Energie durch effizientere Nutzung einzusparen und fossile Energie durch erneuerbare zu substituieren. Das sind nicht nur die Kernelemente einer neuen politischen Doppelstrategie in Deutschland, in der EU und in vielen weiteren Ländern weltweit. Es sind die einzigen Optionen für die drängenden Zukunftsprobleme bei der Energieversorgung und -nutzung. Das bedeutet für viele Branchen ein Umdenken, ein Umsteuern, einen einschneidenden Strukturwandel. Insbesondere für die Heiztechnikbranche, die über ihre langlebigen Produkte schon heute stark mitbestimmt, welche Quoten bei Energieeinsparung und Nutzung erneuerbarer Energie in den nächsten Jahren möglich sein werden. Denn mit rund 40 % hat Wärme den größten Anteil am gesamten Endenergieverbrauch Deutschlands.
Bei Viessmann versteht man diese Herausforderung insbesondere als Chance. Auch für das eigene Unternehmen. Mit einem Komplettprogramm für alle Energieträger und alle Leistungsbereiche sei man bestens vorbereitet, so Unternehmenschef Dr. Martin Viessmann. Zugleich wurde dem Strukturwandel in mehrfacher Hinsicht Rechnung getragen. Die Produktions-Standorte wurden zu Kompetenzcentern weiterentwickelt. Allendorf ist das Kompetenzcenter für bodenstehende Kleinkessel und Wandgeräte, für Wärmepumpen und für elektronische Regelungen. Faulquemont nimmt diese Funktion für Solar-Systeme und Warmwasserbereiter wahr, Berlin und Mittenwalde für Mittel- und Großkessel. Die österreichischen Gruppenfirmen Mawera und Köb, die Heizkessel für die unterschiedlichsten Holzarten herstellen, werden 2008 zum Kompetenzcenter Bioenergie zusammengefasst.
„Fabrik des 21. Jahrhunderts“
Welche „Umbaumaßnahmen“ der Strukturwandel erfordert, konnte man bereits am Hauptsitz in Allendorf verfolgen. Dort startete Viessmann vor drei Jahren das Projekt „Effizienz Plus“ mit einem Investitionsvolumen von 220 Mio. Euro. Das Projektziel: Über die Wettbewerbsfähigkeit auch am Hochlohn-Standort Deutschland Arbeitsplätze zu sichern. Mit dem größten Teilprojekt, dem kompletten Neuaufbau der Produktion im Hauptwerk, wurden die Kapazitäten geschaffen, um den Strukturwandel im Wärmemarkt auch fertigungsseitig abzubilden. Mit schlanken, flexiblen und effizienten Strukturen und Prozessen nach dem japanischen Lean-Production-Ansatz entsteht noch bis Mai 2008 in Allendorf die „Fabrik des 21. Jahrhunderts“.
Vorbildlich für mindestens die nächsten zehn Jahre ist auch die neue Energiezentrale, die sich an die ebenfalls neue Viessmann Akademie anschließt. Mit dem Energiekonzept wird die Energieeffizienz des Werkes auf der Erzeuger- und der Verbrauchsseite deutlich gesteigert. Gleichzeitig werden vor Ort Öl- und Gas und extern Kohle durch erneuerbare Energien mit dem Schwerpunkt Biomasse substituiert. Unter Berücksichtigung externer Effekte (z. B. Energie für Dünger, Ernte und Aufbereitung der Biomasse) werden eine Einsparung von 40 % fossiler Energie (21 % über Effizienz, 19 % durch Substitution) und eine CO2-Minderung um ein Drittel gegenüber der Ausgangsbasis erreicht.
Stichworte des Energiekonzepts sind konsequente Abwärmenutzung, Aufbau einer modernen Versorgungsstruktur mit bedarfsgerechten Zonenregelungen, eine Optimierung der Gebäudehülle einschließlich der Ein- und Ausfahrten, Brennwertnutzung, Wärmepumpen, ein Blockheizkraftwerk, ein Hackschnitzel- und ein Pellet-Heizkessel, ein Hackschnitzelheizkessel mit angekoppeltem Stirlingmotor und Generator, ein Hackschnitzelheizkessel mit integrierter Dampfturbine (ORC) und Generator, eine Photovoltaikanlage, eine Solaranlage für Heizung und Klimatisierung mit Absorptionskältemaschine und eine Sorptionslüftung.
