Im Falle eines Brandes haben Leitungsanlagen einen bedeutenden Einfluss auf die Sicherheit in Gebäuden. Das Gefährdungspotenzial steigt mit der Anzahl der Leitungen und den Dimensionsstärken. Durch die umfangreichen Dämmungen entsprechen heute selbst kleine Trinkwasserdimensionen den Dimensionen von Abwasserleitungen. Die Anzahl der Leitungen mit unterschiedlichen Aufgaben, verschiedenen Materialien und Medien macht die Leitungsanlage im Brandfall schnell zu einer ernsthaften Bedrohung. Dessen ungeachtet werden meist nur Abschottungsmaßnahmen betrachtet, ohne die komplexen anlagenspezifischen Aufgaben und Eigenheiten und deren Einfluss auf Gefährdungspotenziale zu berücksichtigen.
Dies kann folgenschwere Auswirkungen haben. Im Folgenden wird deswegen diese Vorgehensweise infrage gestellt. Das soll dazu anregen, eine Leitungsanlage nicht allein aus Sicht des Abschottungsprinzips zu betrachten, sondern den Fokus durch eine ganzheitliche Sichtweise auf die Schutzziele zu lenken. Sie müssen die Grundlage für die Planung und Ausführung darstellen. Die grundlegenden Schutzziele finden sich in der Musterbauordnung (siehe Kasten). Sie sollen insbesondere sicherstellen, dass Leben und Gesundheit unter keinen Umständen gefährdet werden.
Die Leitungsanlage
Eine Leitungsanlage geht mit einem Gebäude eine Verbindung ein. Leitungen müssen bei der Durchführung von raumabschließenden Bauteilen abgeschottet werden. Dieses Abschottungsprinzip hat sich bezüglich der Vermeidung der Brandausbreitung durchgesetzt. Deswegen wird häufig irrtümlich davon ausgegangen, dass die Abschottung von Durchführungen durch raumabschließende Bauteile für den Schutzanspruch genügt.
Die Abschottungsmaßnahmen von Leitungsanlagen werden in der Muster-Leitungsanlagenrichtlinie (MLAR) geregelt. In Verwendungsnachweisen werden auf weitere Kriterien z.B. auf die Gefährdung durch Temperaturleitung oder Befestigungen hingewiesen.
Die Leitungsanlage ist aber auch ein funktionales System, welches Einfluss auf die Sicherheit ausüben kann und damit eine Betrachtung in Verbindung und Wechselwirkung mit dem Gebäude notwendig macht. Regelwerke können nicht alle Bausituationen abdecken oder gar den Baubeteiligten ihre Verantwortung oder das Nachdenken abnehmen. Das kritische Hinterfragen kann lebenswichtig sein, wie nachfolgendes Beispiel zeigt. Es zeigt stellvertretend, welche komplexen Einflüsse bei einer Leitungsanlage mitunter berücksichtigt werden müssen, um die Schutzziele insgesamt gewährleisten zu können. Aber auch, um die Nutzung eines Gebäudes nach einem lokalen Brand nicht infrage zu stellen.
Brandschutz im Krankenhaus
Eine Evakuierung über die Treppenräume ist die standardisierte grundsätzliche Forderung und Vorgehensweise beim Brandschutz im Krankenhaus. Die meistens eingeschränkte Mobilität der Patienten führt allerdings dazu, dass Patienten bei Ausbruch eines Feuers oder beim Eindringen von Rauch aus den Gefährdungsbereichen evakuiert werden, aber im selben Gebäude bzw. auf derselben Etage verbleiben.
Für Patienten, die nicht selbstständig flüchten können, müssen weitere Maßnahmen durch das Personal getroffen werden. Gleiches gilt für Patienten in intensivmedizinischen Einrichtungen. In der Regel können diese Patientengruppen im Brandfall nicht unverzüglich evakuiert werden. Beispielsweise können Operationen nicht beliebig unterbrochen werden und es muss der reibungslose Weiterbetrieb von operationstechnischen und bei der Intensivbehandlung von lebenserhaltenden medizinischen Geräten sichergestellt sein. Ein Ausfall dieser Anlagen würde Gesundheit und Leben der Patienten hochgradig gefährden und wäre eine krasse Missachtung der oben ausgeführten Schutzziele.
Brandschutz für den Intensivbereich
Da eine plötzliche Evakuierung der Intensivbereiche durch die notwendige Vorbereitung der Patienten für eine Verlegung nicht durchführbar ist, muss eine Räumung möglichst vermieden oder zumindest auf kleine Bereiche beschränkt werden.
Als eigener gesicherter Bereich ausgebildet, kann bei zusätzlicher Funktionssicherung notwendiger Medien bei einem Brandfall außerhalb des Intensivbereichs der Betrieb aufrechterhalten werden. Dadurch entsteht aber auch ein Funktionsanspruch der hochwertigen technischen Geräte mit der umfangreichen Medienversorgung (Strom, Wasser, Gase und Datenleitungen). Damit wird deutlich, dass jede Anlage auf die individuellen spezifischen Anforderungen ausgelegt werden muss und sich jeder globalen Einteilung entzieht.
Medizinische Gase
Im Intensivbereich werden medizinische Gase zur Aufrechterhaltung lebensnotwendiger Funktionen bei den Patienten eingesetzt. Die MLAR 2005 bietet dazu keine gesonderten Aussagen hinsichtlich der Verlegung und Abschottung. In Kommentaren, Anwendungsempfehlungen und Praxisbeispielen wird hauptsächlich auf die bauaufsichtlichen Anforderungen (Abschottung und Verlegung der Leitungen in Rettungswegen) und der Unterbrechung der Medienzufuhr im Brandfall eingegangen. Ein Abschalten von Medien darf ohne eine Abklärung mit dem zuständigen Klinikpersonal nicht erfolgen.
