Schmid: Ich habe gerade eine Telefonumstellung von analog auf IP-Telefonie bei gleichzeitigem Wechsel des Providers hinter mir. Das waren zwei Wochen Internet-Abstinenz, da unser Haus gleichzeitig in einem Funkloch der Telekom liegt. Zuvor wurde ich von einem Telekom-Shop-Mitarbeiter total falsch beraten. Dort versuchte man dann auch, mir den Einstieg in das Smart Home mittels eines kostenlosen Zentralgeräts zu versüßen. Ich habe dankend abgelehnt. Überzeugen Sie mich, warum ich mein Büro und meinen Haushalt zum Smart Home aufrüsten sollte.
Krödel: Wenn Sie nicht wollen, werde ich kein Armdrücken gegen Sie gewinnen. Es gibt tatsächlich kein K.o.-Kriterium, dass man sein Haus auf „Smart“ umstellen muss, wenn man nicht will. Die Dinge, die im Rahmen eines Smart Home möglich sind, sind „Angebote“ und nichts mehr. Somit muss jeder selber entscheiden, ob in diesem Blumenstrauß an Möglichkeiten etwas für einen dabei ist. Und hier liegt die Gefahr der falschen Automatisierung:
Oft wird der Fehler gemacht, dass man sich aus vermeintlichen Prestige- oder Zeitgeistgründen pauschal für ein Smart-Home-System entscheidet und es dem Experten überlässt, was automatisiert wird und wie das zu bedienen ist. Wer sich nicht selber ein paar kritische Gedanken macht, was in den eigenen vier Wänden für einen persönlich sinnvoll ist und die Möglichkeiten auf ein sinnvolles Maß reduziert, wird später nicht glücklich damit.
Wer sich aber in Ruhe mit den Möglichkeiten befasst, wird in den meisten Fällen etwas finden, das einem sinnvoll erscheint. Und wer sich auf wenige Funktionen reduziert, bekommt ein Smart-Home-System, das weder teuer noch kompliziert noch fehleranfällig ist. Heutzutage steht der Einbruchschutz hoch im Kurs, also beispielsweise Fensterkontakte, die zuerst das Licht einschalten und es erst dann an der Tür klingeln lassen, um Gelegenheitseinbrecher zu verschrecken.
Auch ein Zentraltaster im Eingangsbereich ist ein häufiger Wunsch oder die Überwachung der Terrassentür bei zeitgesteuerten Rollläden, um nicht ausgesperrt zu werden. Auch den nachträglichen Taster für Licht und Geräte als Handsender halte ich insbesondere für gehbehinderte Menschen für sinnvoll. In Bezug auf die Möglichkeiten eines Smart Home haben wir einen neutralen Fragebogen entwickelt, der kostenlos auf unserer Homepage (www.igt-institut.de) heruntergeladen werden kann. Wer wirklich nichts Ansprechendes findet, sollte tatsächlich komplett auf Smart Home verzichten.
Schmid: Reicht es – energetisch gesehen – nicht aus, alte Elektrogeräte durch Hocheffizienzgeräte der Klasse A+++ zu ersetzen? Welchen energetischen Vorteil bringt ein Smart Home gegenüber einem Effizienzhaus ohne digitalen Schnick-Schnack?
Krödel: Das energetische Einsparpotenzial eines Smart-Home-Systems im Wohngebäude ist tatsächlich sehr niedrig. Das liegt daran, dass sich private Nutzer meist selber sehr energieeffizient verhalten und beim Verlassen der Wohnung das Licht ausschalten oder bei längerer Abwesenheit die Heizung runterdrehen. Wenn der Mensch bereits alles richtig macht, dann kann die Automation nicht allein durch schiere Präsenz ein Wunder bewirken.
Gemäß Studien an der Hochschule Rosenheim liegt das Einsparpotenzial durch Automation im Wohngebäude bei nur 3 bis 7 % für die Heizung und maximal 20 % für elektrische Verbraucher. Je moderner die Elektrogeräte werden und je besser der Bauzustand des Gebäudes, desto geringer wird das konkrete Einsparpotenzial in Euro. Im Wohnbereich ist es tatsächlich sehr schwer, die Investitionskosten eines Smart-Home-Systems über die Energieeinsparung zu refinanzieren.