Unternehmen
Zur Sicherstellung eines angemessenen Wachstums in der Zukunft treibt Viessmann die Internationalisierung seines Geschäfts weiter voran. Auch vor dem Hintergrund des sich vollziehenden Strukturwandels in nahezu allen Ländermärkten werde deshalb „eine weitere Arrondierung des Produktangebots erfolgen“. Dies geschehe in Zukunft nicht nur durch organisches Wachstum, sondern vermehrt auch durch Akquisitionen, so Viessmann. Die starke Internationalisierung des Geschäftes sei auch der Grund für die kürzlich vorgenommene Verstärkung des Managements.
So wurde das bisherige Geschäftsführungsmodell durch einen Verwaltungsrat ersetzt. Als Vorsitzender des Verwaltungsrats will sich Dr. Martin Viessmann künftig mehr der strategischen Weiterentwicklung des Unternehmens widmen. Das operative Geschäft obliegt den Delegierten des Verwaltungsrates unter der Leitung von Peter Schenk als CEO (Chief Executive Officer) der Unternehmensgruppe. Schenk war zuletzt Vorstand der GEA Group AG und verantwortete dort das Kerngeschäft des Konzerns mit mehr als 4 Mrd. Euro Umsatz. Joachim Janssen, seit Juli 2007 im Unternehmen, verantwortet den Bereich Finanzen und Controlling. Janssen wechselte ebenfalls von der GEA Group AG.
2007 schwächelte der Heizungsmarkt in Deutschland merklich. Vorzieheffekte durch die Mehrwertsteuererhöhung und den Wegfall der Eigenheimzulage zum letzten Jahreswechsel, aber auch eine starke Verunsicherung der Endgebraucher und der warme Winter haben zu einem Minus von 25 % bei den verkauften Wärmeerzeugern geführt. Dem konnte sich Viessmann zwar nicht gänzlich entziehen, man habe aber geringere Rückgänge als der Gesamtmarkt und in bestimmten Segmenten seine Markanteile sogar ausbauen können, beispielsweise bei Wärmepumpen.
Der Vorjahresumsatz von knapp 1,4 Mrd. Euro wird in diesem Jahr voraussichtlich leicht übertroffen. Die Rückgänge im Inlandsgeschäft werden von dem auf rund 60 % gestiegenen Auslandsanteil kompensiert.
Akquisitionen
Der Zukauf von Firmen gehörte in der Vergangenheit nicht zur Unternehmensstrategie von Viessmann. Dies hat sich mit der Übernahme der Firmen Mawera (Ende 2006) und Köb (Anfang 2007) geändert. Schenk: „Dass wir jetzt auch auf Akquisitionen setzen, hängt mit dem Strukturwandel in der Energieversorgung zusammen. Mit organischem Wachstum und nur über Eigenentwicklungen wäre er nicht in der gebotenen Geschwindigkeit möglich. Bei unseren Akquisitionen gehen wir aber sehr sorgfältig vor. Zum einen muss die Technik stimmen, zum anderen muss auch ein gutes Management vorhanden sein.“
Mit den Zukäufen im größeren Leistungsbereich (Mawera stellt Biomassekessel bis 13 MW her) wird bei Viessmann das Anlagengeschäft künftig eine höhere Bedeutung erlangen. Dazu passt auch die Übernahme des Biogasspezialisten BioFerm Anfang Oktober. BioFerm ist Technologie- und Marktführer im Bereich Trockenfermentationsanlagen. Die Anlagen verwerten Reststoffe und Abfälle aus der Landschaftspflege und Landwirtschaft sowie Bioabfälle zur Herstellung von Biogas. Diese Rohstoffbasis vermeidet die vieldiskutierten Nutzungskonflikte mit der Nahrungsmittelproduktion. Schon im nächsten Jahr soll in Allendorf eine entsprechende Anlage errichtet werden, die Investitionen (ohne Grundstück) werden bei etwa 2,5 bis 2,7 Mio. Euro liegen, schätzt Schenk.
Ende November hat Viessmann den ungarischen Komponenten-Hersteller Uniwatt (Umsatz 2006: 5 Mio. Euro) übernommen. Das in Dombovár bei Pecs (Fünfkirchen) ansässigen Unternehmen stellt seit den 1960er Jahren Behälter, Wärmeübertrager und Kraftwerkskomponenten her. Das Unternehmen ist für seine außergewöhnlich hohe Qualität und sein Fertigungs-Know-how bis über die Grenzen Europas hinaus bekannt. Die mehr als 100 Mitarbeiter verfügen über eine hohe Qualifikation, insbesondere für den Bereich Schweißtechnik. Hintergrund dieser Übernahme ist die enorme Nachfrage nach den Holzfeuerungsanlagen von Mawera im oberen Leistungsbereich. Schenk: „Bei Mawera lag die Nachfrage deutlich über den vorhandenen Fertigungskapazitäten. Jetzt können wir die Lieferfähigkeit wieder dem Bedarf anpassen.“ Uniwatt wird künftig unter dem Namen „Viessmann Technika Dombovár Kft.“ firmieren.
