TGA: Frau Metz, die Aktualisierung der EU-Gebäuderichtlinie / EPBD schreibt das Ziel eines dekarbonisierten Gebäudebestands bis 2050 fort. Ist das realistisch?
Metz: Es ist in jedem Fall ein sehr ambitioniertes Ziel. Denn ein Drittel des Gebäudebestandes in der EU ist älter als 50 Jahre. Die Sanierungsquote liegt in Deutschland derzeit nur bei rund 1 % pro Jahr, hat die Deutsche Energie-Agentur (dena) ermittelt.
Das bedeutet: Viele Immobilien sind nicht genügend saniert oder es fehlt ihnen an intelligenter Technik, um Energie effizient zu nutzen. Und weil der Bestand noch größtenteils fossile Energieträger einsetzt, ist der CO2-Ausstoß entsprechend hoch. Die Bundesregierung hat berechnet, dass die Gebäude hierzulande 40 % der Gesamtenergie verbrauchen. Damit sind sie für einen Großteil der gesamten CO2-Emissionen verantwortlich.
Die dena geht davon aus, dass eine jährliche Sanierungsrate von mindestens 1,4 % nötig ist, um die deutschen Klimaschutzziele zu erreichen. Und diese sollen ja zur Erfüllung der EU-Vorgabe beitragen.
TGA: Das sind Zahlen zum Bestand. Wie sieht es beim Neubau aus?
Metz: Auch hier muss Deutschland noch seine Hausaufgaben machen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat das Niedrigstenergiegebäude immer noch nicht definiert. Dabei schrieb schon die EPBD von 2010 vor, dass ab 2021 private Nichtwohngebäude Niedrigstenergiegebäude sein müssen. Für die der öffentlichen Hand gilt das sogar bereits ab 2019. Erst mit dem neuen GEG wird diese Vorgabe zur Pflicht werden.
TGA: In Deutschland gilt aktuell ein Standard, der in etwa dem KfW-Effizienzhaus-70 entspricht, allgemein als Niedrigenergiehaus bezeichnet. Was unterscheidet es vom Niedrigstenergiehaus?
Metz: Vereinfacht weist das KfW-Effizienzhaus-70 einen Primärenergiebedarf von maximal 75 kWh/(m2 a) auf. Das Niedrigstenergiehaus hingegen ist laut der EPBD von 2010 ein Gebäude, dessen Energiedarf „fast bei null“ liegt oder „sehr gering“ ist. Dieser Bedarf, so die Direktive weiter, muss „zu einem ganz wesentlichen Teil durch Energie aus erneuerbaren Quellen“ kommen. Zudem sollen Wärme und Strom bevorzugt in unmittelbarer Nähe ihres Verbrauches erzeugt werden.
Das ist deswegen recht schwammig formuliert, weil die EPBD hier nur den Rahmen vorgibt, den jeder Staat für sich konkretisiert. Wobei einige Bundesländer, bzw. ihre aktuellen Regierungen, meinen, der aktuell gültige Energiestandard stoße bereits jetzt an die Grenze der Wirtschaftlichkeit. Darum hatten sie im Rahmen des ersten GEG-Entwurfs ein Veto gegen die Verschärfung des Standards eingebracht.
Allerdings ist aufgeschoben nicht aufgehoben. Der Niedrigstenergiestandard wird wahrscheinlich schon bald kommen: Das BMWi hat angekündigt, dass es noch 2018 einen neuen Referentenentwurf für ein Gebäudeenergiegesetz veröffentlicht. Es soll das Energieeinsparungsgesetz (EnEG), das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG) und die EnEV zusammenführen.
Für die Betreiber von Bestandsbauten wird das heißen: Projekte umsetzen, die wenig kosten und viel bewirken. Denn geringinvestive Effizienz-Maßnahmen sind ein wichtiger Schwerpunkt der EPBD-Novelle. Sie setzt dabei richtigerweise auf die Gebäudeautomation (GA). Und formuliert konkrete, verpflichtende Maßnahmen. Das ist keine Selbstverständlichkeit.
TGA: Welche Maßnahmen sind das?
Metz: In Nichtwohngebäuden wird die Ausrüstung mit – so heißt es ausdrücklich – „Systemen für die Gebäudeautomatisierung und -steuerung“ bis 2025 zur Pflicht. Das gilt, wenn die Nennleistung der Heizungs- bzw. Klimaanlage oder einer kombinierten Anlage größer als 290 kW ist. Dieser Wert ist bei Gewerbegebäuden durchschnittlicher Größe gerade im Bestand sehr schnell überschritten.
