Ein Hauptproblem der Energiewende bei steigender Einspeisung erneuerbarer Energien sind volatile Leistungsspitzen und negative Residuallasten. Eine Lösung sind PtX-Projekte, wie das der nordfriesischen Gemeinde Bosbüll. Sie bezieht künftig grüne Wärme aus einem eigenen Nahwärmenetz: Eine durchdachte power2heat-Konstruktion wandelt elektrische Energie aus Photovoltaik- und Windkraftanlagen in thermische Energie um. So bleiben die regenerativen Energieerzeuger der Gemeinde auch nach der EEG-Förderung wirtschaftlich.
Kompakt zusammengefasst
■ Die Gemeinde Bosbüll nutzt ihre im Rahmen der EEG-Förderung errichteten Bürgerwind- und Solarparks künftig auch über ein netzdienliches power2heat-Konzept zur Wärmeversorgung und Wasserstofferzeugung.
■ Für die Wärmenutzung über ein Nahwärmenetz wurden eine Energiezentrale mit Luft/Wasser-Großwärmepumpen und ein 84-m3-Pufferspeicher mit Elektroheizstab errichtet.
■ In das Nahwärmenetz bzw. den Pufferspeicher wird auch Abwärme aus der Wasserstoffelektrolyse eingespeist.
Durch die steigende volatile Stromerzeugung aus regenerativen Energiequellen erhöht sich der Bedarf an Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen, beispielweise Abregelungen (Einspeisemanagement bzw. EisMan) nach § 14 EEG 2021. Um die Stabilität des Stromnetzes zu gewährleisten, sind ein kontinuierlicher und sofortiger Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch notwendig.
Eine Option zur Unterstützung des Wirkleistungsausgleichs liegt in der Umwandlung der überschüssigen regenerativen Energie in elektrische Wärme bzw. thermische Last wie bei power2heat oder in andere Energieträger wie bei power2gas bzw. power2fuel.
In Bosbüll, einer 250 Einwohner starken Gemeinde in Nordfriesland, Schleswig-Holstein, nahe der dänischen Grenze, kommen beide Energieumwandlungs-Konzepte zum Tragen. Eine ausgeklügelte power2heat-Lösung über Luft/Wasser-Wärmepumpen übernimmt die Wärmeversorgung über ein Nahwärmenetz und eine power2gas-Anlage produziert Wasserstoff, der zur Betankung von Brennstoffzellen-Bussen des öffentlichen Personennahverkehrs genutzt wird.
Über die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze „Wärmenetzsysteme 4.0“ fördert das BAFA das Verbundprojekt, für dessen Konzeption, Planung und Umsetzung GP Joule verantwortlich zeichnet. Das Unternehmen aus Schleswig-Holstein zählt zu den Pionieren auf dem Gebiet der Sektorenkopplung. Die power2heat-Lösung sowie das Leit- und Kommunikationssystem der Energiezentrale hat Yados technisch realisiert und umgesetzt. Das Unternehmen ist unter anderem auf Wärmenetze und objektbezogene Anlagenplanung spezialisiert.
Wärmenetzversorgung mit power2heat
In einem ersten Schritt versorgt das neue 2,7 km lange Nahwärmenetz von Bosbüll 25 Wohnhäuser und einen Schweinemastbetrieb. Während der Bedarf an thermischer Energie für die Wohnhäuser bei etwa 252 MWh/a liegt, benötigt das Mastunternehmen, das zuvor Wärme über einen Öl-Heizkessel erzeugte, rund 900 MWh/a. Damit werden rund Treibhausgasemissionen von etwa 760 t/a CO2-Äquivalent vermieden. Weitere Privatgebäude und Großunternehmen sollen in einem zweiten Schritt integriert werden.
Zur ökonomischen Stabilität der Gemeinde trugen bislang zwei Bürgerwind- und Solarparks bei. Ende 2021 läuft die EEG-Förderung für zwei der Windenergieanlagen aus, weitere fallen in den kommenden Jahren aus der Förderung. Auch der Solarpark verliert Ende des Jahrzehnts seine Bezuschussung (Bild 1).
