Kompakt informieren
- TGA-Planer und Ausführende sichern in den meisten Fällen ab, dass die Trinkwasser-Installation den allgemein anerkannten Regeln der Technik und damit der Trinkwasserverordnung entspricht – aber auf den Betreiber sind die Konzepte selten optimal abgestimmt.
- Denn die im Regelwerk vorgesehene Integration des Betreibers in die Planung einer Trinkwasser-Anlage findet insbesondere bei Neubauvorhaben nur selten statt.
- Die vom Auftraggeber zu erbringende Bedarfsplanung liegt nur selten vor und wird offensichtlich von den Planern auch nicht erfolgreich eingefordert.
- Im BTGA-Leitfaden „Gefährdungsanalyse für Trinkwasser-Installationen“ gibt es eine umfassende Liste mit Defiziten, die in Trinkwasser-Installationen anzutreffen sind.
- Das Prinzip der TrinkwV „plane, baue und be-treibe eine Trinkwasser-Installation mindestens nach den a. a. R. d.T. und die Anforderungen an die Trinkwasserbeschaffenheit gelten als erfüllt“ nimmt den Nutzer nicht mit. Sein potenzielles Fehlverhalten muss schon im Vorfeld berück-sichtigt werden.
- Zurzeit wird an einer Verschlankung und Vereinfachung des Regelwerks für die Trinkwasser-Installation gearbeitet.
TGA: Herr Bachmann, wie sieht die Planungsrealität aus, in welchem Umfang erhält Caverion Deutschland Ausschreibungen und Planungen, die vorbildlich in Sachen Trinkwasserhygiene sind?
Bachmann: Es ist gemischt, die Qualität der Planungsleistungen deutscher Ingenieurbüros ist schon seit Langem sehr unterschiedlich und es ist zunehmend wahrzunehmen, dass dort der Fachkräftemangel Spuren hinterlässt. Bei größeren Neubauwohnprojekten sind quasi alle Konzepte vertreten. Kritisch ist oft die Überdimensionierung, insbesondere im exklusiven Wohnungsbau. Hier spiegeln die Unterlagen oft eine Erwartungshaltung der Eigentümer für Eventualitäten wider, die vom Regelwerk nicht vorgesehen ist. Zusammengefasst: Bei zu vielen TGA-Planungen wird das Thema Trinkwasserhygiene nicht mit der notwendigen Tiefe berücksichtigt, sodass der Anlagenbauer korrigierend eingreifen muss.
TGA: Sind denn die Planungen mit den Bauherren bzw. Betreibern abgestimmt?
Bachmann: Selten. Es gibt Konstellationen mit Investoren, die große Wohnkomplexe zum Weiterverkauf planen und bauen lassen, sich mit technischen Themen aber gar nicht auseinandersetzen und alles an die Architekten und Fachplaner delegieren. Die im Rahmen der Entwurfsplanung notwendigen Diskussionen und Festlegungen zum Betrieb finden dann nicht statt, denn der spätere Betreiber ist zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in Sichtweite. Hier müsste der Investor von den Planern für das Thema sensibilisiert werden, denn Risiken aufgrund von Verkehrssicherungspflichten sowie Betriebs- und Untersuchungsaufwand haben auch Einfluss auf den Verkaufswert einer Immobilie. Oft werden solche Objekte später nur von einem Hausmeister betreut, dann muss auch die Anlagentechnik darauf abgestimmt sein.
Heinecke: Neben dem Problem, dass viele Fachingenieure bei der Trinkwasserhygiene noch nicht auf dem rechtlich geforderten Stand sind – wir sehen das, wenn wir Planungsleistungen bewerten oder bei Hygieneproblemen kurz nach der Inbetriebnahme hinzugezogen werden – merke ich in der Planerfunktion, dass viele Auftraggeber sich überhaupt nicht darüber im Klaren sind, dass sie mit Beginn der Planungsphase wissen bzw. entscheiden müssen, „wo es hingehen soll“. Oft wissen die Bauherren selbst zur Ausschreibungsphase noch nicht, was sie eigentlich haben wollen und haben die projektspezifische Nutzung noch nicht richtig definiert. Wenn man dann nachhakt, weil man die Planung in einer hohen Qualität abgeben will, heißt es: „Das wissen wir noch nicht und damit möchten wir uns jetzt auch noch gar nicht beschäftigen.“ Dann muss man sich entscheiden, ob man weitermacht oder seinem Auftraggeber eine Behinderungsanzeige auf den Tisch legt.
