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Stephan Kohler über den Stand der Energiewende

“Eine Abwrackprämie vorab anzukündigen, schadet dem Markt“

Schmid: Herr Kohler, wo stehen wir heute bei der Umsetzung der Energiewende?

Kohler: Die Energiewende besteht aus verschiedenen Bausteinen. Da sind zum einen der Ausbau der Energieeffizienz, der Ausbau der regenerativen Energien und der Ausbau der Infrastruktur. Beim Baustein Energieeffizienz sind wir noch ganz am Anfang. Die Ziele der Bundesregierung liegen ja bei minus 10 % beim Stromverbrauch und bei minus 20 % beim Wärmeverbrauch, bezogen auf alle Gebäude. Hiervon sind wir noch weit entfernt. Um die gesetzten Ziele zu erreichen, müssen wir hier die Geschwindigkeit verdoppeln beziehungsweise verdreifachen. Beim Ausbau der regenerativen Energien haben wir die umgekehrte Situation. Der Ausbau verläuft viel schneller, als es die gesteckten Ziele erfordern. Beim Ausbau der Infrastruktur liegen wir dagegen hinter den Zielen. Doch gerade der Netzausbau ist für die Versorgungssicherheit wichtig. Der Ausbau der regenerativen Energien und der Ausbau der Netzinfrastruktur müssen deshalb synchronisiert werden.

Schmid: Wer ist jetzt am Zug? Ist es die Politik? Sind es die Energieversorger oder sind es die Netzbetreiber? Oder müssen sich die Hersteller von Energie verbrauchenden Geräten mehr engagieren? Muss der Endverbraucher besser über die Energiewende informiert werden?

Kohler: Ich denke, dass alle genannten Gruppen am Zug sind. Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Jeder Einzelne muss seinen Teil dazu beitragen. Das fängt beim Einkauf neuer Elektrogeräte an und geht weiter bis zur energetischen Gebäudesanierung. Die Energieeffizienz steht in jedem Fall im Vordergrund der Maßnahmen, sonst erreichen wir die gesetzten Ziele nicht. Sinnvoll für energieverbrauchende Betriebe ist ein Energie-Audit, um beurteilen zu können, wo Energie eingespart werden kann und welche Maßnahmen sich lohnen.

Wichtig ist, dass die Gebäudetechnik-Unternehmen entsprechende Dienstleistungen anbieten und weiterentwickeln, um das Energieeinsparpotenzial von Gebäuden, von gebäudetechnischen Anlagen sowie von energieintensiven Produktionen und Prozessen nach wirtschaftlichen Kriterien quantifizieren zu können, um daraus Maßnahmen abzuleiten. Gefordert ist natürlich auch die Politik, da bestimmte Rahmenbedingungen noch nicht so gestaltet sind, dass die Energiewende funktioniert. Insbesondere muss das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) reformiert werden – nicht abgeschafft, wie es teilweise gefordert wird. Auch bei der Energieeinsparverordnung müssen die Ziele für Neubauten verschärft werden.

Schmid: Ist das Abwracken von Elektro-Haushaltsgeräten und Heizkesseln der richtige Weg zu mehr Energieeffizienz? Führt die Ankündigung solcher Programme nicht zu Attentismus und höheren Preisen?

Kohler: Solche Ankündigungen sind mit Sicherheit schädlich für den Markt. Das verunsichert die Verbraucher. Diese Erfahrungen machten wir zum Beispiel mit der Ankündigung steuerlicher Abschreibungen für Energiesparmaßnahmen im Gebäude, die seit über eineinhalb Jahren anhängend ist, aber nicht umgesetzt wird. Hier sind die Auswirkungen gravierend. Deshalb mein Appell an die Politik: Erst dann über Programme reden, wenn sie vereinbart sind und Chancen auf eine schnelle Umsetzung haben. Langfristige Ankündigungen bewirken eher gegenteilige Effekte: die Zielgruppe wartet ab.

Schmid: Die Umsetzung zeitnaher Lösungen, beispielsweise der Ausbau der Netze, benötigt mehr Zeit als ursprünglich angenommen. Lässt sich die Energiewende auch durch dezentrale Maßnahmen vollziehen, also durch Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach, Mikro-KWK-Anlagen im Keller und Blockheizkraftwerke in der Liegenschaft?

