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Energiewende

dena-Leitstudie: Klimaziel muss präzisiert werden

© dena
Die Bundesregierung sollte noch in dieser Legislaturperiode ihr Klimaziel für das Jahr 2050 präzisieren. Der geltende Zielkorridor von 80 bis 95 % weniger CO 2 -Emissionen bis 2050 im Vergleich zu 1990 lässt sich zwar mit verschiedenen Ansätzen wie Technologieoffenheit oder Elektrifizierung erreichen. Je nachdem, welches Ende des Korridors realisiert werden soll, ergeben sich aber bereits für die Ausrichtung auf das Jahr 2030 unterschiedliche Weichenstellungen. Das geht aus den Ergebnissen der „dena-Leitstudie Integrierte Energiewende“ hervor, die die Deutsche Energie-Agentur (dena) mit wissenschaftlichen Gutachtern und über 60 Unternehmen und Wirtschaftsverbänden aus allen für die Energiewende relevanten Sektoren erarbeitet hat.

Parallel zur Präsentation der Studie wurden bereits Stellungnahmen veröffentlicht, die die Ergebnisse unterschiedlich pointieren. Dazu eine Übersicht der Überschriften der Pressemitteilungen:

  • Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE): „Klimaziele 2050 mit Vollversorgung aus erneuerbaren Energien erreichbar“. Zur Pressemitteilung
  • Bundesverband Wärmepumpe (BWP): „Ohne deutlich mehr Wärmepumpen geht es nicht“. Zur Pressemitteilung
  • Institut für Wärme und Oeltechnik (IWO): „Die Energiewende braucht flüssige Energieträger“. Zur Pressemitteilung
  • Zukunft Erdgas: „dena-Leitstudie unterstreicht wachsende Rolle von Gas im Energiesystem der Zukunft“. Zur Pressemitteilung
  • DVGW: „Technologiemix mit Gas beschleunigt Energiewende“. Zur Pressemitteilung
  • Thüga: „Mit Power to Gas in die CO2-arme Zukunft“. Zur Pressemitteilung

Herantasten funktioniert nicht

Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung: „Eine sektorübergreifende, systemische Betrachtung möglicher Transformationspfade führt zu anderen Ergebnissen, als eine sektorspezifische. Bei der Ausrichtung der Energie- und Klimaschutzpolitik muss das berücksichtigt werden. Die dena-Leitstudie ist dafür eine gute Grundlage. Unsere Szenarien zeigen: Nicht alles, was auf den ersten Blick als naheliegende Lösung erscheint, führt unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen mit anderen Sektoren zum gewünschten Ziel. Daraus folgt auch:

Es reicht nicht, heute nur über die Klimaziele 2030 zu diskutieren. Abhängig vom Ambitionsniveau für das Jahr 2050, sieht schon 2030 sehr unterschiedlich aus. Und die Ziele für das Jahr 2030 werden mit Sicherheit verfehlt, wenn nicht bereits in dieser Legislaturperiode entsprechende Maßnahmen auf den Weg gebracht werden. Eine Konkretisierung der Ziele ist für Unternehmen und für die Gestaltung des politischen Rahmens dringend geboten. Die dena-Leitstudie ist eine Einladung an Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft, die notwendige Debatte zügig zu führen und Entscheidungen zu treffen. Wenn wir es gemeinsam angehen, können wir praktikable und breit akzeptierte Lösungen finden und die Energiewende als gesamtgesellschaftliches Projekt zum Erfolg führen.“

Vier Szenarien mit 80 bzw. 90 % CO2-Minderung

Die Studienpartnern haben vier Szenarien erarbeitet, die Reduktionsziele von entweder 80 oder 95 % bis 2050 erreichen: Zwei Elektrifizierungsszenarien gehen davon aus, dass der Verbrauch in den Sektoren Gebäude, Industrie und Verkehr weitestgehend mit Strom gedeckt wird, zum Beispiel durch verstärkten Einsatz von Wärmepumpen, strombasierten Produktionsanlagen und Elektroantrieben; zwei Technologiemixszenarien gehen davon aus, dass ein breiteres Spektrum an Technologien und Energieträgern zum Einsatz kommt, darunter mehr gasförmige und flüssige Kraft- und Brennstoffe, die mithilfe von erneuerbaren Energien synthetisch erzeugt werden. Ein Referenzszenario, das die aktuellen Rahmenbedingungen ambitioniert fortschreibt, reduziert die Emissionen hingegen nur um 62 %.

Laut dena erweisen sich die Technologiemixszenarien im Vergleich als robuster, weil sie stärker auf bestehende Infrastrukturen aufbauen und auf mehr gesellschaftliche Akzeptanz stoßen. Sie sind flexibler und können neue Technologieentwicklungen besser integrieren. In den Elektrifizierungsszenarien sind dagegen mehr Flächen für den Ausbau von Wind- und Solaranlagen und ein stärkerer Ausbau des Stromnetzes erforderlich. Der Gebäudebestand muss stärker energetisch saniert werden, um mehr Wärmepumpen effizient nutzen zu können. Insgesamt sind die Transformationspfade mit einem breiten Technologie- und Energieträgermix bis 2050 unter den getroffenen Annahmen um bis zu 600 Mrd. Euro kostengünstiger als solche, die verstärkt auf strombasierte Anwendungen setzen.

