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- Aus wissenschaftlich gesicherten Belegen resultiert die Schlussfolgerung, dass thermische Verfahren, wie sie etwa im Rahmen automatisier-ter Legionellenschaltungen vielfach praktiziert werden, entgegen ihrer intendierten Funktion zu einer Erhöhung des Kontaminationsrisikos führen können.
- Das Regelwerk zur Gewährleistung der Trinkwasserhygiene hat sich zwar schon an diesen neuen Erkenntnisstand angenähert, ihn aber noch nicht konsequent einfließen lassen.
Kern der Einschätzung, dass wiederholte Hitzeanwendungen zur vermeintlichen Sicherung der Trinkwasserhygiene langfristig als kontraproduktiv einzustufen sind, ist der inzwischen wissenschaftlich wie sanitärpraktisch belegte Nachweis eines durch regelmäßige thermische Penetration ausgelösten und geförderten Konditionierungseffekts bei Legionella pneumophila und anderen im Trinkwasser auftretenden Keimen.
Ebenso wie chemische Substanzen, die zu Desinfizierungszwecken eingesetzt werden, zählt Hitze zu jenen Einflussfaktoren, auf die Bakterien mit einer epigenetischen Adaption reagieren. Evolutionstheoretisch betrachtet, sichert diese Anpassungsleistung an ungünstige Umweltbedingungen bereits seit Jahrmilliarden das Überleben von Mikroorganismen. Ergebnis eines solchen, durch externe Einwirkungen hervorgerufenen Lernprozesses, ist die Ausbildung überlebensfördernder Schutzmechanismen, die sich in steigenden Toleranzen und Resistenzen gegenüber wiederholt auftretenden Stressfaktoren widerspiegeln.
Für das fakultativ human-pathogene Legionellenbakterium bestätigt die Grundlagenforschung derzeit bereits eine mögliche, lernabhängige Temperaturtoleranz von über 80 °C sowie die Replikationsfähigkeit oberhalb von 60 °C.
Die ermittelten Toleranzwerte erklären zugleich einen in Fachkreisen schon seit vielen Jahren wahrgenommenen Zusammenhang, der im Rahmen von praktischen Beobachtungen der Universität Tübingen belastbar untermauert wurde: eine Kausalität zwischen regelmäßig durchgeführten thermischen Behandlungen und dem Anstieg von KBE-Werten (KBE = Kolonie bildende Einheiten), dem Belastungsindikator für Legionellen.
Aus diesem nun wissenschaftlich gesicherten Beleg resultiert die Schlussfolgerung, dass thermische Verfahren, wie sie etwa im Rahmen automatisierter Legionellenschaltungen nach wie vor vielfach praktiziert werden, entgegen ihrer intendierten Funktion zu einer Erhöhung des Kontaminationsrisikos führen können.
Restriktionen für den Hitzeeinsatz
Ein wichtiges Signal setzte der DVGW durch zwei relevante Eingriffe in die Arbeitsblätter Hygienisch-mikrobielle Auffälligkeiten in Trinkwasser-Installationen: „Methodik und Maßnahmen zu deren Behebung“ (W 556 [1]), das vereinfacht auf die Trinkwasserbehandlung verweist, sowie „Reinigung und Desinfektion von Trinkwasser-Installationen“ (W 557 [2]), welches sich mit der Anlagendesinfektion beschäftigt.
Im Ergebnis führen beide Anpassungen zu weitreichenden Konsequenzen für die Planung und den Betrieb von Trinkwasser-Installationen, denn: Weder die regelmäßige thermische Behandlung des Trinkwassers ohne Indikation einer Kontamination, noch die einer Trinkwasserversorgungsanlage entsprechen den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Damit stehen beide nicht mehr als vorbeugende Verfahren zur Sicherung der Trinkwasserhygiene zur Verfügung und lassen sich auch nicht als vermeintlich kompensatorisches Werkzeug bei Planungs-, Bau- und Betriebsmängeln einsetzen.
