Acht Jahre haben der Bundesregierung nicht ausgereicht, um den in der EU-Gebäuderichtlinie vom 19. Mai 2010 geforderten Niedrigstenergiegebäude-Standard zu definieren – obwohl sie selbst wenig später im September 2010 in ihrem Energiekonzept angekündigt hat: „Mit der Novelle der EnEV 2012 wird das Niveau ‚klimaneutrales Gebäude‘ für Neubauten bis 2020 auf der Basis von primärenergetischen Kennwerten eingeführt. Der daran ausgerichtete Sanierungsfahrplan für Gebäude im Bestand beginnt 2020 und führt bis 2050 stufenweise auf ein Zielniveau einer Minderung des Primärenergiebedarfs um 80 %.“ Realisiert wurde davon nichts, die EnEV 2014/2016 hat die Energiestandards für Neubauten nicht einmal an die Baupraxis angeglichen.
Nun ist die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) in die Bresche gesprungen und hat ein Rahmenwerk für klimaneutrale Gebäude und Standorte entwickelt. Darin werden Regeln für die Bilanzierung von CO2-Emissionen und Vorgaben für eine vergleichbare Berichterstattung entsprechender Leistungskennzahlen festgelegt (Stichwort „Emissionsausweis“).
Je nachdem, welcher Bilanzierungsrahmen gewählt wurde, kann ein Gebäude oder ein Standort auf Grundlage des Rahmenwerks den Status „Klimaneutral im laufenden Betrieb“ oder „Klimaneutral über den Lebenszyklus“ erlangen. Als klimaneutral gilt ein Gebäude, dessen Jahresbilanz der CO2-Emissionen für den Gebäudebetrieb weniger als 0 kg CO2 beträgt. Dabei bezieht sich der zu ermittelnde CO2-Wert auf die Summe aller klimaschädlichen Emissionen gemäß anerkannten internationalen Standards.
Ein Gebäude, das noch keine Jahresbilanz von 0 kg CO2 aufweist, kann den Status „Klimaneutral bis 2050“ erreichen. Hierfür muss ein projektspezifischer Klimaschutzfahrplan erstellt werden, dessen Ziel jeweils die Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 ist. Hierfür sind Maßnahmen zur Reduktion der CO2-Emissionen aufzustellen, in eine zeitlich und wirtschaftlich sinnvolle Abfolge zu bringen und ihre Wirkungen zu berechnen. Um den Status „Klimaneutral bis 2050“ zu erhalten, müssen für das Projekt jährlich aktuelle Ist-Werte erfasst werden, um den Fortschritt zu dokumentieren.
Dr. Christine Lemaitre, geschäftsführender Vorstand der DGNB: „Mit dem Rahmenwerk wollen wir einen entscheidenden Beitrag leisten, um die globalen Klimaschutzziele für die verschiedensten Entscheidungsträger der Bau- und Immobilienwirtschaft handhabbar zu machen. Wenn wir bis 2050 Grundlegendes verändern wollen, müssen wir jetzt anfangen. Ein verlässlicher Rahmen, der Orientierung bietet, wie sich die CO2-Emissionen kontinuierlich im notwendigen Maß reduzieren lassen, ist hierfür unabdingbar.“
In den kommenden Monaten werden die im Rahmenwerk beschriebenen Methoden (Vorschauversion: www.dgnb.de/klimaschutz-rahmenwerk) an ersten Projekten umfangreich erprobt. Auf Grundlage der dann vorliegenden Erfahrungen im Umgang mit den Methoden und Instrumenten soll eine verbindliche Fassung des Rahmenwerks finalisiert werden. Mit dem Rahmenwerk übersetzt die DGNB die im Paris-Abkommen formulierten Ziele in konkrete Bauaufgaben. Bleibt zu hoffen, dass sich Berlin diese Steilvorlage nicht entgehen lässt.
Jochen Vorländer, Chefredakteur TGA Fachplaner vorlaender@tga-fachplaner.de · www.tga-fachplaner.de