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Energiewende

Reduktionsziele für 2030 reichen für Paris nicht

Um dem Pariser 2°-Ziel gerecht zu werden, muss im Jahr 2040 fast die gesamte Stromerzeugung aus Solar-, Wind- und Wasserkraft bestritten werden. Auch die jüngsten Beschlüsse der deutschen Klimapolitik werden dieser Verantwortung nicht gerecht. Dies sind Ergebnisse einer Modellstudie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Sie berechnet, wie sich ein zukünftiges europäisches Energieangebot zusammensetzen müsste, um den ambitionierten Klimaschutzzielen gerecht zu werden und die dadurch entstehenden Kosten möglichst gering zu halten.

Pariser Ziele sind machbar und ökonomisch sinnvoll

DIW-Energieökonomin Claudia Kemfert, Co-Autorin des Berichts, erachtet eine unmittelbare Verschärfung der klimapolitischen Ziele für zwingend notwendig. Mit Blick auf das in Paris gesetzte 2°-Ziel betont sie, dass ein zeitnaher sowie erheblicher Ausbau erneuerbarer Energien erforderlich sei. Aber: „Unsere Modellstudie zeigt: Ambitionierter Klimaschutz in Europa ist machbar und ökonomisch sinnvoll“, so Kemfert.

CO2-Budget erfordert verschärfte Emissionsziele

Zentraler Parameter im zugrundeliegenden Modell ist ein vorgegebenes CO2-Budget. Dessen Ermittlung orientiert sich an der im Pariser Klimaabkommen gesetzten Zielvereinbarung, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf maximal 2 °C zu begrenzen. Dabei zeigt sich: Um bis 2030 eine mit dem 2°-Ziel kompatible CO2-Menge zu erreichen, muss das Reduktionsziel im Vergleich zu 1990 von 40 auf 60 % angehoben werden.

Pao-Yu Oei, Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe CoalExit an der TU Berlin, Gastwissenschaftler am DIW Berlin und Mitverfasser des Berichts: „Somit lässt sich ein konkretes CO2-Budget bestimmen, anhand dessen wir in einem Klimaschutzszenario aufzeigen können, wie eine dementsprechende Umgestaltung des Energiesektors aussehen müsste.“

Solar- und Windkapazitäten müssen stark ausgebaut werden

Damit die CO2-Emissionen in ausreichendem Maße reduziert werden können, müssen fossile Energieträger nach und nach aus dem europäischen Energiemix verschwinden und durch erneuerbare Energiequellen ersetzt werden. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die Stromgewinnung aus Sonne und Wind: Der Anteil der erneuerbaren Energien im europäischen Primärenergiebedarf steigt im Klimaschutzszenario bis 2030 auf rund 33 %. Um dieses Szenario in die Realität umzusetzen, müssen Solar- und (Onshore)-Wind-Kapazitäten von momentan 120 beziehungsweise 190 GW bis zum Jahr 2030 vervielfacht werden, nämlich auf 990 beziehungsweise 790 GW.

„Auf diesem Wege kann eine kosteneffiziente und effektive Dekarbonisierung der europäischen Stromerzeugung gelingen, ohne auf Atomkraft oder CO2-Abscheidungstechnologien zurückgreifen zu müssen“, resümiert Co-Autor Christian von Hirschhausen. Diese Schlussfolgerung bestätigen auch andere Szenariostudien, beispielsweise die Ergebnisse des von einem europäischen Forschungskonsortium umgesetzten SET-Nav-Projekts, an dem sich neben dem DIW Berlin unter anderem auch die TU Wien und das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung beteiligt haben.

Höheres Reduktionsziel auch ökonomisch sinnvoll

Neben seinem klimapolitischen Mehrwert rechnet sich die höhere CO2-Einsparung auch aus wirtschaftlicher Sicht. Zwar verursacht die großflächige Umstellung auf erneuerbare Energiequellen Transformationskosten, die die Forschenden auf 222 Mrd. Euro taxieren, allerdings werden diese um ein Vielfaches von den durch die CO2-Reduktion eingesparten Umwelt- und Klimakosten übertroffen. „Wenn wir hierbei von der vom Umweltbundesamt berechneten Einsparung von 180 Euro pro nicht emittierter Tonne CO2 ausgehen“, erklärt Co-Autor Karlo Hainsch, „betragen die durch die bis zum Jahr 2030 durch die CO2-Reduktion eingesparten Klima- und Umweltkosten 1381 Mrd. Euro.“

Rascher Ausbau erneuerbarer Energien erforderlich

Eindeutiger politischer Handlungsbedarf ergibt sich für die Autoren hinsichtlich des momentanen Ausbaustands erneuerbarer Energien. Zeitnah müssen sowohl auf nationaler als auch auf transnationaler Ebene konkrete Pläne ausgearbeitet werden, wie die notwendigen Investitionen in eine nachhaltige Energieinfrastruktur realisiert werden können.

Ein sensibles Thema ist hierbei die Lastenverteilung zwischen den einzelnen europäischen Ländern: Gerade in Osteuropa ist die Energieerzeugung stark von fossilen Brennstoffen abhängig – diese Regionen bedürfen besonderer Unterstützung bei der Umstellung auf Erneuerbare.

Auch in Deutschland bestehe Handlungsbedarf: Die Empfehlungen und Beschlüsse der Kohlekommission und des Klimakabinetts sind nicht ausreichend, um dem Pariser 2°-Ziel gerecht zu werden. Der nationale Beitrag zur langfristigen EU-Klimastrategie („national energy and climate plan“) bietet die Gelegenheit, die notwendigen Zielverschärfungen vorzunehmen und eine Vorreiterrolle in der Klimaschutzpolitik einzunehmen.

Die Studie aus dem DIW Wochenbericht 41/2019. ■