In der Kleinen Anfrage „Luftfilter zur Normalisierung des Schulbetriebs“ (Bundestags-Drucksache 19/25522) stellt die FDP-Fraktion der Bundesregierung 14 Fragen zum Einsatz mobiler Luftreinigern (in der Anfrage zumeist als mobile „Luftfilter“ bezeichnet) zur Reduzierung des Infektionsrisikos mit SARS-CoV-2-Viren im Schulbetrieb.
In der Kleinen Anfrage wird mehr oder weniger direkt die vom Umweltbundesamt am 15. Oktober 2020 ausgesprochenen Empfehlungen zum effizienten Lüften in Schulen (Coronaschutz in Schulen: Alle 20 Minuten 5 Minuten lüften) und die am 15. November 2020 veröffentlichte Stellungnahme der Kommission für Innenraumlufthygiene (IRK) am Umweltbundesamt (Corona in Schulen: Luftreiniger allein reichen nicht) angezweifelt.
Die Fragen der FDP-Fraktion:
1. Auf welche Studien stützen sich die Empfehlungen des Umweltbundesamtes nach Kenntnis der Bundesregierung vom 15. Oktober 2020 (bitte unter Angabe des Namens, Autor, Erscheinungsjahr und ggf. DOI sowie Seiten-zahl)?
2. Unter Berücksichtigung welcher Abwägungskriterien kommt das Umweltbundesamt nach Kenntnisstand der Bundesregierung zur Empfehlung vom 15. Oktober 2020?
3. Wie erklärt sich die Bundesregierung die Diskrepanz zwischen der Empfehlung des Umweltbundesamtes vom 15. Oktober und den Ergebnissen von Studien der Universität der Bundeswehr in München und der Goethe-Universität Frankfurt?
4. Kennt die Bundesregierung die Studien der Universität der Bundeswehr in München und der Goethe-Universität Frankfurt? Hat sie diese bewertet und wenn ja, wie?
5. Teilt die Bundesregierung die Empfehlungen des Umweltbundesamtes vom 15. November und, wenn nicht, warum?
6. Basiert die Ablehnung von Luftfiltern zur Reduktion von virushaltigen Aerosolen in der Luft in Klassenzimmern in manchen Bundesländern (https://www.news4teachers.de/2020/10/vier-bundeslaender-foerdern-mobile…) nach Kenntnis der Bundesregierung auf den oben genannten Empfehlungen des Umweltbundesamtes und, wenn nicht, worauf?
7. Welche Experten nahmen nach Kenntnis der Bundesregierung an dem Fachgespräch der Kultusministerkonferenz am 25. September 2020 zum Thema Lüften teil und wie erfolgte deren Auswahl für das Fachgespräch (https://www.brandenburgischer-paedagogen-verband.de/termin/aktuelles/km…)?
8. Wie wurden die Empfehlungen des Umweltbundesamtes nach Kenntnis der Bundesregierung mit den Kultusministern Länder abgestimmt?
9. Wie wurde nach Kenntnis der Bundesregierung die Machbarkeit der Empfehlungen des Umweltbundesamtes vom 15. Oktober 2020 überprüft?
10. Plant die Bundesregierung die Länder beziehungsweise Schulen direkt bei der Anschaffung von Luftfiltern zur Reduktion von virushaltigen Aerosolen in der Luft in Klassenzimmern finanziell zu unterstützen? Wenn ja, wie plant die Bundesregierung dies zu machen (bitte Angabe eines Zeit- und Kostenplans sowie Aufschlüsselung der Verteilung der Mittel)? Wenn nicht, warum nicht?
11. Plant die Bundesregierung die Länder beziehungsweise Schulen direkt bei der Anschaffung von Luftfiltern zur Reduktion von virushaltigen Aerosolen in der Luft in Klassenzimmern anderweitig zu unterstützen und, wenn nicht, warum nicht?
12. Wie will die Bundesregierung eine bürokratiearme und schnelle Bereitstellung der Luftfilter garantieren (bitte Angabe eines Zeit- und Kostenplans sowie Aufschlüsselung der Verteilung der Mittel)?