Kohler: Natürlich haben wir einen Trend zur Dezentralisierung der Energieerzeugung. Die Dezentralisierung ersetzt aber nicht den Netzausbau, zumal das EEG ja auch den Ausbau der Windenergie fördert, beispielsweise im Norden und Osten von Deutschland, obwohl der größte Bedarf im Süden und Westen auftritt. Dieser Zubau erfordert den Ausbau der Netze in den südlichen Teilen Deutschlands, sonst müssen die Windkraftanlagen – sollte das derzeitige Ausbautempo anhalten – bei weiterem Zubau abgeregelt werden. Bei Starkwind haben wir bereits heute Probleme, den Windstrom sinnvoll in das Netz zu integrieren. Deshalb ist es richtig, die Netze synchron zum Ausbau der Windenergie zu erweitern und die Dezentralisierung der Energieerzeugung voranzutreiben.

Schmid: BHKWs und Mikro-KWK-Geräte speisen ihren Strom in der Regel beliebig ins Netz ein, da sie meist wärmegeführt betrieben werden. Müssen solche Anlagen künftig grundlastfähig ausgelegt werden? Ist die Zeit der beliebigen Einspeisung von KWK-Strom bald vorbei?

Kohler: Das kommt darauf an, wo diese Geräte und Anlagen eingesetzt werden. In der Industrie werden BHKWs heute bereits grundlastfähig dimensioniert. Dadurch kommen sie oft auf 6000 Betriebsstunden pro Jahr. In Wohnhäusern ist es schwieriger, derart hohe Laufzeiten mit KWK-Geräten zu erreichen, da der Trinkwarmwasserbedarf meist nicht hoch genug ist, um die Wärme in der heizfreien Zeit aus grundlast-ausgelegten BHKWs aufzunehmen. Für besonders sinnvoll halte ich deshalb den Einsatz von KWK-Anlagen im Gewerbe und in der Industrie.

Schmid: Wie beurteilen Sie die künftige Rolle der Mikro-KWK-Geräte mit 1-kW-Stromproduktion im Ein- und Zweifamilienhaus?

Kohler: Hier muss das Gesamtsystem „Haus“ betrachtet werden. Die Anlagentechnik muss den Effizienzstandard der Gebäude berücksichtigen. Die dena empfiehlt, für Bestandsgebäude einen Sanierungsfahrplan aufzustellen, auf Basis eines bedarfsorientierten Energieausweises. Daraus lässt sich ableiten, ob zunächst Schritte zur Verbesserung der Gebäudeenergieeffizienz sinnvoll sind oder ob eine anlagentechnische Lösung, zum Beispiel mit KWK-Gerät, Photovoltaik- oder Solarthermie-Anlage, Wärmepumpe oder Wärmerückgewinnung, wirtschaftlicher ist. Wichtig ist, widersprüchliche Kombinationen von vornherein zu vermeiden.

Schmid: Wir sprachen bereits darüber, dass der Ausbau der Netze in Verzug ist. Können Energieeffizienzmaßnahmen, Energie- und Lastmanagement sowie Energiespeicher dazu beitragen, die bestehenden Netze zu entlasten? Kann man durch mehr Dezentralisierung, Energieeffizienzmaßnahmen und Lastsenkung womöglich auf einen Teil des Netzausbaus verzichten?

Kohler: Dieses Szenario haben wir in der dena-Netzstudie II untersucht. Das Ergebnis war ein eindeutiges Nein. Trotz Effizienzmaßnahmen, Energiemanagementsystemen und dezentraler Energieerzeugung müssen die Netze – bis auf wenige Ausnahmen – ausgebaut werden. Das hängt auch damit zusammen, dass im Norden Deutschlands weitere Windparks entstehen werden. Allein Schleswig-Holstein will bis zum Jahr 2020 Windkraftwerke mit einer Kapazität von 13000 MW errichten. Das Land Schleswig-Holstein kommt aber nur auf eine Jahreshöchstlast von 2000 MW. Da hilft auch kein Lastmanagement, um dieses Strom­angebot sinnvoll zu nutzen. Ein Lastmanagement funktioniert nur da, wo genügend schaltbare Lasten zur Verfügung stehen. Die findet man eher südlich von Schleswig-Holstein.