Neben den klassischen GA-Funktionen sieht die Richtlinie auch das Energiemonitoring als Bestandteil der Gebäudeautomatisierung. Beispielsweise fordert sie, dass die genannten Systeme für die Gebäudeautomatisierung und -steuerung den Energieverbrauch kontinuierlich überwachen, protokollieren, analysieren und seine Anpassung ermöglichen.
Auch sollen sie Benchmarks in Bezug auf die Energieeffizienz des Gebäudes aufstellen, Effizienzverluste von gebäudetechnischen Systemen erkennen und den Gebäudemanagement-Verantwortlichen darüber informieren, wie diese minimiert werden können. Und schließlich sollen die GA-Systeme den herstellerunabhängigen Betrieb von miteinander verbundenen gebäudetechnischen Systemen und die Kommunikation zwischen ihnen möglich machen.
Für Wohngebäude können die Mitgliedstaaten laut Aktualisierung Anforderungen festlegen, dass diese mit einer „kontinuierlichen elektronischen Überwachungsfunktion“ ausgerüstet sein müssen. Sie soll die Effizienz des Systems messen und den Eigentümer oder Verwalter des Gebäudes informieren, wenn eine Wartung des Systems erforderlich ist. Auch die Verpflichtung zu Steuerungsfunktionen, die die optimale Erzeugung, Verteilung, Speicherung und Nutzung der Energie gewährleisten, ist eine Option.
Die Inspektion der Heiz- und Klimaanlagen bleibt bestehen. Sie gilt jedoch im Falle der Klimaanlagen nicht mehr ab einer Nennleistung von 12 kW, sondern erst ab 70 kW verbindlich. Es steht den Staaten aber auch hier weiterhin frei, die Inspektionspflicht durch andere geeignete Maßnahmen zu ersetzen. Anstelle dessen können sie die Installation von Systemen der Gebäudeautomation fordern.
TGA: Wird es also eine verstärkte Nachfrage nach Systemen geben, die alle Gewerke in ein ganzheitliches Energie- und Gebäudemanagement integrieren?
Metz: Ich denke ja. Einen Wermutstropfen gibt es allerdings: Es ist derzeit noch offen, ab wann die Installation zur Pflicht wird. Sowohl eine stufenweise Umsetzung bis 2025 als auch eine ruckartige Einführung bis zur Umsetzungsfrist „ab 2025“ sind denkbar. Aus meiner Erfahrung heraus halte ich Letzteres für wahrscheinlich.
TGA: Bergen solche Implementierungen in einem Schritt nicht die Gefahr, dass die Umsetzungsfristen sehr knapp bemessen werden?
Metz: Ja, und für Planer hieße das, ihre Kunden rechtzeitig auf die kommende Verpflichtung hinzuweisen. Denn er benötigt genügend Zeit, um passgenaue Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. Sonst könnte es passieren, dass ein Gebäude 2024 fertiggestellt wird, das 2025 schon nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen entspricht.
Die Gebäudebetreiber sollten vermeiden, in die gleiche Situation wie seinerzeit beim Energiedienstleistungsgesetz zu kommen. Auch das wurde lange vonseiten der EU angekündigt. In Deutschland wurde es aber so spät umgesetzt, dass viele Unternehmen die entsprechenden Maßnahmen nicht umsetzen konnten. Das zuständige Bundesamt hat 6000 Unternehmen überprüft. Rund ein Drittel konnte die Vorgaben nicht erfüllen, einigen droht ein hohes Bußgeld.
TGA: Die jetzt formulierten verbindlichen Vorgaben zeigen, dass die EU den Sanierungsstau im Bereich der Nichtwohngebäude angehen will. Ist damit genug getan?
Metz: Ich sehe einen großen Nachholbedarf in einem Bereich, bei dem auch die EPBD ein Defizit erkennt. Die EU fordert von ihren Mitgliedsstaaten langfristige Renovierungsstrategien, die sie bis März 2020 vorlegen müssen. Sie sollen unter anderem dazu führen, das „wahrgenommene Risiko bei Investitionen“ zu mindern. Leider sind damit keine Vorgaben verbunden.
