Neon und LichtBlick haben in einer Studie zum Strommarktdesign modelliert, wie sich Preissicherheit und Flexibilität (Lastverschiebung) verbinden lassen. Es zeigt sich allerdings auch, dass die EU-Strommarktreform dezentrale Flexibilität durch die Forderung nach Festpreisverträgen konterkariere.
Der Artikel kompakt zusammengefasst
■ Mit einem Stromtarif, der das jährlich vereinbarte Volumen auf einzelne Stunden aufteilt, können gleichzeitig Preissicherheit und Preisanreize für eine Lastverschiebung realisiert werden.
■ Insbesondere Haushalte mit elektrisch angetriebener Heizungs-Wärmepumpe und / oder eigener Ladestation könnten von einer Verlagerung des Stromverbrauchs in günstige Stunden bzw. von einer Vermeidung teurer Stunden profitieren.
■ Der vereinbarte Stromverbrauch wird zum vereinbarten Preis – unabhängig von Preisschwankungen an der Börse – abgerechnet. Mehr- oder Mindermengen gegenüber dem abgesicherten Verbrauchsprofil werden zu aktuellen Spotpreisen abgerechnet bzw. erstattet.
Ein Schlüssel zum Erfolg der Energiewende liegt in der Flexibilität des Energieverbrauchs. Sowohl die Verschiebung der Nachfrage als auch das Einsparen von Energie in Zeiten der Knappheit sind entscheidende Faktoren. Eine von der Berliner Beratungsfirma Neon Neue Energieökonomik gemeinsam mit dem Energieversorger LichtBlick durchgeführte Studie zeigt nun, wie ein neuer Tarif Preisanreize schafft und gleichzeitig Sicherheit bietet, um die Energiewende durch dezentrale Flexibilität (z. B. der Betrieb von Wärmepumpen und das Laden von Elektroautos) voranzutreiben. Der Tarif würde also auch in anderen Sektoren die Energiewende beschleunigen.
Markus Adam, General Counsel bei LichtBlick: „In der aktuellen Strommarktdiskussion kommen marktliche Ideen viel zu kurz, dabei können auch sie Verbraucher vor hohen Kosten schützen. Dafür braucht es keine Abschöpfung von Einnahmen, sondern vor allem eine rasche Digitalisierung und den flächendeckenden Einsatz von Smart Metern, um diese Lösungen schnell abbildbar zu machen.“ Lion Hirth von Neon: „Mit der Studie zeigen wir, dass beides möglich ist: Transparenz bei der Stromrechnung und die Verknüpfung mit finanziellen Anreizen für intelligentes Laden von Elektroautos und anderen Flexibilitäten. Das würde den Fortschritt der Energiewende beschleunigen.“
Definiertes Volumen mit stündlichem Verbrauchsprofil
Vergleichbar mit Mobilfunktarifen, bei denen ein bestimmtes Datenvolumen festgelegt wird, definiert der dynamische Tarif mit Preisgarantie ein jährliches Energievolumen. Im Unterschied zum Mobilfunk ist hierbei jedoch der genaue Zeitpunkt des Verbrauchs von Bedeutung: Das Volumen wird auf einzelne Stunden aufgeteilt, sodass sich für jede Stunde der Vertragslaufzeit eine garantierte Strommenge ergibt.
Haushalte, die sich an den vereinbarten Stromverbrauch halten, zahlen genau den vereinbarten Preis – unabhängig von Preisschwankungen an der Börse. Damit sind sie für die vereinbarte Menge vollständig gegen Preisspitzen abgesichert. Bei Abweichungen zwischen tatsächlichem und vereinbartem Verbrauch werden die Mehr- oder Mindermengen zu aktuellen Spotpreisen abgerechnet bzw. erstattet. Der Anreiz für Einsparungen und Lastverschiebungen wird somit immer durch den Spotpreis bestimmt – unabhängig vom zuvor abgesicherten Profil.
Eingesparte Energie wird zu Marktpreisen verkauft
Mit dem Modell können Haushalten nicht nur Preisspitzen umgehen, sondern auch finanziell profitieren. Werden beispielsweise beim Laden des Elektroautos teure Abendstunden vermieden, wird der Minderverbrauch gegenüber dem vordefinierten Profil mit dem vollen Spotpreis der entsprechenden Stunden vergütet (z. B. 30 Ct/kWh). Wird das Auto dagegen während der sonnenreichen Mittagsstunden geladen, wird nur der deutlich niedrigere Preis dieser Stunden (z. B. 5 Ct/kWh) fällig.