TGA: Der Auftraggeber / Bauherr drückt sich also um die von ihm zu erbringende Bedarfsplanung …
Bachmann: … wodurch den Fachplanern essentielle Informationen für ihre Planung fehlen. Oft wird dann mit Erfahrungswerten geplant und viele Themen kommen erst kurz vor der Ausführung auf. Häufig lässt sich dann vieles nur noch mit hohem Aufwand ändern, sodass vom Auftraggeber Kompromisse in Kauf genommen werden. Dass der spätere Betreiber denen dann stets Rechnung trägt, entspricht allerdings nicht meinen Beobachtungen.
Richter: Als Planer kann ich dem zustimmen. Wir haben in den letzten zwei bis drei Jahren zudem festgestellt, dass GU-Ausschreibungen und auch Entwurfsplanungen zum späteren Betrieb nur wenige oder gar keine Angaben enthalten. Man muss es deutlich sagen: Die Ausführungsfirmen werden mit einem Informationsvakuum konfrontiert und sollen eine Lösung fabrizieren.
Damit sind viele Handwerksunternehmen überfordert und rufen verstärkt in Ingenieurbüros an: „Wir haben hier die Entwurfsplanung eines GU mit einer Funktionalbeschreibung, können Sie eine technische Lösung für uns entwerfen, wir haben das Know-how nicht, wollen aber ein Angebot abgeben.“ Für ein Angebot muss man jedoch neben dem Konzept tief in die Planung einsteigen, die Hydraulik entwerfen, ein Mengengerüst erstellen, Fabrikate festlegen, Dimensionierungen von Pumpen bis hin zum Rohrnetz vornehmen …
Das ist ein Verfahrensweg, den es früher nicht gab, als der Fachplaner noch mit allen Phasen der HOAI beauftragt wurde. Damit wird die Verantwortung immer stärker an die Ausführungsfirmen verlagert und die Konzeptentscheidungen müssen in einer Situation getroffen werden, wo kaum Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Am Ende findet der Preiswettbewerb dann nicht mehr für eine vom Fachplaner auf das Projekt zugeschnittene Lösung, sondern zwischen unterschiedlichen Konzepten der anbietenden Firmen statt. Eine optimale Lösung lässt sich so bei keinem Gewerk erreichen, Risiken bei der Trinkwasserhygiene sind quasi vorprogrammiert.
Bachmann: Wir merken ebenfalls, dass Design-and-build-Aufträge zunehmen, bei denen die ausführende Firma die sonst in der HOAI-Leistungsphase 5 zu erbringende Ausführungsplanung übernimmt. Es gibt dann eine Entwurfsplanung – aber der Entwurfsverfasser steht nicht mehr zur Verfügung. Schnell steckt man dann in einem Dilemma, wenn man in der Entwurfsplanung etwas findet, das nicht stimmig ist: Erstens ist man mit dem Thema viel zu spät dran und zweitens muss man in einer „Nachtrags-Situation“ zur Lösungsfindung auf den Auftraggeber zugehen.
TGA: Die unterlassene Bedarfsplanung wird auch von anderen Gewerken beklagt. Alle Planer kennen das, alle Planer leiden darunter, alle Planer verlieren dadurch Zeit und Geld und gehen unnötige Risiken ein – aber der Aufstand bleibt aus. Ist den Bauherren die Notwendigkeit nicht zu vermitteln?
Richter: Früher hieß es Pflichtenheft des Bauherren und war meistens vorhanden. Heute stehen klare Vorgaben als Basis für die Planung in der Tat selten zur Verfügung und müssen mühsam zusammengetragen werden …
Bachmann: Das Defizit wirkt zudem langfristig. Wenn die Nutzungsphase mit dem Betreiben der TGA-Anlagen nicht in eine Lebenszyklusbetrachtung einfließt, ist es eher Zufall, wenn ein System mit den geringsten Gesamtkosten geplant und ausgeführt wird. Die Investitionskosten sind nur ein kleiner Ausschnitt. Es liegt also im ureigenen Interesse der Bauherren, wenn ihn die Planer dazu zwingen, ein Pflichtenheft für die Planung frühzeitig und sorgfältig unter Berücksichtigung des späteren Betreibens zu erstellen. Wer seinem Auftraggeber dies nicht verdeutlicht, kommt seinen Planerpflichten nicht nach.
