TGA: Herr Hottgenroth, Sie haben angekündigt, künftig mit Ihrer Software für die energetische Bewertung, Auslegung und Dimensionierung der Technischen Gebäudeausrüstung auch die Nutzung der Simulation als Grundlage zu ermöglichen.
Hottgenroth: Das ist richtig und hat für die Anwender unserer Lösungen viele Vorteile. Am Anfang steht aber die Schaffung eines einheitlichen Datenmodells. Damit dieser Schritt und die Bedeutung für die Branche verständlich werden, müssen wir in die Historie schauen. Die Haustechnik- und Gebäudeplanung wird seit langem von Software unterstützt. Vornehmlich wurden dafür „Insellösungen“ mit einem bestimmten Anwendungsgebiet entwickelt. Um die mehrfache Erfassung von Daten zu vermeiden, wurden Schnittstellen programmiert. Das funktionierte zunächst auch prima. Für die Softwareentwickler wurde diese Software-Architektur aber inzwischen zum Problem: Wird eine Software weiterentwickelt, müssen auch die Schnittstellen und gegebenenfalls auch die anderen Programme angepasst werden…
TGA: …also ein Rattenschwanz?
Hottgenroth: Ja. Nahezu jede Softwarelösung unterliegt einem beständigen Wandel – durch sinnvolle Verbesserungen oder durch äußere Zwänge, beispielsweise Änderungen im Regelwerk. Über die Schnittstellen haben Weiterentwicklungen weitreichende Konsequenzen, die in der Praxis einen enormen Aufwand nach sich ziehen und damit sehr teuer sind.
TGA: Und der Ausweg?
Hottgenroth: Wir haben ein Datenmodell entwickelt, damit wir in jeder Software mit der gleichen Datenbank arbeiten und so auf einmal erfasste Daten zurückgreifen können. Änderungen an den Eingabedaten müssen so nur einmal vorgenommen werden, um in allen Programmen zur Verfügung zu stehen. Und als Softwareentwickler können wir uns voll und ganz auf die Programmentwicklung konzentrieren, ohne über Konsequenzen in anderen Programmen nachdenken zu müssen.
TGA: Das klingt plausibel, aber auch nach einer größeren Investition?
Hottgenroth: Wir haben vor etwa sechs Jahren begonnen, uns mit dem Datenmodell auseinanderzusetzen und sind vor vier Jahren in die Entwicklungsarbeit eingestiegen. Dabei gab es Phasen, in denen bis zu 50 Softwareentwickler nur mit der Programmierung des Datenmodells beschäftigt waren. Aber die Investition war notwendig und ermöglicht es uns heute, schneller zu entwickeln und neue Zielgruppen zu erschließen und zu bedienen.
TGA: Welche?
Hottgenroth: Insbesondere die TGA-Planer, als Vielnutzer von Software. Sie haben mit unseren Applikationen den Vorteil durchgängig mit den gleichen Daten zu arbeiten, das spart Zeit und vermeidet Fehler. Der größte Teil unserer Kundschaft arbeitet allerdings im Handwerk und / oder als Energieberater. Sie profitieren natürlich in vollem Umfang auch von allen Vorteilen des Datenmodells.
TGA: Und wie kommen die Daten ins Datenmodell?
Hottgenroth: Der einfachste Weg ist die grafische 3D-Datenerfassung mit unserer selbst entwickelten, sehr einfach zu bedienenden CAD-Software, die mit Assistenten und vorgefertigten Bauelementen die Arbeit stark vereinfacht. Der grafischen Datenerfassung gehört ganz klar die Zukunft, sie ist einfacher und man sieht genau was man erfasst hat und kann es so innerlich mit dem realen Gebäude oder einem Plan abgleichen. Ein sehr bedeutender Vorteil ist auch, dass die Bauteile automatisch in eine Beziehung zueinander gebracht werden, beispielsweise Fenster in einer Wand oder Nachbarräume untereinander etc. Für sehr einfache Berechnungen kann eine tabellarische Erfassung schneller sein, aber bei der ersten Änderung wird es schnell unübersichtlich und damit fehleranfällig. Für die grafische Erfassung waren auf der Hardwareseite Entwicklungen erforderlich. Vor sechs Jahren hätte die erforderliche Systemleistung rund 10000 Euro gekostet, heute benötigt man nur einen handelsüblichen PC.
