Stadtwerke und Energieversorger machen derzeit viel Wind um die Themen Smart Meter und Smart Grid, bieten aber – von Ausnahmen abgesehen – (noch) keine konkreten Lösungen an, so zumindest der Eindruck des Chronisten auf der Light+Building in Frankfurt. Eher überrascht reagierten die Aussteller der Gebäudeautomationsbranche auf Fragen zu Smart-Grid-Aktivitäten. Nein, da sei noch nichts Konkretes geplant. Das sei Sache von Stromkonzernen und Stadtwerken, die offensichtlich selbst noch nicht so genau wissen, inwieweit, und wenn ja, wie verbraucherfreundlich sie die gesetzlichen Vorgaben umsetzen wollen (siehe Kasten).
„Das Thema bewegt sich bei uns noch eher auf akademischem Niveau“, sagt Volker Westerheide, Geschäftsführender Gesellschafter von GFR, Verl. Die Verzögerungen in der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben führt Westerheide in erster Linie auf die abwartende Haltung der Energieversorger zurück, die sich aufgrund der Liberalisierung neu strukturieren müssten. Die Situation sei vergleichbar mit dem Ende des Postmonopols der Deutschen Bundespost. Branchenfremde Unternehmen, beispielsweise aus dem Bereich Telekommunikation, seien hier womöglich schneller in der Realisierung neuer Geschäftsmodelle als die klassischen EVU, gibt Westerheide zu bedenken. Wichtig sei es, bewährte Konzepte zu verbessern und diese auf Smart-Grid-Funktionen abzustimmen, anstatt das Rad neu zu erfinden. Im Übrigen setze er auf die in der Gebäudeautomation (GA) üblichen offenen Protokolle wie KNX, LON, BACnet und TCP/IP, um Energieverbrauchsdaten und Tarife mit den EVU oder anderen Dienstleistern auszutauschen.
Intelligente Stromklemme
Auch Jan Zakrzewski von Digitalstrom, Schlieren-Zürich (Schweiz), sieht bei den Energielieferanten noch keine konkreten Lösungen, auch wenn Stadtwerke und EVU viel Wirbel um das Thema veranstalten. Zakrzewski geht davon aus, dass der Datenaustausch zwischen dem Hausautomationssystem und dem Energieversorger primär über das Internetprotokoll TCP/IP erfolgt. Wegen der Datensicherheit und Vertraulichkeit der Verbraucherdaten müsse ein Übergabepunkt definiert werden, an dem Verbraucherdaten und Tarifdaten gesichert übergeben werden. Der bidirektionale Datenaustausch dürfe nur eine Kann-Option sein; sonst werde das Nutzerverhalten gläsern.
Die Realisierung von Smart-Grid-Funktionen wird nach Ansicht von Zakrzewski noch einige Zeit dauern, da die EVU traditionell abwartend auf Neuerungen reagierten, selbst wenn diese vom Gesetzgeber gefordert werden. Außerdem fehle es noch an Haushaltsgeräten, die sich in ein zeit- und tarifgesteuertes Lastmanagement integrieren lassen. Auch sei die Art der Einbindung von Mikro-KWK-Geräten und anderen gebäudeinternen Stromerzeugern in ein intelligentes Stromnetz noch nicht geklärt.
Digitalstrom ist dabei, einen preisgünstigen Hochvolt-Chip für Smart-Meter- und Smart-Grid-Anwendungen zu entwickeln, der über 40 verschiedene Funktionen verfügt und sowohl Haushaltsgeräte (Weiße Ware) als auch Licht, Heizung, Lüftung, Sonnenschutz und andere Stromverbraucher in einem digitalen Stromnetz auf der Basis des bestehenden 230-V-Netzes in Plug-and-Play-Manier miteinander verbindet. Die „intelligente Stromklemme“ – der eigentliche Chip ist nur 4 × 6 mm groß – soll als Low-Cost-Komponente die Realisierung von vernetzten Haussteuerungen beschleunigen. Ziel von Digitalstrom ist ein weltweiter Standard, der von einer Anwender-Allianz getragen wird.