Durch das PtX-Projekt mit seiner umfassenden Sektorenkopplung bleiben die regenerativen Energiequellen weiterhin wirtschaftlich und die Gemeinde glänzt durch eine zukunftsweisende ökologische und ökonomische Versorgungslösung.
Drei Vorlauftemperatur-geregelte Luft/Wasser-Großwärmepumpen mit insgesamt 240 kW Heizleistung wandeln regenerativ erzeugten Strom in rund 820 MWh/a Wärmeenergie um. Ein in einem Wärmespeicher integrierter Elektroheizstab mit einer Leistung von 750 kW ergänzt die Wärmeerzeugung um ca. 370 MWh/a. Er erwärmt das Wasser in einem 14 m hohen 84-m3-Pufferspeicher, der Wärme bis zu vier Wochen zwischenspeichern kann (Bild 2).
In der Energiezentrale (Bild 3), die in einer 60 t schweren Betonzelle verbaut ist, stehen darüber hinaus ein Gas-Heizkessel zur Spitzlastabdeckung (Hoval Max-3), eine Notheizung sowie eine Hydraulikstation zur Wärmeverteilung.
Smarte Wärmeübergabestationen
Herzstück eines effizient funktionierenden Fern- oder Nahwärmenetzes sind smarte Wärmeübergabestationen, die das Netz mit den Heizungsanlagen der Gebäude verbinden. Sie übertragen als regulierende Verbindungskomponente zwischen Versorgerseite und der hydraulisch durch einen Platten-Wärmeübertrager getrennten Verbraucherseite die thermische Energie temperatur-, druck- und bedarfsabhängig. Intelligente Übergabestationen sparen erheblich Platz im Vergleich zu Öltanks und verursachen kaum Wartungs- und keine Schornsteinfegerkosten.
In den Übergabekomponenten berechnen DDC-Regelungen die für eine effiziente und stabile Netzführung notwendigen Vorlauftemperaturen für die jeweiligen Witterungsverhältnisse und die nutzerabhängigen Zeit- und Komfortvorgaben. Das Nahwärmenetz der Gemeinde Bosbüll wird mit einer Vorlauftemperatur von 75 bis 85 °C und einer Rücklauftemperatur von 50 bis 55 °C gefahren. Um eine maximale Netzeffizienz zu erreichen, planen die Energieingenieure eine weitere Abgleichung der Heizsysteme auf Abnehmerseite. Außerdem minimiert eine gute Dämmung der Rohre die Wärmeverluste im Netz (ca. 221 MWh/a).
Hydraulikstation und Leittechnik
Im Idealfall steht Wärmenergie zur geplanten Zeit in der gefragten Menge am richtigen Ort zur Verfügung und das Ganze funktioniert mit möglichst geringer Antriebsenergie. Dafür sorgt in einem technisch effizienten Konzept eine optimierte Hydraulik: Die Yados-Hydraulikstation ermöglicht ein effektives Zusammenspiel von Energieproduzenten, Wärmeerzeugern, Wärmespeicher und Wärmeverteiler. Sie optimiert unter anderem die Temperaturschichtung und bindet den Wärmespeicher hydraulisch so ein, dass nur Lade- und Entladevolumenströme durch den Speicher fließen.
Für die Erreichung der maximalen Betriebsqualität des Gesamtenergiesystems ist ein idealer Wirkungsgrad aller angeschlossenen Energieerzeuger Bedingung. Dafür sorgt in Bosbüll das übergeordnete Steuer- und Regelungssystem Yado|Link. Es regelt und vernetzt alle Komponenten der Energiezentrale ebenso wie die Wärmeübergabestationen samt DDC-Reglern. Die wichtigsten Anlagenparameter können so direkt eingestellt werden.
