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HOAI-Klageverfahren vor dem EuGH

HOAI: Mindest- und Höchstsätze angezählt

Kompakt informieren

  • Die EU-Kommission hat Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt, weil sie die in der HOAI geregelte Vereinbarung von Mindest- und Höchsthonoraren als unverhältnismäßiges und nicht gerechtfertigtes Hindernis im Bereich der freiberuflichen Dienstleistungen und als Verstoß gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie bewertet.
  • Im vorletzten Akt des Vertragsverletzungsverfahrens hat auch der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen zum Ausdruck gebracht, dass er die Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze der HOAI für unvereinbar mit dem EU-Recht hält.
  • Der Europäische Gerichtshof ist an das Votum des Generalanwalts nicht gebunden, allerdings folgt er sehr häufig den Empfehlungen des Generalanwalts. Dann müsste Deutschland das Urteil sofort umsetzen und den oder die Verstöße abstellen.

Im Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat Generalanwalt Maciej Szpunar in seinen am 28. Februar 2019 veröffentlichten Schlussanträgen zum Ausdruck gebracht, dass er die Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze der HOAI für unvereinbar mit dem EU-Recht hält. Das ist zwar noch keine Entscheidung, das Gericht ist an das Votum des Generalanwaltes nicht gebunden, aber sehr häufig folgt der Europäische Gerichtshof den Empfehlungen des Generalanwalts. Mit einer Entscheidung ist in drei bis sechs Monaten zu rechnen, es könnte aber auch bis zum 3. Quartal 2019 dauern.

Die Berufsorganisationen der Planer und Architekten haben sich enttäuscht über die Schlussanträge und ihre Begründung geäußert. So teilte etwa der Verband Beratender Ingenieure VBI mit, dass er die Rechtsauffassung des Generalanwalts nicht teile. Die von deutscher Seite vorgebrachten Argumente für eine Beibehaltung der entsprechenden Regelungen in der HOAI seien schlüssig, so der VBI in einer ersten Stellungnahme. Die Vorschriften der HOAI, insbesondere die Leistungsbilder, hätten sich als wertvolles Gerüst und als Richtschnur für das Planen und Bauen in Deutschland über Jahrzehnte hinweg etabliert, sie seien für Auftraggeber und Auftragnehmer ein verlässlicher Rahmen und eine Anleitung für das Planen und Bauen in Deutschland.

Gute Argumente, diese aber nicht belegt

Viele der in dem Prozess vorgetragenen Argumente pro HOAI sind aus Sicht der Planer und Auftraggeber unbestritten logisch. Das bedeutet aber nicht, dass die Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen in den Punkten Mindest- und Höchstsätze sowie Niederlassungsfreiheit mit den Buchstaben des höherrangigen EU-Rechts vereinbar ist. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) lässt nur einen sehr geringen Spielraum für festgesetzte Mindest- und / oder Höchstpreise durch Dienstleistungserbringer.

Diesen Spielraum hat Deutschland in seinen Vorbringungen nach der Bewertung des Generalanwalts nicht genutzt, allein fünf Absätze aus den Schlussanträgen blamieren die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland vor den europäischen Gerichten:

„92. Die Geeignetheit von Mindestpreisen zur Förderung der Qualität der betreffenden Dienstleistungen muss daher, wie die Kommission zu Recht geltend macht, für jeden Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände belegt werden.

93. Diesem Anspruch wird die Bundesrepublik Deutschland jedoch nicht gerecht. Statt darzutun, dass die geltenden Bestimmungen der HOAI geeignet sind, eine hohe Qualität von Architektur- und Ingenieurdienstleistungen zu erreichen, beschränkt sie sich auf allgemeine Erwägungen und Vermutungen.

94. Statt nachzuweisen, dass die Abschaffung von Mindestpreisen zu einer Absen-kung des Qualitätsniveaus führen würde, setzt sie dies voraus und stützt ihr Vorbringen darauf. […]

100. Es ist unbestreitbar, dass zwischen Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger eine Informationsasymmetrie besteht. Die Bundesrepublik Deutschland leitet aus dieser abstrakten und unbestritte-nen Erkenntnis ab, dass Mindestpreise eine solche Asymmetrie in konkreten Fällen beseitigen.

