Vor dem Hintergrund der Klimaveränderung, einer schwierigen CO2-Bilanz im Gesamtkontext und des steigenden Energieverbrauchs wurden seit Anfang der 1990er-Jahre die Verfahren BREEAM (Großbritannien) und LEED (USA) zur Nachhaltigkeitsbewertung von Gebäude einschließlich der Anlagen der Technischen Gebäudeausrüstung entwickelt. Inzwischen gibt es eine Reihe von nationalen Bewertungsverfahren, die im Wesentlichen auf den beiden genannten basieren [1, 2]. In Deutschland wurde mit dem DGNB-Gütesiegel ein nationales Bewertungssystem entworfen [3] und ab 2007 mit ersten Versuchen in die Praxis eingeführt. Es definiert drei Hauptkriteriengruppen – ökologische Qualität, ökonomische Qualität sowie die soziale und funktionale Qualität – denen die Kriterien technische Qualität und Prozessqualität überlagert sind, um die Schutzziele
- Schutz der Umwelt/Schonung der natürlichen Ressourcen,
- Senkung der Lebenszykluskosten (LCC),
- Erhalt der ökonomischen Werte und die Sicherung der Gesundheit/Behaglichkeit im Gebäude sowie den
- Erhalt sozialer und kultureller Werte und eines menschengerechten Umfelds
erfüllen zu können (Bild 2). Gegenwärtig werden diese Gruppen mit folgenden Anteilen gewichtet:
- ökologische Qualität (22,5 %),
- ökonomische Qualität (22,5 %),
- soziale und funktionale Qualität (22,5 %),
- technische Qualität (22,5 %) und
- Prozessqualität (10,0 %)
Insgesamt beinhalten diese Anteile ca. 60 Einzelkriterien mit entsprechenden Wichtungsfaktoren.
Einen ersten normativen Niederschlag finden die fünf Kriterien auch in den DIN-EN-Entwürfen 15643-1 [5], 15643-2 [6] und 15987 [7]. Obwohl für die Bewertung der Nachhaltigkeit die Bewertung der technischen und funktionalen Qualität außerhalb des Anwendungsbereiches der Normentwürfe liegt, sollen sowohl diese Qualitäten in Bezug auf die funktionale Qualität berücksichtigt werden als auch eine Wechselbeziehung zu den drei genannten Qualitäten bestehen. Letztere wird für die Beschreibung der Nachhaltigkeit vorausgesetzt.
Wertschätzung falsch gewichtet
Es ist unverständlich, dass die technische und funktionale Qualität einen so niedrigen Bewertungsstellenwert einnimmt. Denn sie wird einerseits durch die Vielfalt der möglichen technischen Ausrüstungen (neben Heizung, Lüftung, Kälte auch Sanitär, Fördertechnik, Elektrotechnik, Automatisierungstechnik usw.), ihrer energetischen Qualität und ihrer Lebensdauer charakterisiert und zeichnet anderseits für die Gewährleistung der Funktion, d.h. der (besseren) Nutzbarkeit eines Gebäudes verantwortlich. Die Unterbewertung ist erkennbar an den Wichtungen und an den gegenwärtig zu berücksichtigenden Kriterien (Tabelle 1 und Tabelle 2).
Aus Tabelle 1 und Tabelle 2 wird deutlich, dass dem ureigensten Anliegen der Nachhaltigkeit die notwendige Wertschätzung kaum bzw. ungenügend entgegengebracht wird. In der kritischen Analyse der Bewertung von Nachhaltigkeitsverfahren [4] wird sehr deutlich herausgearbeitet, dass zwei Grundsätze entscheidend für die Nachhaltigkeit eines Gebäudes sind:
- Zuerst klimagerecht bauen und dann bauwerksgerecht „klimatisieren“ (von Petzold zuerst für die den Begriff Bauklimatik postuliert und von Gertis als 1. Hauptsatz der Bauphysik bezeichnet)
- Energieeffizienz und Verbrauchseffizienz der technisch notwendigen Ausrüstungen sind Voraussetzungen, um die Nutzungsfähigkeit (z.B. thermische, hygienische, visuelle und akustische Behaglichkeit) und Gebrauchsfähigkeit des Gebäudes zu gewährleisten.
Dabei sollte der Vorrang bei dem ersten Grundsatz liegen, was jedoch in der Vergangenheit vor allem mit der „Glasarchitektur“ und der erkennbaren Aspekt „Schönheit geht vor Funktionalität“ sehr oft vernachlässigt wurde. Für den Autor ergibt sich deshalb die Frage, warum solche Nachhaltigkeitsbetrachtungen bei bestehenden Gebäuden durchgeführt werden, wenn diese Grundsätze in der Planungspraxis kaum verwirklicht wurden.
Teure Feststellung des Istzustands
Unter dem Hintergrund der immer wieder dokumentierten Erkenntnis, dass der Erfolg eines Vorhabens – also Nachhaltigkeit und Energieeffizienz – wesentlich von der Grundlagenermittlung abhängt und mit zunehmendem Bearbeitungsfortschritt immer weniger beeinflussbar ist (Bild 3), sollten und müssen die Nachhaltigkeitskriterien wertungsfrei in die Fragestellungen bei den Planungsphasen 0 bis 1 (auch Leistungsphasen der HOAI) einfließen (Bild 4). Nach der Planungsphase 9 bzw. bei der Qualitätssicherung in den ersten Betriebsmonaten oder -jahren stellt eine Zertifizierung unter Nachhaltigkeitskriterien aber lediglich die Wertung eines existenten Istzustands und eine Analyse vorhandener Dokumentationen (Tabelle 3) dar.