Die Langfristszenarien des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zeigen, wie wichtig dezentrale Flexibilität für die Energiewende ist: Aktuell umfasst sie lediglich 25 % der flexiblen Kraftwerksleistung, bis zum Ende dieses Jahrzehnts wird dieser Anteil voraussichtlich auf 350 % steigen.
Bis 2045 wird ein weiterer Anstieg auf 630 % der Kraftwerksleistung erwartet. Die gesamte dezentrale Flexibilität übersteigt bei weitem nicht nur die verfügbare Kraftwerksleistung, sondern auch die installierte Leistung großtechnischer Flexibilitätsoptionen wie Elektrolyseure, Großbatterien und Power-to-Heat-Anlagen in Fernwärmenetzen.
Regulatorische Hemmnisse bremsen das Potenzial aus
Um die in der Studie skizzierten dynamischen Tarife mit Preisabsicherung einzuführen, sind nach Angaben von LichtBlick an verschiedenen Stellen regulatorische Anpassungen sinnvoll:
1. Preisflexibilität und Eigenverantwortung statt Fixierung und staatliche Eingriffe: Die aktuelle EU-Strommarktreform setzt auf fixe Tarife und staatliche Interventionen in die Endkundenpreise, statt flexiblere Preismodelle und privatwirtschaftliche Absicherung zu fördern. Dieser Ansatz schränkt das volle Potenzial der Flexibilisierung ein und verringert den Anreiz für private Vorsorge.
2. Dynamische Tarife als Standard in der Grundversorgung: Eine zukünftige wettbewerbliche Grundversorgung könnte dynamische Tarife mit Preisabsicherung als Standard für flexible Anlagen wie Wärmepumpen und Elektroautos etablieren. Dies hätte zur Folge, dass mehr Geräte Anreize für preisoptimiertes Laden und Heizen bieten, was den Einsatz dieser Technologien fördern würde.
3. Kopplung von Förderungen und Tarifen: Eine vielversprechende Idee wäre die Kopplung von Förderprämien für Ladepunkte und Wärmepumpen an die Nutzung von Tarifen mit Preisabsicherung. Diese Maßnahme könnte eine verbesserte Reaktion auf Knappheit fördern und damit insgesamt zu einer optimierten Energieversorgung beitragen.
4. Erlaubnis längerer Vertragslaufzeiten: Um eine langfristige Absicherung der Stromkosten zu gewährleisten, sollten Vertragslaufzeiten von 2 bis 5 Jahren ermöglicht werden. Eine Vertragslaufzeit von nur ein oder zwei Jahren kann zwar einen wirksamen Schutz gegen kurzfristige Preissprünge bieten, z. B. bei einer Dunkelflaute oder einer kalten Dunkelflaute. Der Schutz gegen größere Energiepreiskrisen, wie in den Jahren 2021/22, ist dann jedoch begrenzt.
5. Förderung von PPAs und langfristigem Risikomanagement: Die EU-Strommarktreform setzt den Schwerpunkt auf langfristige Verträge (Power Purchase Agreements – PPAs) und verpflichtet Energieversorger zu langfristigem Risikomanagement (Hedging). Allerdings können Energieversorger auf der Einkaufsseite nur dann langfristige PPAs abschließen, wenn sie auch auf der Verkaufsseite langfristige Verträge mit Endkunden abschließen dürfen. Dieser Ansatz könnte den Ausbau erneuerbarer Energien fördern und insgesamt zu mehr Stabilität im Strommarkt führen.
Unabhängig von möglichen regulatorischen Anpassungen will LichtBlick die Weiterentwicklung dynamischer Tarife vorantreiben. Im B2B-Bereich gibt es bereits Produkte, die eine jährliche Strommenge absichern und Börsenstrompreise zur Abrechnung nutzen. Zudem erlaubt der rechtliche Rahmen hier Vertragslaufzeiten von bis zu fünf Jahren. Die praktischen Erkenntnisse und Konzepte aus der durchgeführten Studie Stromtarife für Preissicherheit und Flexibilität sollen in den kommenden Monaten ausgebaut werden.
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