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Die Zukunft von Heizlast, Kühllast, GEG-Nachweis und Co.

Ein guter Zeitpunkt, Richt­li­nien wieder stark zu vereinfachen

Bild 1 Die Wärmeschutzverordnung von 1977 umfasste inklusive Anlagen 15 Seiten. Die relevanten Richtlinien zur Bestimmung von Heiz- und Kühllast sowie zur Durchführung des GEG-Nachweises kommen auf fast 3000 Seiten.

Bernd Leitner – stock.adobe.com

Bild 1 Die Wärmeschutzverordnung von 1977 umfasste inklusive Anlagen 15 Seiten. Die relevanten Richtlinien zur Bestimmung von Heiz- und Kühllast sowie zur Durchführung des GEG-Nachweises kommen auf fast 3000 Seiten.

Die normative Berechnung von Heiz- und Kühllast und öffentlich-rechtliche Nachweise greifen auf ein komplexes Regelwerk zurück. Die Ergebnisse können aber eine nicht vorhandene Genauigkeit oder Relevanz vortäuschen. Dabei gibt es für diese Ansprüche viel besser geeignete Werkzeuge. Die Diskrepanz hat nicht nur aktuelle, sondern auch langfristig negative Konsequenzen. Ein Diskussionsbeitrag zur Vereinfachung der zugehörigen Richtlinien bzw. des Normungswesens insgesamt.

Der Artikel kompakt zusammengefasst
■ Das Regelwerk zur Berechnung der Heiz- und Kühllast und Nachweise im Rahmen des Gebäudeenergiegesetzes hat einen Umfang erreicht, der nur noch mit entsprechenden Softwarelösungen zu handhaben ist. Viele der damit generierten Ergebnisse sind aber allenfalls formal richtig und für wichtige Entscheidungen mindestens kritisch zu hinterfragen oder zu korrigieren und sie widersprechen teilweise sogar dem regulatorischen Zweck.
■ Auch mit großen Anstrengungen ist es kaum möglich, dieses Regelwerk zeitnah auf einem stets für die praktische Anwendung gebotenen Stand zu halten und diesen zusätzlich in die kleinteilig organisierte Branche zu tragen. Gleichzeitig existiert für den konkreten Planungsbedarf mit der thermisch-energetischen Gebäude- und Anlagensimulation ein viel besser geeignetes Verfahren, dass wettbewerblich regelmäßig um zusätzliche Aspekte ergänzt wird und auch zur Qualitätssicherung und Optimierung verwendbar ist.
■ Für viele (kleine) Projekte und auch den Nachweis energetischer Anforderungen wäre es hingegen sinnvoller, die Berechnungs- und Nachweisverfahren drastisch zu vereinfachen und reproduzierbar zu machen.
 

„Regeln sind kein Selbstzweck, weshalb es nicht mehr Regeln geben soll, als erforderlich.“ Insgesamt 18-mal enthielt der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP von 2009 dieses und ähnliche Bekenntnisse zum Bürokratieabbau. Zu diesem Zeitpunkt wurden dem Normenausschuss Heiz- und Raumlufttechnik sowie deren Sicherheit (NHRS) des DIN insgesamt 237 Normen zugeordnet. Der Koalitionsvertrag von 2021 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP führt die Notwendigkeit des Bürokratieabbaus sogar 26-mal auf. Im NHRS ist die Anzahl der Richtlinien unserer Branche unterdessen auf rund 300 gestiegen. Aus dem VDI-Fachbereich TGA kommen noch einmal etwa 200 hinzu. Einer der letzten Zugänge: VDI 6070 Blatt 1 Raumbuch.

Im Detail umfassen allein die relevanten Richtlinien zur Bestimmung von Heiz- und Kühllast sowie zur Durchführung des GEG-Nachweises 2943 Seiten in DIN EN 12831-1 mit DIN/TS 12831-1, VDI 2078 mit VDI 6020 und VDI 6007 Blatt 1 bis 3 sowie DIN V bzw. TS 18599 Teile 1 bis 13 zuzüglich der Beiblätter 1 bis 3. Zum Vergleich: Die Wärmeschutzverordnung von 1977 umfasste 15 Seiten – einschließlich Anlagen.

Zurzeit ist eine händische Berechnung praktisch nicht mehr möglich

In der jeweils ausführlichen Variante erlaubt keines der Verfahren unter sinnvollen Maßstäben eine händische Berechnung mit einer Tabellenkalkulation, weshalb zur Anwendung der Richtlinien praktisch zwingend CAE-Werkzeuge erforderlich sind. Trotz unterschiedlicher Zielsetzungen der Richtlinien (Auslegungsleistung bzw. Energiebedarfsprognose) bestehen die maßgeblichen Eingangsgrößen für alle drei Verfahren in der Gebäudegeometrie, der Nutzung, den Klimarandbedingungen und der Anlagentechnik.