Marktorientierter Rahmen ist Grundbedingung

Kuhlmann betont, dass es bei der Energiewende weniger um Kosten als um Investitionen in die Zukunft gehe: „Energiewende und Klimaschutz sind gesamtgesellschaftliche Fortschrittsprojekte von enormer Tragweite und Komplexität. Wenn wir eine Energiewende wollen, die möglichst wirtschaftlich ist und von der Gesellschaft getragen wird, sollten wir heute marktorientierte Rahmenbedingungen für einen breiten Technologiemix schaffen. Nur so werden wir die vielfältigen Potenziale unterschiedlicher Technologien ausreichend nutzen können. Das ist Grundvoraussetzung für die Erreichbarkeit der Ziele.“

Mehr Tempo bei Energieeffizienz und Erneuerbaren

Für alle untersuchten Klimazielszenarien gilt: Die Steigerung der Energieeffizienz und der Ausbau der erneuerbaren Energien sind Grundvoraussetzungen für den Erfolg. Und in beiden Bereichen reicht das bisherige Tempo nicht aus. Bei einem jährlichen Wirtschaftswachstum von 1 % rechnet die dena-Leitstudie mit einer Reduzierung des Endenergieverbrauchs bis 2050 im Vergleich zu 2015 um bis zu 64 % im Gebäudesektor, bis zu 52 % im Verkehr und bis zu 18 % in der Industrie. Vor allem in der Industrie macht sich bemerkbar, dass die Energieeffizienz zwar deutlich zunimmt, gleichzeitig aber das Wirtschaftswachstum zu einer höheren Nachfrage führt.

Bei den erneuerbaren Energien setzt die dena-Leitstudie darauf, dass der Ausbau von Windenergie an Land und Photovoltaik schneller vorangeht als bisher geplant. Allein für diese beiden Technologien ist ein jährlicher Nettozubau von 6 bis 7,6 GW erforderlich. Das ist ein großer Unterschied zum gesetzlich vorgesehenen Ausbaukorridor von jährlich 5,4 GW brutto: 2,9 GW für Windenergie an Land, 2,5 GW für Photovoltaik. Eine Herausforderung wird es sein, freie Flächen für den Ausbau von Windkraftanlagen an Land zu finden. Umso wichtiger könnte ab 2030 der Ausbau der Windenergie auf See werden.

Auch erneuerbare Kraft- und Brennstoffe werden importiert

In allen Klimazielszenarien spielen synthetische, erneuerbare Kraft- und Brennstoffe eine wichtige Rolle. Je nach Szenario decken sie im Jahr 2050 einen Bedarf von 150 bis 908 TWh. Damit schließen sie die Lücke, die nicht durch Energieeffizienz oder die direkte Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien abgedeckt werden kann, insbesondere, wenn an anderer Stelle nicht die erwarteten Ziele erreicht werden, etwa beim Ausbau von Windkraft an Land, bei der Sanierung von Gebäuden oder bei der Elektrifizierung des Schwerlastverkehrs.

Der mit erneuerbar produziertem Strom hergestellte Wasserstoff und die auf ihm aufbauenden Energieträger wie Methan und synthetische Öle machen es möglich, erneuerbaren Strom zu speichern und international zu handeln. Die dena-Leitstudie rechnet damit, dass Deutschland seinen Bedarf zum großen Teil mit Importen decken wird – zum Beispiel aus Nordafrika, weil dort die Produktionskosten günstiger und die Flächenpotenziale größer sind. Aber auch Deutschland hat Potenziale, die stärker genutzt werden sollten. Um die Entwicklung des Marktes anzustoßen, sollte Deutschland bis 2030 Kapazitäten für die Herstellung von erneuerbarem Wasserstoff im Umfang von 15 GW aufbauen.

Versorgungssicherheit braucht eigenen Dialogprozess

Eine besondere Herausforderung ist die Gewährleistung der Versorgungssicherheit in einem weitgehend auf erneuerbaren Energien basierenden Stromsystem. Trotz Energieeffizienz werden die nachgefragte Strommenge und die Spitzenlast bis 2050 in den Klimazielszenarien weiter steigen. Gründe dafür sind das anhaltende Wirtschaftswachstum und die zunehmende Elektrifizierung in den Verbrauchssektoren.

Zur Deckung der gesicherten Leistung kommen verschiedene Optionen infrage. In der dena-Leitstudie übernehmen Gaskraftwerke, die zunehmend erneuerbare Brennstoffe nutzen, in allen Szenarien einen Großteil der gesicherten Leistung, allerdings nur mit relativ wenig Betriebsstunden. Hinzu kommen Speicher, Laststeuerung (Demand Side Management), erneuerbare Energien und Stromimporte. Die Herausforderungen und Optionen werden von betroffenen Akteuren sehr unterschiedlich eingeschätzt. Um rasch zu einem gemeinsamen Verständnis zu gelangen, empfiehlt die dena-Leitstudie der Bundesregierung, einen eigenen Dialogprozess zu den Grundlagen der Versorgungssicherheit im zukünftigen Energiesystem einzurichten.

dena-Leitstudie Integrierte Energiewende mit den Schlussfolgerungen der dena und dem Bericht der Gutachter. ■