Baulicher Wärmeschutz und die Vermeidung von Feuchtigkeit am und im Bauwerk gehören zu den Grundvoraussetzungen für die Errichtung, Sanierung und Nutzung von Wohnungen. Unabhängig von energetischen Maßnahmen, die sich aus der Energieeinsparverordnung (EnEV) [2, 3, 4] ergeben, muss die Priorität bei der Nutzung von Räumen und Gebäuden liegen. Die Nutzung von Räumen, deren bautechnische Ausgestaltung und die Lüftungsmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahrzehnten entscheidend verändert.
Erhöhte Luftdichtheit der Gebäudehülle, erhöhter Feuchteeintrag durch die Nutzung (z.B. Grünpflanzen, Trocknen von Wäsche) bei gleichzeitig geringerer Feuchtespeicherung der Raumumschließungsmaterialien und der Wohnungseinrichtungen führen seit einigen Jahren vermehrt zu Schäden an der Bausubstanz, vor allem durch Schimmelbefall. In der Folge kam es zu erheblichen juristischen Auseinandersetzungen zwischen Mietern und Vermietern, Eigennutzern der Immobilie und Baubetrieb oder Bauherr und Architekt/Fachplaner. Besonders häufig wird dabei über die schuldhafte Verursachung und Verantwortlichkeiten gestritten. Allein die extrem hohe Quote von Wohnungen mit Schimmelschäden wirft die Frage auf, ob Bautechnik, Bauvorschriften und Förderregularien auf die heute vorherrschenden Lebensgewohnheiten, Komfortansprüche und das Bedürfnis, Energie zu sparen (geringere Raumtemperatur, kein kontinuierliches Lüften über Fenster, Teilbeheizung), angemessen ausgerichtet sind (waren).
EnEV und Lüftung
Bei der 3. Wärmeschutzverordnung 1995 [1] und der Energieeinsparverordnung EnEV 2002 stand die Minimierung des Energieverbrauchs für die Beheizung von Wohnungen und die Trinkwassererwärmung im Fokus, wobei beide Verordnungen bereits Vorgaben zur Dichtheit des Gebäudes gemacht haben. Erst die EnEV 2002 weist auf einen Mindestluftwechsel hin, nennt aber bevorzugt die Fenster als Lüftungseinrichtung. Die Minimierung des Energiebedarfs für Lüftung (sowie Kühlung und Beleuchtung) ist erst ab der EnEV 2007 tiefer thematisiert.
Während der Energieverbrauch in Wohnungen für die Heizung primär durch die Gebäudeeigenschaften – vorrangig durch die maximal zulässigen Transmissionswärmeverluste – beeinflusst wird, ist der Energiebedarf für die Lüftung, die Beleuchtung und u.U. auch für die Trinkwassererwärmung eine weitgehend nutzerabhängige und somit schwer beeinflussbare Größe.
Die Lüftungswärmeverluste – sowohl ein Bestandteil der Heizlastberechnung als auch der EnEV – werden im Wohnbereich über den erforderlichen Mindestaußenluftvolumenstrom qv,ODA,min (bzw. den Mindestaußenluftwechsel nODA,min) bestimmt, der sich vor allem aus hygienischen und gesundheitlichen Gründen (CO2-Konzentration, Pettenkofer-Maßstab), der Schadstoffbelastung des Gebäudes (siehe auch [5] und [9]) bzw. aus bauphysikalischen Gründen (Taupunktunterschreitung, z.B. DIN 4108 [6]) ergibt.
Durch die starke Reduzierung des Transmissionswärmeverlusts in den letzten Jahren hat der prozentuale Anteil der Lüftung am Gesamtwärmeverlust erheblich zugenommen. In der Folge kam die Forderung auf, eine möglichst hohe Luftdichtheit der Konstruktion einschließlich der Funktionsfugen (Fenster und Türen) zu realisieren. Da die Lüftung eine notwendige Voraussetzung für die Nutzung der Wohnung ist, können die energetischen Verluste durch eine Wärmerückgewinnung verringert werden. Bei einer zu starken Reduzierung des Luftvolumenstroms steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit von Feuchteschäden, Schimmelbildung und Geruchsbelästigungen.