Aktuell könnte man die Situation so beschreiben: TGA-Planer und Ausführende sichern in den meisten Fällen ab, dass die Trinkwasser-Installation den allgemein anerkannten Regeln der Technik und damit der Trinkwasserverordnung entspricht – aber auf den Betreiber sind die Konzepte selten optimal abgestimmt.
Tuschy: Wir hören auch an vielen Stellen, dass den Betreibern die Aufgaben und Pflichten rund um das Thema Trinkwasserhygiene kaum be-kannt oder nicht präsent sind. Das dürfte dazu beitragen, dass die Investoren von den Betreibern beim Planungsbeginn oder bei den Verkaufsverhandlungen nicht unter Druck gesetzt werden und so die Trinkwasserhygiene bei den Investoren noch nicht den ihr gebührenden Stellenwert erlangen konnte.
Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass bei den meisten Betreibern die einschlägigen Normen und Richtlinien zur Trinkwasserhygiene nicht bekannt sind. Hier müsste man anknüpfen und die Betreiber stärker informieren, damit sie bestimmte Dinge aktiv einfordern. Von der Branche wird ein Kurswechsel schon über Seminare und Infoveranstaltungen versucht. Das Ziel muss sein, dass sich die Betreiber in die Entwurfsplanung einbringen bzw. ein Betriebskonzept festgelegt wird.
TGA: Wie lässt sich das erreichen, wenn den Betreibern ihre Pflichten gar nicht klar sind. Im Regelwerk werden ihre Aufgaben und Pflichten ja unstreitig benannt, aber wenn es nicht bekannt ist …
Tuschy: Momentan setzt man mit der Trinkwasserverordnung (TrinkwV), eher auf „erzieherische Maßnahmen“, z. B. mit der Gefährdungsanalyse. Leider greift diese erst, wenn der technische Maßnahmenwert überschritten wurde …
Bachmann: … dann ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Wie es richtig geht, sieht man gut an bereits in Betrieb befindlichen Gebäudekomplexen, bei denen eine Erweiterung oder ein Umbau vorgenommen wird. Da werden die Betreiber automatisch in die Planungsphase integriert und ihre Erfahrungen genutzt. Wenn der Betreiber schon so früh zum Treiber wird, können objektspezifisch optimale Anlagenkonzepte umgesetzt werden. Das spiegelt sich dann auch in den Planungsunterlagen wider. Grundvoraussetzung ist, dass entsprechende Erfahrungen vorhanden sind – dadurch existiert bei vielen Neubauprojekten gar keine Entscheidungsgrundlage. Um diese Lücke zu schließen, müssen die Planer ihren Auftraggebern die Vorteile einer Integration der Betreiber in die Planung verdeutlichen.
Heckmann: Planer können sich dabei auf die VDI-Richtlinie 6023 berufen. Ganz konkret weist sie darauf hin: Ein Vertreter des Bauherren muss in die Planungsphase einbezogen werden. Mit dem „Vertreter des Bauherren“ ist der Betreiber gemeint. Was die VDI 6023 nämlich will, ist, dass bei der Planung bereits berücksichtigt wird, wie das Gebäude bzw. die Trinkwasser-Installation nach der Inbetriebnahme genutzt wird. Das ist für die Planung von entscheidender Bedeutung und dazu muss der Betreiber mit an den Tisch. Vor allem was die Dimensionierung von Rohrleitungssystemen angeht.
Es ist in VDI 6023 auch klar definiert, wer welche Schulungen haben muss. Bei Planern ist sie fast Standard und bei den größeren Anlagenbauern sind die Obermonteure und technischen Leiter nach Kategorie A geschult. Aber VDI 6023 gibt ganz klar vor, dass auch der Vertreter des Bauherren geschult sein muss. Beispielsweise muss der technische Leiter eines Krankenhauses eine Schulung nach Kategorie A haben. Und wenn er die nicht hat, dann wird er auch keine Sensibilität für das Thema Trinkwasserhygiene haben. Das bedeutet: Das System können wir nur verbessern, wenn die Betreiber / Bauherren ihrer Pflicht nachkommen und nach VDI 6023 geschult sind. Es bleibt jedoch eine Herausforderung: Nur wer geschult ist, kann die Notwendigkeit der Schulung erkennen.
