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Trinkwasserhygiene

Stagnation = Legionellen? Das ist wohl zu einfach ...

Legionellen in Trinkwasser-Installationen können zum Gesundheitsrisiko werden. Doch die Zusammenhänge sind komplex, und der Umgang mit diesem Risiko verlangt nach einer viel stärker differenzierten Vorgehensweise als bisher angenommen. Stagnation ist jedenfalls nicht der einzige Faktor.

Seit Jahrzehnten erklären Fachleute, dass die Verbreitung von Legionellen in der Trinkwasser-Installation durch Stagnation begünstigt wird. Sie gilt gar als Hauptrisikofaktor für das Wachstum von Legionellen.

So wurde auch befürchtet, dass der Lockdown im Frühling 2020 zu einer massiven Verbreitung der Legionärskrankheit führen könnte. Viele Gebäude waren wochenlang nicht mehr im Betrieb, ihre Trinkwasser-Installation stand still, sofern nicht alarmierte Betreiber für einen regelmäßigen Wasseraustausch gesorgt haben. Die Befürchtungen wurden auch in wissenschaftlichen Publikationen geäußert.

Der Eawag-Forscher Frederik Hammes warnt allerdings vor der „mantrahaft“ vorgetragenen Devise, es gelte in erster Linie, Stagnation zu verhindern, um Legionellen in Sanitäranlagen zu vermeiden. „Stagnation ist nur ein Faktor unter vielen, die sich zudem gegenseitig beeinflussen. „Es sind noch viele Fallstudien nötig, um ihren Einfluss klarer beschreiben zu können.“ Als Ko-Autor eines kürzlich in der Fachzeitschrift Environmental Science Water Research & Technology publizierten Beitrags plädiert Hammes deshalb für eine differenzierte Betrachtungsweise. Denn so eindeutig, wie lange gedacht, liegen die Dinge danach nicht.

Auswirkungen von Stagnation sind unklar

Zweifel daran, wie sich Stagnation tatsächlich auf die Vermehrung von Legionellen auswirkt, weckte eine Untersuchung, die das von Hammes geleitete Projekt LeCo (Legionellenbekämpfung in Gebäuden) im Frühling 2020 durchführte. Dabei wurde ein großes Gebäude während und nach der Stagnation sowie nach der Spülung und während der Inbetriebnahme beprobt. Das Resultat: Die langfristige Stagnation führte nicht zu einer erhöhten Konzentration der Legionellen, sondern wirkte gar leicht vermindernd. Auch der nachfolgende Minimalbetrieb führte nicht zu einer Vermehrung der Legionellen.

Danach führten Hammes und sein Eawag-Kollege William Rhoads eine große Literaturrecherche durch und kommen in ihrem Artikel zum Schluss, dass die verfügbare Evidenz zu den Auswirkungen von Stagnation auf das Wachstum von Legionellen „komplexer und weniger überzeugend“ sei, als bisher dargestellt. Um die Gesundheitsrisiken von Legionellen in Sanitäranlagen abzuklären, sei ein „sorgfältigeres Vorgehen“ bei der Dokumentation der Stagnationsauswirkungen nötig.

Hohe Kosten für die Vermeidung von Stagnation

Die beiden Eawag-Forscher formulierten deshalb präzise Fragestellungen, die es zu klären gebe und die künftige Studien zu Stagnation und die Verbreitung von Legionellen berücksichtigen müssten. Gefragt seien nicht zuletzt eindeutige Definitionen der stark variierenden Begleitumstände einer Stagnation.

Hammes: „Vor dem Hintergrund der hohen Kosten, die damit verbunden sind, eine Stagnation in Gebäuden zu reduzieren, braucht es ein besseres Verständnis aller Variablen, um Empfehlungen an die Verantwortlichen von Sanitäranlagen abgeben zu können.“ Das bedeute nicht, dass Stagnation unproblematisch wäre. „Sie ist durchaus ein Faktor, der die Wasserqualität und Trinkwasserhygiene beeinträchtigen kann“, sagt Hammes.

Originalveröffentlichung: „Rhoads, W.; Hammes, F. (2020) Growth of Legionella during COVID-19 lockdown stagnation, Environmental Science: Water Research and Technology, doi:10.1039/D0EW00819B  Institutional Repository

„Gebäudeinstallationen sind ein weitläufiges Ökosystem mit unzähligen Nischen, die sich bezüglich Temperatur, Nährstoffangebot und weiterer Faktoren unterscheiden“, sagt Franziska Rölli von der Hochschule Luzern, die im Projekt LeCo mitforscht. Dementsprechend stark variieren die Artenzusammensetzung und die Anzahl der Mikroorganismen. Nicht nur zwischen einzelnen Anlageteilen, sondern auch zwischen ganzen Trinkwasseranlagen. Sowohl bei der Beprobung als auch der Interpretation der Ergebnisse müsse dies entsprechend berücksichtigt werden. Für die Bekämpfung von Legionellen in Sanitäranlagen gebe es deshalb keine allgemeingültigen Maßnahmen – gefragt seine maßgeschneiderte, den Umständen angepasste Lösungen.

Anmerkung der Redaktion: In Deutschland wird schon seit einiger Zeit verstärkt auf die komplexe Wirkungen und Interaktionen von Einflussgrößen – insbesondere Temperatur, Nährstoffangebot und Stagnation – im Zusammenhang mit der Vermehrung von Legionellen in Trinkwasser-Installationen hingewiesen. ■

Siehe auch:
Trinkwasserverordnung geht vor Gebäudeenergiesetz
Legionella, Pseudomonas und Co. (Broschüre)