Mindestaußenluftwechsel
Der freien permanenten Lüftung über die Fensterfugen kam in der Vergangenheit die Aufgabe zu, den in der DIN 4108-2 [6] geforderten Außenluftwechsel von n= 0,5 h–1 nahezu unabhängig vom Nutzer und seiner Anwesenheit in der Wohnung zu gewährleisten. Die Werte der Luftwechsel lagen bei Bestandsgebäuden (Ein- und Zweifamilienhäuser, Baujahr 1970) [13] bei durchschnittlich n= 8…10 h–1, bei Mehrfamilienhäusern mit einer exponierten Fassade wesentlich darunter.
Über die Forderung, den Lüftungswärmeverlust zu reduzieren, wird in DIN 4108-7 [8] im Rahmen des Mindestwärmeschutzes gefordert, eine luftdichte Bauweise zu realisieren und dass die Fenster im geschlossenen Zustand nicht mehr zum Luftwechsel beitragen dürfen. Daraus ergeben sich zwei Optionen, um den erforderlichen Mindestaußenluftwechsel zu gewährleisten.
- eine durch den Nutzer vorzunehmende Fensterlüftung in Form von mehreren Stoßlüftungen über 24 Stunden verteilt oder
- eine nutzerunabhängige Lüftungseinrichtung
Die erste Option setzt voraus, dass der Nutzer einerseits in der Lage ist, täglich in bestimmten zeitlichen Abständen zu lüften und andererseits auch real einschätzen kann, nach welchem Zeitraum diese Lüftung erfolgen muss. Dabei wird er im Allgemeinen von seinem Empfinden (Temperatur), von der Jahreszeit, d.h. Außenlufttemperatur und dem Aspekt des „Energiesparens“ (besser Heiz- bzw. Betriebskostensparen) subjektiv geprägt werden.
Die zweite Option setzt eine bau- und/oder anlagentechnische Lösung voraus, die vom Nutzer weitgehend unabhängig funktionieren muss, jedoch abhängig von der relativen Luftfeuchtigkeit und der CO2- bzw. Schadstoffkonzentration gesteuert werden sollte.
Lüftung nach DIN 1946-6
DIN 1946-6 [10] weist vier Grundlüftungsprinzipien aus.
- Lüftung zum Feuchteschutz (FL)
- Mindestlüftung (ML)
- Grundlüftung (GL)
- Intensivlüftung (IL)
Positiv ist an der Norm, dass die Lüftung als Feuchteschutz eindeutig ausgewiesen wird und ein Bezug auf einen Mindestaußenluftvolumenstrom je Raum (Index: R) qV,ges,R=qV,ODA,ges,R in Abhängigkeit der Raumnutzung (Tabelle 1) hergestellt wurde – im Gegensatz zu der allgemeinen Aussage in der EnEV. Die aus DIN 1946-6 abgeleiteten Lüftungskonzepte in [11] weisen sowohl eine Infiltration als auch bei der Lüftung ein Öffnen des Fensters durch den Nutzer in bestimmten Zeitintervallen aus (Tabelle 2).
Für die ventilatorgestützte Lüftung sind zur Ermittlung und Festlegung der nutzungsunabhängigen Gesamt-Außenluftvolumenströme für die Lüftung der vier genannten Prinzipien die Werte nach Tabelle 3 bezogen auf Wohnung bzw. Nutzungseinheit in m2 anzuwenden. Die Werte für die Grundlüftung (GL) sind Bezugswerte für die Bemessung der Lüftungskomponenten der freien Lüftung. Zur Berechnung gilt die zugeschnittene Größengleichung für die Grundlüftung, die in Tabelle 3, Fußnote 6, wiedergegeben ist. Somit ist neben den Tabellenwerten eine Interpolation über die Fläche der Nutzungseinheit ANE möglich. Der Bezug zur Nutzfläche ist eine planerische Möglichkeit, wobei sie – wie bei der Ermittlung des Heizenergiebedarfs für die Trinkwassererwärmung in der EnEV – die tatsächliche Wohnraumbelegung nur eingeschränkt widerspiegeln kann.
