Der Expertenrat für Klimafragen hat in seinem Prüfbericht zu den Emissionsdaten für das Jahr 2021 die erneute Zielverfehlung im Gebäudesektor bestätigt. Auch der Sektor Verkehr konnte das im Bundes-Klimaschutzgesetz vorgegebene Ziel nicht erreichen.
Die Sektoren Gebäude und Verkehr, in denen bisher der Großteil der im Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) bilanzieren Energienutzung von der CO2-Bepreisung über das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) betroffen ist, haben ihre im KSG vorgegebenen Klimaziele im Jahr 2021 nicht erreicht.
Zu diesem Ergebnis kommt der Expertenrat für Klimafragen (ERK) in seinem am 13. April 2022 an die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag übermittelten Prüfbericht zu den Emissionsdaten des Vorjahres. In dem gemäß § 12 KSG erstellten Bericht prüft und bewertet der Expertenrat die am 15. März 2022 vom Umweltbundesamt nach sieben Sektoren gegliederte Berechnung der Vorjahres-Treibhausgasemissionen (siehe: 2021 sind die Treibhausgasemissionen um 4,5 % gestiegen).
Neben der Prüfung ordnet der Expertenrat die Emissionsentwicklung und die Zielerreichung bzw. Zielverfehlung einzelner Sektoren vertiefend ein und diskutiert Bedarf und Optionen für eine Weiterentwicklung des Bundes-Klimaschutzgesetzes.
Prüfung der Emissionsdaten
Kernstück des Berichts ist die Prüfung der Berechnung der Vorjahresemissionen durch das Umweltbundesamt. In einer Pressemitteilung des Expertenrats heißt es, dass er sowohl umfassend als auch stichprobenartig die Zahlen nachvollzogen und keinen Anhaltspunkt dafür findet, dass die Behörde bei ihren Punktwertschätzungen zu anderen Ergebnissen hätte kommen müssen.
Die berichteten Emissionswerte lagen für den Verkehrs- und den Gebäudesektor oberhalb der jahresscharf im KSG vorgegebenen Zielwerte. Für die übrigen im Gesetz genannten Sektoren lagen die Emissionswerte unterhalb der zulässigen Jahreswerte. Laut § 8 Abs. 1 KSG müssen die für die Sektoren mit Zielverfehlung zuständigen Ministerien nun innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen, das die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des jeweiligen Sektors für die folgenden Jahre sicherstellt.
Bereits im Jahr 2021 gab es die Sofortprogramm-Verpflichtung für den Gebäudesektor. Das dann von der Bundesregierung beschlossene Sofortprogramm wurde vom Expertenrat für Klimafragen als unzureichend eingeordnet (siehe: Ohrfeige für BMWi und BMI).
Die Verfehlung in den Sektoren Gebäude und Verkehr kann mittelfristig erheblichen Einfluss auf die CO2-Bepreisung von Kraft- und Brennstoffen haben. Bis 2025 erfolgt sie mit gesetzlich fixierten Preisen ohne Begrenzung der ausgegebenen Zertifikate analog der zulässigen Emissionen im Bundes-Klimaschutzgesetz. Dies ist frühestens ab 2026/27 im BEHG vorgesehen. Liegen die Sektoren dann zusammen nicht unter ihrem addierten KSG-Budget, würden die CO2-Preise (ohne weitere Regulierung oder Begrenzung) deutlich steigen.
Klage gegen Bauministerium eingereicht
Die erneute Zielverfehlung könnte nun auch ein juristisches Nachspiel haben, im 13. April 2022 hat die Deutsche Umwelthilfe vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Klage gegen das Bundesbauministerium eingereicht.
Rechtsanwalt Prof. Dr. Remo Klinger, Geulen & Klinger Rechtsanwälte: „Mit der Klage fordern wir die Einhaltung geltenden Rechts. Dass es im Jahr 2020 zu einer Überschreitung der Treibhausgasmengen im Gebäudebereich gekommen ist, war ein Gesetzesverstoß. Danach war ein Sofortprogramm aufzustellen, das geeignet ist, zukünftige Überschreitungen zu verhindern. Dazu taugt das Sofortprogramm nicht, womit der nächste Gesetzesverstoß vorliegt. Die jetzt durch den Expertenrat bestätigte Überschreitung der Treibhausgasmengen im Jahr 2021 ist ein weiterer Gesetzesverstoß, der gerichtliche Abhilfe erforderlich macht.“
Einordnung der Ergebnisse durch den ERK
Im Jahr 2021 sind die gesamten Treibhausgasemissionen (ohne Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft / LULUCF) gegenüber 2020 um rund 4,5 % oder 33 Mio. t CO2-Aquivalent (Mt CO2e) angestiegen, nachdem 2020 noch ein Rückgang um knapp 9 % zu verzeichnen war. Dieser Anstieg im Vergleich zum Vorjahr stellt die größte prozentuale Zunahme der Treibhausgasemissionen seit 1990 dar.