101. Sie hat dem Gerichtshof technische Expertisen zur Festsetzung der Honorare in der HOAI vorgelegt. Diese belegen jedoch nicht ihre Argumentation. Nirgendwo wird nachgewiesen, dass ein System ohne Mindestpreise zu einem Marktversagen führen würde, bei dem Dienstleistungen guter Qualität den Markt verlassen und durch solche niedrigerer Qualität ersetzt würden. Nirgendwo wird nachgewiesen, dass gute Qualität nicht durch das übliche System von Angebot und Nachfrage gewährleistet werden kann.“

Außerdem führt Szpunar an: „In den Sektoren, in denen die Dienstleistungserbringer besonders gut qualifiziert sind und strengen Bedingungen hinsichtlich ihrer Qualifikation unterliegen, wird Preiswettbewerb häufig als Bedrohung angesehen. Wie Preiswettbewerb diese besonders gut qualifizierten Menschen vom ‚Paulus zum Saulus‘ wandeln soll, bleibt ein Rätsel.“

Am Ende empfiehlt der Generalanwalt, „der Gerichtshof sollte erklären, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt verstoßen hat, indem sie Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren durch die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure zwingenden Mindest- und Höchstsätzen unterworfen hat und der Bundesrepublik Deutschland die Kosten auferlegen.“

Dabei war eigentlich seit Langem klar, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Argumentation schärfen muss, um die Vorwürfe des im Juni 2015 von der EU-Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens zu entkräften: Rund 85 % aller Vertragsverletzungsverfahren werden vor der Anrufung des Europäischen Gerichtshofs geklärt.

GroKo: HOAI ist unverzichtbar

Sollte der EuGH in seiner Entscheidung dem Generalanwalt folgen, bleibt zu hoffen, dass Berlin zügig reagiert, um den Fortbestand der HOAI zu sichern. Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD ein klares Bekenntnis abgelegt: „Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) ist ein unverzichtbares Instrument zur Sicherung von Bauqualität und Baukultur und Voraussetzung eines fairen Leistungswettbewerbs.“

Stellt der EuGH in seinem Urteil einen (oder bezogen auf die Klage einen teilweisen) Vertragsverstoß fest, müsste Deutschland das Urteil „sofort“ (zügig) umsetzen und den oder die Verstöße abstellen. Zur aktuellen Rechtslage hat die Bundesingenieurkammer (BIngK) eine Einordnung veröffentlicht: „Die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI sind derzeit geltendes Recht. Das laufende Gerichtsverfahren hat hierauf bis zum Abschluss keine unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen. Alle bestehenden Verträge, einschließlich der vereinbarten Honorarsätze der HOAI, behalten wie bisher Gültigkeit.“

" class="chapter-heading">Hätten Sie das gewusst?

Grundlage für die HOAI ist das Gesetz zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen (ArchLG) vom 4. November 1971 (BGBl I S. 1745, 1749). Es ermächtigt die Bundesregierung „durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates eine Honorarordnung für Leistungen der Ingenieure [gilt gleichlautend für Architekten einschließlich der Garten- und Landschaftsarchitekten] zu erlassen. […] In der Honorarordnung sind Mindest- und Höchstsätze festzusetzen. Dabei ist den berechtigten Interessen der Ingenieure [bzw. der Architekten] und der zur Zahlung der Honorare Verpflichteten Rechnung zu tragen. Die Honorarsätze sind an der Art und dem Umfang der Aufgabe sowie an der Leistung des Ingenieurs [bzw. des Architekten] auszurichten. […] In der Honorarordnung ist vorzusehen, dass die Mindestsätze durch schriftliche Vereinbarung in Ausnahmefällen unterschritten werden können; die Höchstsätze nur bei außergewöhnlichen oder ungewöhnlich lange dauernden Leistungen überschritten werden dürfen; die Mindestsätze als vereinbart gelten, sofern nicht bei Erteilung des Ingenieurauftrages [bzw. des Architektenauftrages] etwas anderes schriftlich vereinbart ist.“ Stellt der EuGH bezogen auf die Festsetzung von Mindest- und Höchstsätze in der HOAI fest, ist also nicht nur die HOAI sondern auch ihre Ermächtigungsgrundlage zu ändern.

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