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Treibhausgas-Budget

Verfassungsbeschwerde gegen Bundes-Klimaschutzgesetz

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Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat mit Kindern und jungen Erwachsenen auch gegen das aktuelle Bundes-Klimaschutzgesetz eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht.

Beim Bundes-Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019 (KSG) hatte sich der Gesetzgeber gedrückt und musste nach dem am 29. April 2021 veröffentlichten Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts einen schlüssigen Reduktionspfad bis zur Treibhausgasneutralität festlegen. Stark vereinfacht besagt das Klimaurteil: Das Bundes-Klimaschutzgesetz muss zum Grundgesetz und zu den Zielen des Pariser Übereinkommens passen.

Wohl auch um das Thema im Wahlkampf etwas einzufangen, hat die GroKo schnell und lange vor der gesetzten Frist eine KSG-Novelle vorgelegt, die am 31. August 2021 in Kraft getreten ist. Doch hat sie den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts richtig / vollständig umgesetzt? Von sich aus überprüft das Bundesverfassungsgericht die Umsetzung seiner Beschlüsse nicht.

Jetzt bekommt es aber einen Anstoß dazu: Wie bei der erfolgreichen ersten Verfassungsbeschwerde mit Unterstützung der DUH – die neben den anderen beiden Beschwerden zur wegweisenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Frühjahr 2021 geführt hat – fordern die Kinder und jungen Erwachsenen ein novelliertes Bundes-Klimaschutzgesetz, das die verbindlichen Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens einhält.

Deutschland beachtet das ihm zustehende Treibhaus-Budget nicht

Dazu Rechtsanwalt Prof. Dr. Remo Remo Klinger, der die Verfassungsbeschwerde juristisch betreut: „Die Bundespolitik hat die Klimaschutzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts einhellig gelobt. Man fragt sich jedoch, ob sie sie auch gelesen hat. Denn aus ihr geht hervor, dass die Klimaschutzziele am naturwissenschaftlich Notwendigen auszurichten sind. Dazu hat Deutschland das ihm zustehende Budget zur Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens zu beachten. Dies hat man wieder nicht getan. Die Zielsetzungen sind weiterhin zu niedrig, um auch nur ansatzweise dem Pariser Abkommen gerecht zu werden.“

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GV

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Marlene, 13-jährige Beschwerdeführerin aus München: „Alleine in den letzten zwei Jahren – seit ich mit der Deutschen Umwelthilfe und anderen Jugendlichen die erfolgreiche erste Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesregierung eingereicht habe – spüren wir die Klimakrise immer deutlicher mit Hitzesommern und Flutkatastrophen. Man hat nicht für alles eine zweite Chance.“

Gustav Strunz, Beschwerdeführer aus Hamburg: „Das Bundesverfassungsgericht hat letztes Jahr mein Grundrecht auf Zukunft und Klimaschutz bestätigt. Trotzdem ist die Bundesregierung ihrer Verpflichtung aus dem Grundgesetz auch mit dem aktualisierten Klimaschutzgesetz nicht nachgekommen. Deshalb ziehe ich erneut vor Gericht.“

Barbara Metz, Stellvertretende Bundesgeschäftsführerin der DUH: „Die Situation im Gebäudesektor ist alarmierend. Prognosen belegen, dass der Gebäudebereich 2021 die Klimaziele um 12 Mio. t CO2 erneut krachend verfehlt hat. Bis 2030 kumuliert sich diese Klimalücke auf mehr als 150 Mio. t CO2. Bundeswirtschaftsminister Habeck hat in der Eröffnungsbilanz angekündigt, für mehr Sanierungen im Bestand zu sorgen, über diese Ankündigung geht es aber nicht hinaus. Gleichzeitig will die neue Bauministerin 400 000 neue Wohnungen zu einem nicht-klimazielkompatiblen Standard bauen. Dazu kommt, dass etwa 50 % der Gebäude der öffentlichen Hand dringend sanierungsbedürftig sind. Wir erwarten von der neuen Ampel-Regierung Vorgaben für klimazielkompatibles Bauen und Sanieren, eine Sanierungsoffensive für öffentliche Gebäude – besonders Schulen und ordnungsrechtliche Vorgaben für die Bestandssanierung.“

Aus der eingereichten Verfassungsbeschwerde:

„Deutschlands angemessener Beitrag zur Erreichung des 1,5°C-Ziels wird mit den zugelassenen Emissionsmengen eklatant verfehlt.