Schmid: Ist es sinnvoll und wirtschaftlich, zum jetzigen Zeitpunkt in Lastmanagementsysteme zu investieren?

Kohler: Die Investition in Lastmanagementsysteme – neudeutsch Demand Side Management (DSM) – ist in jedem Fall sinnvoll. Allerdings muss man hierbei eher die gewerblichen und industriellen Stromkunden in den Fokus stellen. Im Privathaushalt sind solche Systeme wirtschaftlich kaum darstellbar. Hier sind energieeffiziente Haushaltsgeräte und Heizsysteme sinnvoller. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass PV-Anlagen in einem Wohngebiet mit Kälte- und Klimaanlagen in dem nächstgelegenen Lebensmittelsupermarkt optimiert werden. Der Lastverlauf von Kälte- und Klimaanlagen eines Supermarktes folgt in etwa dem Stromangebot aus PV-Anlagen. Dadurch wird das lokale Netz von Schwankungen entlastet.

Schmid: Kann die Gebäudetechnik-Branche – und hier insbesondere die Heizungs-, Lüftungs- und Klimabranche – zur Beschleunigung der Energiewende beitragen?

Kohler: Mit Sicherheit! In vielen Gebäuden gibt es Heizungsanlagen, die nicht auf dem Stand der Technik sind. Hier ist die HLK-Branche gefordert, mit modernen Dienstleistungs- und Beratungsangeboten auf diese Kunden einzugehen. Wichtig ist, den Hausbesitzern klarzumachen, wie viel Geld sie durch eine Modernisierung einsparen können. Energieberater, Planer und Handwerker müssen diesen Markt gemeinsam bearbeiten. Dem Heizungsfachmann kommt hierbei eine besondere Rolle zu, da er durch Reparaturarbeiten und Wartungsverträge den direkten Kontakt zu den Hauseigentümern hat.

Zusammen mit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und der KfW hat die dena eine Expertendatenbank für energieeffizientes Bauen und Sanieren eingerichtet. Sie ermöglicht Eigentümern von Wohn- und Nichtwohngebäuden die bundesweite Suche nach besonders qualifizierten Fachleuten. Neu ist, dass wir die dort gelisteten Energieberater, sogenannte Effizienzhausexperten, stichpunktartig auf die Qualität ihrer Kundenberatung überprüfen, denn wir brauchen in der Energieberatung einen höheren Qualitätsstandard als bisher.

Schmid: Welche Art von Gebäude bietet das höchste Energieeinsparpotenzial?

Kohler: Der gesamte Gebäudebestand bietet hohe Einsparpotenziale. Wir haben 18 Mio. Wohngebäude und 4 Mio. Nichtwohngebäude, die energetisch saniert werden müssen. Die großen Einsparpotenziale finden wir bei Bürogebäuden, Schulen, Krankenhäusern sowie im Gebäudebestand der großen Wohnbauunternehmen, aber natürlich auch bei den Ein- und Zweifamilienhäusern. Eine wichtige Vorbildfunktion hat natürlich die öffentliche Hand. Leider vermissen wir dort oftmals das notwendige Engagement.

Schmid: Wie beurteilen Sie Energiespar-Contracting zur energetischen Sanierung von großen Liegenschaften?

Kohler: Es ist sicher nicht das alleinige Mittel zur Finanzierung von Energiesparmaßnahmen, aber eine gute Ergänzung in bestimmten Situationen für bestimmte Gebäude und Liegenschaften. Die dena engagiert sich in einem Contracting-Programm für die Bundesliegenschaften, das sehr erfolgreich ist. Typisch für Contracting-Lösungen sind übrigens Angebote mit KWK-Anlagen, die wesentlich zur Wirtschaftlichkeit von Contracting-Projekten beitragen. Allerdings muss man dazu sagen, dass sich Contracting nicht für jedes Gebäude und nicht für jeden SHK-Fachbetrieb eignet. Inzwischen hat diese Branche jedoch ein beachtliches Know-how aufgebaut, insbesondere haben viele mittelständische Anlagenbauer dieses Geschäftsfeld für sich entdeckt.