TGA: Beim technischen Leiter eines Krankenhauses ist das plausibel, die Sensibilität und die Bereitschaft sind vorhanden und die Kosten für die Schulung spielen keine Rolle. Eine Lücke sehe ich bei den vielen kleineren Bauvorhaben und Bauherren die eher als Investor fungieren. Wie kann sie geschlossen werden? Gibt es eine Instanz, die den Bauherren hier vertreten kann / muss?
Heckmann: Lieschen Müller werden wir nicht einfangen können. Aber die TrinkwV gibt vor, bei welchen Gebäuden / Anlagen den „Unternehmer und sonstigen Inhaber einer Wasserversorgungsanlage“ besondere Pflichten treffen und ab wann eine Trinkwasser-Installation regelmäßig untersucht / überprüft werden muss. Eine Ersatz-Instanz gibt es nicht. Die Fachleute – also Planer und Ausführende – sind aber in der Verantwortung, ihren Auftraggeber auf die Bauherren-Pflichten aufmerksam zu machen und diese einzufordern.
Heinecke: Oft ist festzustellen, dass Eigentümergemeinschaften oder Baugruppen, selbst wenn ihre Objekte nicht unter die Überprüfungspflichten der TrinkwV fallen, gut ins Boot zu bekommen sind. Erläutert man die Vorgaben und verdeutlicht, dass Energie- und Kosteneinsparungen nicht zulasten der Trinkwasserhygiene gehen dürfen, gibt es bei den Selbstnutzern über die notwen-digen Entscheidungen gar keine Diskussion. Schwieriger ist es bei Investoren, vor allem bei Low-Budget-Sanierungen, weil die Trinkwasserhygiene bei der Kostenplanung nicht adäquat berücksichtigt wurde und die notwendigen Mittel erst eingeworben werden müssen. Da kommt dann schnell die Frage auf: Wo steht das denn im Gesetz? Als Berater hat man dann einen schweren Stand, wenn Trinkwasserhygiene Geld kostet.
Hemmersbach: Bei Objekten zum Weiterverkauf wird meistens gar nicht in Betracht gezogen, welche enormen Imageschäden, beispielsweise durch einen Legionellenvorfall, entstehen können. Aber Investoren mit eher abstrakten Vorgaben der TrinkwV Bange zu machen, ist nicht zielführend, erfolgversprechender ist, sichere Lösungen vorzustellen. Der Planer vertritt nach typischen Verträgen den Bauherren. Wenn der Bauherr die notwendige Fachkunde nicht hat, muss der Planer dafür sorgen, dass dieser die Lücke füllt oder er muss selbst in die Rolle schlüpfen. Ohne diesen Lückenschluss kann er seine Leistung nicht vertragsgemäß erbringen.
TGA: Die bisherige Diskussion impliziert, dass Trinkwasserhygiene zumindest in der Investitionsphase mit höheren Kosten verbunden ist.
Heckmann: Wir sollten nicht davon ausgehen, dass Trinkwasserhygiene automatisch mit Mehrkosten verbunden ist. Ich bin davon überzeugt, dass das Gegenteil der Fall ist, wenn man ehrlich rechnet. Trinkwasserhygiene bedeutet: Weniger ist mehr. Deshalb muss ja ein Vertreter des Bauherren an den Tisch, um beispielsweise Entnahmestellen wegfallen zu lassen, die nie oder nur ganz selten genutzt werden. Wenn der Bauherr Kenntnisse über die Zusammenhänge hat, sorgt er automatisch dafür, dass sein Rohrnetz günstiger wird. Ein „hygienisches“ Rohrnetz ist nicht teurer. Anforderungen, wie ein Hydraulischer Abgleich der Zirkulation, sind zwar mit Investitionen verbunden, aber in jedem Fall erforderlich.
Richter: Für Neubauten kann ich das nur bestätigen. Aber im Bestand gibt es andere Verhältnisse. Hier ist die Verbesserung der Trinkwasserhygiene fast immer mit Investitionen – also Mehrkosten – verbunden. Seit etwa zwei Jahren unterstützt mein Ingenieurbüro Hausverwaltungen, denen das notwen-dige Know-how fehlt, und informiert auf Eigentümerversammlungen, was Trinkwasserhygiene eigentlich bedeutet. Auf Basis einer Voruntersuchung bringen wir dann schon an, was konkret in der jeweiligen Wohnanlage zu tun ist. Oft muss man aber für eine Verbesserung der Trinkwasserhygiene tief in die Substanz eingreifen, verzinkte Leitungen sind in unserem Tätigkeitsgebiet ein typischer Fall, der sich im Kostenmodell erheblich niederschlägt.