Die insgesamt zugelassene Emissionsmenge von knapp 8 Gt CO2 führt dazu, dass eine Erwärmung von deutlich mehr als 1,5 °C mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eintritt, wenn andere Staaten bei ihrer Klimapolitik ähnlich vorgingen. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 83 %. Oder, anders formuliert: In 5 von 6 Fällen wird sich die Erde um mehr als 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau erwärmen, wenn die globale Klimagesetzgebung so wenig ambitioniert herangeht wie die deutsche Klimapolitik.

Dies lässt entweder den Schluss zu, dass der Gesetzgeber das 1,5°C-Ziel aufgegeben hat. Eine solche Bankrotterklärung wäre jedoch mit der verfassungsrechtlich maßgeblichen Konkretisierung des Art. 20a GG, die Erwärmung auf möglichst 1,5 °C zu begrenzen, unvereinbar.

Oder aber der Gesetzgeber will den Minderungspfad des KSG als bloßen Beitrag zum 1,5°C-Ziel verstanden wissen, in der Hoffnung, dass sich die Emissionen deutlich besser entwickeln werden als von ihm geplant. Für diese Politik der Hoffnung muss er aber sachliche Gründe haben, die sein Handeln nachvollziehbar machen, verbleibende Ungewissheiten bei der Budgetberechnung müssten sich zu seinen Gunsten auflösen und die Budgets zur Einhaltung der 1,5°C-Grenze erheblich höher ausfallen als angegeben.

Dies ist jedoch nicht ersichtlich, im Gegenteil, die Klimawissenschaft verdichtet die Richtigkeit der angenommenen Budgets ebenso wie sie die naturwissenschaftlichen Risiken mit höherer Gewissheit beschreibt. Eine derart willkürliche und hochriskante Herangehensweise des Gesetzgebers wäre mit Art. 20a GG daher ebenfalls unvereinbar.

Wenn man davon ausgeht, dass der Gesetzgeber weder das 1,5°C-Ziel aufgegeben hat noch willkürlich von einem erheblich höheren Budget ausgeht, dann muss er zwangsläufig stillschweigend erwarten, dass die übrigen Staaten ihre Treibhausgase weit stärker reduzieren, als es sich die Bundesrepublik Deutschland mit dem KSG vorgenommen hat. Eine solche international nicht vermittelbare Erwartungshaltung ist angesichts des globalen Charakters der Menschheitsaufgabe Klimaschutz gleichfalls mit Art. 20a GG unvereinbar.

Wie man es dreht und wendet: Auch die Novelle des Klimaschutzgesetzes ist verfassungswidrig.“

Download der Verfassungsbeschwerde II KSG
 

Nimmt das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde an, folgt den Argumenten der Beschwerdeführer und verpflichtet den Gesetzgeber das Bundes-Klimaschutzgesetz an einem konkreten Treibhausgas-Budget auszurichten, dürfte das für die Energiewende, den Gebäudesektor und die TGA-Branche weitreichende Konsequenzen haben.

Bis zum ersten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hat es etwa 14 Monate gedauert, die Umsetzungsfrist betrug 18 Monate (bis zum 31. Dezember 2022). Überträgt man beide Zeiträume auf die erneute Verfassungsbeschwerde, würden beide Termine in die laufende Legislaturperiode fallen.

Eventuell wartet das Bundesverfassungsgericht aber zunächst ab, ob die Ampel-Koalition bis zum 31. Dezember 2022 neue Fakten schafft. Der Koalitionsvertrag kündigt immerhin an: „Wir werden das Klimaschutzgesetz noch im Jahr 2022 konsequent weiterentwickeln.“ Und: „Wir werden national, in Europa und international unsere Klima-, Energie- und Wirtschaftspolitik auf den 1,5-Grad-Pfad ausrichten.“ Sowie: „Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität.“ Kommt es so, werden auch damit die Konsequenzen für die TGA-Branche schon weitreichend sein. 

In der Verfassungsbeschwerde wird argumentiert, dass mit einer weiteren Anpassung des KSG im Sinne der Beschwerdeführerinnen während der gesetzten Frist ist nicht zu rechnen ist. Ein Abwarten der Frist sei – gerade auch mit Blick auf den unterdessen fortschreitenden Klimawandel und dessen zunehmende Gefahren – nicht geboten. ■