Schmid: Der Energiewende in Deutschland kommt eine Vorbildfunktion zu, die sogar über die Grenzen Europas reicht. In welchen Ländern ist deutsches Know-how besonders gefragt?

Kohler: Die Energiewende in Deutschland hat inzwischen für viele Länder der Welt eine Vorbildfunktion. Nehmen wir als Beispiele Russland und China, beides Länder, in denen die dena sehr stark engagiert ist. Russland will mit Deutschland sehr intensiv zusammenarbeiten, weil man von den technischen Lösungen und der Qualität deutscher Produkte überzeugt ist. Dabei geht es weniger um das Thema Energiewende, sondern um energieeffiziente Technik. Anders in China, dort besteht von staatlicher Seite großes Interesse an der Energiewende, insbesondere was den Ausbau regenerativer Energien und deren Netzintegration anbelangt. Unsere Aktivitäten in China haben wiederum eine Außenwirkung auf andere Länder, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Unser Know-how ist inzwischen weltweit gefragt und gibt deutschen Exportfirmen neue Impulse. Dies betrifft beispielsweise Anbieter von Windkraftanlagen, BHKWs und von Biogasanlagen.

Schmid: Vielen Dank für das Gespräch. •

31,5 GW aus Sonne & Wind

Windkraft- und Solarstrom-Anlagen in Deutschland haben am 14. September 2012 erstmals mit einer Leistung von mehr als 30 GW Strom produziert. Zwischen 13.00 und 14.00 Uhr speisten sie nach Angaben von IWR (Internationales Wirtschaftsforum Regenerative Energien) mit einer Gesamtleistung von rund 31,5 GW in das bundesdeutsche Stromnetz ein. Die bisherige Bestmarke vom 9. Juni 2012 lag bei 29,75 GW. Nach den Daten der Strombörse Leipzig erreichte der Anteil von Strom aus Windkraft- und Solarstrom-Anlagen am 14. September in der Spitze einen Beitrag von 45 % an der gesamten Kraftwerksleistung (ca. 69,4 GW zwischen 13.00 und 14.00 Uhr). Der Bedarf konventioneller Kraftwerke (Kernenergie-, Kohle- und Gaskraftwerke) wurde dabei auf Nachtniveau (ca. 40 GW) gedrückt. Die Windenergie trug zum Rekord mit einer produktiven Leistung von etwa 15,4 GW und die Solarleistung mit 16,1 GW bei. Webcode 375652

Vita

Stephan Kohler (Jahrgang 1952) wechselte nach seinen Tätigkeiten beim TÜV Bayern, Abteilung Kerntechnik und Strahlenschutz, sowie MAN Neue Technologien (beide München) und der Hochtemperatur Reaktorbau GmbH (HRB) in Mannheim, im Jahr 1981 zum Öko-Institut Freiburg. Nach seiner Mitarbeit an der Deutschen Risi­kostudie Kernkraftwerke Phase B übernahm er 1983 die Leitung des Fachbereichs Energie, sowie ab 1988 den Aufbau des Umwelt-Informationsbüros (Ökoinform) in Moskau. 1991 wurde er Geschäftsführer der vom Land Niedersachsen und der VEBA AG neu gegründeten Niedersächsischen Energie-Agentur in Hannover. Von 1982 bis 1984 war er Vorstandsmitglied im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), von 1991 bis 1993 Vorstandsmitglied des Öko-Instituts Freiburg und von 1995 bis 1997 Mitglied im Beirat des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland). Von Februar 2000 bis März 2001 war er Vorsitzender des Vereins der Energie-Agenturen Deutschlands (EAD). Seit Juni 2001 ist er Mitglied des Advisory Committee des Weltrats für Erneuerbare Energien. Im September 2000 wurde Kohler Geschäftsführer der von der Bundesregierung und der heutigen KfW Bankengruppe gegründeten Deutschen Energie-Agentur. Seit Mai 2006 ist er Vorsitzender der ­dena-Geschäftsführung.

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