Der Expertenrat für Klimafragen geht nach der Prüfung der Annahmen des von der Bundesregierung vorgelegten Sofortprogramms für den Gebäudesektor davon aus, dass es zum Erreichen der Klimaziele ungenügend ist.
Für das Jahr 2020 hat der Gebäudesektor das im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegte Emissionsziel deutlich verfehlt. Mit Ansage. Schon beim Beschluss des Bundes-Klimaschutzgesetzes im Dezember 2019 war klar: Nur extrem warme Wintermonate im Jahr 2020 (oder ein Wärmepumpen-Förderprogramm mit ganz neuen Dimensionen) hätten das Unvermeidliche abwenden können.
Dass einzig der Gebäudesektor bei der 1. KSG-Bilanz sein Ziel verfehlt hat, ist allerdings auch eine Folge der Coronavirus-Pandemie, bei üblicher Mobilität wäre mindestens auch der Verkehrssektor betroffen gewesen. Aber: Auch im Gebäudesektor sind die Treibhausgasemissionen 2020 durch die Coronavirus-Pandemie gesunken, weil viele Nichtwohngebäude über längere Zeiträume gar nicht oder nur eingeschränkt genutzt worden sind.
Sofortprogramm bei Überschreitung der Jahresemissionsmengen
Um Zielverfehlungen nicht nur zu verwalten, sondern die Sektoren wieder auf Zielkurs zu bringen, enthält das KSG einen Mechanismus:
1. Weisen die Emissionsdaten eine Überschreitung der zulässigen Jahresemissionsmenge für einen Sektor in einem Berichtsjahr aus, muss das zuständige Bundesministerium der Bundesregierung innerhalb von drei Monaten nach der Vorlage der Bewertung der Emissionsdaten durch den Expertenrat für Klimafragen ein Sofortprogramm für den jeweiligen Sektor vorlegen, das die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des Sektors für die folgenden Jahre sicherstellt.
2. Die Bundesregierung berät über die zu ergreifenden Maßnahmen im betroffenen Sektor oder in anderen Sektoren oder über sektorübergreifende Maßnahmen und beschließt diese schnellstmöglich. Dabei kann sie die bestehenden Spielräume der Europäischen Klimaschutzverordnung berücksichtigen und die Jahresemissionsmengen der Sektoren ändern. Vor Erstellung der Beschlussvorlage über die Maßnahmen sind dem Expertenrat für Klimafragen die den Maßnahmen zugrunde gelegten Annahmen zur Treibhausgasreduktion zur Prüfung zu übermitteln. Das Prüfungsergebnis wird der Beschlussvorlage beigefügt.
3. Die Bundesregierung unterrichtet den Deutschen Bundestag über die beschlossenen Maßnahmen.
Stand 25. August 2021 ist Punkt 2 mit der Vorlage weitgehend erledigt. Allerdings: Das schon während des Abstimmungsprozesses innerhalb der Bundesregierung verrissene Sofortprogramm für den Gebäudesektor ist nun auch beim Expertenrat für Klimafragen durchgefallen, sodass eine gewissenhafte Bundesregierung – anstehende Bundestagswahl hin oder her – das Prüfergebnis nicht einfach der Beschlussvorlage beifügen kann; eigentlich muss die Beschlussvorlage gründlich überarbeitet werden. Verantwortlich sind das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und das Bundesinnenministerium (BMI). Legitim wäre auch eine Änderung der Jahresemissionsmenge(n), das würde aber das Problem nur in die Zukunft schieben und eine Lösung in einem kleineren Zeitfenster erfordern.
„Kann die prognostizierte Minderungswirkung nicht erreichen“
Der Expertenrat für Klimafragen hat seine Bewertung so überschrieben: „Sofortprogramm 2020 allein kann prognostizierte Minderungswirkung im Gebäudesektor nicht erreichen“. Nach Bewertung der Annahmen zum Vorschlag für ein Sofortprogramm der Bundesregierung für den Gebäudesektor erscheine das Programm wirksam, erbringe aber keinen Nachweis für die Erreichung der Klimaziele des Gebäudesektors bis zum Jahr 2030.