Während jedoch die DVGW-Projektkreise das Aufheizen des Trinkwassers gemäß W 556 grundsätzlich als nicht zielführend bewerten, gilt die Hitzebehandlung der Anlage als weiterhin legitim, sofern dafür zwei wesentliche Prämissen erfüllt sind:
- Im Vorfeld der Anwendung des Verfahrens wurde eine Kontamination auf Basis mikrobiologischer Untersuchungen festgestellt und
- alle infrage kommenden bau- und betriebstechnischen Behebungsversuche sind als gescheitert zu beurteilen.
Individuelle Planung und Kontrolle thermischer Behandlungen
Prinzipiell sollte auch der Einsatz von Hitze – analog zu chemischen Desinfektionsverfahren – stets dem Geist des Minimierungsgebotes (vgl. § 6, Abs. 3, TrinkwV 2001, Trinkwasserverordnung) folgen und ausschließlich im Sinne einer letzten Konsequenz für den Einzelfall vorgesehen werden.
Zwar wurden die hierbei einzuhaltenden Verfahrensparameter im DVGW-Arbeitsblatt W 557 nuanciert neu formuliert (demnach ist eine Anlagenbehandlung nun länger als statt mindestens 3 min bei mindestens 70 °C durchzuführen). Bedauerlicherweise hielt man aber weiterhin an diesen beiden Parametern fest, die vor dem Hintergrund nachgewiesener Temperaturtoleranzen von über 80 °C als kaum sinnhaft erscheinen.
Mit Blick auf den fortgeschrittenen Wissensstand muss also davon ausgegangen werden, dass die im Regelwerk fixierten Werte für eine wirksame, umfassende Eliminierung von Legionellen unter Umständen unzureichend sind.
Streng ergebnisorientierte Maßnahmen erfordern deshalb immer eine fallspezifische Festlegung ihrer Behandlungsfaktoren sowie eine strikte Kontrolle ihrer faktischen Effektivität. Dokumentations-Tools der Gebäudeleittechnik können hier eine sinn-volle Unterstützung leisten: Sie dienen nicht nur der Nachweisbarkeit durchgeführ-ter Verfahren, sondern liefern darüber hinaus wichtige Daten für die Ursachenanalyse und die Planung von Korrekturmaßnahmen im Falle eines gescheiterten Dekontaminationsversuchs.
Literatur
[1] DVGW-Arbeitsblatt W 556 Hygienisch-mikrobielle Auffälligkeiten in Trinkwasser-Installationen – Methodik und Maßnahmen zu deren Behebung. Bonn: Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches, Dezember 2015
[2] DVGW-Arbeitsblatt W 557 Reinigung und Desinfektion von Trinkwasser-Installationen. Bonn: Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches, Oktober 2012
Wichtig für TGA-Planer, Anlagenbauer und Betreiber
TGA-Planer: Eine regelmäßige, vorbeugende Thermische Desinfektion kann sich offensichtlich negativ auf die Trinkwasserhygiene auswirken. Hinweise darauf gibt es schon seit vielen Jahren. Im Umkehrschluss bedeutet dies, die Verwendung von Konzepten, bei denen bisher eine Thermische Desinfektion empfohlen oder sogar geboten war / ist, auf den Prüfstand zu stellen.
Anlagenbauer: In welchem Umfang der Errichter einer Anlage den ursprünglichen Auftraggeber oder aktuellen Betreiber bei einschneidenden neuen Erkenntnissen informieren oder gar warnen muss, können nur die Juristen klären. In einer guten Kundenbeziehung sollte dies aber selbstverständlich sein, weil es den Handlungsspielraum der Anlagenbetreiber erhöht und Schaden abwenden kann.
Betreiber: Die allgemeinen Anforderungen der Trinkwasserverordnung gelten als erfüllt, wenn bei der Wasserverteilung mindestens die allgemein anerkannten Regeln der Technik (aaRdT) eingehalten werden und das Trinkwasser bestimmten Anforderungen entspricht. Betreiber können sich bei veränderten aaRdT bezüglich der Trinkwasserhygiene aber nicht auf Bestandsschutz berufen, da das Grundgesetz den Gesundheitsschutz über die Eigentumsgarantie stellt.
Reinhard Bartz
ist Leiter Technikum und Schulung bei Franke Aquarotter, 14974 Ludwigsfelde, Telefon (0 33 78) 81 83 83, reinhard.bartz@franke.com, www.franke.de