Wie eine kommunale Wärmeplanung in die Praxis umgesetzt wird, macht die Stadt Offenburg vorbildlich vor. Während andere Städte und Landkreise Anfang 2024 erst mit der Planungsphase starteten, ging in der südbadischen Kreisstadt im April 2024 ein neues Wärmekraftwerk in Betrieb, das industrielle Abwärme auskoppelt und in das eigene Fernwärmenetz einspeist. Es ist ein Projekt mit Leuchtturmcharakter.
Der Artikel kompakt zusammengefasst
■ Im Werk 2 von Burda Druck in Offenburg steht in größerem Umfang kontinuierlich überschüssige Abwärme auf einem Temperaturniveau von rund 34 °C zur Verfügung.
■ Mit zwei Absorptionswärmepumpen (Wasser/Lithiumbromid, jeweils 2667 kW Heizleistung) wird ein Temperaturhub zur Einspeisung in den Fernwärmevorlauf von 85 °C realisiert. Mit Hochdruckdampf (5,7 bar) als Antrieb wird ein COP von 1,6 erreicht.
■ Das gesamte Projekt wurde innerhalb von rund zwei Jahren realisiert. 15 Monate nach der Vertragsunterzeichnung wurde bereits ins Fernwärmenetz eingespeist.
Am 1. Januar 2024 ist die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) mit neuen Anforderungen an neu eingebaute Heizungsanlagen beim in Kraft. Seither läuft der Wettlauf, den Gebäudebestand in Deutschland bis spätestens 2045 klimaneutral zu beheizen.
Eine wichtige Rolle wird dabei der Anschluss von immer mehr Gebäuden an vorhandene oder neu zu errichtende Wärmenetze spielen. Mittelfristig sollen jährlich mindestens 100 000 Gebäude neu an Fernwärmenetze angeschlossen werden. Um dies zu erreichen, wurde parallel zur GEG-Novelle („Heizungsgesetz“) ein weiteres weitreichendes und mit dem GEG verzahntes Regelwerk verabschiedet: Das neue Wärmeplanungsgesetz (WPG). § 1 WPG formuliert die Ziele des Gesetzes so:
„Ziel dieses Gesetzes ist es, einen wesentlichen Beitrag zur Umstellung der Erzeugung von sowie der Versorgung mit Raumwärme, Warmwasser und Prozesswärme auf erneuerbare Energien, unvermeidbare Abwärme oder einer Kombination hieraus zu leisten, zu einer kosteneffizienten, nachhaltigen, sparsamen, bezahlbaren, resilienten sowie treibhausgasneutralen Wärmeversorgung bis spätestens zum Jahr 2045 (Zieljahr) beizutragen und Endenergieeinsparungen zu erbringen. Die Länder können ein früheres Zieljahr bestimmen, das im Rahmen der Umsetzung dieses Gesetzes zu Grunde zu legen ist.“
Sektoren koppeln
Gewiss lässt sich ein Ziel auch verständlicher formulieren. Die alles entscheidende Aussage des WPG ist der festgeschriebene Schritt hin zur Kopplung der Sektoren Gebäude und Industrie / Gewerbe sowie Strom(erzeugung). Eine besonders elegante Möglichkeit ist die Nutzung industrieller Abwärme. Sie fällt in aller Regel ganzjährig in großen Mengen mit stabiler Temperatur an und ist bezogen auf den Unternehmensstandort meistens im Überschuss vorhanden.
Das ist auch bei Burda Druck, Offenburg, der Fall. Am Heimatstandort des traditionsreichen Verlagshauses arbeiten im Werk 2 insgesamt drei große Tiefdruckmaschinen rund um die Uhr und produzieren zahlreiche Druckerzeugnisse für den Hubert Burda Verlag und auch im Kundenauftrag. Da Burda Druck kein Energieversorger ist: Wie realisiert man die Kopplung zwischen Industrie und Fernwärme?
Als Bindeglied fungiert die Wärmeversorgung Offenburg GmbH & Co. KG, kurz WVO. Deren Kommanditisten sind die Stadt Offenburg – Eigenbetrieb der Technischen Betriebe Offenburg – mit 51 % und die Elektrizitätswerk Mittelbaden AG & Co. KG mit 49 %. In dieser Dreierkonstellation erfolgen die kommunale Wärmeplanung, die Erschließung von Wärmequellen, der Betrieb von Anlagen und der Fernwärmenetze in Offenburg sowie die Kundenakquise, Versorgung und Verwaltung. Und man höre: das alles bereits seit Jahrzehnten.