Eine Zertifizierung der Nachhaltigkeit kann nur dann Sinn machen, wenn analog zu den Regularien der Energieeinsparverordnung, nachweisbare und kontrollierbare Forderungen (z.B. Modernisierungsempfehlungen, Inspektion von Anlagensystemen, Vergleich mit dem Stand der Technik) erhoben werden. Eine Bewertung und Zertifizierung der Nachhaltigkeit nur unter dem Aspekt der Ausweisung eines Prädikates (Label bzw. Note) oder Wertes ist Augenwischerei. Unabhängig von den Kosten solcher Bewertung, die in kaum vertretbaren Größenordnungen liegt, kann die Bewertung unter Umständen den (wenig abgesicherten) positiven Aspekt eines verkaufs- oder vermietungsförderndes Qualitätsmerkmals haben.
Grundlagenermittlung stärken
Deshalb erscheint es unbedingt notwendig, der Grundlagenermittlung eine wesentlich größere Wertigkeit im Rahmen der HOAI und bei der Verwirklichung des „integralen Planungsprozesses“ zukommen zu lassen. Wie aus Bild 4 deutlich wird, sollte bereits die Einflussnahme bei der Auslobung von Wettbewerben unter dem Aspekt der Energieeffizienz erfolgen. Hierzu gibt es erste praktizierte Überlegungsansätze in Sachsen [11], die u.a. auf bestehende Regularien (EnEV mit Kompaktheit: A/Ve, DIN 4108-2 mit dem Sommerlichen Wärmeschutz und dem Fensterflächenanteil, EEWärmeG mit Nutzungspflicht für erneuerbare Energien, DIN V 18599 mit End- und Primärenergiebedarf sowie VDI 2067 mit der Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung Wartung und Inspektion) beruhen.
Weiterhin sollte der Planungsprozess im Sinne der Nachhaltigkeit in Deutschland weiter, in Analogie zum US-amerikanischen Cx-Prozess (Commissioning-Prozess) [1, 10] gefasst werden, um nicht nur die Nachhaltigkeit nach einem System bewerten zu können, sondern auch Planungsvorgaben mit den sich einstellenden tatsächlichen Ergebnissen zu vergleichen (z.B. bei der gesetzlich festgelegten Inspektion von TGA-Anlagen), um sowohl Rückschlüsse für zukünftige Planungen als auch notwendige Änderungen in den bestehenden Systemen vornehmen zu können.
Literatur:
[1] Dose, St./Käppler, A.): Commissioning – Qualitätssicherung von RLT-Anlagen, Masterarbeit (unv.), 2008, FH Erfurt
[2] Dose, St.; Käppler, A. Trogisch, A.: Zur Zertifizierung von Gebäuden und TGA-Anlagen
[3] Hegner, H.-D.:. Nachhaltiges Bauen – Zertifizierung als nationale Regel, Vortrag auf dem consense Kongress, 2008
[4] Gertis, K., u.a.: Was bedeutet „Platin“? – Zur Entwicklung von Nachhaltigkeitsverfahren, Bauphysik 30 (4-2008)
[5] DIN EN (E) 15643-1: Nachhaltigkeit von Bauwerken – Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden, Teil 1: Allgemeine Rahmenbedingungen. Berlin: Beuth Verlag, Februar 2009
[6] DIN EN (E) 15643-2: Nachhaltigkeit von Bauwerken – Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden, Teil 2: Rahmenbedingungen für die die Bewertung der umweltbezogenen Qualität. Berlin: Beuth Verlag, Februar 2009
[7] DIN EN (E) 15978: Nachhaltigkeit von Bauwerken – Bewertung der Umweltleistungsfähigkeit von Gebäuden – Berechnungsmethoden. Berlin: Beuth Verlag, August 2009
[8] Voss, Karsten; Löhnert, Günter; Herkel, Sebastian; Wagner, Andreas; Wambsganß, Mathias: Bürogebäude mit Zukunft. Konzepte – Analysen – Erfahrungen. 2007, Karlsruhe (2. überarbeitete Auflage)
[9] Sedlbauer, K. u.a.: Potenziale des Nachhaltigen Bauens in Deutschland – Nationale und internationale Chancen? Vortrag auf dem 31. Uponor Kongress, 2009
[10] Trogisch, Achim: Mehr Qualität durch Commissioning?. Stuttgart: Gentner Verlag, TGA 5-2009
[11] Bewertung der Energieeffizienz in den Phasen der Auslobung und Planung, unv. Arbeitspapier der Projektgruppe Energie der IK und AK Sachsen (08/09)
Achim Trogisch
Prof. Dr.-Ing., lehrt an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (FH) im Fachbereich Maschinenbau/Verfahrenstechnik auf dem Gebiet TGA. Telefon (03 51) 4 62 27 89 E-Mail: trogisch@mw.htw-dresden.de http://www.htw-dresden.de/mb