Für jede netzgekoppelte Wärmepumpe müssen im Stromsystem Erzeugungs- und Netzkapazitäten mit entsprechenden Kosten vorgehalten werden, mahnen Gegner einer umfassenden Elektrifizierung. Doch dieses Bild ist zu einfach, wie eine Veröffentlichung des Öko-Instituts zeigt.
Szenarienberechnungen des Öko-Instituts zeigen, dass dezentrale, flexible technische Erzeuger und Verbraucher erneuerbarer Energien – vor allem Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge (Kleinflexibilitäten) – die Kosten der Stromerzeugung in großem Umfang reduzieren können.
Im Jahr 2020 lag das technische Flexibilitätspotenzial dezentraler Erzeuger und Verbraucher bei rund 10 TWh (10 Mrd. kWh). Das waren knapp 2 % des Stromverbrauchs (558 TWh). Bis zum Jahr 2050 kann sich die flexibilisierbare Strommenge auf rund 220 TWh verzwanzigfachen. Das Prinzip ist relativ einfach:
„Im Idealfall können Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen und Batterieheimspeicher die variable Stromerzeugung aus Wind und Sonne bereits vor Ort nutzen, ohne das Übertragungsnetz zu beanspruchen. Dezentrale Flexibilität gleicht die Einspeiseprofile erneuerbarer Energien dann so aus, dass weniger Einspeisespitzen über das Übertragungsnetz transportiert werden müssen. Die Netzüberlastung könnte dadurch um bis zu 10 % verringert werden. Ebenso trägt diese Flexibilität dazu bei, dass sich die Kosten der Stromerzeugung reduzieren. Sie kann Strom aus Zeiten mit großem Angebot und geringen Strompreisen in Zeiten mit niedrigem Angebot und hohen Strompreisen verschieben. Dadurch können jährlich bis zu 1 Mrd. Euro eingespart werden.“
So beschreibt es der Policy Brief Dezentrale Flexibilitätsoptionen: Bausteine einer klimaneutralen Stromversorgung, den ein Forschungsteam des Öko-Instituts am 7. April 2022 veröffentlicht hat. Um das technische Flexibilitätspotenzial kleiner Erzeuger und Verbraucher zu nutzen, müssen allerdings die Rahmenbedingungen geändert werden, so das Forschungsteam. Wesentliche Hintergründe und Aspekte:
Die derzeitigen Rahmenbedingungen
Im heutigen gesetzlichen Rahmen für das Engpassmanagement (der sogenannte Redispatch 2.0) können die Netzbetreiber nur auf Stromerzeuger zugreifen, die mindestens 100 kW Leistung aufweisen, wie in § 13a EnWG (Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung) festgeschrieben.
Stromverbraucher hingegen werden heute noch nicht zur Beseitigung von Netzengpässen eingesetzt. Sie können mit ihrer Flexibilität lediglich Regelleistung erbringen, wenn sie die Voraussetzung erfüllen, mindestens 5 MW Leistung einzusetzen (§ 13i (2) Satz 4 EnWG). Eine Leistung die kleine Verbraucher, wie Wärmepumpen oder Elektrofahrzeuge, nicht allein erreichen.
§ 14a im EnWG konkretisieren
Einen ersten Schritt in Richtung Steuerung dezentraler Verbrauchsanlagen macht § 14a EnWG. Ein Netzbetreiber kann Betreibern von Verbrauchern basierend auf diesem Paragrafen ein reduziertes Netzentgelt anbieten. Dieser gewährt ihm im Gegenzug die Steuerung seiner Verbrauchseinrichtung.
Wie genau diese Einigung zwischen Verbrauchseinrichtungsbetreiber und Netzbetreiber aussieht und wie hoch die Netzentgeltreduktion ausfällt, ist bisher nicht definiert. Eine konkrete Ausgestaltung in einer Verordnung, die diese Punkte regelt, steht noch aus. Das Öko-Institut empfiehlt, diese in einem Dialog zwischen relevanten Stakeholdern zu erarbeitet und anschließend vom Gesetzgeber umzusetzen.
Flexibilitätsangebot und -nachfrage zusammenbringen
Damit dezentrale Verbraucher und Erzeuger bis zur Kleinflexibilität einen netzdienlichen Beitrag leisten können, sind Mechanismen nötig, die das Angebot und die Nachfrage nach Flexibilität zusammenbringen. Dabei sind unterschiedliche Verfahrensweisen denkbar:
Es kann sich etwa um Flexibilitätsmärkte handeln. Auf diesen Märkten bieten Verbraucher und Erzeuger ihre Flexibilität an. Netzbetreiber fragen sie dort nach und setzen sie netzdienlich ein. Flexibilitätsmärkte wurden bereits in den Sinteg-Projekten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie erarbeitet und erprobt. So auch im Projekt Enera, an dem das Öko-Institut in den Bereichen Szenarien, Modellierung und Roadmap maßgeblich beteiligt war.
Mechanismen-Design muss diskutiert und beschlossen werden
Neben Flexibilitätsmärkten sind auch andere Instrumente denkbar. Das können etwa vertragliche Einigungen zwischen Netzbetreibern und einzelnen Anbietern sein.
Diskutiert werden auch zeitvariable Netzentgelte. Diese orientieren sich an der Netzbelastung und fallen in Zeiten kritischer Zustände hoch aus. Verbraucher sollen so ihren Verbrauch daran ausrichten und bereits präventiv Netzengpässen gegensteuern. Bei dieser Option können auch Energiedienstleister eine wichtige Rolle übernehmen, indem sie für die Verbraucher das Gegensteuern regelbasiert nach verschiedenen Kriterien übernehmen.
Welche Mechanismen schließlich zum Einsatz kommen, ist in einem Dialog zwischen Netzbetreibern, Flexibilitätsanbietern, der Regulierungsbehörde und politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern auszuhandeln. ■
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