Denn es ist tatsächlich noch zu wenig bekannt, welche Potenziale die Gebäudeautomation für die Energieeffizienz und damit für die Wirtschaftlichkeit der Gebäude hat. Nehmen wir beispielsweise den Wert, der in den Energiebedarfsausweis einfließt, um die Effizienz des Gebäudes anzugeben. Er ist ein theoretisches Konstrukt und basiert auf einer DIN-Norm. Aber wir brauchen reale Zahlen, und zwar mithilfe von Untermessungen, die den Energiebedarf einzelner Anlagen erfassen. Sie liefern uns die Kennzahlen der wichtigsten Verbraucher und geben damit Auskunft über die konkrete Wirksamkeit von Maßnahmen.
Der Gebäudenutzer muss die Möglichkeit bekommen, einen prognostizierten Energiebedarf mit dem tatsächlichen Verbrauch zu vergleichen. Nur so wird offensichtlich, ob die einzelnen Gewerke und Technologien im Gebäude tatsächlich wie geplant Energie einsparen. Und nur so können Sanierungsmaßnahmen da angesetzt werden, wo wirklich der größte Hebel liegt.
Das Know-how für die Konzeption und die Umsetzung ist ja in der Branche vorhanden. Messdaten zu erfassen und auszuwerten gehört zu den Kernkompetenzen der Gebäudeautomation. Hier hätte ich mir mehr Anschub gewünscht. Die EPBD nennt zwar den intelligenten Zähler als Indikator für die Intelligenz des Gebäudes. Leider geht die Richtlinie aber nicht so weit, Untermessungen und automatische Zählererfassungen zur Pflicht zu machen.
TGA: Wie definiert denn die EPBD die Intelligenz eines Gebäudes?
Metz: Als die Fähigkeit, mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie den Betrieb an die Bedürfnisse der Nutzer und an die Anforderungen der Netze anzupassen, zugunsten einer verbesserten Energieeffizienz. Die EPBD thematisiert dies im Zusammenhang mit einem „Smart Readiness Indikator“, der eben jene Intelligenz erfassen soll.
Für den Planer wird der – so heißt er im Deutschen – Intelligenzfähigkeitsindikator vermutlich in den nächsten Jahren keine Relevanz haben. Die EPBD gibt lediglich vor, bis Ende 2019 ein System zur Bewertung der Intelligenzfähigkeit von Gebäuden zu entwickeln, und selbst das ist dann optional. Diese Aufgabe liegt aktuell bei der Europäischen Kommission.
Ich bezweifle allerdings, dass der Indikator wirkliche Impulse setzen wird. Ganz einfach, weil unsere Gebäude schon jetzt immer intelligenter werden. Einzelraumregelungen passen schon jetzt die Gebäudetechnik an die Bedürfnisse der Nutzer an. Sie erstellen individuelle Nutzerprofile und steuern automatisch zentrale Funktionen wie Beleuchtung, Heizung oder Lüftung.
Und auch die Interaktion von Gebäuden mit dem öffentlichen Stromnetz ist vielerorts schon real. Neubauten erzeugen zunehmend einen Teil des benötigten Stroms selbst, zum Beispiel durch Photovoltaik. Wenn dieser bei Lastspitzen nicht ausreicht, geht das nicht ohne eine intelligente Steuerung, um bedarfsgenau Energie aus dem Netz zu beziehen. Richtig komplex wird es aber erst dann, wenn gesamte Quartiere eingebunden sind. Solche Systeme bestehen dann aus verschiedenen Erzeugern, Verbrauchern und Speichertechnologien. Viele integrieren auch Ladeinfrastukturen für E-Mobilität. Noch sind solche Quartierslösungen Pilotprojekte. Ihre Entwicklung wird aber auch ohne den „Smart Readiness Indikator“ voranschreiten.
TGA: Für die Direktive sind Ladeinfrastrukturen für Elektrofahrzeuge tatsächlich ein Indiz für das intelligente Gebäude. Was haben neue Mobilitätskonzepte mit smarter Gebäudetechnik zu tun?
Metz: Wenn Sie keine eigene Lademöglichkeit haben, die sich in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung befindet und zudem immer verfügbar ist, schaffen Sie sich kein E-Auto an. Diese Ladestationen werden über die Elektroanschlüsse des Gebäudes gespeist, in dem Sie wohnen oder arbeiten. Das bedarf eines Ladelastmanagements, damit der Anschluss nicht überlastet wird bzw. genügend Leistung für das Laden mehrerer Batterien zur Verfügung steht. Auch Abrechnungssysteme müssen sich integrieren lassen. Und schließlich sind Autobatterien auch als Speicher nutzbar. Das bietet neue Optionen, gestaltet aber die Energiesysteme nochmals aufwendiger.