Bei genauerer Betrachtung werden diese Ausführungen den Schutzzielanforderungen bei medizinischen Gasen aber nicht gerecht. Welche Anforderungen müssen zusätzlich erfüllt werden?
Das Leitungssystem
Im Brandfall ist im Intensiv- oder OP-Bereich die technische Versorgung durch provisorische Maßnahmen nicht zu bewerkstelligen. Hier ist in jedem Fall ein Funktionserhalt notwendig. Das hat Einfluss auf die Leitungsverlegung.
Die Versorgung mit medizinischen Gasen erfolgt meistens über eine zentrale Einrichtung und ein Ringleitungsnetz. Dadurch kann das System auch betrieben werden, wenn einzelne Abschnitte ausfallen.
Obwohl die Zentrale als ein eigener Brandabschnitt ausgebildet ist, kann eine durchgehende Versorgung der Intensivstationen nicht sichergestellt werden. Im Notfall müssen Flaschensysteme die Gasversorgung für einen bestimmten Zeitraum übernehmen. Als redundante (Redun-danz bezeichnet hier das Vorhandensein vergleichbarer Ressourcen eines technischen Systems) Systeme für die Operations- und Intensivabteilungen sind meist Flaschenbatterien für eine Funktionsdauer von 90 Minuten im Brandabschnitt vorhanden.
Leitungsführung
Gase, die z.B. für die Beatmung der Patienten in Intensiv- und OP-Abteilungen erforderlich sind, dürfen wegen ihrer lebensnotwendige Funktion nicht ausfallen. Die Leitungstrassen für medizinische Gase führen bei einer zentralen Versorgung aber zwangsläufig durch fremde Brandabschnitte. Bei einer offenen Verlegung werden damit bereits Schutzziele verletzt: Die ungeschützten Leitungen sind den Brandeinflüssen ausgesetzt. Das Medium wird damit auf unzulässige Temperaturen erwärmt. Eine Funktionssicherheit der daran angeschlossenen Apparate ist nicht mehr gegeben und es ist nicht auszuschließen, dass diese Gase in die Organe der Patienten gelangen.
Das bedeutet, dass diese Leitungen gegenüber unzulässiger Erwärmung geschützt werden müssen. Dafür muss die brandschutztechnische Verkleidung bewertet werden. Klassifizierte Bauteile sind hierzu nicht ausreichend, da derartige Bauteile bei der Brandbeaufschlagung Temperaturen von ca. 200 °C (maximale Temperaturerhöhung von 180 K auf der feuerabgewandten Seite) auf der flammenabge-wandten Seite zulassen. Eine Funktionsfähig-keit der Leitung für medizinische Gase ist damit nicht gegeben.
Auch unter der Voraussetzung, dass nach dem Brandfall der Betrieb in den nichtbetroffenen Abteilungen fortgesetzt werden soll, ist eine offene Verlegung zu überdenken. Werden z.B. in einem Brandfall in einem Brandabschnitt Brandabschottungen ausgelöst, die die Rohrleitung verschließen (Bild 2), ist diese Leitung auch nach dem Brandereignis nicht mehr funktionsfähig. Ein lokaler Brandfall könnte so die Funktion eines Gebäudes einschränken oder aufheben.
Fazit
Die Beispiele stehen exemplarisch für eine Vielzahl von Bausituationen. Allein die Berücksichtigung von Rohrdurchführungen, Baustoffklassen und Befestigungen reicht nicht aus, um die elementaren Schutzziele des Brandschutzes zu erfüllen. Die Musterbauordnung verlangt nicht (nur) die Erfüllung von bauaufsichtlichen Regeln, sondern die sorgfältige Be-schäftigung mit den spezifischen Eigenschaften der Leitungsanlage und entsprechende Brandschutzmaßnahmen. Jede technische Regel stellt immer nur den Mindeststandard dar und kann Planern und Ausführenden nicht die mit der Musterbauordnung auferlegte Verantwortung abnehmen, alle Eventualitäten zu durchdenken. Abschottungen verhindern die Ausbreitung von Feuer und Rauch. Der Brandschutz für eine Leitungsanlage kann aber deutlich mehr als diesen Mindeststandard verlangen.
Die Darstellung stellt ein Anwendungsbeispiel aus der Seminarreihe „Brandschutz bei Leitungsanlagen“ (Haus der Technik, https://www.hdt.de/ ) dar. Vom Autor werden in diesen Seminaren nicht nur die allgemeinen bauaufsichtlichen Regeln behandelt, sondern auch anhand von spezifischen Beispielen die komplexen Einflüsse von Leitungsanlagen abgebildet.
Gerhard Lorbeer, brandschutzfrage@web.de,
Schutzziel in der Musterbauordnung
Aus der Musterbauordnung (MBO) Fassung 2002:
§ 3 Allgemeine Anforderungen
Anlagen sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden.
§ 14 Brandschutz
Bauliche Anlagen sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch (Brandausbreitung) vorgebeugt wird und bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind.
§ 40 Leitungsanlagen, Installations-schächte und -kanäle
Leitungen dürfen durch raumabschließende Bauteile, für die eine Feuerwiderstandsfähigkeit vorgeschrieben ist, nur hindurchgeführt werden, wenn eine Brandausbreitung ausreichend lang nicht zu befürchten ist oder Vorkehrungen hiergegen getroffen sind; […]
Durch § 3 MBO werden die übergeordneten Schutzziele dargestellt. Anforderungen in Richtlinien stellen einen Mindeststandard dar. Bei Bedarf werden die Schutzziele durch weitergehende Maßnahmen eingefordert.