Dazu hat neben der wieder gewachsenen Wirtschaftsleistung auch der erstmals seit 2013 beobachtete Anstieg der Emissionsintensität, d. h. der auf das Bruttoinlandsprodukt bezogenen Treibhausgasemissionen, beigetragen. Mit Blick auf die Erreichung der mittel- bis langfristigen Treibhausgasminderungsziele beabsichtigt der Expertenrat für Klimafragen deshalb in seinem im Herbst 2022 vorgesehenen Gutachten zur Trendentwicklung der Treibhausgasemissionen zu prüfen, inwieweit sich diese Zunahme der Emissionsintensität, die über den gesamten Zeitraum seit 1990 einen substanziellen Beitrag zur Minderung der Treibhausgasemissionen leistete, als kritisch erweisen könnte.
Unter Betrachtung der Sondereffekte des Jahres 2021, die vor allem von Preis-, Witterungs-, und Lagereffekten sowie weiterhin von den Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie geprägt waren, hat der Expertenrat für ausgewählte Sektoren eine detailliertere Einordnung vorgenommen:
„Der Gebäudesektor hat im Jahr 2021 das zweite Mal in Folge sein Sektorziel verfehlt, wobei die Sondereffekte wie Witterung oder Lagerhaltung von Heizöl in Summe eine nennenswerte, jedoch in ihrer Richtung entgegengesetzte Wirkung hatten. Der Verkehrssektor hat 2021 sein Sektorziel erstmals verfehlt, trotz der tendenziell emissionsmindernd wirkenden Effekte steigender Kraftstoffpreise und der Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie.“
Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrats für Klimafragen: „Unsere Analyse gibt Hinweise darauf, dass ohne die Sondereffekte die Emissionen im Verkehr 2021 eher noch höher ausgefallen wären. Zugleich bestätigen wir, dass der Gebäudesektor den Jahreszielwert zum zweiten Mal in Folge überschritten hat. Allerdings ist bei dieser Feststellung zu beachten, dass der Überschreitungswert kleiner ist als die durch Lagerhaltung und Witterung bedingten Einflüsse.“
Der Prüfbericht kommt in Absatz 103 zu einer Abschätzung, dass die statistisch nicht dem Jahr 2021 zugeordnete aber in diesem Zeitraum verbrauchte Menge an Heizöl zusätzlichen Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor von rund 8 Mt CO2e entsprechen würde.
Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2021
Weiterentwicklung des Bundes-Klimaschutzgesetzes
Vor dem Hintergrund der dieses Jahr zum zweiten Mal durchgeführten Prüfung sieht das Gremium den Bedarf einer wesentlichen Weiterentwicklung des Bundes-Klimaschutzgesetzes.
Brigitte Knopf, stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats: „Das Bundes-Klimaschutzgesetz ist noch recht jung. Neben grundlegenden Fragestellungen, beispielsweise in Bezug auf die europäische Einbettung, zeigt sich in der Praxis an einigen Stellen konkreter Anpassungsbedarf im Hinblick auf Monitoring und Steuerung. Die Sektorziele haben eine wichtige Funktion als Governance-Instrument zur Erfüllung der Klimaschutzziele, es bedarf aber zusätzlicher oder angepasster Steuerungssignale.
Ebenso wichtig wäre ein stärkerer Abgleich der Ziele und der sektoralen Steuerung mit den übergreifenden Instrumenten des europäischen und des nationalen Emissionshandels. Zudem fehlt im Bundes-Klimaschutzgesetz bisher eine vorausschauende Steuerung bei antizipierter Zielverfehlung.“
Der Expertenrat empfiehlt einen koordinierten Prozess zur Weiterentwicklung des Bundes-Klimaschutzgesetzes im laufenden Jahr. ■
Im Kontext:
Hohe Energieeinsparung bei Pilotprojekt zum smarten Heizen
Fördersätze halbiert: EH/EG40-Neubauförderung ab 20. April 2022
Bundeskabinett beschließt Energiewende-Osterpaket
Wärmewende: Gas-Heizungs-Ausstieg muss kommen
Entlastungspaket soll die Wärmewende beschleunigen