Das Sofortprogramm 2020 für den Gebäudesektor sieht eine Sicherstellung zusätzlicher Finanzmittel in Höhe von 5,8 Mrd. Euro für die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) im Jahr 2021 vor.
Die Prüfung der Annahmen durch den Expertenrat für Klimafragen hat ergeben, „dass die von BMWi und BMI vorgelegten Unterlagen und Berechnungen des von den Ministerien beauftragten Gutachters [Prognos AG] keine methodisch konsistente, isolierte Quantifizierung der Wirkung des von den Ministerien übermittelten Sofortprogramms 2020 erlauben“.
Unter den dort angenommenen zukünftig verfügbaren Fördervolumina wird in dem Gutachten eine zusätzliche Reduktion der Treibhausgasemission des Gebäudesektors um 2 Mio. t CO2-Äquivalent (CO2e) im Jahr 2025 (und 4 Mio. t CO2e im Jahr 2030) ausgewiesen. Diese Werte erscheinen dem Expertenrat für Klimafragen im Ergebnis tendenziell überschätzt. Vor allem könne die ausgewiesene Treibhausgas-Minderungswirkung nicht ausschließlich auf das Sofortprogramm 2020 zurückgeführt werden, sondern ergebe sich aus der gesamten unterstellten Erhöhung der Fördervolumina (in Summe 32 Mrd. Euro von 2020 bis einschließlich 2030 unter Einbeziehung der 5,8 Mrd. Euro des Sofortprogramms).
So urteilt der Expertenrat für Klimafragen: „Insgesamt wurde kein Nachweis geliefert, dass das von BMWi und BMI vorgeschlagene Sofortprogramm 2020 die Anforderung von § 8 Abs. 1 des Bundes-Klimaschutzgesetzes erfüllt, die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des Sektors für die folgenden Jahre sicherzustellen.“
„Vermutlich weitere Anstrengungen im Gebäudesektor nötig“
„Das Sofortprogramm für den Gebäudesektor trägt sicherlich zu einer zusätzlichen Minderung von Treibhausgasemissionen in den kommenden Jahren bei, insbesondere wenn die Fördervolumina wie in den vorgelegten Unterlagen angenommen noch über das Jahr 2021 hinaus aufgestockt werden“, erwartet Professor Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrats für Klimafragen. „Aus der Prüfung der vorgelegten Unterlagen kann man aber zugleich den Schluss ziehen, dass für die Erreichung der Sektorziele im Gebäudesektor vermutlich weitere, darüber hinaus gehende Anstrengungen nötig werden.“
Prüfbericht des Expertenrats für Klimafragen zum Sofortprogramm Gebäude
Der nächste turnusmäßige Bericht des Expertenrats für Klimafragen wird sich im April 2022 mit der im März 2022 vom Umweltbundesamt vorzulegenden Schätzung der Treibhausgasemissionen für das Jahr 2021 befassen. ■
Der Expertenrat für Klimafragen (ERK) …
… ist ein unabhängiges Gremium von fünf sachverständigen Personen verschiedener Disziplinen. Er wurde im September 2020 berufen und ist beauftragt durch § 11 und § 12 Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG). Das Gremium besteht aus den fünf Mitgliedern Prof. Dr. Hans-Martin Henning (Vorsitzender), Dr. Brigitte Knopf (stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Prof. Dr. Thomas Heimer und Dr. Barbara Schlomann. Neben anderen gesetzlichen Aufgaben prüft der Expertenrat für Klimafragen gemäß § 12 Abs. 2 KSG bei der Vorlage von Sofortprogrammen die den Maßnahmen zugrunde gelegten Annahmen. www.expertenrat-klima.de