In den Eigentümerveranstaltungen kommen dann schnell weitere Themen auf den Tisch: „Wir müssen dämmen, wir müssen die Fenster austauschen …“ Und man kann fast die Uhr nach diesem Einwand stellen: „Jetzt haben wir viele Jahrzehnte das Trinkwasser so gehabt, nun können wir das doch auch noch zwei oder drei Jahre so laufen lassen, zuerst sind kostensparende Maßnahmen dran.“ Bei einem erforderlichen Mehrheitsbeschluss in der Eigentümerveranstaltung hat die Verbesserung der Trinkwasserhygiene nach unseren Erfahrungen einen fast aussichtslosen Stand. Auch hier steht sie im Wettbewerb mit Energieeinsparung.
TGA: Es kann doch aber nicht sein, dass die Betreiber keine Zeitung lesen …
Tuschy: Auf der BTGA-Veranstaltung zur Trinkwasserhygiene im November 2015 wurde berichtet, dass inzwischen viele Betreiber von großen Wohngebäuden ihre Anlagen mit einer Temperatur von über 70 °C fahren, um einer Legionellenproblematik vorzubeugen. Das kann natürlich nicht der richtige Weg sein. Aber solche Reaktionen entstehen, wenn bei den Betreibern lediglich Ängste geschürt werden. Ziel muss es deshalb sein, die Betreiber abzuholen und aufzuklären. Seit über 30 Jahren existieren einfache Spielregeln für die Trink-wasser-Installation mit festgelegten Minimal- und Maximaltemperaturen, die sich auch bei den Normenfortschreibungen nicht geändert haben. Das und der regelmäßige Wasseraustausch müssen bei den Betreibern verankert werden.
Hemmersbach: Die eben berichtete höhere Warmwassertemperatur mag eventuell die Trinkwasserhygiene in der Warmwasser-Installation verbessern, kann aber schnell zu Problemen im Kaltwasser führen, wenn die Installationsschächte dadurch noch wärmer werden.
Bachmann: Im Bestand existiert tatsächlich das Dilemma, dass Hausverwaltungen zwar von den Themen hören, aber damit nicht richtig umgehen können. Problematisch sind auch Gefährdungsanalysen, die in Wirk-lichkeit keine sind, die die Betroffenen verunsichern und eher zu einer Verschlimmbesserung führen.
TGA: Mindesttemperaturen haben Auswirkungen auf die Energieeffizienz der Wärmeerzeugung. Lässt sich beides in Einklang bringen?
Hemmersbach: Grundsätzlich ist festzuhalten, dass bei der Planung und Ausführung von TGA-Anlagen Schutzziele, die dem direkten Schutz der Gesundheit oder der Abwehr von Gefahren für Leib und Leben dienen, immer Vorrang vor Zielen der Energieeffizienz von Anlagen haben müssen. Hierzu gehört, dass Trinkwasser-Anlagen immer so geplant und gebaut werden sollten, dass die Trinkwasservolumina minimiert und die Durchströmung des Systems optimiert werden, um Stagnation vorzubeugen.
Zu empfehlen ist – auch bei zentraler Trinkwassererwärmung – mit Frischwassertechnik zu arbeiten. Damit wird das Anlagenvolumen drastisch verringert und gespeichertes Warmwasser vermieden. Einige Verkeimungsrisiken können so bereits erheblich verringert werden.
Noch weiter lässt sich die Situation verbessern, wenn die Frischwassertechnik dezentral eingesetzt wird. Sie ist zudem prädestiniert für Systeme, die niedrige Rücklauftemperaturen benötigen. Denn bei der dezentralen Variante gibt es im Regelwerk bei einigen Nutzungsarten Spielraum bei der Warmwassertemperatur.
Stich: Frischwassertechnik ist ein ganz klarer Trend, als Hauptargument hören wir im Markt völlig zu Recht Trinkwasserhygiene, denn es gibt selten auch einen preislichen Vorteil. Bei den meisten Systemvergleichen, insbesondere im unteren und kleinen Leistungsbereich, erfordert die Frischwassertechnik etwas höhere Investitionen.
