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Bedarfslüftung

Regelgröße Raumluftschadstoffe

Rund 80 % der Lebenszeit verbringen Menschen in den Industrieländern in Gebäuden. Die Evolutionen hat sie dafür nicht ausgerüstet. Kaum dass wir eine für den Baukörper ­kritische Raumluftfeuchte wahrnehmen können, versagen wir bei den meisten Luftschad­stoffen gänzlich. Erst ein neuer Sensor versetzt uns in die Lage, bedarfsgerecht zu lüften.
Rund 80 % der Lebenszeit verbringen Menschen in den Industrieländern in Gebäuden. Die Evolutionen hat sie dafür nicht ausgerüstet. Kaum dass wir eine für den Baukörper ­kritische Raumluftfeuchte wahrnehmen können, versagen wir bei den meisten Luftschad­stoffen gänzlich. Erst ein neuer Sensor versetzt uns in die Lage, bedarfsgerecht zu lüften.

Umfangreiche messtechnische Bewertungen von genutzten Wohn- und Arbeitsräumen ­zeigen, dass in der überwiegenden Fallzahl eine CO2-Luftkonzentration von dauerhaft unter 1000 ppm (Pettenkoferzahl, MAK-Wert USA) durch natürliche Fugenlüftung nicht erreichbar ist. Nach einer Untersuchung (2003) von T. Weithaas, TH Freiberg, ergaben sich in 85 % der im Altbaubestand (!) untersuchten Wohnungen natürliche Luftwechsel kleiner als 0,4 h-1 und in 50 % der Wohnungen sogar kleiner als 0,18 h-1.

Besonders in bebauten und windschwachen Inlandsgebieten sind die am Gebäude wirkenden Windkräfte und Temperaturdifferenzen viel zu ­gering, um genügend Frischluft durch Bauteilfugen in die Räume einzupressen. Auch die ­ungenutzten (und daher kalten) Abgaszüge in ­Gebäuden ge­ringer Höhe werden bezüglich ihrer natürlichen Druckdifferenzen oftmals überbewertet und somit ihr möglicher Beitrag zur natürlichen Lüftung stark überschätzt. Im Jahresverlauf resultieren aus der mittleren Tageswindgeschwindigkeit (theoretische) Differenzdrücke, die an ­Gebäudefassaden bis 10 m Höhe nur an sehr ­wenigen Tagen im Bereich von 50 Pa liegen. An den meisten Tagen stehen deutlich unter 10 Pa zur Verfügung.

Nimmt man moderne Fensterkonstruktionen entsprechend der Energieeinsparverordnung an und stellt die sich daraus errechneten Infiltrationsluftmengen der geforderten Mindestluftmenge pro Person in einem 20 m2 großem Raum entgegen, wird deutlich, dass mittels Infiltration eine Mindestlüftung genutzter Aufenthaltsräume grundsätzlich nicht erreichbar ist. Auch nicht bei einer großzügigen Veränderung der Annahmen. Selbst bei 55 Pa Differenzdruck an sehr windigen Tagen werden im betrachteten Fall Frischluftmengen von weniger als 25 m3/h erreicht.

Aktive Fensterlüftung

Auch die Möglichkeiten der aktiven Fensterlüftung werden in schon trauriger Regelmäßigkeit immer wieder überschätzt. Die für eine ­hygienische und bauschadensfreie Raumluft er­forderlichen Frischluftmengen sind vor allem ­während der Schlafphasen und längerer Auf­enthaltszeiträume durch die Faustformel „fünf­malige Stoß- oder Durchzugslüftung pro Tag“ nicht realisierbar. Zudem sind die erreichbaren Luftwechselraten sehr stark von der Ausrichtung der Räume und der Qualität der Innentüren ab­hängig. Östlich positionierte Räume oder Räume mit geschlossen gehaltenen Innentüren erreichen nur Bruchteile der Frischluftmengen, die bei all­gemeinen Berechnungen tatsächlich angesetzt werden.

