die im Rahmen des Projekts gewonnenen Erkenntnisse den TGA-Unternehmen als Leitlinien dienen, wie sie BIM erfolgreich in der Praxis anwenden können. Eine weitere Aufgabe wird sein, Schulungen zur BIM-Methode anzubieten. Als Verband werden wir uns auch dafür einsetzen, dass BIM in den Ausbildungsberufen der TGA-Branche Eingang findet. BIM ist ein Thema, für das der berufliche Nachwuchs an den Hochschulen und in den Ausbildungsbetrieben begeistert werden kann.
Auch die geplante Zusammenarbeit zum Thema BIM mit weiteren Verbänden, mit denen derzeit eine Plattform für gemeinsame Aktivitäten vorbereitet und entwickelt wird, wird langfristig sein. Hierzu engagiert sich der BTGA in mehreren BIM-Initiativen, unter anderem in der Organisation buildingSMART und beim DIN und beim VDI. Der BTGA wird die Sichtweise der TGA-Branche und Erkenntnisse aus dem Forschungsvorhaben mit der RWTH Aachen verstärkt in den BIM-Beirat unter Vorsitz des Bundesministeriums für Verkehr und Digitale Infrastruktur, BMVI, einbringen. Sehr wesentlich ist auch die Beteiligung am Koordinierungskreis „Building Information Modeling“ der VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik.
TGA: Was plant der BTGA, um sich bei den BIM-Initiativen auf Augenhöhe einzubringen?
Mertz: Es gibt in unserer Organisation bereits Unternehmen, die sich mit dem Thema befassen und die sich jetzt in unserem neu gegründeten „Arbeitskreis BIM“ einbringen. Insofern können wir bereits auf Expertenwissen zurückgreifen. Und die „Augenhöhe“ ergibt sich schon daraus, dass die TGA neben dem Hochbau und der Tragwerksplanung ein wesentlicher Bestandteil aller Bauprozesse ist.
TGA: Wie wird das BIM-Engagement des BTGA in der Startphase finanziert?
Mertz: Die Finanzierung erfolgt durch das Engagement des Verbands sowie einzelner Mitgliedsunternehmen. Wir haben den verbandsstrategischen Anforderungen Rechnung getragen und im Etat Forschungsgelder eingestellt.
TGA: Wer treibt heute das Thema BIM voran und wer in der Zukunft und wer profitiert am meisten davon?
Mertz: Im aktuellen Baugeschehen und auch bei Bauherren ist BIM noch nicht richtig angekommen – jedenfalls nicht in Deutschland. Als einen der maßgeblichen Treiber kann man durchaus die noch in der letzten Legislaturperiode unter Bundesbauminister Dr. Peter Ramsauer eingerichtete „Reformkommission Großprojekte“ bezeichnen. Aber auch die zahlreichen, bereits erwähnten Initiativen und Gremien in der TGA-Wirtschaft haben eine treibende Funktion.
Und wer profitiert? Die gesamte Bau- und Immobilienbranche, die mit BIM die Chance hat, sich aus den Fesseln traditioneller, segmentierter Arbeitsprozesse zu befreien. Hierdurch verursachte Reibungsverluste und Kosten lassen sich mittels BIM schon in frühen Planungsphasen vermeiden. Ich habe die große und auch berechtigte Hoffnung, dass sich BIM positiv auf die Leistungsfähigkeit und wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Branche auswirken wird.
Für öffentliche und private Betreiber gehen die mit BIM verbundenen Vorteile weit über die Planungs- und Ausführungsphase hinaus. Denn die BIM-Methode ermöglicht es, alle Gebäudeinformationen von der Vorplanung bis zur Ausführung für den Gebäudebetrieb bereitzustellen. Auf dieser Grundlage lassen sich Kosteneinsparungen bei Wartung und Energieverbrauch realisieren. Über die gesamte Nutzungsdauer liegen diese Kosten durchschnittlich höher als die Planungs- und Herstellungskosten, sodass die Einsparpotenziale beträchtlich sind.
TGA: Welche Bedeutung hat die Technische Gebäudeausrüstung als Disziplin / Gewerk, um die Potenziale von BIM zu erschließen?