Dennoch sind für die CAE-Werkzeuge neben aufwendigen Übergabe-Schnittstellen mindestens drei verschiedene Rechenkerne erforderlich. So bedingen unterschiedliche Bilanzierungs-Zeitschrittweiten von statisch über monatlich bis stündlich zahlreiche Korrekturfaktoren, beispielsweise zur Berücksichtigung von internen und solaren Wärmegewinnen, thermischen Kapazitäten oder Teillastzuständen.

Zusammenführen statt reparieren und korrigieren oder sogar ignorieren

Bild 2 Energieausweis-Muster nach dem geänderten Gebäudeenergiegesetz vom 16. Oktober 2023. Viele der aufwendig berechneten Werte spiegeln nicht die reale Nutzung wider und die Hauptanforderung ist nur noch scheinbar frei zu optimieren.

BAnz AT 08.12.2023 B1

Bild 2 Energieausweis-Muster nach dem geänderten Gebäudeenergiegesetz vom 16. Oktober 2023. Viele der aufwendig berechneten Werte spiegeln nicht die reale Nutzung wider und die Hauptanforderung ist nur noch scheinbar frei zu optimieren.

Die praktischen Notwendigkeiten für eine Zusammenführung der Verfahren liegen auf der Hand. Doch warum ist jetzt ein guter Zeitpunkt?

Die Kühllastregeln stehen vor einer Überarbeitung, da marktübliche Simulationswerkzeuge methodisch fortgeschrittener sind. Beispielsweise gelingt die Berechnung der solaren Einstrahlung nach aktuellen Modellen besser als mit jenen der VDI 6007. In der Folge müssen Software-Hersteller genauere Berechnungsmethoden nachträglich korrigieren, um veralteten Validierungsfällen gerecht zu werden. Einige Anbieter verzichten deshalb bereits gänzlich auf eine Validierung nach VDI 2078.

Bezüglich der Heizlastberechnung wurde im Zuge der europäischen Harmonisierung deutlich, dass die Art und Weise der Beheizung von Gebäuden in der subtropischen Zone doch signifikant von derjenigen in der subpolaren Zone abweicht. In der Folge existieren zur DIN EN 12831-1 teilweise nationale Parallelversionen (hierzulande DIN/TS 12831-1), die für jedes Einzelkapitel eine Überprüfung dahingehend erfordern, welches der Dokumente denn nun anzuwenden ist.

Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Lüftungszonen. So hat die normative Vorgehensweise zur Ermittlung der Lüftungswärmeverluste mittlerweile eine derartige Komplexität angenommen, dass sich die nationale Ergänzung offenbar dazu veranlasst sah, die Gleichungen der europäisch harmonisierten Fassung für „eine anschaulichere Berechnung und übersichtlichere Darstellung“ neu zu sortieren.

Zu komplexe Berechnungen für am Ende doch falsche Ergebnisse

Derartiges erscheint im Rahmen der Lehre kaum noch vermittelbar und begünstigt somit, dass Richtlinien in CAE-Tools ohne inhaltliches Verständnis und folglich ohne ingenieurmäßige Plausibilisierung „angewendet“ werden. Gerichtsprozesse, die sich mit vier unterschiedlichen Energieausweisen zu ein und demselben Gebäude befassen müssen, spiegeln dies am Beispiel DIN V 18599 wider. Im Falle der Heizlast-Berechnung wird darüber hinaus in weniger komplexen Anwendungsfällen, beispielsweise Wohngebäuden, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht selten gänzlich von einer Anwendung der Richtlinie abgesehen, wodurch eine unüberschaubare Beliebigkeit bei der Vorgehensweise entsteht.

Doch auch methodisch erscheint eine Überarbeitung des Heizlast-Regelwerks geboten. Denn der national festgelegte Worst-Case-Ansatz ohne jegliche solare und interne Gewinne erscheint für die nunmehr dominierende Dimensionierung von bivalenten Systemen (insbesondere Wärmepumpe und Spitzenlast-Wärmeerzeuger) nicht mehr zeitgemäß. So wird schon aufgrund der in winterlichen Hochdruckphasen vorliegenden Kopplung von nächtlichen Tiefsttemperaturen an klare sonnenreiche Tage sowie anhand der Tatsache, dass Heizgrenztemperaturen nicht bei 20 °C liegen, deutlich, dass Gewinne auch im Auslegungsfall eine signifikante Rolle spielen. Das Passivhaus-Projektierungspaket trägt dieser Tatsache bereits seit über 25 Jahren Rechnung.