Und einmal Hand aufs Herz: Wer lüftet regelmäßig fünfmal pro Tag für 3 bis 5 min quer, vielleicht noch bei Außentemperaturen von –5 °C, Windstärke 4 oder Schlagregen und sammelt danach seine Schreibtischutensilien wieder ein, stellt die Pflanzen wieder auf die Fensterbank und sich selbst den Wecker zweimal die Nacht? Selbst dann, der Erfolg ist nicht sicher. Die theoretisch erreichbaren Luftwechsel in Räumen mit aktiver Fensterlüftung (10 min. Stoßlüftung) und verschiedenen natürlichen Luftwechselraten sind in Bild 1 dargestellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass theoretische Mittelwerte bilanziert werden. Anhand des Diagramms wird deutlich, dass der geforderte (hygienische) Mindestluftwechsel in Aufenthaltsräumen durch manuelle Fensterlüftung (Stoßlüftung) unter realistischen Randbedingungen nur bedingt erreichbar ist.

Maschinelle Raumbelüftung

Die maschinelle Raumbelüftung mit Abluftwärmerückgewinnung stellt bei fast luftdichten Gebäudehüllen (zur Vermeidung von Bauschäden und vorgeschrieben durch das Baurecht) und dem dringenden Gebot der Primärenergiesparsamkeit (ebenfalls vorgeschrieben im Baurecht), oft die einzig mögliche Alternative zur Aufrechterhaltung einer hohen Raumluftqualität dar. Selbst beim Einsatz emissionsarmer Baustoffe erfordern eine Schadstoffe emittierende Raumeinrichtung und der Mensch selbst als Quelle von Luftschadstoffen eine Zwangsbelüftung.

Die bisher verwendeten Regelgrößen Raumluftfeuchte und CO2-Konzentration sind jedoch nicht ausreichend geeignet, eine schadstoffarme und gesunde Raumluftqualität zu garantieren. Bei nur geringen Feuchte- und CO2-Abgaberaten durch die Raumnutzer können relevante Schadstoffkonzentrationen in der Raumluft entstehen. Ausgasungen aus Baustoffen, Einrichtungsgegenständen, Mobiliar, Kunststoffen, elektronischen Geräten, Verbrennungsabgase oder vielfältige Geruchsquellen, auch anthropogener Art, sind dafür verantwortlich.

Luftschadstoffe in Fülle

Die Anzahl der anthropogenen und der natürlichen chemischen Substanzen, die in der Atemluft vorkommen können, ist unüberschaubar. Chemiker sprechen von über 12 Mio. neu synthetisierten und dokumentierten chemischen Verbindungen. Mehr als 1000 davon sind mittlerweile in der Raumluft von Wohn- und Arbeitsräumen nachweisbar.

Pro Jahr werden zudem über 10000 neue chemische Verbindungen „erschaffen“. Von fast keiner sind die zu erwartenden Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt bekannt. Trotzdem werden sie teilweise völlig be­denkenlos in der Forschung und der Produktion von Gebrauchsgegenständen und Baustoffen eingesetzt, ohne dass das eventuelle gesundheits- und umweltschädliche Potenzial erforscht ist. Von der Wirkung der Stoffgemische, die sich in ­realen Raum­situationen ergeben können, ganz zu schweigen.

Gesetzliche Hilfe nicht in Sicht

Die sehr viel menschliches Leid verur­sachenden Asbestfasern und die als Nervengift wirksamen Substanzen in den Holzschutzmitteln der 60er und 70er Jahre sind ein trauriges Beispiel für menschliches Versagen beim Umgang mit Stoffen, deren Gefahren lange bekannt waren. Da die Festlegung eines gesetzlichen Grenzwerts per Definition immer den Versuch einer Kompromissfindung zwischen wirtschaftlichen Interessen (allzu häufig auch Interessen der Wirtschaft) und zumutbarer Gesundheitsgefährdung inkl. hinnehmbarer zusätzlicher Sterberate darstellt, ist vom Gesetzgeber keine zeitnahe Hilfe möglich.

Der Gesetzgeber hat nur für sehr wenige Schadstoffe maximale Konzentrationen angegeben, die etwa in Wohnräumen nicht überschritten werden dürfen. Für wenige andere Schadstoffe hat er „Eingreifwerte“ benannt, bei deren Überschreitung Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden sollen. Der neue Umgang mit der Radongasproblematik in Gebäuden ist ein aktuelles ­Beispiel dieses schwierigen Prozesses. Auch die Festlegung, Begründung und Anpassung der MAK-Werte für Arbeitsplätze an aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse bereitete in der Praxis große Probleme.

