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- Die Auslegung von Entrauchungsanlagen mit Unterdruck gemäß der noch gültigen Norm DIN 18 232-5 birgt große Risiken:
- Durch die vom Gesetzgeber verlangte Dichtheit von Gebäudehüllen (EnEV) kann beim Absaugen von Brandgasen nicht genug Außenluft durch Gebäudeleckagen nachströmen.
- Dadurch kann es innerhalb weniger Sekunden zu einem so großen Unterdruck auf einer Brandetage kommen, dass die Türen zum rettenden Sicherheitstreppenraum nicht mehr zu öffnen sind.
- Um diese Gefahr auszuschließen, sollten Planer heute schon die Vorgaben übernehmen, die DIN EN 12 101 für Überdruckanlagen bereits verbindlich festlegt und eine elektronische Regelung der Ventilatoren einsetzen.
Im Untergeschoss eines Neubaus soll ein moderner Nachtclub zum neuen Szenetreff werden. Außer den typischen Zutaten wie einer bombastischen Audio-Video-Anlage, Lichteffekten und thematisch gestalteten Nischen ist selbstredend auch an die beste Sicherheitstechnik gedacht: ausreichend viele Notausgänge, alle gut zu erreichen, und eine Brandmeldeanlage schaltet die Sicherheitssysteme. Aber zur unangenehmen Überraschung der Planer und des Betreibers fällt der Club bei der Brandschutzabnahme durch! Das Problem: Der Entrauchungsventilator saugt zwar passend zur Raumgröße ausreichend Luftvolumen ab. Doch durch den dabei entstehenden Unterdruck lassen sich die Fluchttüren nicht mehr öffnen.
Entrauchungsanlagen
Dieses tatsächliche Fallbeispiel unterstreicht die Notwendigkeit, bei der Entrauchung durch Unterdruck die gleichen Planungsgrundsätze anzuwenden wie bei der Auslegung von Überdruckanlagen (siehe TGA 07-2017, Webcode 772328. Und diese sind:
- Wird zur Flucht aus einem Brandraum die Tür zum Sicherheitstreppenhaus geöffnet, muss Luft mit einer Geschwindigkeit von mindestens 0,75 m/s bzw. 2 m/s in den Brandraum strömen, um die Rauchgase an einem Übertritt ins Treppenhaus zu hindern.
- Um die erforderliche Strömungsgeschwindigkeit an den Türen herzustellen, muss zwischen Sicherheitstreppenraum und Brandraum ein Differenzdruck von mindestens 15 Pa herrschen. Die Höchstgrenze beträgt 50 Pa (bzw. maximal 100 N gemessene Türöffnungskraft), da sonst die Türen von den Flüchtenden nicht mehr zu öffnen sind.
- Durch die willkürliche Öffnung von Fluchttüren ändern sich die Druckverhältnisse ständig. Innerhalb von drei Sekunden muss der Differenzdruck vom Sicherheitstreppenraum zum Brandraum zu 90 % wiederhergestellt sein.
Diese Vorgaben aus DIN EN 12 101-6 sind bekannt, gelten aber derzeit nur für Überdruckanlagen. Unterdruckanlagen hingegen, also klassische Entrauchungsanlagen, werden zwar künftig im Teil 11 der Norm geregelt. Allerdings ist dieser Abschnitt noch im Entwurfsstadium und somit nicht rechtskräftig. Stand heute sind Entrauchungsanlagen nach DIN 18 232-5 auszulegen.
Eine Begrenzung der Türöffnungskräfte ist hier allerdings nicht berücksichtigt. Lediglich die maximale Zuluftgeschwindigkeit ist Teil dieser Norm. Doch in Anbetracht immer dichter gebauter Gebäude ist eine differenzierte Regelung von Entrauchungsventilatoren zwingend erforderlich. Das machen nicht nur das eingangs erwähnte Fallbeispiel, sondern auch überschlägige Berechnungen deutlich.
Wechselwirkung mit Gebäudedichtheit
Gemäß EnEV 2014/16 ist in Gebäuden mit einer Raumlufttechnischen Anlage eine hüllflächenbezogene Luftdurchlässigkeit (q50) von höchstens 2,5 m3/(m2 h) zulässig. Eine vereinfachte Beispielrechnung auf Basis eines Objekts mit einer Grundfläche von 50 × 40 m und einer Höhe von 60 m macht die Wechselwirkung mit der Absaugung von Rauch im Brandfall deutlich: Der zulässige Leckagestrom beträgt bei dieser Hüllfläche 37 000 m3/h.
Bei einem Rauminhalt von 120 000 m3 müsste ein passend dimensionierter Entrauchungsventilator aber ein Volumen von etwa 80 000 m3/h fördern können. Ungeregelt würde der Ventilator somit etwa 12 m3/s mehr absaugen, als Frischluft durch Gebäudeleckagen nachströmen kann. Das bedeutet, jede Sekunde steigt die Druckdifferenz zum Treppenraum um 10 Pa an. Nach nur 5 s herrscht somit im Brandraum ein Unterdruck von 50 Pa. Bei einer Türengröße von 2 m2 sind dann schon die maximal zulässigen Türöffnungskräfte überschritten 3. Nach nur einer Minute sind bereits mehr als 1200 N erforderlich, um die Fluchttür zu öffnen – also ein Kraftaufwand, der die Eigenrettung unmöglich macht.
