Die letzten HOAI-Novellen standen unter dem Diktat der EU-Dienstleistungsrichtlinie – dafür mussten die Freiberufler einige Kröten schlucken. Beispielsweise wurden bestimmte Leistungsbilder als Beratungsleistungen ohne verbindliche Regelungen in die Anlage 1 verbannt und für das aktuelle Baugeschehen erforderliche neue Leistungsbilder wurden gar nicht erst angegangen.
Mitunter schien es auch so, dass das federführende Bundeswirtschaftsministerium eigene Vorstellungen unter dem Vorwand der EU-konformität realisieren wollte. Die Minister kamen und gingen, einige saßen die Erneuerung der HOAI aus, andere erzürnten die Branchenvertreter bis zum Eklat. Am Ende kam eine Verordnung heraus, die nur noch „die Berechnung der Entgelte für die Grundleistungen der Architekten […] und der Ingenieure […] mit Sitz im Inland, soweit die Grundleistungen durch diese Verordnung erfasst und vom Inland aus erbracht werden“, regelt. Eine Inländer-HOAI. Damals mit dem Segen aus Brüssel.
Nun hat sich die Lage geändert. Falls die EU-Kommission die Inländer-Regelung nicht nur übersehen, nicht verstanden oder nur leicht zu stopfende Schlupflöcher entdeckt hat. Jedenfalls hat sie am 18. Juni 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen der verbindlichen Mindestpreise für die Leistungen von Ingenieuren und Architekten eröffnet. Diese Mindestpreisbindung sei nicht mit den Bestimmungen in Artikel 15 der EU-Dienstleistungsrichtlinie vereinbar, da diese die Verbraucher hinderten, dieselben Leistungen zu günstigeren Preisen in Anspruch nehmen zu können.
Das Aufforderungsschreiben der EU-Kommission ist der erste Schritt in einem Vertragsverletzungsverfahren und stellt ein offizielles Auskunftsersuchen dar. Deutschland bleiben nur zwei Monate, auf die Eröffnung des Vertragsverletzungsverfahrens zu reagieren. Gewarnt wurde man schon vor einem Jahr.
Die EU-Dienstleistungsrichtlinie wurde 2006 veröffentlicht. Seitdem wurden Mindest- und Höchstpreisregelungen in der EU weitgehend abgeschafft; einige Mitgliedstaaten haben einige wenige Ausnahmen für freiberufliche Tätigkeiten beibehalten. Dazu gehören in Deutschland Architekten und Ingenieure. 2013 kam die EU-Kommission in einem Peer-Review, unter anderem zu den Anforderungen an Mindestpreise, zu dem Schluss, dass diese Anforderungen nur beibehalten werden können, wenn sie notwendig, verhältnismäßig und nicht diskriminierend sind und dass die deutschen Regelungen neuen Anbietern den Zugang zum Markt für freiberufliche Dienstleistungen durch ungerechtfertigte Schranken erschweren.
Verhältnismäßig bedeutet in der EU-Sprachregelung, dass das Ziel nicht mit einem milderen Mittel erreicht werden kann. Angesichts der Ausnahmestellung Deutschlands (und Spaniens) bezüglich verbindlicher Mindestpreise für Architekten und Ingenieure wird es nicht einfach werden, einen schlüssigen Nachweis für „notwendig und verhältnismäßig“ zu führen. Interessenvertreter der Ingenieure und Architekten haben angekündigt, mit aller Macht für die Beibehaltung der verbindlichen Mindestsätze zu kämpfen. VBI-Hauptgeschäftsführer RA Arno Metzler argumentiert: „Der Wegfall der Preisordnung hat in anderen EU-Staaten zu Preisanstiegen geführt.“ Das dürfte für die Eurokraten wohl etwas zu dünn sein. Letztendlich wird es aber stark darauf ankommen, was Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel will.
Jochen Vorländer, Chefredakteur TGA Fachplaner vorlaender@tga-fachplaner.de · www.tga-fachplaner.de