So hat man in Offenburg einen großen Erfahrungsschatz im Betrieb von Fernwärmenetzen. Das ist insofern besonders, weil der Landkreis Ortenaukreis überwiegend ländlich geprägt ist und in der Wärmeversorgung der Gebäude viele dezentrale Öl- oder auch Gas-Heizungen eingesetzt werden. In Offenburg mit einigen Industriebetrieben gibt es aber schon lange ein Fernwärmenetz. Im Jahr 2022 begannen die Planungen, das Werk 2 von Burda Druck anzuschließen, um dem wachsenden Bedarf an klimafreundlicher Wärme gerecht werden zu können.
Das Kraftwerk im Kraftwerk
„Ursprünglich wollten wir ein separates Großkraftwerk bauen, dass von Burda Druck über eine Fernleitung die Abwärme bezieht, um diese direkt in unser Fernwärmenetz einzuspeisen“, erinnert sich Noah Faller, Projekt- und Bauleiter der WVO. „Aus verschiedenen Gründen ließ sich dies aber nicht realisieren. Dann hatte unser Planungs- und Projektteam eine wirklich pfiffige Alternatividee.“
Warum nämlich nicht Abwärme gleich dort veredeln, wo sie anfällt und dann über eine Fernleitung einspeisen? Der Gedanke ist schlüssig, setzt aber voraus, dass der Wärmelieferant damit auch einverstanden ist. Tatsächlich waren sich die Verantwortlichen bei Burda Druck und der WVO rasch einig und unterzeichneten Ende 2022 die Verträge. Dabei wurde vereinbart, dass die neuen Absorptionswärmepumpen direkt auf dem Druckereigelände in der Wasserzentrale stehen dürfen – mit einem kleinen Haken: Der einzig dafür verfügbare Bauraum liegt in 7 m Höhe.
Planungs- und Vergabeprozess
Was das bedeutete, weiß Florian Schäfer vom Planungsbüro Eser, Dittmann, Nehring & Partner aus Tamm zu berichten. „Natürlich war es nicht möglich, zwei gigantisch große Absorptionswärmepumpen mit einem Gewicht von jeweils 18 t (Störgewicht: 31,5 t) auf das vorhandene Betontragwerk der Halle zu stellen. Darum wurde in die Wasserzentrale eine komplett neue Stahlkonstruktion auf Pfeilern eingezogen, die dem Gewicht der beiden Wärmeriesen Stand hält.“
Punkt zwei betraf die Einbringung. Für diesen ungewöhnlichen Aufstellort gab es nur die Möglichkeit, die Absorptionswärmepumpen per Schwerlastkran über das Dach einzubringen. Dieses musste dafür geöffnet und den Maßen der Maschinen angepasst werden. Schäfer: „Die Vorbereitungen dieser Maßnahmen kamen zur Ausarbeitung der Unterlagen für eine öffentliche Ausschreibung noch hinzu. Tatsächlich lief der Austausch mit Burda Druck und der WVO vorbildlich, sodass schon Ende März 2023 die Vergabe erfolgen und mit dem Bau bereits Anfang Juni 2023 begonnen werden konnte.“
Nicht von der Stange
Mit den beiden dampfbefeuerten Absorptionswärmepumpen betrat die WVO Neuland. Und tatsächlich gibt es nur wenige Firmen in Deutschland, die in der Lage sind, diese Technik zu liefern und zu betreiben. Die Rütgers GmbH & Co. KG, Mannheim, gehört dazu und erhielt den Zuschlag.
Wie wichtig in diesem Bereich Erfahrung ist, verdeutlicht Stefan Kunze, Projektleiter und für die technische Abwicklung zuständig: „Keine Absorptionswärmepumpe ist wie die andere. Und jede Planungsänderung bei Rahmenbedingungen – etwa den Durchflussgeschwindigkeiten, oder den Wärmequellen- bzw. Wärmesenken-Temperaturen – hat direkten Einfluss auf die Effizienz der Maschine, ihre Größe und ihr Gewicht. Darum war hier Präzision besonders wichtig. Wir bestellen unsere Absorptionswärmpumpen bei einem der ganz wenigen Hersteller in Asien, Lieferzeit: ca. 6 Monate. Danach darf es auch geringste Abweichung nicht mehr geben. Denn man stelle man sich vor, das Gewicht oder Anschlüsse passen nicht mehr zum neuen Tragwerk aus Stahl?“
Gut geplant und durchdacht passte alles: Ende September 2023 wurden die Maschinen geliefert und kurze Zeit später schwebten sie über das Dach hinein ins Wasserwerk, wo sie heute sicher in 7 m Höhe stehen und zuverlässig ihre Arbeit verrichten.