TGA: So, jetzt haben wir die Daten mit einer einfach zu handhabenden grafischen Eingabehilfe auf einem Standard-PC mit geringem Zeitaufwand erfasst und sie stehen in der Datenbank zur Verfügung. Jetzt können wir simulieren?
Hottgenroth: Zunächst möchte ich an dieser Stelle drauf hinweisen, dass es für die Erfassung der Gebäudedaten keinen Unterschied gibt. Für das normative Rechnen und für die Simulation sind die gleichen Daten erforderlich. Wir haben uns aber genau angeschaut, was normatives Auslegen für uns und unsere Kunden bedeutet. Wenn man nur normativ mit einer Software rechnen kann, ist an der deutschen Grenze Feierabend. Das ist ein Problem für unsere Kunden in der Industrie, die global aufgestellt sind und auch für Planer, die im Ausland arbeiten. Aber die Physik gilt überall. Da die Simulation auf die Physik zurückgreift, liefert sie auch in jedem Land das richtige Ergebnis. Hingegen bilden Normen häufig nur einen kleinen Ausschnitt mit bestimmten Randbedingungen physikalisch richtig ab, um so die Berechnung in einer „Papierversion“ zu vereinfachen. Für eine Software ist dies aber kein Vorteil, sondern eine nicht mehr zeitgemäße Beschränkung.
TGA: Und welche Vorteile haben Planer und Handwerker, die nicht grenzüberschreitend arbeiten von der Simulation?
Hottgenroth: Eine bessere Abbildung der Realität und eine größere Genauigkeit. Es ist kein Geheimnis, dass in der Praxis nahezu alle Anlagen deutlich überdimensioniert sind, die normative Auslegung fördert dies. Neben unnötigen Kosten bei der Installation verursachen überdimensionierte Anlage höhere Betriebskosten und meistens schränken sie auch den Komfort ein, weil die Regelgenauigkeit leidet. Mit einer Simulation, die auch das dynamische Verhalten berücksichtigt, kann man eine Anlage ohne Risiko genauer – sprich kleiner – auslegen, also eine bessere Qualität liefern. Zur Kontrolle kann man jederzeit die normativen und die simulierten Werte vergleichen. Zudem gehen wir davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Simulation von den Auftraggebern verbindlich gefordert wird.
TGA: Die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) Teil B sieht vor, dass eine Leistung frei von Sachmängeln ist, wenn sie zum Zeitpunkt der Abnahme die vereinbarte Beschaffenheit hat und den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Trifft das bei einer Dimensionierung mittels Simulation zu?
Hottgenroth: Die anerkannten Regeln der Technik sind nach der Rechtsprechung nicht identisch mit den gültigen DIN-Normen und anderen Regelwerken. Das Regelwerk kann Fehler beinhalten und durch die genannte Ausschnittsbetrachtung schnell veralten. Ein gut bekanntes Beispiel ist die Einführung der Heizlastberechnung nach DIN EN 12831. Danach waren mehrere „Reparaturen“ erforderlich. Die Physik für die Simulation ist eine feste Größe, sie ist also das bessere Verfahren und eher dazu geeignet, eine mangelfreie Leistung abzuliefern.
Außerdem müssen wir uns vor Augen halten, dass aktuell normative Berechnungen Technologien wie Solarthermie, Wärmepumpe, Photovoltaik etc. nur unzureichend oder sogar falsch abbilden, da das verwendete Bilanzverfahren keine anderen Möglichkeiten zulässt. Der Gesetzgeber kann das für Nachweise verordnen, den Bauherren muss man aber eine andere Qualität liefern. Eine exakte Berechnung solcher Technologien ist nur noch über eine stundenweise Simulation möglich.