Hier macht die EPBD überraschend klare Vorgaben: Hat ein neues oder umfassend saniertes Gebäude mehr als zehn Stellplätze, muss es einen Ladepunkt haben. Bei Nichtwohngebäuden müssen zudem Kabelrohre zu mindestens jedem fünften Stellplatz führen, bei Wohngebäuden zu jedem einzelnen Stellplatz. So lassen sich später ohne großen Aufwand Leitungen verlegen.
TGA: Gebäudeautomatisierer profitieren also von den genauen Vorgaben für die Automatisierung von Nichtwohngebäuden und denen im Bereich der E-Mobilität. Wie bewerten Sie das Update der EPBD insgesamt?
Metz: Die EU wartet nicht mehr nur ab, in welcher Form die Länder die Richtlinie umsetzen und legt konkrete Maßnahmen selbst fest. Auch wenn das nur in Teilen passiert: Das ist neu und überrascht positiv. Bislang gab es ja nur verpflichtende Sanierungsquoten für Bestandsbauten der Regierungen, neben vorgeschriebenen Inspektionen und Energieaudits.
Die vorherigen Fassungen der EPBD hatten die Gebäudetechnik eher stiefmütterlich behandelt. Mit der Aktualisierung hingegen legt die EPBD einen Schwerpunkt auf niedriginvestive Maßnahmen im Bestand. Damit wertet sie die Gebäudeautomatisierung in der Diskussion um Energieeffizienz und Sanierung deutlich auf.
Dringend nötig jedoch sind Instrumente, die die Effizienz intelligenter Gebäudetechnik eindeutig beziffern. Deswegen hätte ich mir hier in der EPBD-Aktualisierung auch stärkere Impulse gewünscht. Denn die Betreiber müssen nachvollziehen können, dass Gebäudeautomation kein unliebsamer Kostenblock ist, der ihnen durch Gesetze auferlegt wird. Das Gegenteil ist ja der Fall: Bezogen auf den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes, amortisieren sich die Investitionen schon nach kurzer Zeit.
TGA: Frau Metz, vielen Dank für das Gespräch.
Vita
Eva-Maria Metz (Jahrgang 1990) hat Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Energie- und Umweltressourcen in Reutlingen und Berlin studiert. Seit 2014 ist sie bei Kieback&Peter als Marktmanagerin im Bereich Building Lifecycle tätig. Sie berät Kunden zum richtigen Umgang mit Energiedaten im Kontext gesetzlicher Anforderungen. www.kieback-peter.de
“Extrafrist“ in deutscher Fassung
Die Änderungsrichtlinie der EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) umfasst 17 Seiten, wobei die ersten sechs Seiten insgesamt 45 Erwägungsgründe wiedergeben. In der deutschen Fassung findet sich in der Einfügung von Artikel 2a „Langfristige Renovierungsstrategie“ ein Fehler, der angesichts der bisherigen terminlichen Defizite Deutschlands bei der Definition des Niedrigstenergiegebäude-Standards einer gewissen Ironie nicht entbehrt:
„Jeder Mitgliedstaat legt bis 2050 eine langfristige Renovierungsstrategie zur Unterstützung der Renovierung des nationalen Bestands sowohl an öffentlichen als auch privaten Wohn- und Nichtwohngebäuden in einen in hohem Maße energieeffizienten und dekarbonisierten Gebäudebestand fest, mit welcher der kosteneffiziente Umbau bestehender Gebäude in Niedrigstenergiegebäude erleichtert wird.“
Gemeint ist eigentlich: „Jeder Mitgliedstaat legt eine langfristige Renovierungsstrategie zur Unterstützung der Renovierung des nationalen Bestands sowohl an öffentlichen als auch privaten Wohn- und Nichtwohngebäuden für einen in hohem Maße energieeffizienten und dekarbonisierten Gebäudebestand in 2050 fest …“. Tatsächlich ist die Renovierungsstrategie von allen Mitgliedstaaten bis zum 10. März 2020 inklusive der Berichterstattung über eine zwingend durchzuführende öffentliche Anhörung vorzulegen.JV