Neben Biomasse gewinnt Solarthermie auch international an Bedeutung. Um dem Rechnung zu tragen, hat Viessmann im Juli die Firma Eurocon in Peking akquiriert. Zum einen, um eine preisgünstige Produktionsbasis für Röhrenkollektoren zu haben, zum anderen ist China im Abstand und auf absehbare Zeit der größte Solarmarkt weltweit. Es ist geplant, bei Eurocon die Produktion in den nächsten drei Jahren zu verzehnfachen.
Kooperation mit NABU
Welche Bedeutung Viessmann beim Thema Umweltschutz und der umweltverträglichen Nutzung erneuerbarer Energien schon heute hat und noch zukünftig gewinnen wird, verdeutlicht eine am 27. November in Allendorf mit dem Naturschutzbund Deutschland (NABU) besiegelte Zusammenarbeit. Sie beinhaltet die Unterstützung von Naturschutzprojekten des NABU durch Viessmann und auf Seiten des NABU die fachliche Beratung bei Umweltprojekten sowie bei der Erweiterung des Umwelt- und Nachhaltigkeitsengagements des Unternehmens.
Denn sowohl auf Erzeuger- als auch auf Verbraucherseite setzt Viessmann konsequent auf Energieeffizienz und verstärkt auf die Substitution fossiler Energieträger durch erneuerbare Energien. Dabei wird besonders beim Einsatz und der Nutzung von Biomasse ein neuer Ansatz verfolgt. Zukünftig deckt Viessmann die Hälfte seines Bedarfs von jährlich 7000 t Biomasse durch den Anbau von Pappeln auf 200 ha Kurzumtriebsplantage. Hier dürfte ein Beratungsschwerpunkt des NABU liegen. Denn beim Anbau und der Nutzung von Energiepflanzen, dürfen die Fehler der Landwirtschaft in der Vergangenheit nicht wiederholt werden, so NABU-Präsident Olaf Tschimpke. „Nur wenn wir das naturverträglich gestalten, erzielen wir einen hohen Effekt für die Umwelt.“
Viessmann Akademie
Der Strukturwandel in der Heizungsbranche führt auch zu einem steigenden Weiterbildungsbedarf bei den Marktpartnern und Mitarbeitern. Um dem gerecht zu werden – das Schulungsangebot nutzen jährlich 70000 Fachleute – hat das Unternehmen für 20 Mio. Euro die neue Viessmann Akademie mit rund 6000 m2 gebaut.
Im Obergeschoss befinden sich insgesamt zwölf Seminar- und Schulungsräume, die mit modernster Medientechnik ausgestattet sind und durch ein variables Wandsystem bedarfsgerecht dimensioniert werden können. In sieben Schulungsräumen steht die gesamte Produktpalette des Viessmann Komplettprogramms in Betrieb für Produktschulungen bereit. Neben den Brennwert-Wärmeerzeugern für Öl und Gas nehmen die regenerativen Energiesysteme großen Raum ein.
Im Erdgeschoss befinden sich das Foyer, ein Infopoint sowie ein Restaurant für bis zu 260 Gäste. Auch hat hier der neue Verkaufsbereich des Viessmann Sportshop Platz gefunden. Die Akademie mit der angeschlossenen Energiezentrale ist Teil des neuen Viessmann Infocenters mit der Galeria und der Via Temporis. In der Ausstellung Galeria erhält der Besucher einen Einblick in den Markenkern des Unternehmens. Einen Blick in die Geschichte der Viessmann Werke bietet das Unternehmensmuseum „Via Temporis“, das völlig umgestaltet wurde. Hier sind Originale und Modelle heiztechnischer Meilensteine sowie einzigartige historische Dokumente ausgestellt.
Mit der angegliederten Energiezentrale ist die Akademie aber nicht nur ein Schulungszentrum für Branchenakteure, sondern zugleich auch ein Demonstrationsobjekt für politische Entscheidungsträger. Viessmann: „Wir wollen im eigenen Haus vorführen, was jede Firma und jeder Haushalt durch gezielte Investitionen für das Klima und die Minderung der Energiekosten tun kann. Unsere neue Energiezentrale soll deshalb Modellcharakter für andere produzierende Unternehmen haben.“ Jochen Vorländer