In Innenräumen entstehen durch die Anwesenheit von Menschen und Ozon hohe Mengen an OH-Radikalen. Sie werden auch als Waschmittel der Atmosphäre bezeichnet.
Menschen verbringen typischerweise 90 % ihrer Zeit in Innenräumen und sind hier von einem unsichtbaren Molekülcocktail umgeben: Wände, Böden und Möbel gasen aus, beim Kochen oder Putzen entweichen chemische Stoffe in die Luft und je nach Umgebung gelangen auch Schadstoffe von außen nach innen. Außerdem geben wir ständig selbst beim Atmen und über die Haut diverse Moleküle an die Umgebung ab.
Doch wie verschwinden die Chemikalien wieder? In der Atmosphäre geht das in gewissem Umfang von selbst durch Regen und durch chemische Oxidation. Verantwortlich für letzteres sind maßgeblich Hydroxyl-(OH)-Radikale. Diese sehr reaktionsfreudigen Moleküle werden auch als Waschmittel der Atmosphäre bezeichnet. Sie entstehen hauptsächlich durch die Wechselwirkung von UV-Licht der Sonne mit Ozon und Wasserdampf.
In Innenräumen wird die Luft hingegen weit weniger von direktem Sonnenlicht beeinflusst, insbesondere da UV-Strahlen durch Glasfenster weitgehend herausgefiltert werden. In der Wissenschaft nahm man bisher an, dass Ozon, das auch in Gebäuden meist in geringen Konzentrationen vorkommt, indem es von außen eindringt, das wichtigste Oxidationsmittel in Innenräumen sei. Im Vergleich zu Ozon können OH-Radikale jedoch viel stärker oxidieren.
OH-Radikale entstehen aus Ozon und Hautsekreten
In Innenräumen entstehen jedoch hohe Mengen an OH-Radikalen – allein durch die Anwesenheit von Menschen und Ozon. Das zeigt eine neue Studie, die unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Chemie gemeinsam mit Forschenden aus den USA und Dänemark entstand.
„Dass wir Menschen nicht nur eine Quelle reaktionsfreudiger Chemikalien sind, sondern dass wir diese auch selbst umwandeln können, war für uns sehr überraschend“, sagt die Erstautorin der im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichten Studie Nora Zannoni, aus dem Team von Jonathan Williams vom Max-Planck-Institut für Chemie.
„Die Stärke und Form des Oxidationsfeldes hängt davon ab, wie viel Ozon vorhanden ist und wie der Raum belüftet ist“, ergänzt die Wissenschaftlerin, die jetzt am Institut für Atmosphärische Wissenschaften und Klima in Bologna, Italien arbeitet. Die Werte, die die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen feststellten, waren sogar mit den OH-Konzentrationen im Freien am Tag vergleichbar.
Ozon reagiert mit Ölen und Fetten auf der Haut
Die Ursache des Oxidationsfeldes liegt darin, dass Ozon mit Ölen und Fetten auf unserer Haut reagiert, besonders mit der ungesättigten Fettsäure Squalen, die etwa 10 % des Talgs ausmacht und als Antioxidans unsere Haut schützt und geschmeidig hält. Bei dieser Reaktion wird eine Vielzahl von chemischen Stoffen freigesetzt, die Doppelbindungen enthalten und dadurch in der Luft mit Ozon weiter reagieren, wodurch erhebliche Mengen von OH-Radikalen entstehen. Die Forschenden um Zannoni hatten diese Abbauprodukte von Squalen mithilfe von Gaschromatografen und einem Massenspektrometer einzeln charakterisiert und quantifiziert. Die OH-Konzentration wiederum wurde über die OH-Reaktivität bestimmt.
Für ihre Experimente war die Gruppe an die Technische Universität Dänemark (DTU) nach Kopenhagen gereist. In einer speziellen Klimakammer hielten sich vier Testpersonen unter standardisierten Bedingungen auf. Über eine Rohrleitung wurde Ozon in einer für Menschen unkritischen Menge der Luft beigemischt (35 ppb). Das Team bestimmte während des Versuchs die OH-Werte vor und während des Aufenthalts der Freiwilligen. Die Werte waren sogar mit den OH-Konzentrationen vergleichbar, wie sie an einem typischen Tag im Freien entstehen.
Um zu verstehen, wie sich das Oxidationsfeld räumlich und zeitlich beispielsweise bei verschiedenen Lüftungsbedingungen verhält, haben die Forschenden kinetische und Strömungsdynamikmodelle mit den Messergebnissen gespeist. Die Modelle zeigen, dass sich starke räumliche OH-Gradienten bildeten.
Prüfverfahren für Möbel und Baustoffe anpassen
„Wir müssen die Chemie in Innenräumen überdenken, denn die Oxidationsfelder, die wir selbst erzeugen, verändern auch viele Chemikalien in unserer direkten Umgebung“, sagt Projektleiter Jonathan Williams.
„Das OH-Radikal kann viel mehr chemische Verbindungen oxidieren als Ozon, wodurch eine Vielzahl von Produkten direkt in unserer Atemzone entsteht, deren Auswirkungen auf unsere Gesundheit noch unbekannt sind. Die Oxidationsfelder wirken sich sicher auch auf die chemischen Signale aus, die wir aussenden und empfangen. Sie erklären möglicherweise auch, warum unser Geruchssinn generell empfindlicher auf Moleküle reagiert, die schneller mit OH reagieren.“
Die neuen Erkenntnisse haben auch eine ganz praktische Bedeutung für unsere Gesundheit: Gegenwärtig werden die chemischen Emissionen vieler Materialien und Einrichtungsgegenstände unter Laborbedingungen isoliert geprüft, bevor sie für den Verkauf freigegeben werden. Es wäre jedoch ratsam, auch Tests in Anwesenheit von Personen durchzuführen, so der Atmosphärenchemiker Williams. Denn Oxidationsprozesse können unter anderem zur Bildung Atemwegs-reizender Stoffe wie Oxopentanal (4-OPA) und kleiner Partikel in unmittelbarer Nähe der Atemwege führen, was besonders bei vorerkrankten Menschen und Kindern eine Rolle spielen kann.
Diese Ergebnisse sind Teil des Projekts ICHEAR (Indoor Chemical Human Emissions and Reactivity Project), an dem eine Gruppe internationaler Wissenschaftler aus Dänemark (DTU), den USA (Rutgers University), der Schweiz (ESPL) und Deutschland (MPI) beteiligt war. Die Modellierung war Teil des MOCCIE-Projekts an der University of California Irvine und der State University of Pennsylvania. Beide Projekte wurden durch Zuschüsse der Sloan Foundation finanziert. ■
Quelle: Claudia Dolle, Max-Planck-Institut für Chemie / jv
Originalpublikation: The Human Oxidation Field, Nora Zannoni, Pascale S. J. Lakey, Youngbo Won, Manabu Shiraiwa, Donghyun Rim, Charles J. Weschler, Nijing Wang, Lisa Ernle, Mengze Li, Gabriel Bekö, Pawel Wargocki, Jonathan Williams. Science, 1. September 2022 Doi: https://www.science.org/doi/10.1126/science.abn0340
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