LNG-Importe sollen Europas Abhängigkeit bei Erdgas von Russland zu verringern. Es gibt jedoch zahlreiche Kapazitätsengpässe, auch bei der LNG-Tankerflotte.
Der Russland-Ukraine-Krieg stellt die LNG-Schifffahrt vor sehr große Herausforderungen. Ein Blick des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik ISL auf die Gasversorgung in Europa wird deutlich, wie groß der Anstieg der Transport- und Produktionskapazitäten sein muss, um auf (russische) Pipelinetransporte weitgehend verzichten zu können. Ohnehin wurden schon bisher rund ein Fünftel aller LNG-Exporte in Europa angelandet (darunter auch LNG russischer Lieferanten).
Laut dem BP Statistical Review of World Energy sind im Jahr 2020 167,7 Mrd. m3 Erdgas per Pipeline von Russland nach Europa exportiert worden. Um die gleiche Menge per Schiff aus anderen Märkten wie den USA oder Katar zu importieren, wären zusätzliche Transportkapazitäten für ca. 280 Mio. m3 LNG (Liquified Natural Gas) erforderlich.
Etwa 160 zusätzliche LNG-Tanker erforderlich
Bei der heutigen Standardgröße von 174 000 m3 pro Tanker und einer Transportleistung von ca. 10 Fahrten pro Jahr würde dieser Bedarf einen Flottenzuwachs (rein fiktiv) von etwa 160 Einheiten bedeuten, so das ISL. Bei einem Baupreis von aktuell 220 Mio. US-Dollar pro LNG-Tanker entstünde ein Investitionsbedarf von rund 35 Mrd. US-Dollar.
Nach Angaben des ISL sind derzeit weltweit 680 LNG-Tanker mit einem Transportvolumen von 103 Mio. m3 in Fahrt sowie 182 LNG-Tanker bestellt und werden bis 2025 die LNG-Flotte ergänzen.
Mit großem Abstand werden bisher die meisten LNG-Tanker auf südkoreanischen Werften gebaut. Weitere Werften, die regelmäßig LNG-Tanker bauen, befinden sich in Russland und China. Ein Großteil der weltweiten LNG-Schiffbaukapazität hat sich Katar gesichert, in einem im Mai 2021 erschienenen Bericht auf www.thb.info werden „rund 60 % bis 2027“ für über 100 Schiffe genannt.
Es mangelt auch an Umschlagsanlagen
Um einen möglichen Lieferstopp von russischem Erdgas, das vor allem über Pipelines nach Europa exportiert wird, zu kompensieren, ist nicht nur im Schiffsbereich Bewegung im Markt, sondern auch beim notwendigen Ausbau von Umschlagsanlagen.
In Europa gibt es derzeit 36 LNG-Terminals, an denen Flüssiggas per Schiff angeliefert und regasifiziert werden kann. In Deutschland – bisher ohne LNG-Terminal – sind zwei LNG-Umschlagplätze im Gespräch. Für größere LNG-Exportmengen sind auch in den Lieferländern Investitionen für zusätzliche Umschlags- und Verflüssigungsanlagen erforderlich.
Erdgasinfrastruktur ist nicht für LNG-Importe ausgelegt
Eine weitere Herausforderung ist, dass die vorhandene Erdgasinfrastruktur in Europa nicht für eine 100%ige Bedarfsdeckung über LNG-Terminals und stark für einen Gasfluss von Ost nach West ausgelegt ist. Alle Verbraucher im gleichen Umfang in allen Situationen wie bisher mit Erdgas zu versorgen, dürfte also mit LNG kurzfristig kaum möglich sein.
Zwar muss durch Pipelineverbindungen mit anderen Ländern bei einem Embargo, einem Lieferstopp oder einem Auslaufen der Lieferverträge nicht der gesamte bisherige Pipelineimport aus Russland ersetzt werden, die zusätzlichen Kapazitäten dieser Röhren sind jedoch nicht besonders hoch und bereits „eingebucht“. Eine wichtige Funktion auch ohne Krise haben zudem die Gasspeicher, die zurzeit saisontypisch geringe Füllstände aufweisen. ■
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