Richter: Für den Neubau stimme ich zu. Nimmt man aber die Sanierung in größeren Wohnobjekten als Ausgangspunkt, finden wir hier Speicher vor, die am Austrittspunkt eine Temperatur von mindestens 60 °C haben müssen.
Heinecke: Bei dezentralen Lösungen ist vor-teilhaft, dass kein ausgedehntes Warmwassernetz existiert. Und bei der Wohnungswirtschaft sind sie beliebt, um nicht unter die Untersuchungspflicht der TrinkwV zu fallen. Aus meiner Sicht ist aber problematisch, dass bei der 3-l-Regel nach der TrinkwV und der VDI-Richtlinie 6023 keine Mindesttemperaturen einzuhalten sind. Wir haben bei Beprobungen jedoch festgestellt, dass diese Systeme problematisch sind, wenn die Trinkwarmwassertemperatur am Ausgang des Wärmeübertragers nur bei etwa 45 bis 50 °C liegt. Legionellen fühlen sich in diesem Temperaturbereich noch wohl und können sich vermehren. Ich empfehle deshalb, dezentrale Systeme immer so auszulegen, dass eine Trinkwassertemperatur von 60 °C erreicht werden kann.
TGA: Vorhin fiel der Begriff „einfache Spielregeln“. Gewährleisten sie tatsächlich schon eine hygienesichere Trinkwasser-Installation?
Heckmann: Mit dem Begriff „sichere Trinkwasser-Installation“ bin ich nicht glücklich. Nach meiner Überzeugung kann es das nicht geben. Es gibt immer vier Verantwortliche für ein Trinkwassernetz: Planer, Erbauer, Betreiber und Versorger. Egal wie gut die Planung ist, egal wie gut die ausführende Firma gearbeitet hat – der Betreiber kann mit der Kontamination über eine Entnahmestelle eine komplette Trinkwasser-Installation infizieren. Denn es ist nicht möglich, jeden Nutzer zu kontrollieren. Sicher kann eine Trinkwasser-Installation also nicht sein. Der Gesetzgeber schreibt deshalb auch nur vor, dass ab einer gewissen Größe, Komplexität und Nutzung genau hingeschaut werden muss. Die TrinkwV zielt „lediglich“ auf eine Risikominimierung ab.
Stich: Würden sich alle an die ihnen von der TrinkwV und vom Regelwerk zugedachten Rollen halten, würde wir hier heute nicht über das Thema Trinkwasserhygiene diskutieren. Es scheint aber erforderlich zu sein, im Regelwerk stärker herauszuarbeiten, was jeder in seinem Zuständigkeitsbereich tun muss. Oft sind die Vorgaben umständlich verklausuliert – selbst die Interpretation und Kommentierung durch Experten fällt dann unterschiedlich aus. Und technische Grenzen sind oft so formuliert, dass die Praxis sich eher aufgefordert fühlt, sie auszuhebeln. Klare Vorgaben würden dem vorbeugen.
TGA: Es wurden vier Verantwortliche benannt, dann aber mit dem Nutzer ein zusätzlicher, besonders relevanter Verantwortlicher ins Spiel gebracht.
Bachmann: Der Nutzer hat einen großen Einfluss. Es gibt das Beispiel, bei dem die Trinkwasser-Installation im Rahmen einer fachgerechten Gefährungsanalyse komplett unter die Lupe genommen und anschließend optimiert wurde. Aber am Ende kann schon ein Nutzer, der weiterhin nicht bestimmungsgemäß zapft, alle Bemühungen konterkarieren.
TGA: Die TrinkwV kennt allerdings keine Pflichten für den Nutzer, die Betriebsverantwortung liegt ausschließlich beim „Unternehmer und dem sonstigen Inhaber einer Wasserversorgungsanlage“. Mögliches Fehlverhalten der Nutzer müsste er also bereits im Vorfeld erkennen und nach den a. a. R. d. T dagegenhalten. Müssen Planer ihren Wohnungsbau-Auftraggebern Spüleinrichtungen oder Zapfstellen mit Stagnationsschaltung zur Zwangsentnahme dringend empfehlen?
Tuschy: Zwangsentnahmen wären ein weiterer Schritt zur Risikominimierung – mit ihnen kann aber nicht jedes Fehlverhalten der Nutzer kompensiert werden.
