Seit rund einem halben Jahr ist die neue EG-Maschinenrichtlinie oder kurz MaschRL 2006/42/EG in Kraft – aber noch haben nicht alle Planer und Verarbeiter die rechtlichen Konsequenzen einkalkuliert: Die MaschRL führt nicht nur zu einer europaweit einheitlichen Definition der Risikobeurteilungen und Schutzmaßnahmen für kraftbetätigte Fenster, sondern auch zu einer Durchgriffshaftung auf den Hersteller. Hersteller ist allerdings nicht – wie man meinen könnte – der Produzent des Fensters oder des elektrischen Antriebes, sondern derjenige, der den Antrieb bzw. das Antriebssystem mit dem Fenster zusammenführt – also in der Regel der Verarbeiter. Was das praktisch bedeutet, erläutert Christoph Kern, Geschäftsführer der D+H Rauchabzug-Lüftung GmbH Hamburg.
Was ist eine Maschine? Und wer ist ihr Hersteller?
Um die juristischen Auswirkungen der seit dem 29. Dezember 2009 gültigen MaschRL zu verstehen, muss man zwei quasi philosophische Fragen beantworten: Was ist eine Maschine? Und wer ist ihr Hersteller? Und wie bei vielen fundamentalen Problemen sind die Antworten weder einfach noch unmittelbar einleuchtend. Denn der europäische Gesetzgeber unterscheidet „unvollständige“ und „vollständige“ Maschinen. Elektrische Antriebe oder Antriebssysteme für kraftbetätigte Fenster sind unvollständige Maschinen im Sinne der MaschRL. Sie bilden erst zusammen mit einem Fenster oder einer Rauchabzugs- oder Lüftungsklappe eine sogenannte vollständige Maschine. Dagegen ist ein Fensterflügel oder eine Rauchabzugs- oder Lüftungsklappe keine unvollständige Maschine, sondern nur potenzieller Bestandteil einer vollständigen Maschine.
Oder genauer gesagt: „Eine Maschine ist eine mit einem anderen Antriebssystem als der menschlichen Kraft ausgestattete Einheit miteinander verbundener Teile, von denen mindestens eines beweglich ist. Hierbei ist es unerheblich, ob diese Einheit bereits mit einem Anschlusskabel ausgerüstet ist bzw. an seine Energieversorgung angeschlossen worden ist.“ (gemäß MaschRL Art. 2 a). Und der „Hersteller“ einer solchen vollständigen Maschine ist deshalb weder der Produzent des Fensters noch der Produzent des elektrischen Antriebes, sondern der Betrieb, der den Antrieb bzw. das Antriebssystem mit dem Fenster zusammenführt, also in der Regel der Fassadenbauer oder der RWA-Errichter.
Auch der Planer ist in der Verantwortung
Und genau ab diesem Punkt entfaltet die MaschRL 2006/42/EG ihre rechtliche Bedeutung. Denn der Hersteller einer Maschine oder sein Bevollmächtigter muss dafür sorgen, dass eine Risikobeurteilung vorgenommen wird, um die für die Maschine geltenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen zu ermitteln. Dafür ist der Planer bzw. die ausschreibende Stelle verantwortlich. Maßgeblich für die Risikoeinschätzung sind neben der Art und Funktion eines kraftbetätigten Fensters unter anderem die Steuerung oder Bedienung, die Einbausituation, die Raumnutzung und die wesentlichen Nutzergruppen.
Ein besonders geringes Risiko besteht beispielsweise bei unzugänglich eingebauten Fenstern in einem gewerblich genutzten Raum, dessen Nutzer in die Bedienung eingewiesen sind. Je zugänglicher die Fenster und je mannigfaltiger die Nutzerstruktur, desto höher sind die Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen. Deshalb unterliegen beispielsweise Kindergärten oder Krankenhäuser der höchsten Risikoklasse. Aber gleichgültig ob Büro, Verkaufsraum oder Schule: Die konkrete Ermittlung der jeweiligen Schutzklasse von 0 bis 4 muss immer nachvollziehbar dokumentiert werden. Denn im Schadensfall haftet der Hersteller im Sinne der MaschRL.
Zur Vereinfachung der Schutzklassen-Bestimmung haben Verbände und Unternehmen Checklisten entwickelt, die auch zum Download zur Verfügung stehen (beispielsweise auf www.dh-partner.com: Risikobeurteilung und Schutzmaßnahmen für kraftbetätigte Fenster).
MaschRL greift auch beim Austausch
Kern: „Die MaschRL 2006/42/EG ist nicht nur beim Neubau, sondern auch beim Austausch oder nachträglichen Einbau von elektrischen Antrieben zu beachten. Wird in einem Bestandsobjekt ein elektrischer Antrieb montiert, muss der Hersteller stets eine Risikobeurteilung durchführen und die notwendigen Schutzmaßnahmen bei der Montage umsetzen.“ Um Haftungsrisiken zu vermeiden, empfiehlt Kern in jedem Fall – auch bei möglichem Dissens mit dem Auftraggeber – eine komplette schriftliche Dokumentation aller Vorgänge. Beispielsweise auch dann, wenn eine Wartungsfirma feststellt, dass die bauseitig vorhandenen Schutzmaßnahmen unzureichend sind oder der Hersteller der Maschine im Sinne der MaschRL 2006/42/EG auf der Baustelle eine unpassende Einbausituation feststellt. Kern: „Auch wenn der Auftraggeber die Inbetriebnahme trotz fehlender Schutzmaßnahmen ausdrücklich verlangt, haftet im Schadensfall grundsätzlich der Hersteller, und zwar unabhängig davon, in wessen Auftrag er gehandelt hat.“ ToR
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