Schalten und Walten mit dem iPhone
Jörg Hofmann von BSC Software, Allendorf-Battenfeld, ist da schon einen Schritt weiter. Allerdings hat seine Lösung auch ihren Preis: Für 3000 bis 5000 Euro vernetzt er die elektrischen Verbraucher eines Einfamilienhauses mit Enocean-Technologie – Slogan: no wires, no batteries, no limits – und erfasst den aktuellen Strom-, Wasser- und Gasverbrauch im Haushalt bzw. die Einzelverbraucher der Elektrogeräte über ein Smart Phone, künftig auch über ein iPad. Mehr noch: Mithilfe einer speziellen App für das iPhone kann Hofmann von überall auf der Welt in seinem Haus Schalten und Walten und wenn es sei muss, auch per Video-Funktion einen Blick ins Büro oder in die Wohnung werfen.
Schon allein durch die Vernetzung, Energieverbrauchsdarstellung und Fernschaltung von elektrischen Geräten sollen Energieeinsparungen von bis zu 40 % möglich sein. Hofmann ist jedoch noch zurückhaltend was die Verknüpfung seines Hausautomationssystems mit zeit- bzw. lastvariablen Tarifen der EVU anbelangt. Er kenne bisher keinen Versorger mit einem entsprechenden Angebot. Auch sei ihm nicht bekannt, über welchen Standard die Tarifdaten der EVU in ein Hausautomationssystem eingespeist werden könnten.
5 bis 10 % Einsparung reichen nicht
Dennoch scheint die Gebäudeautomationsbranche durch die Smart-Meter- und Smart-Grid-Diskussion in Bewegung zu kommen: „Die Nachfrage nach Energiemanagementfunktionen hat eindeutig zugenommen, trotz der defensiven Politik der EVU“, berichtet Nils Meinert von Honeywell. Seiner Meinung nach reicht es nicht aus, einen intelligenten Stromzähler zu installieren, auch wenn dadurch die Verbräuche transparenter würden. „Die Smart-Meter-Funktionen werden nach kurzer Zeit unattraktiv, wenn kein monetärer Nutzen durch Tarifanreize entsteht. 5 bis 10 % Einsparung durch eine bessere Verbrauchstransparenz reichen auf Dauer nicht aus, das Interesse am intelligenten Stromzähler wach zu halten“, resümiert Meinert.
Warum unter diesen Umständen die Hersteller von Gebäudeautomationssystemen nicht selbst initiativ werden? Meinert: „Da unterschätzen Sie die Marktmacht der EVU. Aus meiner Sicht werden uns die Energieversorger ihr Konzept diktieren, inklusive der Protokolle für den Datenaustausch zwischen Stromnetz und Energiemanagementsystem.“ Größere Chancen, das Thema voranzubringen, sieht Meinert bei den Telekommunikationsunternehmen: „Die haben Erfahrung mit dem Tarifdschungel und mit komplexen Abrechnungsmodellen.“ Trotz einer gewissen Skepsis gegenüber einer kurzfristigen Umsetzung von Smart-Grid-Funktionen ist Meinert von den langfristig positiven Impulsen auf die GA-Branche überzeugt: „Das Gebäudeautomationssystem kann dadurch seine Stellung als maßgebliches System zur Energiekosteneinsparung weiter ausbauen.“
„100 % dumme Weiße Ware“
