Das von den Koalitionsspitzen Ende August 2020 beschlossene Förderprogramm zur Corona-gerechten Umrüstung raumlufttechnischer Anlagen in öffentlichen Gebäuden und Versammlungsstätten wird schon vor seiner Veröffentlichung scharf kritisiert. Die „löbliche Initiative“ gehe komplett an der Realität vorbei.
„Mit 500 Millionen Euro fördert die Regierung die Umrüstung von Lüftungsanlagen. Experten halten das Programm für Unsinn – in der Coronakrise würden nur mobile Luftreiniger helfen.“, fasst Dr. Susanne Götze ihren am 17. Oktober 2020 auf spiegel.de veröffentlichten Bericht „Damit wird kein einziges Leben gerettet“ zusammen.
Leider wirft der Spiegel-Artikel vieles in einen Topf und verallgemeinert, was schwerlich zu verallgemeinern ist. Öffentliche Einrichtungen, Läden, Bars, Restaurants, Hotels und Klassenzimmer haben hinsichtlich einer das Ansteckungsrisiko verringernden Luftreinigung / Lüftung sehr unterschiedliche Anforderungen.
Götze berichtet von „Wundermaschinen“ – Luftfilteranlagen „als einziger Ausweg aus dem Winter-Corona-Dilemma“. Der Artikel behauptet: „Mit ihnen können Coronaviren aus der Luft gefangen werden – ganz ohne das lästige Lüften.“ Gemeint sind Umluftfilteranlagen, deren Filterstufen einen HEPA-Filter umfassen und einen so hohen Volumenstrom reinigen, dass die Konzentration potenziell infektiöser Aerosolpartikel stark reduziert werden kann.
Mobil müssen die Luftreiniger nicht sein, besser geeignet sind eigentlich Geräte, die zur dauerhaften Nutzung in einem Raum installiert werden. Dann müssen die Geräte nicht auf die Zusatzfunktion „mobil“ ausgelegt werden, was eine günstigere Anordnung der Komponenten, geringere Betriebskosten und geringere Betriebsgeräusche ermöglicht.
Luftreiniger können Lüftung nicht übernehmen oder ersetzen
Solche Luftreiniger sind keine neue Erfindung. In öffentlich oder halböffentlich zugänglichen Versammlungsstätten waren sie aber bisher kaum im Einsatz, da ihre eigentliche Funktion (Verringerung der Feinstaubkonzentration in der Luft) hier selten erforderlich ist und sie die elementaren Funktionen einer konventionellen Lüftungsanlage nicht übernehmen können – die Zuführung gefilterter Außenluft und die Ableitung mit Feuchtigkeit, Geruchsstoffen und Gasen, insbesondere CO2, beladener Raumluft nicht übernehmen können.
Als Experte kommt in dem Spiegel-Artikel hauptsächlich Univ.-Prof. Dr. rer. nat. habil. Christian J. Kähler vom Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik der Universität der Bundeswehr München zu Wort.
Kähler hat u. a. zum Thema „Corona-Lüftung“ im September 2020 mit drei weiteren Autoren aus dem Institut die Studie Schulunterricht während der SARS-CoV-2 Pandemie ‒ Welches Konzept ist sicher, realisierbar und ökologisch vertretbar? veröffentlicht. Sie diskutiert und bewertet verschiedene Schutzkonzepte in Unterrichtsräumen und beschreibt Versuchsaufbau und Durchführung der Konzentrationsmessungen für das von Kähler favorisierte Schutzkonzept „Raumluftreiniger + transparente Schutzwände“
„Falsch, irreführend und unwissenschaftlich“
Laut dem Spiegel-Artikel könne Kähler über die Handreichung zum richtigen Lüften in Schulen des Umweltbundesamts mangels strömungsmechanischer Kompetenz nur mit dem Kopf schütteln. So geht es allerdings auch anderen Experten mit seiner Studie. In einem Kommentar zu der oben genannten Studie schreibt Prof. Dr.-Ing. Martin Kriegel vom Hermann-Rietschel-Institut an der TU Berlin: „sie enthält zahlreiche Mängel“. Kriegel bewertet 24 Textstellen, zumeist mit „Falsch“, „Falsch und irreführend“ sowie mit „Unwissenschaftlich“, „Unwissenschaftlich und falsch“ und „Falsch, irreführend und unwissenschaftlich“.
Abschließend betont Kriegel: „Zusammenfassend kann ich nur feststellen, dass fachlich viele Aspekte falsch sind und durch unwissenschaftliche Untersuchungen irreführende Aussagen getätigt werden.“
Wichtig ist in jedem Fall auch der letzte Absatz aus der Stellungnahme: „Abschließend sei an dieser Stelle noch vermerkt, dass meine Ausführungen KEIN Plädoyer gegen den Einsatz von Luftreinigern ist. Es gibt durchaus sinnvolle Einsatzgebiete und sie tragen zur Minderung der freigesetzten potentiell virenbeladenen respiratorischen Partikel bei. Dabei kommt es stets auf die zugeführte virenfreie Luftmenge (Frischluft und/oder gefilterte Luft) in Bezug auf die produzierten potentiell virenbeladenen Aerosolpartikel an. Eine weiterte wesentliche Einflussgröße auf das Infektionsrisiko ist die Expositionszeit. Eine ganzheitliche Betrachtung ist erforderlich. Luftreiniger bieten KEINE Sicherheit.“
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Anmerkung: Eine schon im August 2020 von Kähler und weiteren Autoren veröffentlichte Studie trägt den Titel: „Können mobile Raumluftreiniger eine indirekte SARS-CoV-2-Infektionsgefahr durch Aerosole wirksam reduzieren?“.