Darüber hinaus bestehen insbesondere im Bestand große Unsicherheiten hinsichtlich U-Wert-Annahmen und bezüglich der tatsächlichen Luftwechsel, sodass berechnete Heizlasten gemäß DIN/TS 12831-1 nicht selten um den Faktor 2 zu hoch ausfallen [1]. Diese Diskrepanzen spiegeln sich darüber hinaus auch in den tatsächlich abgerufenen Leistungen in Wärmenetzen wider.

Als Folge solcher Fehleinschätzungen verschiebt sich bei leistungsmodulierenden Wärmeerzeugern schnell ein großer Anteil der Heizarbeit in den Taktbetrieb. Dies bedeutet beim Einsatz von Heizkesseln vielfach höhere Schadstoffemissionen. Beim Einsatz von Wärmepumpen reduziert eine hohe Takthäufigkeit sowohl die Effizienz als auch die Lebensdauer der Verdichter.

DIN V 18599: Erfolgsgeschichte mit Reformbedarf

Der grundlegendste Reformbedarf existiert jedoch im Bereich der DIN V 18599. Zwar kann die Methodik des Referenzgebäudes in einem Nachweisverfahren zur Energieeffizienz rückblickend als regulatorische Erfolgsgeschichte bewertet werden, denn eine sukzessive Erhöhung der energetischen Anforderungen konnte wohl auch deshalb durchgesetzt werden, da Gestaltungsfreiheit hinsichtlich einer besonders guten Gebäudehülle oder einer besonders effizienten Anlagentechnik bestand. Jedoch ging durch die „formgleiche“ Referenz jeglicher Anreiz für eine energiesparende Gebäudekubatur bzw. -architektur verloren. Und spätestens die 2024 in Kraft getretene Novelle des GEG hat in puncto Gestaltungsfreiheit das „oder“ durch ein „und“ ersetzt.

Bild 3 Wird durch die Komplexität des Regelwerks die ingenieurmäßige Plausibilisierung verhindert, kann dies langfristig negative Folgen haben, beispielsweise bei der Lehre und bei der Befähigung des Nachwuchses.

Xuejun Li – stock.adobe.com

Bild 3 Wird durch die Komplexität des Regelwerks die ingenieurmäßige Plausibilisierung verhindert, kann dies langfristig negative Folgen haben, beispielsweise bei der Lehre und bei der Befähigung des Nachwuchses.

So drängt sich bei definierten Mindestanforderungen an die Gebäudehülle und an den Anteil erneuerbarer Wärme doch die Frage auf: Wozu noch einen primärenergetischen Vergleich zu einem Gas-Brennwertheizkessel durchführen? Denn auch bei der Begrenzung der Lebenszyklusbetrachtung auf die Betriebsphase liegt für Gebäude doch bekanntlich vielmehr ein Emissionssenken-Problem als ein Energiequellen-Problem vor.

Ferner eignet sich das Monatsbilanzverfahren wie zahlreich belegt nur bedingt zur Energiebedarfsprognose, da allein schon das Nutzerverhalten in der Regel einen größeren Einfluss auf den tatsächlichen Energiebedarf als die im Rahmen des Nachweisverfahrens möglichen Gestaltungsspielräume hat (siehe zusammenfassend z. B.: [2]). Darüber hinaus lassen die ErP-Richtlinien für energieverbrauchsrelevante Produkte längst keine ineffizienten Komponenten mehr zu. Der einstige Vorreiter DIN V 18599 wurde zuletzt also beidseits von der Gesetzgebung überholt.

Auch die Redundanz zu den europäisch harmonisierten Richtlinien zur Berechnung der Energiebedarfe für Heizen und Kühlen (DIN EN ISO 52016-1) sowie zur Bewertung der Anlagentechnik in den Richtlinien-Reihen DIN EN 15316 (Heizen) und DIN EN 16798 (Lüftung und Kühlen) soll nicht unerwähnt bleiben.

Das Ziel: Diskussion anregen

Ziel dieses Beitrags ist es darum, eine Diskussion über die Zukunft der Richtlinien für Heizlast, Kühllast, GEG-Nachweis und Co. anzuregen, die – trotz der Gemengelage aus exekutiver Mandatierung, legislativen Verknüpfungen und unterschiedlichen Standardisierungs-Organisationen – die inhaltlich-methodischen Erfordernisse priorisiert.