Die Grundlüftungsprinzipien FL, ML und GL implementieren die Forderung „nutzerunabhängig“. Eine Wohnung muss darum so geplant werden, dass auch bei Abwesenheit des Nutzers und geschlossenen Fenstern keine kritische Raumluftfeuchte mit dem Risiko der Schimmelbildung auftreten kann. Nach [12] verlagert sich das „Lüftungsverhalten“ bzw. „Lüftungsrisiko“, das bisher infolge der kaum eindeutig geklärten Zuständigkeiten meistens dem Nutzer angelastet wurde, dadurch auf den Planer, Architekten bzw. Vermieter einer Immobilie (je nach Vertragsverhältnis).
Durch die Einbeziehung der Sanierung bzw. Teilsanierung (z.B. Fenstertausch) in die Zuordnung der Grundlüftungsprinzipien ergibt sich zwangsläufig, dass bereits bei solchen Maßnahmen die Lüftungsanforderungen zu prüfen und zu gewährleisten sind. Lüftungstechnisch relevant ist DIN 1946-6 bei der Sanierung (Instandsetzung/Modernisierung) eines bestehenden Gebäudes, wenn „ausgehend von einem für den Gebäudebestand anzusetzenden n50-Wert von 4,5 h–1
- <i>im Mehrfamilienhaus mehr als ein Drittel der vorhandenen Fenster ausgetauscht werden </i>
- <i>im Einfamilienhaus mehr als ein Drittel der vorhandenen Fenster ausgetauscht werden bzw. mehr als ein Drittel der Dachfläche abgedichtet werden</i>“ (siehe auch: Tabelle 4).
Planung und Abnahme
Nach [12] ergeben sich aus DIN 1946-6 für den Planer, Architekten, Handwerker, Vermieter (bzw. beauftragten Hausverwalter) umfassende Hinweispflichten und Haftungsrisiken:
„Da die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt der Abnahme geschuldet wird, kann nach vorliegenden Rechtsgutachten ein Neubau ohne geplante Lüftungseinrichtungen bereits einen Planungsfehler darstellen, sofern er nicht bis Mai 2009 abgenommen wurde. Gleichzeitig hat die Norm auch Ausstrahlungswirkung auf Gebäude, die vor 2009 errichtet und saniert wurden. Sofern Gebäude nach Mai 2009 über einen expliziten Nachweis der nutzungsunabhängigen Mindestlüftung verfügen müssen, steht die Frage, warum dies bei einem Gebäude, das 2005 unter gleichen Bedingungen errichtet wurde, nicht erforderlich ist. Einen möglichen Ansatz zur Einbeziehung von Gebäuden ab 2006 stellt der Gelbdruck der Norm dar, da hierdurch bereits umfangreiche Hinweispflichten des Planers/Architekten ausgelöst wurden.“
Dies bedeutet nach [12] auch, dass ein luftdichtes Gebäude ohne zusätzliche nutzerunabhängige Lüftungseinrichtungen schon mit der Einführung der WSVO 95 nicht mehr den anerkannten Regeln der Technik entsprach. Somit besteht bei einem Schadensfall (z.B. Schimmelpilzbefall) die Nachweispflicht, ob die bauliche nutzungsunabhängige Mindestlüftung eingehalten wird bzw. ob ein rechnerischer Nachweis vorliegt. Kann der Nachweis nicht erbracht werden, liegt ein bautechnischer Fehler vor.
Unverständlich ist in diesem Zusammenhang, dass zwar der Austausch von Fenstern unter dem Aspekt der Minimierung des Heizenergiebedarfs staatlich gefördert wird, jedoch nicht die nach DIN 1946-6 erforderlichen Maßnahmen einer nutzungsunabhängigen Lüftung als Voraussetzung für den Fensteraustausch.
Schlussfolgerungen
Maßnahmen zur Reduzierung des Heizenergie- bzw. Primärenergiebedarfs im Neubau und bei der Sanierung/Modernisierung sind nur dann sinnvoll und zweckmäßig, wenn der hygienisch und bauphysikalisch notwendige Mindestaußenluftvolumenstrom gewährleistet werden kann, um Schäden an der Bausubstanz sicher zu vermeiden.