Hemmersbach: Automatische Spüleinrichtungen erfordern zusätzliche Investitionen, aber es wird der Lösung auch oft Wasserverschwendung entgegengehalten. Das verdeutlicht, dass es hier an Aufklärung mangelt. Wenn man genau nachrechnet, liegen die jährlichen Kosten bei vielleicht 25 Euro pro Wohneinheit.
Heinecke: Bei hochwertigem Wohneigentum mit Selbstnutzung werden entsprechende Spüleinrichtungen und / oder Entnahmearmaturen nach einer Aufklärung der Bauherren in der Regel beauftragt. Im normalen Wohnungsbau sind die Bauherren nicht bereit, dafür Geld auszugeben, das reicht auch schon für andere sinnvolle Dinge nicht.
Richter: Ich kenne einen konkreten Fall, bei dem nach dem wiederholten Auftreten von Legionellen festgestellt wurde, dass diese von häufigen, länger andauernden Betriebsunterbrechungen in einer Wohnung ausgingen. Die Einigung und technische Lösung bestand dann in der Nachrüstung von automatischen Spüleinrichtungen auf Kosten der Eigentümergemeinschaft, zusätzlich bekommt der Nutzer der Wohnung einen Ausgleich für die Wasserkosten. Eine Rechtsgrundlage, die den Problemverursacher, also den Nutzer zum bestimmungsgemäßen Betrieb verpflichtet hätte, wurde nicht gefunden. Rechtlich ist der Betreiber in der Pflicht.
Hemmersbach: Längere Betriebsunterbrechungen sind heute häufig die Normalität, man muss nur an die vielen Wochenend-pendler denken. In den von ihnen genutzten Wohngebäuden findet praktisch kontinuierlich kein bestimmungsgemäßer Betrieb im Sinne des Regelwerks und der Trinkwasserverordnung statt. Außer automatischen Spüleinrichtungen ist mir keine Lösung bekannt, die den damit einhergehenden Risiken gerecht wird.
Tuschy: Automatische Spüleinrichtungen können bei Problemen helfen und sind an einigen anderen Stellen sehr sinnvoll. Würde man allerdings durch eine generelle Automatisierung den Nutzer vom Thema entfernen und den Betreiber aus der Verantwortung entlassen, könnte es sein, dass für die Trinkwasserhygiene in der Gesamtbetrachtung etwas Gegenteiliges erreicht wird.
TGA: Welche Empfehlungen zur Vermeidung typischer Fehler bei der Planung und Ausführung gibt es?
Heinecke: Ein wichtiges Beispiel ist die Trennung von warm- und kaltgehenden Leitungen.
Heckmann: Im BTGA-Leitfaden „Gefährdungsanalyse für Trinkwasser-Installationen“ gibt es eine umfassende Liste mit Defiziten, die in Trinkwasser-Installationen anzutreffen sind. Hier ist gut nachlesbar, welche Schwachstellen existieren bzw. zu vermeiden sind.
Tuschy: Die TrinkwV sieht eine Gefährdungsanalyse leider erst vor, wenn der technische Maßnahmenwert überschritten worden ist – also eine ereignisorientierte Gefährdungsanalyse. Eigentlich darf es aber nicht sein, dass beim Trinkwasser erst gehandelt wird, wenn Mängel offensichtlich wurden. Wir haben deshalb in dem Leitfaden auch die systemorientierte Gefährdungsanalyse beschrieben – ein Werkzeug, mit dem man (s)eine Trinkwasser-Installation in regelmäßigen Abständen überprüfen, auf dem Stand der Technik halten und der Verkehrssicherungspflicht nachkommen kann. Wir sind gerade dabei, mit einem neuen Blatt 2 der VDI 6023 den Rahmen und die notwendige Qualifikation des Durchführenden für die Gefährdungsanalyse zu definieren. Dabei wollen wir versuchen, auch die systemorientierte Gefährdungsanalyse normativ zu verankern. Geplant ist, die Arbeiten dazu noch 2016 abzuschließen.
TGA: Wird die systemorientierte Gefährdungsanalyse schon nachgefragt bzw. wie kann man für sie werben?
Heckmann: Liegt eine systemorientierte Gefährdungsanalyse vor, kann bei einem Kontaminationsfall sofort reagiert werden. Industriebetriebe nutzen das Instrument bereits vorbeugend. In anderen Bereichen, beispielsweise Krankenhäusern, wird nach meiner Erfahrung eine Gefährdungsanalyse erst durchgeführt, wenn eine Kontamination bekannt geworden ist.