13. Kennt die Bundesregierung die oben genannten Forschungsergebnisse des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz und wie wird sie diese berücksichtigen?
14. Wird die Bundesregierung die Kultusministerkonferenz anregen, auch aus Kostengründen, die Forschungsergebnisse des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz in Projekten an den Schulen umzusetzen?
Die Branche hat sich bereits positioniert
Die Fragen der FDP-Fraktion zeugen nicht von einer gründlichen Beschäftigung mit der Materie. Bezüglich der Untersuchungen des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz (MPI) hatte das Fachverband Gebäude-Klima (FGK) bereits im November vor „dubiosen Lüftungsanlagen“ gewarnt, im Dezember 2020 haben vier ausgewiesene Experten für Lüftungs- und Klimatechnik das MPI-Konzept aus mehreren Gründen skeptisch bewertet.
Auch die gesetzliche Unfallversicherung DGUV rät von Luftreinigern und Lüftungsanlagen „Marke Eigenbau“ in Schulen ab: „Bei selbstgebauten Anlagen werden Fragen der Sicherheit, der Hygiene und des Brandschutzes nicht ausreichend beachtet.“ Zudem hat die DGUV gemahnt, dass generell gilt: „Keine Form der Lüftung und keine Anlage ersetzt das Einhalten des Mindestabstands von 1,5 m, um sich vor einer direkten Tröpfcheninfektion mit SARS-CoV-2-Viren zu schützen.“
Das Verhindern eine Infektionsübertragung durch „ballistische“ Aerosole ist auch eine zusätzliche Maßnahme der Studien der Universität der Bundeswehr in München, die beim Zitieren oft unterschlagen wird. Die von Univ.-Prof. Dr. rer. nat. habil. Christian J. Kähler vom Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik der Universität der Bundeswehr im September 2020 mit drei weiteren Autoren aus dem Institut veröffentlichte Studie Schulunterricht während der SARS-CoV-2 Pandemie ‒ Welches Konzept ist sicher, realisierbar und ökologisch vertretbar? diskutiert und bewertet verschiedene Schutzkonzepte in Unterrichtsräumen und beschreibt Versuchsaufbau und Durchführung der Konzentrationsmessungen für das von Kähler favorisierte Schutzkonzept „Raumluftreiniger + transparente Schutzwände“.
Laut einem Spiegel-Artikel (siehe: Der Spiegel verreißt Corona-gerechte RLT-Förderung) könne Kähler über die Handreichung zum richtigen Lüften in Schulen des Umweltbundesamts (Coronaschutz in Schulen: Alle 20 Minuten 5 Minuten lüften) mangels strömungsmechanischer Kompetenz nur mit dem Kopf schütteln. So ging es allerdings auch anderen Experten mit seiner Studie. In einem Kommentar zu der oben genannten Studie schreibt Prof. Dr.-Ing. Martin Kriegel vom Hermann-Rietschel-Institut an der TU Berlin: „sie enthält zahlreiche Mängel“. Kriegel bewertet 24 Textstellen, zumeist mit „Falsch“, „Falsch und irreführend“ sowie mit „Unwissenschaftlich“, „Unwissenschaftlich und falsch“ und „Falsch, irreführend und unwissenschaftlich“. Abschließend betont Kriegel: „Zusammenfassend kann ich nur feststellen, dass fachlich viele Aspekte falsch sind und durch unwissenschaftliche Untersuchungen irreführende Aussagen getätigt werden.“
Auch zur Studie der Goethe-Universität Frankfurt gibt es inzwischen einen „fachlichen Austausch“: Stoßlüftung wesentlich wirksamer als Luftfiltergeräte.
Dass richtig ausgelegte, positionierte und gewartete professionelle Luftreiniger das Infektionsrisiko mit SARS-CoV-2-Viren über luftgetragene Aerosole deutlich verringern können, steht allerdings außer Frage. In einem Klassenraum muss aber zusätzlich das Infektionsrisiko durch ballistische Aerosole reduziert und für einen hygienisch ausreichenden Außenluftwechsel gesorgt werden. ■
Siehe auch: TGA-Themenseite Corona-Lüftung