Saugt der Ventilator bis zur Pumpgrenze und kommt es zu einem Abriss der Luftströmung, resultieren daraus im weiteren Verlauf auch Hindernisse für die Fremdrettung: Die Entrauchung im Brandraum ist nicht mehr sichergestellt. Und an den Türen fehlt die erforderliche Strömungsgeschwindigkeit, um durch das Nachströmen von Luft aus dem Sicherheitstreppenraum einen Übertritt von Rauch zu verhindern. Das verzögert den Zugang der Feuerwehr zum Brandherd.
Differenzdruckregelung sichert Rettung
Im Entwurf zur Norm DIN EN 12 101-11 sind deshalb für Entrauchungsanlagen die gleichen Bedingungen wie für Rauchdruckanlagen (Strömungsgeschwindigkeiten an der Türöffnung, Türöffnungskräfte, minimaler und maximaler Differenzdruck zwischen Sicherheitstreppenraum und Brandraum) definiert.
Unabhängig davon, wann dieser Normenteil gültig wird, ist es im Sinne der Lebensrettung, bei Unterdruckanlagen diese Werte bereits heute einzuhalten. Zumal die gleiche Regelungstechnik eingesetzt werden kann, wie sie sich auch schon bei Überdruckanlagen durchgesetzt hat: das Zusammenspiel von elektronischer Differenzdruckregelung und Ventilatoren mit EC-Motor 4.
Dabei wird ein Drucksensor an geeigneter Stelle im Entrauchungsraum platziert. Die realen Druckverhältnisse im Brandfall wertet eine Steuerung aus und regelt danach die Dreh-zahl des Entrauchungsventilators mit EC-Motor oder Frequenzumformer. Somit wird nur so viel Volumen aus dem Brandraum abgesaugt, wie der maximale Differenzdruck von 50 Pa zum Treppenraum bzw. die Höchstgrenze von 100 N für die Türöffnung zulässt. Andererseits stellt die Differenzdruckregelung auch den Mindestdruck sicher, damit bei geöffneten Fluchttüren ausreichend Luft nachströmt und so der Rauchübertritt in den Treppenraum unterbunden wird.
Über- und/oder Unterdrucksysteme?
Mit Blick auf die Investitionskosten ist in Gebäuden mit wenigen Geschossen die Installation eines einzigen Systems zur Rauchfreihaltung von Treppenräumen zu empfehlen. In Deutschland wird in der Regel Überdruckanlagen der Vorzug gegeben: Sie fördern Außenluft in den Treppenraum. Öffnen Personen bei der Flucht Türen, strömt Luft in den Brandraum und drückt dabei den Rauch aus einer Öffnung in der Fassade ins Freie – oft durch ein motorisch geöffnetes Fenster.
Ab einer Gebäudehöhe von etwa 20 m sind jedoch Unterdrucksysteme von Vorteil. Der Hintergrund: Windlasten können den Rauchabzug über Fassaden- oder andere Gebäudeöffnungen behindern oder sogar verhindern. Eine ventilatorgestützte Entrauchung über Schächte mit Dachauslass umgeht diese Problematik. In England werden solche Überdruckanlagen beispielsweise bevorzugt. Eine Einführung auch in Deutschland ist zu diskutieren und sicherlich eine interessante Alternative.
Die baulichen Gegebenheiten entscheiden darüber, ob das ausschließliche Absaugen von Brandgasen möglich ist oder eine Kombination mit einem Überdrucksystem mehr Sicherheit bietet. Das Zusammenspiel von Über- und Unterdrucksystem muss dabei von einer Steuerung und einem Referenzpunkt der Druckmessung gesteuert werden 6 7 8. Jeweils autark arbeitende Systeme würden aufgrund der Trägheit der Luftströmungen im Regelungsverlauf unkontrolliert oszillieren. Denn die Norm sieht zur Aufrechterhaltung der geforderten Druck- und Strömungsverhältnisse im Treppenraum eine Reaktionszeit von 3 s vor.
Fußnoten
1) Teil 1 ist in TGA 07-2017 erschienen: Webcode 772328
Elektronische Sensoren sind präziser als mechanische Regelklappen
Um einen unzulässig hohen Unterdruck in einen Brandraum zu verhindern, finden neben elektronischen auch mechanische Regelungen Anwendung. Bei diesen Systemen läuft der Brandgasventilator, installiert in oder am Ende eines Schachts, mit konstanter Drehzahl. Am Schachtauslass auf dem Dach befindet sich eine Hutze mit Regelklappen. Über Federn und Gewichte werden die Klappen auf einen maximalen Druck eingestellt, die – wie ein Ventil – den Luftaustritt begrenzen.
Solche mechanischen Regelungen zeigen jedoch neben einer sehr aufwendigen Wartung auch Nachteile in puncto Sicherheit: Die Mechanik ist äußeren Einflüssen ausgesetzt, sodass sich allein dadurch das Regelverhalten ändern kann. Darüber hinaus verändern sich im Brandverlauf durch den Temperaturanstieg der Rauchgase Parameter, die eine dynamische Anpassung der Absaugung erfordern. Sonst besteht das Risiko der schnellen Verrauchen einer Brandetage und somit einem verkürzten Zeitfenster zur Eigenrettung 4.
Dipl.-Ing. (FH) Reiner Kelch
ist System- und Applikationsmanager bei Systemair, Boxberg-Windischbuch, www.systemair.de