TGA: Sie sind Marktführer für Berechnungs- und Optimierungssoftware im Gebäudebestand. Welche Bedeutung hat hier die Simulation?
Hottgenroth: Sie ist sehr groß, denn im Bestand muss mit teilweise vorhandener Infrastruktur fachgerecht umgegangen werden. Ein prägnantes Beispiel ist die Heizungsmodernisierung mit einer Luft/Wasser-Wärmepumpe im Ein- oder Zweifamilienhaus. Nur mit einer sorgfältigen Planung kann eine hohe Effizienz erzielt werden. Dazu ist eine Heizlastberechnung erforderlich, die auch alle zwischenzeitlichen Verbesserungen am Gebäude berücksichtigt. Im nächsten Schritt müssen die Heizflächen überprüft werden, sprich die tatsächliche Vorlauftemperatur und Spreizung zur Lastabdeckung ermittelt werden.
Um dann eine Wärmepumpenlösung zu optimieren, ist es häufig sinnvoll, die ungünstigsten Heizflächen mit dem höchsten Vorlauftemperaturbedarf zu vergrößern. So kann im Gesamtsystem eine höhere Effizienz bei niedrigeren Gesamtkosten erzielt werden. Wenn das ein Planer oder ein Handwerker mithilfe von drei Softwareprogrammen machen muss, wird das schnell unübersichtlich und zeitraubend, denn für jede Variante müssen Daten ex- und importiert werden, bevor man ein neues Ergebnis abrufen kann. Mit unserem Sanierungsprogramm Optimus Professional 3D bleibt man für das genannte Beispiel in einer konsistenten Umgebung und erhält für jede Variante unmittelbar ein Ergebnis. Und nun stellen Sie sich vor, dass neben dieser Systemoptimierung auch noch ein Vergleich mit mehreren anderen Wärmeerzeugerlösungen vorgenommen werden soll.…
TGA: Und bei größeren Gebäuden?
Hottgenroth: Bei von uns begleiteten Optimierungsprojekten im Bestand haben wir immer wieder festgestellt, dass zwar relativ einfach Einsparungen zu erzielen sind, dass das tatsächliche Potenzial – als Differenz von Istverbrauch und dem von Gebäudehülle, Anlagentechnik und Nutzung vorgegebenen Sollverbrauch – aber unbekannt ist. So läuft man Gefahr, nur an der Oberfläche zu kratzen. Über die grafische Erfassung und das Datenmodell kann man auch sehr schnell zu verlässlichen Aussagen und Werten kommen, um die MSR-Technik richtig zu parametrieren und so die Anlagen effizient zu betreiben. Eine normative Berechnung für den Auslegungspunkt bringt einen hier nicht sehr weit.
TGA: Heute Simulation – was kommt morgen?
Hottgenroth: Wenn wir die Optimierung des Gebäudebestands mit den Zielen des Energiekonzepts der Bundesregierung vor Augen haben, wird klar, wie viel und wie genau wir künftig rechnen müssen, auch um dem Wirtschaftlichkeitsgebot zu entsprechen. Und wir werden es zunehmend mit multivalenten Systemen zu tun haben, bei denen Wärme- und Stromerzeugung verschmelzen, Speicherkapazitäten eine wichtige Rolle spielen und Tarifmodelle für die Auslegung relevant sein können. Bisher existierende und absehbare Normen können das nicht abbilden. Unser Datenmodell und die Simulation sind hierfür der richtige Ansatz. Wir gehen aber auch davon aus, dass Auslegungssoftware und Software für den Anlagenbetrieb ganz dicht zusammenrücken werden. Denn eigentlich macht es keinen Sinn, für wenige Tage oder Monate Planungsphase ein Datenmodell aufzusetzen, das dann nicht als Informationsquelle für viele Jahre zum optimalen Anlagenbetrieb genutzt wird.
TGA: Vielen Dank für das Gespräch.
Hottgenroth auf der ISH: Halle 6.1 Stand D26