Ganz anders verhält es sich in Bürogebäuden. Dort lassen Nutzer gerne mal das Licht den ganzen Tag brennen oder sie öffnen die Fenster, ohne vorher den Wärmenachschub des Heizkörpers zu unterbinden. Da halfen in den letzten Jahren auch nicht die obligatorischen Aushänge, wie „Der Letzte macht das Licht aus“. In Nichtwohngebäuden ist ein Einsparpotenzial von 30 % eine durchaus realistische Größe. Das hat auch der Gesetzgeber erkannt und deshalb ist schon seit 2014 der Automationsgrad von Gebäuden über die Energieeinsparverordnung verbindlicher Bewertungsbestandteil für den Energieausweis für Nichtwohngebäude.
Schmid: Von Fachfirmen installierte Smart-Home-Systeme sind vergleichsweise teuer gegenüber Systemen vom Elektronikmarkt, Energiedienstleister oder Telekommunikationsanbieter. Über welchen Vertriebsweg sollte nach Ihrer Erfahrung ein Smart-Home-System zum Endverbraucher gelangen?
Krödel: Auch das hängt davon ab, was ein Kunde an Funktionen will. Bei geringen Ansprüchen reicht womöglich ein System mit Funktastern, Zwischensteckern oder Austausch-Heizkörperventilen aus dem Baumarkt oder von einer Online-Plattform. Wer aber die Rollladen oder das Deckenlicht einbeziehen will, muss im Gebäude an die 230-V-Verkabelung und sollte den Fachmann einbeziehen. Deshalb gibt es zu Ihrer Frage keine pauschale Antwort. Sofern man es nicht besser weiß, sollte man sich mehrere Angebote von unterschiedlichen Quellen einholen. An den Antworten erkennt man neben dem Preis sehr schnell, ob eine günstige Variante alle gestellten Anforderungen abdeckt oder ob man doch ein hochwertigeres System braucht.
Schmid: Als vor etwa 20 Jahren die ersten programmierbaren Heizkörperventile auf den Markt kamen, merkten die Heizungsfachleute relativ schnell, dass man damit kein Geld verdienen kann. Viele mussten mehrfach vor Ort gehen, um die Geräte zu erklären oder umzuprogrammieren. Ich stelle mir vor, dass die Probleme bei Smart-Home-Systemen ähnlich liegen.
Krödel: Das war lange richtig und deshalb sind viele Elektrofachbetriebe im Bereich von Smart Home bis heute sehr zurückhaltend. Inzwischen sind aber die Kunden mündiger, insbesondere diejenigen, die ohne Scheu an die Einrichtung von Smartphones, Tablets, PCs oder DSL-Router gehen. Der Großteil der heutigen Jugendlichen möchte auch im Haus die Funktionen selbst einrichten beziehungsweise gelegentlich selbst ändern. Deshalb muss man unterscheiden zwischen Installation und Konfiguration.
In Bezug auf die Installation können Funktaster, Zwischenstecker oder Heizkörperventile auch von Laien schnell montiert werden. Dort, wo man beispielsweise einen 230-V-Unterputzaktor oder eine Komponente im Verteilerkasten einbauen muss, ist zumindest temporär eine versierte Elektro-Fachkraft erforderlich.
In Bezug auf die Konfiguration des Smart-Home-Systems verlangen Kunden zunehmend, das Zusammenspiel zwischen Sensoren und Aktoren über eine interaktive Bedienung an PC, Tablet oder Smartphone selbst festzulegen. Auch Zeitsteuerungen, Zentralfunktionen oder ganze Szenarien will der Kunde oft selbst einrichten oder zumindest ändern beziehungsweise anpassen können. Deshalb haben sich am Markt einige Systeme etabliert, die diese Freiheiten anbieten.
Ich bin kein Fan davon, alles über das Smartphone zu steuern. Die breite Akzeptanz von Apps auf Handys hat aber trotzdem dazu geführt, dass Nutzer die Scheu davor verlieren, Gerätekonfigurationen mithilfe von bunten und interaktiven Apps durchzuführen. Wo man früher noch ein Manual brauchte, startet man heute eine App. Und in den meisten Fällen funktioniert das sehr gut.