Mertz: BIM kann nur funktionieren, wenn alle Stufen der Wertschöpfungskette – darunter die Planung und Ausführung der Gebäudetechnik – uneingeschränkt beteiligt sind. Damit verbunden ist die Chance, die TGA früher als bisher üblich in die Planung einzubinden und alle TGA-Gewerke im Modell aufeinander abzustimmen. BIM wird auch eine verbesserte Kollisionserkennung in der Planungsphase ermöglichen und insgesamt dazu beitragen, die Effizienz in der Ausführung zu verbessern und dadurch die Baukosten zu verringern und die Bauzeit zu verkürzen.
TGA: Wie weit sind aus Ihrer Sicht heute die TGA-Branche, -Planungsbüros und die BTGA-Mitgliedsunternehmen mit dem Thema BIM vertraut?
Mertz: Die Kenntnisse zu den Einsatzmöglichkeiten und Erfolgsfaktoren von BIM sind in der gesamten Baubranche noch nicht ausreichend verbreitet. Ausnahmen bestätigen hier die Regel. Ein Ziel ist deshalb, die Mitgliedsunternehmen der BTGA-Organisation mit BIM vertraut zu machen und die Öffentlichkeit über die Sicht der TGA-Branche auf dieses Thema zu informieren. BIM ist eine strategische Aufgabe für die kommenden Jahre. Dieser Herausforderung müssen sich über kurz oder lang alle in der Bau- und TGA-Branche tätigen Unternehmen stellen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
TGA: Welche Angebote, Hilfen, Unterstützung für BTGA-Unternehmen und TGA-Planungsbüros könnten aus dem BTGA-Engagement entstehen?
Mertz: Wir werden für eine möglichst rasche Umsetzung der Forschungsergebnisse aus den genannten Projekten Sorge tragen – indem wir konkrete Leitfäden und Handlungsanleitungen erstellen und Workshops durchführen. Zudem werden wir uns für eine Weiterentwicklung der Lehre in Sachen BIM einbringen.
TGA: Was hemmt momentan die BIM-Durchdringung in der Gebäudeplanung?
Mertz: Für die schnelle Verbreitung von BIM in der Baubranche müssen alle Beteiligten ihre Entwurfs- und Planungsprozesse stärker vernetzen. Damit verbunden ist ein Kulturwandel hin zu mehr partnerschaftlicher Zusammenarbeit, Effizienz und Wirtschaftlichkeit. Hier gibt es noch Hemmfaktoren, die nicht von einem Tag auf den anderen beseitigt werden können.
Auch die Haltung der öffentlichen Hand als größter Bauherr wird die weitere Entwicklung von BIM stark beeinflussen. Es geht darum, dass die öffentliche Hand – wie in anderen Ländern auch – den Einsatz der BIM-Methode als Nachfrager fordert. Private Bauherren können ebenfalls positiv einwirken, wenn sie die wirtschaftlichen Vorteile der BIM-Methode für ihr Geschäft erkennen. Belegte Vorteile von BIM werden hier sicher zu einem verstärkten Einsatz der Methode führen.
TGA: Warum sind viele Länder mit der Anwendung von BIM viel weiter als Deutschland?
Mertz: Weil BIM in anderen Ländern schon viel länger auf der Tagesordnung steht. Großbritannien startete schon im Jahr 2011 eine BIM-Initiative. Und nun ist dort geplant, ab 2016 die Abgabe von vollständigen BIM-Modellen bei öffentlichen Ausschreibungen einzufordern. Schon heute verlangen öffentliche Auftraggeber in Skandinavien, den Niederlanden und den USA in Ausschreibungsunterlagen die Abgabe eines 3D-Gebäudemodells. Bemerkenswert ist, dass die US-Armee auch in Deutschland die Anwendung der BIM-Methode bei der Umsetzung von Bauvorhaben erwartet.
TGA: Lässt sich die Anzahl der BIM-Projekte deutlich steigern, ohne die HOAI anzupassen?
Mertz: Auch wenn die Leistungsphasen der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) nicht auf die BIM-Methode abgestimmt sind, steht die HOAI dem Einsatz der BIM-Methode nicht entgegen. Wie bei Anwendung der BIM-Methode mit der Vorverlagerung von Leistungen in die frühen Leistungsphasen umzugehen ist, lässt sich vertraglich regeln. Insofern sind Anpassungen der HOAI nicht als Voraussetzung für eine deutliche Ausweitung der BIM-Methode zu sehen.