Auch Jan Spelsberg, Geschäftsführer der Spega GmbH & Co. KG, Moers, sieht derzeit die Marktmacht der EVU als limitierenden Faktor bei der Umsetzung von Smart-Meter-/Smart-Grid-Funktionen in der Gebäudetechnik. „Die EVU werden unserer Branche ihre Systemtechnik aufzwingen.“ So richtig glauben mag Spelsberg noch nicht an zeit- und lastvariable Stromtarife. „Die Entwicklung wird ähnlich verlaufen wie bei der Liberalisierung des Telefonnetzes. Nach der Pre-Selection-Ära folgt die Flatrate, da sich niemand ständig mit Stromtarifen auseinandersetzen will.“ Nach Ansicht von Spelsberg wird es rund 20 Jahre dauern, bis die Smart-Meter- und Smart-Grid-Funktionen voll zum Tragen kommen. „Unsere Haushalte bestehen zu 100 % aus dummer Weißer Ware. Erst wenn diese durch Geräte mit intelligenten Schnittstellen ersetzt sind, lassen sich zeit- und lastvariable Tarife sinnvoll nutzen.“
Vernetzung mit E-Mobility
Aus Sicht der Siemens Division Building Technologies (BT) wird in einem künftigen intelligenten Stromnetz das Elektroauto eine tragende Rolle spielen. Voraussetzung für eine durchgängige Smart-Grid-Strategie sei jedoch die gewerkeübergreifende Vernetzung von Gebäudeautomationssystem, Energieversorgung, Energieverteilung und Beleuchtung als Gesamtkonzept. Insbesondere durch die Vernetzung der BT-Bereiche Building Automation und Low Voltage Distribution entstünden neue Synergien zur Umsetzung von energieeffizienten Gesamtlösungen.
Zukünftig gelte es, neben gebäudeinternen Stromerzeugungsanlagen wie BHKW oder Photovoltaik-Anlage, auch das Batterie-Lademanagement von Elektrofahrzeugen in das Energiemanagement von Gebäudeautomationssystemen einzubeziehen. In Verbindung mit zeit- bzw. lastvariablen Stromtarifen ergeben sich dadurch ganz neue Strategien, die Höchstlast durch die Nutzung von Batteriestrom zu kappen und Niederstromtarife zur Beladung zu nutzen.
T-Systems und ABB kooperieren
Noch einen Schritt weiter geht ABB. Der Spezialist für Energie- und Automationstechnik hat offenbar die Unentschlossenheit der Energieversorger frühzeitig erkannt und kooperiert mit der Telekom-Tochter T-Systems. ABB verfügt über ein umfassendes Portfolio der Stromübertragung und -verteilung sowie über Produkte und Lösungen der Gebäudeautomation. T-Systems ist nicht nur Spezialist für breitbandiges Fest- und Mobilfunknetz, sondern auch erfahren im Umgang mit Massendaten; mehr als 40 Mio. Telekommunikationsrechnungen pro Monat werden als Referenz genannt.
Auch die ABB-Tochter Busch-Jaeger Elektro hat ihr Portfolio um Smart-Metering-Komponenten ergänzt und bietet Energiedaten-Gateways, Unterputz-Displays mit Tarifanzeige, Touchscreens mit Darstellung des Momentanverbrauchs, der aktuellen Kosten und Tarifprognosen sowie Komfortpanels als Verbindung von Gebäudesystemtechnik und Home-Entertainment an. Damit sind die Grenzen zwischen Gebäudetechnik, Home-Entertainment und IP-Kommunikation aufgelöst – aus Sicht von Marketingexperten ein wesentlicher Schritt zur Popularisierung und Emotionalisierung des Hausautomationssystems.
Fazit
Die Gebäudeautomationsbranche hat offenbar das enorme Potenzial von Smart-Grid-Lösungen noch nicht erkannt; die meisten Hersteller warten auf die Signale der Energieversorger und Dienstleister. Ein Brancheninsider erklärt die abwartende Haltung so: Die Gebäudeautomations- und MSR-Unternehmen hätten ja gar keine Zeit, um sich mit ernstzunehmenden Smart-Grid-Strategien zu beschäftigen, die führen einen unerbittlichen Preiskampf gegeneinander.