Da wir jedoch ca. 80 % unserer Lebenszeit in geschlossenen Räumen verbringen, bräuchten wir auch verlässliche Grenzwerte für Wohnräume. Schließlich verbringen wir dort durchschnittlich mehr Zeit als am Arbeitsplatz. Vor allem Kinder ­ältere Menschen und Kranke, die besonders empfindlich auf mit Schadstoffen belastete Raumluft reagieren, müssen geschützt werden. Trotzdem gibt es keinen gesetzlich verbindlichen Maxi­malen-Aufenthaltsraum-Konzentrations-Wert für alle bereits bekannten gesundheitsschädlichen Substanzen.

Verdünnung als Ausweg

Wir könnten jedoch die Möglichkeiten einer neuen Sensortechnologie nutzen, um die Konzentration von Luftschadstoffen in der Raumluft zu verringern, ohne erst zeitraubende Grenzwertdiskussionen abzuwarten. Neuere Entwicklungen zeigen, dass es jetzt möglich ist, die erforderlichen Frischluftmengen für Innenräume auf die jeweils aktuellen Schadstoff- und Wasserdampfmengen in Echtzeit abzustimmen. Dadurch wird eine gleich bleibend hohe Qualität des Raumklimas ermög­licht, und das bei gleichzeitig minimalem Energieeinsatz für Raumbeheizung und -belüftung.

In einem umfangreichen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben1) sind in der Zeit von 1997 bis 2004 weltweit einmalige VOC-Sensoren (Volatil Organic Compounds – leichtflüchtige organische Lösemittel) mit einem komplexen Auswertealgorithmus entwickelt und erprobt worden (Bild 3). Technische Parameter der Luft-Qualitäts-Sensoren LUQAS:

• Metalloxidsensor (Zinndioxid auf Keramik­substrat)

• breitbandige Messung verschiedener Gase und Dämpfe durch interaktive Sensorsignalauswertung

• optional ausgeprägte Selektivität für bestimmte Gase, wie Lösemittel, CO, Tabakrauch, Gerüche, Kohlenwasserstoffe, Ammoniak, ­Alkohole, Benzole usw.

• Konzentrationen von < 10 bis 15000ppm ­erfassbar

• Nullpunktstabil, Fehler < 3 %, Langzeitbe­ständig

• der Messwert ist unabhängig von Temperatur- und Feuchteänderungen in der Raumluft

• die Ansprechzeit ist einstellbar, < 5 s möglich

Verfügbare Anwendungen

• VOC-Sensor im M18-Gehäuse für Kanaleinbau mit integrierter interaktiver Auswerteelektronik im patentierten isothermischen Gehäuse. Spannungsversorgung 12…28 V, Leistungsaufnahme 1,5 W, Schnittstellen 0…10 V bzw. 4…20 mA automatisch umschaltend sowie eine RS 232/485 Schnittstelle [ETR].

• Evaluation Kit, bestückbar mit VOC- oder Feuchte/Temperatur-Sensor, „stand alone“ Luftqualitätsregelung, Spannungsversorgung 9 V DC 500 mA, Leistungsaufnahme 3 W, analoge Anzeige, Analogschnittstellen 0…10 V, 4…20 mA, RS 232, 2 Relaisausgänge Wechsler 8 A 250 VAC, Software zur Parametrierung von Empfindlichkeit, Hysterese, Schaltverhalten und Schaltverzögerungen [ETR].

• Lüftungsampel: LUQAS-Sensor inkl. interaktiver Signalverarbeitung zur Messung und ­Visualisierung der Raumluftqualität mit optischer Anzeige, einsetzbar in Aufenthaltsräumen zur sensorischen „Animation“ des manuellen Lüftungsverhaltens [ETR].

Anwendungsgebiete für LUQAS

Die menschlichen Sinnesorgane sind allein nicht in der Lage, uns vor einer zu hohen Belastung durch Luftschadstoffe und mikrobiologische Ausscheidungen zu warnen, da sie bauschadensrelevante Luftfeuchtekonzentrationen sowie gesundheitsschädliche Luftschadstoffkonzentrationen nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht detektieren können.