TGA: Vielen Dank für das Gespräch.
Fußnoten
1) Günther Mertz ist neben seiner Funktion als Hauptgeschäftsführer beim Bundesindustrieverband Technische Gebäudeausrüstung (BTGA) auch Geschäftsführer des Fachverbands Gebäude-Klima (FGK), Geschäftsführer des Herstellerverbands RLT-Geräte (RLT-Geräte) und Geschäftsführer der von diesen drei Verbänden gemeinsam mit dem Bundesindustrieverband Deutschland Haus-, Energie- und Umwelttechnik (BDH) getragenen TGA-Repräsentanz Berlin.
BIM für die TGA-Branche: Herausforderung und Chance
Die BIM-Methode als Herausforderung und Chance für die TGA-Branche – dieses Thema stand im Fokus eines Workshops, den der BTGA zusammen mit der RWTH Aachen im November 2014 veranstaltete. Der Workshop zählt zu den Maßnahmen, mit denen der BTGA die Interessen insbesondere kleiner und mittelständischer TGA-Unternehmen rund um das Thema Building Information Modeling (BIM) vertritt.
Auf der Veranstaltung kamen neben Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten auch rechtliche Aspekte und Hemmnisse für den produktiven Einsatz von BIM zur Sprache. Ein weiteres Thema war, wie die TGA-Branche ihr ingenieurwissenschaftliches und praktisches Know-how in die zukünftige Anwendung dieser Methode einbringen kann. „Viele Unternehmen der TGA-Branche benötigen auf diese Frage eine schlüssige Antwort, um sich zielgerichtet mit BIM-Methoden zu befassen. Für deren erfolgreiche Anwendung nimmt die Technische Gebäudeausrüstung eine Schlüsselrolle ein. Wie also kann die Branche erfolgreich in BIM-gestützte Bauprozesse eingebunden werden? Dieser Kernfrage will der BTGA in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen auf den Grund gehen“, erläutert Dr. Sven Herbert (Helmut Herbert GmbH und Co), Vorsitzender des Arbeitskreises BIM im BTGA.
„Zur Anwendung von BIM in Fachplanung und Ausführung und zu den dafür benötigten Instrumenten werden Projekterfahrungen benötigt. Praktische Erkenntnisse soll ein Forschungsprojekt liefern, das wir mit Unterstützung des BTGA bei der ‚Initiative Zukunft Bau‘ eingereicht haben“, berichtet Prof. Dr. Christoph van Treeck, Leiter des Lehrstuhls für Energieeffizientes Bauen an der RWTH Aachen. Sein Projektpartner, Prof. Dr. Dirk Müller, Leiter des Lehrstuhls für Gebäude- und Raumklimatechnik an der RWTH Aachen: „Ziel des Forschungsprojekts ist, aus Sicht der TGA-Branche bestehende Hindernisse für BIM und Kosten-Nutzen-Aspekte näher zu analysieren. Und wir wollen herausfinden, mit welchen Mitteln die Weiterentwicklung und Verbreitung der Methode vorangetrieben werden kann.“
Wie Planungswerkzeuge heute BIM im Bereich der Gebäudetechnik unterstützen, zeigten mehrere Software-Anbieter im Verlauf des Workshops auf. Es wurde deutlich, dass nicht mit der Entwicklung von Software zu rechnen ist, die weltweit alle Gewerke eines Bauwerks in einem einzigen Datenmodell abbildet. Die Alternative besteht in der Integration mehrerer gewerkespezifischer Fachmodelle.
Aufschlussreich war auch der Vortrag von Rechtsanwalt Prof. Dr. Klaus Eschenbruch (Kapellmann und Partner). Rechtliche Hürden stünden einer verbreiteten Einführung von BIM nicht entgegen. Gerade die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI), die eine Abrechnung von BIM als besondere Leistung vorsehe, sei hier kein Hindernis. Er hob die Chancen hervor, die mit BIM als nächster Entwicklungsstufe bei Planung und Ausführung von Bauvorhaben auch für die TGA-Branche verbunden sind. „BIM bietet allen Unternehmen der Baubranche neue Möglichkeiten. Wer diese nutzen will, muss sich mit BIM befassen und Erfahrungen sammeln.“