In der Pressemitteilung zu der Studie heißt es am Ende: „Raumluftreiniger sind somit geeignete Werkzeuge, um dem indirekten Infektionsrisiko durch eine Kontamination im Raum zu begegnen, aber es ist zu beachten, dass sie das direkte Infektionsrisiko, das durch direktes Anhusten oder beim langen Unterhalten über kurze Distanz erfolgen kann, nicht verringern können. Es ist daher auch mit Raumluftfiltern wichtig, auf ausreichend große Abstände zu anderen Personen zu achten und Mund-Nasen-Bedeckungen oder partikelfiltrierende Atemschutzmasken zu tragen, damit neben der indirekten Infektion durch angereicherte Aerosole im Raum auch eine direkte Infektion über kurze Distanzen durch Anhusten oder längere Gespräche sicher vermieden werden kann.“
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Raumluftreiniger-Konzepte vermutlich (auch) nicht realisierbar
Für Schulzimmer dürfte eine kurzfristige Umsetzung des Konzepts „Raumluftreiniger + transparente Schutzwände“ schon an der Verfügbarkeit von Raumluftreinigern scheitern. Eine hohe Durchdringung in Schulzimmern ist in den nächsten Monaten unrealistisch, obwohl zuletzt auch Anbieter klassischer RLT-Anlagen ihr Angebot um Luftreiniger mit HEPA-Filtern erweitert haben. Ebenso unrealistisch ist allerdings die kurzfristige Nachrüstung von RLT-Anlagen.
Eventuell läuft die Kritik an dem Förderprogramm sogar komplett ins Leere läuft, denn von Klassenzimmern war bisher nie die Rede. Nach seiner Vorlage des Entwurfs für die „Bundesförderung Corona-gerechte Um- und Aufrüstung von raumlufttechnischen Anlagen in öffentlichen Gebäuden und Versammlungsstätten“ im Bundeskabinett sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier: „Mit dem Förderprogramm leisten wir einen wichtigen Beitrag dazu, auch in der kalten Jahreszeit die Ansteckungsgefahr mit Corona zu reduzieren, dort, wo tagtäglich viele und wechselnde Personen aufeinander treffen: in Hörsälen und Schul-Aulen, in Theatern und Museen, in kommunalen Versammlungsräumen und Bürgerhäuser.“
Offiziell verlautbarte das BMWi am 23. September 2020 noch: „Die Förderung soll bis zu 40 % der förderfähigen Ausgaben betragen, die bei 100 000 Euro gedeckelt sind. Gefördert werden RLT-Anlagen in Gebäuden und Versammlungsstätten von Ländern und Kommunen sowie von Trägern, die überwiegend öffentlich finanziert werden und nicht wirtschaftlich tätig sind.“ Das schließt Klassenzimmer nicht grundsätzlich aus, es liegen jedoch konkrete Förderkriterien offiziell noch nicht vor.
Fördertopf würde nur für Bruchteil der Klassenzimmer reichen
Im Schuljahr 2019/20 besuchten rund 8,3 Mio. Schüler allgemeinbildende Schulen. Bei einer hohen Klassenstärke von 30 Schülern sind zur Unterrichtsversorgung über 275 000 Klassenzimmer erforderlich. Die Anzahl der Klassenzimmer mit eigener RLT-Anlage oder Anschluss an eine RLT-Anlage in Deutschland ist als sehr gering einzuschätzen. Die Investitionskosten für die Installation einer Lüftungsanlage mit Wärme- und Feuchterückgewinnung betragen etwa 10 000 bis 15 000 Euro pro Klassenraum.
Bei einer Förderquote von 40 %, Investitionskosten von 10 000 Euro pro Klassenzimmer und einem Fördertopf von 200 Mio. Euro bis Ende 2021 könnte man 50 000 Klassenzimmer mit Lüftungsanlagen ausrüsten, die Träger müssten dafür zusätzlich 300 Mio. Euro investieren.
Ein Schulträger, der sich für Luftreiniger entscheidet und sie auch geliefert bekommt, kommt übrigens ganz ohne Griff in den Fördertopf mit weniger Geld aus. Luftreiniger kosten zwischen 3000 und 4000 Euro. Die Eigenbeteilung für ein Schullüftungsgerät würde zwischen 6000 und 9000 Euro liegen. Die Luftfilter für Luftreiniger sind systembedingt allerdings erheblich teurer als die von RLT-Anlagen.
Eine maschinelle Lüftung von Klassenzimmern ist allerdings auch ohne Coronavirus angezeigt, seit mehr als einem Jahrzehnt wird dies von Experten angemahnt.