Der Einsatz von Luft-Qualitäts-Sensoren erlaubt es dem TGA-Planer hingegen, eine völlig neue Qualität der Raumluft zu realisieren. Durch die schadstoffbezogene Regelung der Zu- und Abluftmengen in RLT-Anlagen lassen sich folgende Effekte erzielen:

• Energieeinsparung bei Luftmengentransport und Luftaufbereitung

• durch evtl. mögliche Gleichzeitigkeitskriterien lassen sich Anlagengrößen optimieren

• durch Luftmassenstromreduzierungen lassen sich Lager- und Antriebsbauteile entlasten und deren Wartungsaufwand reduzieren

• Reduzierung der Geräuschemissionen und der Strömungsgeschwindigkeiten

• spürbare Verbesserung der empfundenen Raumluftqualität durch die Raumnutzer

• Senkung der Schadstoffkonzentrationen in der Raumluft

• breitere Akzeptanz von RLT-Anlagen durch zufriedenere Nutzer

• Reduzierung des Krankenstands in neuen oder frisch sanierten Gebäuden durch Verringerung der anfangs sehr hohen Konzentrationen von VOC, die oft massiv aus Belagsklebestoffen oder Oberflächenbeschichtungen ausgasen

• Erschließung eines neuen Auftraggebersegments vor allem in Büro- und Wohnräumen: 79 % der an den Feldtests des Forschungsvorhabens beteiligten Personen gaben an, ihre Lüftungsgewohnheiten entsprechend der ­Visualisierung durch LUQAS-Messergebnisse verändert zu haben, 64 % würden ein solches System weiterempfehlen

Das Potenzial für die neue Sensortechnologie ist also enorm2). Zur ISH hat AL-KO Lufttechnik das weltweit erste Raumbediengerät mit Luftqualitätsmesseinheit unter dem Namen „AirQualitizer“ (Bild 4) präsentiert. Das in Kooperation mit ETR und Belimo entwickelte Raumbediengerät verfügt neben der Einstellung der Solltemperatur über eine diskrete Visualisierung der Luftqualität und des Luftvolumenstroms sowie über Taster zur manuellen Beeinflussung des Volumenstroms.

Die breite Anwendung von Raumluftschadstoffsensoren im privaten Bereich sowie in Schulen und Hörsälen könnte maßgeblich dazu beitragen, die Akzeptanz für die sich immer stärker abzeichnende Notwendigkeit mechanischer Belüftung im Wohnungsbau zu erhöhen.

1) An dem Entwicklungsvorhaben waren beteiligt: IVAM NRW – Projektkoordination; UST – Sensorentwicklung und Fertigung, http://www.umweltsensortechnik.de; ETR – Sensorintegration, Auswerteelektronik, Produktion, Projektleitung, http://www.etr-gmbh.de; Krantz TKT – Integration in HLK Technik, Feldtests; EUREM – Integration in HLK Technik; UTEC, Bremer Energieinstitut – LUQAS II, wissenschaftliche Begleitung, Feldforschung, Tripel Sensor-Lüftungsampel, http://www.utec-bremen.de; BMWi – Förderung des Vorhabens; Forschungszentrum Jülich – Projektbegleitung. Weiterführende Informationen auch beim Fachinstitut Gebäude-Klima, FIA Forschungsbericht, http://www.fgk.de; Institut für Angewandte Thermodynamik und Klimatechnik, Universität Essen, http://www.atk.uni-essen.de

2) Im Entwurf zur Neufassung der DIN 1946-6 (12-2006) wird in den allgemeinen Anforderungen für Lüftungssysteme ausdrücklich die bedarfsgeführte Lüftung über die Parameter Raumluftfeuchte, Kohlendioxid und Mischgasgehalt (VOC) erwähnt. Punkt 4.6 „Raumluftqualität und Hygiene“ verweist auf die Raumluftqualitätsparameter Kohlendioxid durch Nutzeremissionen, Raumluftfeuchte durch Raumnutzung und Baufeuchte sowie Emissionen durch Personen und Raumausstattungen. Die im Entwurf vorgesehene Vergabe von Kennzeichnungen an RLT-Anlagen als Qualitätsmerkmal gibt den Herstellern somit die Möglichkeit, durch den Einsatz von LUQAS-Sensoren im Regelkreis der Anlage, den Status einer „E“-Kennzeichnung für „besonders Energieeffizient“ zu erreichen.

Steffen Sabin


ist Baubiologe, Messtechniker und ist freier Sachverständiger für Innenraumschadstoffe, Schimmelpilzanalysen, Feuchte- und Wärme­bilanzierung im Hochbau, 15326 Lebus, Telefon (03 36 04) 6 38 43, E-Mail: steffen-sabin@web.de