Insbesondere im Winter klagen Beschäftigte in Büros und Industriehallen über typische Beschwerden: Trockene, teils juckende Haut oder brennende, trockene und juckende Augen. Bei Luftfeuchten unter 40 % kommt es zudem zu vermehrten elektrostatischen Aufladungen.
Der Bericht „‚Trockene Luft‘ – Literaturstudie zu den Auswirkungen auf die Gesundheit“, den die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) jetzt veröffentlicht hat, kommt jedoch zu dem Schluss, „dass es keine ausreichenden Erkenntnisse für die Aussage gibt, dass oberhalb einer bestimmten Luftfeuchte die Gesundheit der Beschäftigten positiv beeinflusst wird. Auch lässt sich aus den vorliegenden Daten kein unterer Richtwert für die relative Luftfeuchte in Räumen von Arbeitsstätten ableiten.“
Gesundheit und Übertragung krankheitserregender Keime
In der gemeinsamen Literaturstudie untersuchten das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) und die BAuA den Einfluss von trockener Raumluft auf die Aspekte Gesundheit von Haut, Augen und Schleimhäuten der Atemwege sowie die Übertragung krankheitserregender Keime.
Die Literaturstudie betrachtete dabei hauptsächlich Beschäftigte in Arbeitsstätten, wie Bürobereiche oder Industriehallen, in der kalten Jahreszeit und in Ländern mit gemäßigtem Klima im Zeitraum 2006 bis 2019. Insgesamt wurden 10 Reviews sowie 27 Labor-, Feld- und sonstige Studien erfasst, jedoch keine Fragebogenerhebungen berücksichtigt.
Die Auswertung zeigt für die einzelnen Aspekte verschiedene Effekte, wie trockenere Haut und eine längere Aktivität von Influenzaviren bei niedriger Luftfeuchtigkeit. Bei den an Augen und Schleimhäuten der Atemwege beobachteten Effekten überwiegt oft der Einfluss anderer Faktoren. Diese Effekte setzen zudem bei unterschiedlichen nicht fest begrenzten Bereichen der Luftfeuchte ein.
„Trockene Luft alleine führt im Allgemeinen nicht zu gesundheitlichen Problemen“
Zusammenfassend könne festgestellt werden, dass trockene Luft alleine im Allgemeinen nicht zu gesundheitlichen Problemen führt. Vielmehr treten Kombinationseffekte auf, insbesondere aus Luftfeuchte, Lufttemperatur und Luftgeschwindigkeit zusammen mit Verunreinigungen der Luft oder mangelhafter ergonomischer Gestaltung der Bildschirmarbeit.
Diese müssten vor dem Hintergrund der individuellen gesundheitlichen Situation der Beschäftigten bewertet werden. Angesichts der Datenlage lasse sich keine Notwendigkeit für konkrete Maßnahmen insbesondere bezüglich einer Erhöhung der Luftfeuchte in der kalten Jahreszeit in Räumen von Arbeitsstätten ableiten.
Dennoch sollten Beschwerden von Beschäftigten immer ernst genommen werden: „Im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung lassen sich mögliche Ursachen ermitteln, erforderliche Maßnahmen festlegen und deren Wirksamkeit überprüfen.“
Download: „Trockene Luft“ – Literaturstudie zu den Auswirkungen auf die Gesundheit
Die Branche plädiert für mindestens 40 % relative Luftfeuchte
Die Absage an eine Erhöhung der Luftfeuchte in der kalten Jahreszeit in Räumen von Arbeitsstätten bzw. eine Mindestuntergrenze der Luftfeuchtigkeit an Arbeitsplätzen dürfte der Klimatechnik-Branche nicht gefallen. Beispielsweise hat der Fachverband Gebäude-Klima (FGK) kürzlich die Kampagne Mindestfeuchte 40 % gestartet, um „Bewusstsein für die Luftbefeuchtung als integralem Bestandteil der Indoor Air Quality (IAQ) zu schaffen“.
Dr. med. Walter J. Hugentobler, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin und Experte für Raumluftfeuchte, bei der Auftaktveranstaltung am 16. Januar 2020 in der Elbphilharmonie: „Trockene Luft wirkt sich nicht nur auf die Haut, Augen und Schleimhäute aus, sondern erhöht auch die Übertragungseffizienz von Grippeviren. Eine Mindestfeuchtigkeit von 40 % trägt somit dazu bei, die Ansteckungsgefahr deutlich zu verringern und das gesundheitliche Wohlbefinden zu steigern.“
Nun gibt es sicherlich eine gewisse Zone zwischen „gesundheitlichen Problemen“ (BAuA) und „gesundheitlichem Wohlbefinden“ (Mindestfeuchte 40 %), sodass der FGK-Kampagne mit der BAuA-Veröffentlichung nicht der Wind komplett aus den Segeln genommen wird, aber der erhoffte arbeitsschutzrechtliche Rückenwind ist ausgeblieben.
Zurzeit gibt es sogar eine internationale Kampagne, die mit einer Petition die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auffordern will, „rasch und entschlossen Maßnahmen zu ergreifen, um globale Leitlinien für die Luftqualität in Innenräumen, mit einer klaren Empfehlung zur Mindestuntergrenze der Luftfeuchtigkeit in öffentlichen Gebäuden, festzulegen“. Über die auch von Walter Hugentobler unterstützte Kampagne 40to60rh.com hatte TGA Anfang Mai 2020 berichtet (Petition für Mindestuntergrenze der Luftfeuchtigkeit).
Leider besonders bemerkenswert an der in zehn Sprachen übersetzten Kampagne 40to60rh.com ist, dass es die internationale Klimatechnik-Branche trotz eines riesigen Potenzials offensichtlich – sofern der Petitionszähler keinen Defekt hat – innerhalb von zwei Monaten nicht geschafft hat, sich selbst zu mobilisieren: Am 15. Juli 2020 hatte die Petition laut 40to60rh.com erst 3886 Unterzeichner eingesammelt, knapp 4 % vom Ziel. ■