In einer übersichtlichen und bedienfreundlichen Visualisierung auf einem großformatigen Display (21,5", 54,6 cm) bildet das Leitsystem alle anlagerelevanten Daten und Informationen ab, beispielsweise Temperaturen, Drücke oder auch Störmeldungen (Bild 4). Yados lieferte das Steuersystem bereits fertig vormontiert und verdrahtet in zwei kombinierbaren Schaltschrankgehäusen. Dies vereinfachte die Installation ebenso wie die Inbetriebnahme. Ebenso wichtig: Leistungsabgänge und Zuleitungen sowie Steuerabgänge und Anschlüsse für die aufzuschaltenden Signale sind jeweils getrennt in einem Schrank untergebracht.
Treibstoff aus Wind und Sonne
Die Sektorenkopplung des Bosbüller Wärmekonzepts umfasst die Bereiche Energie, Mobilität und Gebäude. Durch den Anschluss an das eFarm-Projekt von GP Joule kann die power2heat-Anlage der Gemeinde durch power2gas bzw. power2fuel optimal ergänzt werden. eFarm schafft eine modular erweiterbare Wasserstoff-Infrastruktur im gesamten Kreis Nordfriesland und ist damit das bislang größte deutsche nachhaltige Wasserstoff-Mobilitätsprojekt. Insgesamt fünf Polymer-Elektrolyt-Membran (PEM) Elektrolyseure stehen im Kreisgebiet verteilt, um aus regional erzeugtem Photovoltaik- und Windstrom täglich Wasserstoff zu generieren.
In Bosbüll stehen zwei davon, die mit jeweils 225 kW Leistung insgesamt rund 400 kg/d (rund 13,3 MWh/d) Wasserstoff herstellen. Der Gesamtwirkungsgrad der Wasserstoff-Elektrolyseure liegt bei 95 %, was unter anderem auch daran liegt, dass die Abwärme der Wasserstoff-Erzeugung dem Wärmenetz bzw. dem Wärmespeicher zugeführt wird. Als Informationsschnittstelle übernimmt Yado|Link die Auswertung der Kommunikation zwischen den Bosbüller Windkraftanlagen und den Elektrolyseuren, die im Sekundentakt erfolgt. Beispielsweise überträgt die Leittechnik Wärmebedarfsmeldungen an die Elektrolyseure.
An speziellen Wasserstofftankstellen in Niebüll und Husum können zwei im Rahmen des Projekts angeschaffte Brennstoffzellenbusse mit dem klimaneutralen Wasserstoff betankt werden (Bild 5).
Eine Verdichtungsanlage bringt den CO2-freien Kraftstoff auf den zum Tankvorgang benötigten Druck von 500 bis 1000 bar. Die bei der Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff freigesetzte elektrische Energie nutzen die Fahrzeuge als Antriebsenergie. Dabei reicht eine Tankfüllung für 400 km, was einem regulären Betriebstag im Linienverkehr entspricht.
Aus Problemen eine Lösung gemacht
Das Bosbüll-Konzept zeigt, wie ein großes Problem der Energiewende – die volatilen Leistungsspitzen und negativen Residuallasten der erneuerbaren Energien – vorbildhaft in eine gewinnbringende und ökologische Lösung überführt werden können. Denn in Bosbüll bezieht die power2heat-Anlage den regenerativen Strom insbesondere zu Zeiten der EisMan-Schaltung. Dann wandeln die power2heat-Komponenten die „überschüssige“ Energie, z. B. aus Starkwindphasen, in Wärmeenergie um, die dann entweder ins Wärmenetz fließt oder im Speicher zwischengepuffert wird. Auf diese Weise ist die Anlage sehr wirtschaftlich und klimaschonend, es wird zu keiner Zeit elektrische Leistung aus dem öffentlichen Netz bezogen.
Darüber hinaus bleiben durch das sektorenkoppelnde PtX-Konzept alle regenerativen Stromerzeuger der nordfriesischen Gemeinde auch nach Ablauf der EEG-Förderung rentabel. So erhält Bosbüll thermische Energie mit hoher Versorgungs- und Ausfallsicherheit und spart sich mit der power2heat-Anlage den Kauf von bis zu 180 000 l/a Heizöl. Das kommt der Umwelt und dem Haushalt der kleinen Ortschaft zugute und macht Bosbüll unabhängig von schwankenden Ölpreisen.