So lassen ohnehin bestehende Mindestanforderungen an die Gebäudehülle, den erneuerbaren Wärmeanteil und an die Energieeffizienz von Produkten zur Lüftung, Kühlung und Beleuchtung auch vor dem Hintergrund begrenzter Energieberatungs- und Planungs-Kapazitäten stark vereinfachte genehmigungs- und förderrechtliche GEG-Nachweise sinnvoll erscheinen, etwa in Form eines Bonus-Malus-Systems zur Einordnung in Effizienzstandards – noch sehr viel stärker vereinfacht als die insgesamt 694 Seiten umfassenden Tabellenverfahren der DIN/TS 18599 Teil 12 und 13.

Bild 4 Für die meisten Gebäude ist das bestehende Regelwerk für Heizlast, Kühllast und GEG-Nachweise mehr Bürde als konkrete Hilfe: Zumeist liefert es Informationen entweder weit über oder weit unter dem konkreten Informationsbedarf, oder aus dem vorherigen Betrieb existieren bessere geeignete Daten.

tilialucida – stock.adobe.com

Bild 4 Für die meisten Gebäude ist das bestehende Regelwerk für Heizlast, Kühllast und GEG-Nachweise mehr Bürde als konkrete Hilfe: Zumeist liefert es Informationen entweder weit über oder weit unter dem konkreten Informationsbedarf, oder aus dem vorherigen Betrieb existieren bessere geeignete Daten.

Für die Ermittlung der Heizlast erscheint in bestehenden Wohngebäuden eine ebenfalls stark vereinfachte Vorgehensweise auf der Basis von witterungsbereinigten Verbrauchsdaten und Vollbenutzungsstunden zielführend, beispielsweise in Abhängigkeit der Gradtagszahl und mittels typischer Jahresnutzungsgrade des bestehenden Wärmeerzeugers.

Im Falle von gegebenenfalls komplexeren Nichtwohngebäuden liegt hingegen eine gemeinsame, thermisch-energetische Gebäude- und Anlagensimulation in stündlicher Schrittweite für die Berechnung von (dynamischer) Heiz- und Kühllast sowie für Energiebedarfsprognosen nahe. Ein normativer Mehrwert kann hier insbesondere durch eine Definition der erforderlichen Eingangsparameter im Datenaustauschformat (z. B. IFC) entstehen.

So ließe sich die Ermittlung der Endenergie auf der Basis von Produktinformationsmodellen (PIM) der Hersteller realisieren. Dies würde auch die Problematik der Begrenzung der DIN V 18599 auf tabellarisch erfasste Anlagenkonfigurationen beheben. Darüber hinaus könnte ein solcher übergreifender Standard zur thermisch-energetischen Gebäude- und Anlagensimulation auch weitere Richtlinien, etwa das Simulationsverfahren zum sommerlichen Wärmeschutz nach DIN 4108-2 und die Energiebedarfsberechnung nach VDI 2076 Blatt 10 obsolet machen.

Wenig überraschend scheint, dass sogar die Normung selbst „genormt“ ist (VDI 1000). Treffend heißt es darin: „Durch das Anwenden von VDI-Richtlinien entzieht sich niemand der Verantwortung für eigenes Handeln.“ Dies sollte Ansporn sein, nicht dem Gesetz der Hydra zu folgen und den Ingenieurinnen und Ingenieuren ihre Kompetenzen zurückzugeben!

Fachberichte mit ähnlichen Themen bündelt das TGA+E-Dossier Regelwerk

Literatur

[1] Dankert, Uwe: Heizlast nach DIN EN 12831. Teil 1: Die Lücke zwischen Regelwerk und Realität. Teil 2: Den Verbrauch analysieren. Stuttgart: Gentner Verlag, haustec.de (15. März 2024),

[2] Realitätsnahe Berechnung des Energiebedarfs. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt (Hrsg.), Ad-hoc Papier, Juli 2022, Aufruf über www.bit.ly/tga1473

Prof. Dr.-Ing. Michael Schaub
ist seit 2023 im Berufungsgebiet Energieeffiziente Gebäudetechnik an der Hochschule Coburg tätig. michael.schaub@hs-coburg.de  www.hs-coburg.de

Natalie Schalk, Hochschule Coburg

Prof. Dr.-Ing. Alexander Floß
betreut an der Hochschule Biberach im Studiengang Energie-Ingenieurwesen die Bereiche thermische Energiesysteme und Anlagenplanung. Zudem forscht er am Institut für Gebäude- und Energiesysteme (IGE) in den Gebieten Kälte- und Wärmepumpentechnik sowie Hydraulik. floss@hochschule-bc.de  www.hochschule-bc.de

Stefan Sättele / HBC