ABB scheint mit seinen Tochterfirmen Busch-Jaeger und Stiebel & John für das Smart-Grid-Geschäft gut aufgestellt zu sein, insbesondere durch die Kooperation mit T-Systems. Laut einer dpa-Meldung will die Telekom bis 2015 rund 1 Mrd. Euro Umsatz mit intelligenten Netzen, sowie der automatischen Übermittlung von Kranken- und Verkehrsdaten erwirtschaften.
Smart Meter per Gesetz
Die EU-Richtlinie 2206/32EG „Energieeffizienz und Energiedienstleistungen“ vom 5. April 2006 wird in den nächsten Jahren ähnliche Auswirkungen auf die Wirtschaft haben wie die Einführung des Internets oder die Liberalisierung des Telefonnetzes. Die Richtlinie schreibt fest, dass alle EUMitgliedsstaaten bis zum Jahr 2016 Energieeinsparungen in Höhe von 9 % im Vergleich zum durchschnittlichen Energieverbrauch der Jahre 2001 bis 2005 realisieren sollen. Bereits im Juli 2005 verabschiedete die Bundesregierung die Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) mit dem Ziel der Liberalisierung des Zählerwesens für die leitungsgebundene Strom- und Gasversorgung, also von Einbau, Betrieb und Wartung der Messeinrichtungen. Mehr noch: Im Juli 2008 beschloss der Bundesrat in einer Novellierung des EnWG die vollständige Öffnung des Zähl- und Messwesens für den Strom- und Gasbereich. Damit ist neben dem Messstellenbetrieb auch die Messung selbst liberalisiert, das heißt, die EVU verlieren die Zählerhoheit: Der Kunde erhält die Möglichkeit, Energielieferant, Messstellenbetreiber und Messdienstleister selbst zu bestimmen.
Alle Messstellenbetreiber sind nunmehr verpflichtet, seit 1. Januar 2010 in Neubauten und grundrenovierten Bestandsgebäuden sogenannte intelligente Zähler zu installieren, die den tatsächlichen Energieverbrauch und die tatsächliche Nutzungszeit dokumentieren. Auf Kundenwunsch müssen auch bestehende Messeinrichtungen umgerüstet werden. Allein durch die neue zeitnahe Transparenz im Energieverbrauch erwartet der Gesetzgeber Energieeinsparungen bei privaten Haushalten von ca. 9,5 TWh/a. Weitere Anreize zur Senkung des Energieverbrauchs und Steuerung der Lastkurve verspricht er sich durch lastvariable bzw. tageszeitabhängige Tarife, die in Deutschland spätestens ab 30. Dezember 2010 von den Energieversorgern angeboten werden müssen.
Mithilfe dieser Funktion sollen unter anderem Lastspitzen gekappt, Lasttäler gefüllt und plötzlich anfallende Spitzenstromangebote aus PV- und Windanlagen durch Aktivierung zeitvariabler Verbraucher (Kühl- und Gefrierschränke, Waschmaschinen, Wäschetrockner, Geschirrspülmaschinen, Elektro-Fahrzeuge) besser genutzt werden. Umgekehrt besteht die Option, bei hoher voraussehbarer Netzlast einzelne Verbraucher im Haushalt so umzuprogrammieren, dass sie erst zu einem späteren Zeitpunkt einschalten. Auch stromerzeugende Heizgeräte könnten künftig durch eine virtuelle Einbindung zur Netzstabilität beitragen. Nach einer Prognose der Global-e-Sustainability Initiative (GeSI) können durch Smart-Meter- und Smart-Grid-Funktionen bis zum Jahr 2020 weltweit bis zu 3,71 Mrd. t/a CO2 oder knapp 15 % der Gesamtemissionen eingespart werden.
Wolfgang Schmid
ist Freier Fachjournalist für Technische Gebäudeausrüstung, München, E-Mail: wsm@tele2.de