Schmid: Auf den einschlägigen Fachmessen der HLK/SHK-/Elektro- und Baubranche reklamieren die jeweiligen Protagonisten das Smart Home für sich. Wie sollten Ihrer Ansicht nach die gewerkespezifischen Schnittstellenprobleme gelöst werden? Wer ist in der Lage, eine individuelle Heizkörperregelung mit einer Lichtsteuerung, einer Einbruchmeldeanlage, einer Rollladen- oder Sonnenschutzsteuerung zu einem Smart-Home-System mit Bedienung über Tablets und Smartphone zu verbinden?
Krödel: Fast alle Hersteller auf den von Ihnen erwähnten Messen werben mit „Intelligenz“ in deren Geräten sowie mit App-Steuerungen oder anderen Features rund um das Thema Smart Home. Aber jeder versteht etwas anderes drunter. Die Anzahl an Anbietern, Systemen und Schnittstellen ist deshalb oft erschreckend. Auf der anderen Seite führt dieses breite Spektrum zu mehr Wettbewerb zugunsten des Kunden.
Wer nur einen Zwischenstecker mit Funktaster aus dem Baumarkt braucht und dort kauft, macht damit sicher keinen folgenschweren Fehler. Wer aber tatsächlich übergreifende Funktionen im Gebäude wünscht, der sollte sich an einen neutralen Berater wenden, der mehr als nur ein System kennt. Im Detail kann das der Elektro-Fachbetrieb sein, sofern dieser neben KNX auch weitere Systeme beherrscht. Oder man wendet sich an so genannte Systemintegratoren, die sich auf den Bereich Gebäudeautomation beziehungsweise Smart Home spezialisiert haben.
Eine gute Quelle für versierte Fachbetriebe findet man auf der Webseite der SmartHome Initiative Deutschland unter der Rubrik „Fachbetriebe“ (www.smarthome-deutschland.de). Die Branche der Systemintegratoren ist weiter am Wachsen, da genau dieser Markt viele Geschäftsmöglichkeiten bietet. Oft fehlt diesen Systemintegratoren jedoch die Erlaubnis der Installation von 230-V-Komponenten, aber dann wird punktuell für diese Tätigkeiten ein Elektriker beauftragt. Der Kunde beziehungsweise das Gesamtprojekt „gehört“ dann dem Systemintegrator, denn nur er hat die Kompetenz zur Systempflege und Systemintegration.
Schmid: Ein funktionsfähiges Smart-Home-System zu installieren ist eine Sache, Wartung, Service und die Systempflege auf dem Stand der Technik zu halten eine andere. Mit welcher Komponenten- beziehungsweise Systemlebenszeit rechnen Sie? Können sich Smart-Home-Systeme in irgendeiner Weise amortisieren?
Krödel: Hier müssen wir wieder in Wohngebäude und Nichtwohngebäude unterscheiden. Im Nichtwohnbereich ist, wie zuvor erwähnt, ein Energieeinsparpotenzial von 20 oder 30 % sehr schnell erreichbar. In der Konsequenz amortisieren sich die Anschaffungskosten meist bereits nach drei bis fünf Jahren. Die Technologie ist dabei deutlich langlebiger; ich schätze, sie liegt im Bereich einiger Jahrzehnte. Also: Wenn Sie nach der Amortisation im Büroumfeld gefragt hätten, wäre Ihre Frage sehr einfach zu beantworten gewesen.
Im Wohnbereich ist eine Amortisation tatsächlich kaum möglich. Wie zuvor erwähnt, ist hier das energetische Einsparpotenzial sehr gering. Die eigentlichen Investitionskosten wieder reinzuholen ist sehr schwer und gelingt nur in Fällen, in denen die Nutzer zuvor keinerlei Energiebewusstsein zeigten. Deshalb sollte man im Wohngebäude nicht die Frage nach der Amortisation stellen, sondern überlegen, ob die individuell ermittelten Sicherheits- oder Komfortfunktionen den Anschaffungspreis rechtfertigen. Bei vielen anderen Anschaffungen, wie Kaffeemaschine, Staubsauger oder Deckenleuchte, fragt man beim Kauf ja auch nicht nach der Amortisation, sondern entscheidet aufgrund des Mehrwerts durch die Geräte.
Einmal installiert sind Smart-Home-Systeme recht langlebig. 15 bis 20 oder gar 30 Jahre sind durchaus übliche Zeiträume, die man von einem Smart-Home-System erwarten kann. Elemente der Gebäudeautomation sind nicht mit PCs oder Handys zu vergleichen, die nach wenigen Jahren schon veraltet sind oder vom Zeitgeist überholt werden.
