Wir werden uns daran gewöhnen (müssen). Das Gebäude der schon sehr nahen Zukunft wird Niedrigstenergiegebäude heißen. Diesen wenig für die Sache werbenden Namen haben die Eurokraten in die novellierte EU-Gebäuderichtlinie geschrieben, die am 18. Mai 2010 vom Europäischen Parlament verabschiedet worden ist. Danach müssen die Mitgliedstaaten ihre Bauvorschriften so anpassen, dass alle Gebäude, die nach 2020 errichtet werden, der Definition Niedrigstenergiegebäude entsprechen.
Im Sinne der novellierten EU-Gebäuderichtlinie ist ein „’Niedrigstenergiegebäude’ ein Gebäude, das eine sehr hohe, nach Anhang I bestimmte Gesamtenergieeffizienz aufweist. Der fast bei Null liegende oder sehr geringe Energiebedarf sollte zu einem ganz wesentlichen Teil durch Energie aus erneuerbaren Quellen – einschließlich Energie aus erneuerbaren Quellen, die am Standort oder in der Nähe erzeugt wird – gedeckt werden“. Anhang I legt einen gemeinsamen Rahmen für die national oder regional festzulegenden Vorschriften zur Berechnung der Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden fest.
Alle Neubauten müssen ab 2021 Niedrigstenergiegebäude sein. 2021 klingt nach ferner Zukunft. Doch einen Markt umzustellen, dauert gewöhnlich länger als zehn Jahre. Die Branche wird darum sehr schnell mit neuen Herausforderungen konfrontiert werden. Sie bieten uns vor allem viele Chancen.
Damit ist klar: Alle Neubauten ab 2021 müssen eine gute Gebäudehülle und ein sehr durchdachtes Konstruktions- und Nutzungskonzept aufweisen, damit bereits der Energiebedarf minimal bzw. die Gesamtenergieeffizienz sehr hoch ist. Die Verrechnungsmöglichkeit von Gebäudehülle und Anlagentechnik, wie sie mit der Energieeinsparverordnung in Deutschland eingeführt worden ist, wird dadurch stärker als bisher über die EnEV-Nebenanforderung(en) reglementiert. Für viele Gebäude war das kaum relevant, allerdings bestand die Möglichkeit, durch den Einsatz primärenergetisch günstig bewerteter Biomasse die Gebäudehülle „schlechter“ auszuführen. Angesichts der begrenzten Verfügbarkeit von Biomasse ist diese Korrektur ein richtiger Schritt. Ob die nationalen Vorschriften ihn dann widerspiegeln, bleibt abzuwarten – auch welche Phantasie für die Größenordnung von „zu einem ganz wesentlichen Teil“ entwickelt wird.
Wichtiger als die Umsetzung im Detail ist allerdings der Gesamtplan. Die Novelle der EU-Gebäuderichtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft – also irgendwann in diesem Sommer. Ohne Fristabhängigkeit müssen die Mitgliedsstaaten bis zum 30. Juni 2011 bei der EU-Kommission ein Verzeichnis der bestehenden und der gegebenenfalls geplanten Maßnahmen und (Finanzierungs)Instrumente vorlegen, mit denen sie eine Beschleunigung bei der Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden und des Umbaus von Gebäuden zu Niedrigstenergiegebäuden erreichen wollen. Abhängig von der Interpretation „Niedrigstenergiegebäude“ wird dies wohl auch bedeuten, dass die Fördertöpfe neu ausgerichtet und bei knappen Kassen gegebenenfalls auch konzentriert werden.
Daneben zieht sich auch die Kostenbetrachtung durch die neue EU-Gebäuderichtlinie: Bereits in Artikel 4 wird festgelegt: „Die Mitgliedsstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass im Hinblick auf die Erreichung kostenoptimaler Niveaus Mindestanforderungen an die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden oder Gebäudeteilen festgelegt werden. Die Gesamtenergieeffizienz wird nach der in Artikel 3 genannten Methode berechnet. Die kostenoptimalen Niveaus werden nach dem in Artikel 5 genannten Rahmen für eine Vergleichsmethode berechnet, sobald dieser Rahmen verfügbar ist.“
Ohne Zweifel, die Novelle der EU-Gebäuderichtlinie schlägt ein neues Kapitel für alle am Bau von Gebäuden Beteiligten auf. Sie bietet die Chance, Unzulänglichkeiten und politische Kompromisse der bisherigen EnEV auszumerzen. Allerdings bietet die neue EU-Gebäuderichtlinie auch genügend Sprengstoff, hat sie doch nicht weniger vor, als den Immobilienmarkt neu zu definieren und im Bauprozess die Lahmen und Bremser auszusortieren. Wir werden den Prozess kritisch begleiten und Sie an dieser Stelle, auf unserer Webseite, über unseren E-Mail-Newsletter und Fachartikel auf dem Laufenden halten. Schließlich geht es um Ihre Zukunft.
Jochen Vorländer, Chefredakteur TGA Fachplaner