Stabiler Betrieb
Seit April 2024 liefert die WVO vom Wasserhaus bei Burda Druck über eine im Erdreich verlegte Leitung Fernwärme mit einer Temperatur von 85 °C ins eigene Fernwärmenetz. Zur Netzanbindung gehört ein 4000-l-Pufferspeicher. Die verfügbare Kapazität der beiden dampfbetriebenen Absorptionswärmepumpen beträgt jeweils 2667 kW Heizleistung und ist für die Versorgung weiterer Anschlüsse in Gebäuden ausgelegt. Dazu gehört seit kurzem auch eine Schule mit einem Wärmebedarf von 800 kW.
Als Wärmequelle für den rein thermisch ablaufenden Absorptionsprozess dient das Rückkühlwasser (bei 34,5 °C) einer betriebseigenen Absorptionskältemaschine, die für den Druckprozess und die Klimakälte benötigt wird. Zudem wurde mit der Wärmerückgewinnung aus dem Toluol-Kreislauf eine zweite Quelle (33,5/27,5 °C) erschlossen. Toluol ist ein Lösungsmittel, das für den Tiefdruckprozess benötigt und durch Wärmezugabe aus der abgesaugten Abluft wieder entnommen wird.
Die Dampfversorgung der Absorptionswärmepumpen (XRI Typ1) erfolgt durch überschüssigen Dampf vorhandener Gasturbinen oder über einen Hochdruckdampfkessel. Beide speisen in den gleichen Dampfverteiler (5,7 bar) ein. Über diese stabilen Kreisläufe und dem Einsatz von Wasser/LiBr-Lösungen in den thermischen Kreisprozessen der Absorptionswärmepumpen erreicht das System einen Wirkungsgrad (COP) von 1,6. Da keine elektrische Antriebsenergie notwendig ist, wird trotzdem eine sehr hohe Emissionsminderung erzielt. Für das Projekt geht die WVO von insgesamt 7394 tCO2/a aus. Bei Fördermitteln von rund 3,12 Mio. Euro ergibt sich eine Fördermitteleffizienz von 0,42 Euro/(kgCO2∙ a).
Die Firma Rütgers sorgt für eine turnusmäßige Wartung und hat über das selbst entwickelte Monitoring-System rütgers:care den Betrieb immer im Blick.
Und es geht weiter
Mit diesem Leuchtturmprojekt haben alle Beteiligten belegt, dass eine kommunale Wärmeplanung kein Papiertiger sein muss, sondern schnell realisierbar ist. So schnell, dass bereits wieder das nächste Projekt in gleicher Partnerkonstellation angelaufen ist. Dieses Mal allerdings an anderer Stelle in der Stadt, dort mit einem Wärmepumpenkraftwerk und einer Wärmeleistung von etwa 4000 kW. Die Inbetriebnahme wird für Ende 2024 erwartet. Rund 1000 weitere Haushalte in Offenburg sollen dann mit Fernwärme versorgt werden.
Worauf es aber ganz besonders ankommt, erklärte Noah Faller zum Abschluss des Besuchs bei Burda Druck sehr einleuchtend: „Wir haben mit der WVO, dem Planungsbüro EDNP, der Firma Rütgers und dem Wärmelieferanten Burda eine wirklich vertrauensvolle Konstellation unter Gleichgesinnten. Nur so ist es möglich, solche Projekte schnell, aber auch nachhaltig und langfristig zu realisieren. Dessen sollten sich alle Städte, Gemeinden und Landkreise bewusst sein, die seit Anfang dieses Jahres nicht nur eine kommunale Wärmeplanung angegangen sind, sondern diese anschließend möglichst reibungslos auch in die Tat umsetzen möchten.“ Ein wertvoller Hinweis an alle Kommunen, dem nichts hinzuzufügen ist. Achim Frommann, PR Werkstatt NutzWort, Sasbach
Fachberichte mit ähnlichen Themen bündelt das TGA+E-Dossier Wärmepumpe
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