Die Verantwortung für eine ausreichende Lüftung auf den Nutzer zu delegieren ist unrealistisch, da von ihm keine Kenntnisse über Dauer und Art der Lüftung in Abhängigkeit der Belastung und des Außenluftzustands vorausgesetzt werden können. Der häufig in Mietverträgen benutzte Begriff „ausreichend“ ist weder quantifizierbar noch qualifizierbar.
Die Gewährleistung einer nutzerunabhängigen Lüftung entsprechend DIN 1946-6 ist in vielen Fällen nur durch den Einsatz einer kontrollierten Wohnungslüftung zu realisieren.
Literatur:
[1] WSchVo 95: Wärmeschutzverordnung 1995 – Verordnung über einen energiesparenden Wärmeschutz bei Gebäuden vom 24. August 1994, BGBl I Nr. 55 S. 2121
[2] EnEV 2002: Verordnung über energiesparenden Wärmeschutz und energiesparende Anlagentechnik bei Gebäuden vom 16. November 2001, BGBl. I Nr. 59 S. 3085
[3] EnEV 2007: Verordnung über energiesparenden Wärmeschutz und energiesparende Gebäudetechnik bei Gebäuden vom 24. Juli 2007, BGBl. I Nr. 34 S. 1519
[4] EnEV 2009: Verordnung zur Änderung der Energieeinsparverordnung vom 29. April 2009, BGBl. I Nr. 23 S. 955
[5] DIN EN ISO 7730 Ergonomie der thermischen Umgebung – Analytische Bestimmung und Interpretation der thermischen Behaglichkeit durch Berechnung des PMV- und des PPD-Indexes und Kriterien der lokalen thermischen Behaglichkeit. Berlin: Beuth Verlag, Mai 2006
[6] DIN 4108-2 Wärmeschutz und Energieeinsparung in Gebäuden – Teil 2, Mindestanforderungen an den Wärmeschutz. Berlin: Beuth Verlag, Juli 2003
[7] Oswald: Schwachstellen, Erscheinungsbilder und Ursachen häufiger Bauschäden. db – das Bauzentrum, 9-1995
[8] DIN 4108-7 (Entwurf) Wärmeschutz und Energie-Einsparung in Gebäuden – Teil 7: Luftdichtheit von Gebäuden, Anforderungen, Planungs- und Ausführungsempfehlungen sowie -beispiele. Berlin: Beuth Verlag, Januar 2009
[9] DIN EN 15251: Eingangsparameter für das Raumklima zur Auslegung und Bewertung der Energieeffizienz von Gebäuden – Raumluftqualität, Temperatur, Licht und Akustik. Berlin: Beuth Verlag, August 2007
[10] DIN 1946-6 Raumlufttechnik – Teil 6: Lüftung von Wohnungen – Allgemeine Anforderungen, Anforderungen zur Bemessung, Ausführung und Kennzeichnung, Übergabe/Übernahme (Abnahme) und Instandhaltung. Berlin: Beuth Verlag, Mai 2009
[11] Berhorst, H.: DIN 1946 Teil 6: Konsequenzen für Planer, Bauherren und Nutzer. Berlin: Huss, MGT 5-2006
[12] Westfeld, H.: Relevanz von Lüftungsanlagen in der neuen Wohnungs-Lüftungsnorm DIN 1946-6. Zusammenfassung aus Aufsätzen des Autors in „Sachverständige“ 11/2008, „NZ-Bau“ 05/2009 und „NZ-Mietrecht“ 12/2009
[13] DIN 1946-6: VDI-Lüftungsregeln – Wohnungslüftung. Berlin: Beuth Verlag, Oktober 1998, zurückgezogen
Achim Trogisch
Prof. Dr.-Ing., lehrt an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (FH) im Fachbereich Maschinenbau/Verfahrenstechnik auf dem Gebiet TGA. Telefon (03 51) 4 62 27 89 E-Mail: trogisch@mw.htw-dresden.de http://www.htw-dresden.de/mb