Schmid: Die Smart-Home-affine Hausgeräte-Industrie sowie die Hersteller von Wärmepumpen werben damit, dass bei Stromüberschüssen im Netz der Energieverbraucher günstigere Tarife für Elektroverbraucher mit Smart-Grid-Ready-Funktion angeboten werden könnten. Bislang lassen die Energieversorger aber keine diesbezüglichen Aktivitäten erkennen, zumindest nicht für Haushaltskunden. Ist das Smart-Grid-Ready-Label ein Marketing-Gag?
Krödel: Den Sinn vom Label „SG Ready“ habe auch ich nicht verstanden. Selbst das Schlagwort „Smart Grid“ ist noch weit davon entfernt, klar erkennbare Strukturen zu zeigen. Solange man das „Smart Grid“ nicht zu fassen bekommt, ist es für mich fraglich, Schnittstellen dafür über das von Ihnen erwähnte Label zertifizieren zu lassen.
Schmid: Wie sehen Sie die weitere Marktentwicklung bei Smart Homes?
Krödel: Egal wie Sie oder ich zum Thema stehen: Produkte und Anbieter in dem Umfeld werden weiter zunehmen. Dabei ist im Moment ein ganz neuer Trend zu finden: IoT, Internet of Things. Statt die Intelligenz in die Elektroinstallation zu packen, werden die Geräte intelligent. Anstatt also mit einem Zwischenstecker die Stehleuchte oder mit einem Unterputzaktor die Deckenleuchte zu dimmen, kommuniziert man gleich direkt mit der Lampe. Ähnliches gilt auch für normale Verbraucher wie Stereoanlagen, Haushaltsgeräte etc.
Die Kommunikation intelligenter Komponenten läuft über Funkprotokolle, wie EnOcean, Z-Wave, ZigBee und WLAN oder man kommuniziert über Powerline, also man nutzt die Elektroverkabelung im Gebäude. Fakt ist, dass man so keine Elektro-Fachkraft mehr benötigt, um Aktoren in die Unterverteilung einzubauen. Die Steuerung im Gebäude läuft über entsprechende Controller, die alle gängigen Protokolle beherrschen. Finanzkräftige Allianzen, beispielsweise die AllSeen Alliance (www.allseenalliance.org) geben hier mächtig Gas.
Vorteil ist, dass Geräte nicht installiert, sondern nur noch in den gemeinsamen Controller eingebunden werden. Das hat einen besonderen Reiz im Bestandsgebäude und noch mehr bei Mietwohnungen, da Mieter keine Investition tätigen müssen, die fest mit der Wohnung verbunden ist. Beim Umzug nimmt man einfach alles mit.
Dieser Trend hat natürlich auch Nachteile und somit ist das zunächst einfach nur eine weitere Smart-Home-Variante. Letztlich bleibt es dabei, dass man bei umfangreicheren Anforderungen an die Gebäudefunktionen einen versierten Ansprechpartner kontaktieren sollte, um sich bei der Wahl von System und Hersteller neutral beraten zu lassen. Genau dieses Tätigkeitsfeld, also das Arbeitsfeld des Systemintegrators, bietet deshalb viele neue Geschäftsmöglichkeiten. Wer sich näher mit den Geschäftsmöglichkeiten im Bereich Smart Home befassen möchte, sei auf unser Tagesseminar „Smart Home als Geschäftsmodell“ verwiesen.
Schmid: Herr Professor Krödel, vielen Dank für das Gespräch.
Vita
Michael Krödel ist Professor für Gebäudeautomation und Gebäudetechnik an der Hochschule Rosenheim sowie Gastprofessor an der Universität in Kuala Lumpur, Malaysia, zum Thema Gebäudeautomation. Er leitet außerdem das Institut für Gebäudetechnologie in Ottobrunn bei München. Das Institut bietet neben Ein-Tages-Seminaren zum Thema Geschäftsmodelle für Smart Home / Smart Office auch einen Lehrgang zur Qualifizierung als Planer und Berater für vernetzte Gebäude bei der SmartHome Initiative Deutschland an. Krödel ist außerdem Mitglied im VDI-Richtlinienausschuss zur VDI 3813 / 3814 (Raum-/Gebäudeautomation) und Mitglied in der Jury für den Award der SmartHome Initiative Deutschland.