Richter: Einer der Anlässe für die Erstellung des im März 2015 herausgegebenen Leitfadens war, dass die Hausverwaltungen gar keine Vorstellung über die Inhalte einer Gefährdungsanalyse hatten. Dann wurden bei der Überschreitung des technischen Maßnahmenwerts oft irgendwelche Scharlatane beauftragt, die für horrende Summen wenig hilfreiche Papierstapel produziert haben. Der Leitfaden wird von den Hausverwaltungen als sehr hilfreich bezeichnet, trotzdem wird bisher kein Geld für die Prophylaxe ausgegeben. Wir haben es versucht, sind aber gegen Mauern angerannt.
Bachmann: Bei den potenziellen Auftraggebern schwingt auch Angst mit, dass gravierende Mängel bei einer systemischen Gefährdungsanalyse aufgedeckt werden könnten.
Tuschy: Trotzdem sehen wir darin das geeignete Werkzeug, Schwachstellen im System und bei den Komponenten vor einem Schaden aufzudecken. Man bedenke den Imageschaden einer Hotelschließung bei einem Legionellenbefund. Nach den Normen und Richtlinien sind die Betreiber ohnehin verpflichtet, ihre Anlagen regelmäßig zu überprüfen, dann ist es sinnvoll, das auf die gesamte Trinkwasser-Installation anzuwenden. Teurer ist auf jeden Fall eine Mängelbeseitigung nach einer Überschreitung des technischen Maßnahmenwerts.
Heinecke: Vielleicht sollte man noch deutlicher die Verkehrssicherungspflicht in den Vordergrund stellen, denn was diese bezüglich einer Trinkwasser-Installation bedeutet, sind sich die wenigsten Betreiber von A bis Z bewusst.
TGA: Müsste man dann nicht zusätzlich einen Leitfaden herausgeben, der die Betreiberpflichten beschreibt?
Heinecke: Das könnte durchaus Bewegung bringen. Die Erfüllung von Verkehrssicherungspflichten hapert zu einem guten Teil schlichtweg daran, dass es keine Zusammenstellungen aus den zahlreichen Quellen gibt und Übersetzungen fehlen, was die Anforderungen konkret bedeuten.
Bachmann: Oft wird auch mit Bestandsschutz argumentiert. Auch hier sollte man klarstellen, dass dieser nur sehr eingeschränkt und bei Mängeln gar nicht gilt.
TGA: Was ist in nächster Zeit noch vom Regelwerk für die Trinkwasser-Installation zu erwarten?
Tuschy: Aktuell haben wir ein funktionierendes Regelwerk, es ist aber zu komplex. Es besteht aus zahlreichen EN- und DIN-Normen, Richtlinien, Merkblättern, Verordnungen und Gesetzen. Ziel ist, das Regelwerk zu verschlanken und seine Anwendung zu vereinfachen. Die derzeitige Situation ist für die Anwenderkreise umständlich und kostenintensiv. Eine benutzerfreundliche Lösung ist aus Sicht der Experten überfällig. Zunächst hatte es gut 20 Jahre gebraucht, europäische Normen für die Trinkwasser-Installation (EN 806 Teil 1 bis 5) auf zum Teil kleinsten gemeinsamen Nennern zu erarbeiten.
Das Ziel ist nun ein einheitliches und verständliches europäisches Regelwerk, das ohne Restnormen auskommt. Beispielsweise wird gerade daran gearbeitet, Fragestellungen zu Stagnation und Legionellenprophylaxe europäisch zu implementieren und die EN 806 verständlicher zu gestalten. Außerdem wird gerade die deutsche DIN-1988-Restnorm inhaltlich geprüft. Die Ergebnisse werden dann in die europäischen Arbeitskreise eingebracht. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass wir nach einer Überarbeitung der EN 806 auf die Restnorm verzichten können. Dies wird aber noch eine ganze Weile dauern und frühestens 2020 greifbar.
Heinecke: Neben der Vereinfachung müssen auch die Widersprüche abgestellt werden, sie existieren bei so wichtigen Punkten wie der maximalen Kaltwassertemperatur und dem regelmäßigen Wasseraustausch.
TGA: Dann wünsche ich Ihrem Ausschuss ein gutes Gelingen bei der Fortschreibung des Regelwerks.