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Verschleppte Energiewende

„Das CO2-Budget schmilzt rapide“

„Selbst wenn man optimistisch-egoistische Annahmen trifft: Das Deutschland noch verbleibende CO2-Budget schwindet zu schnell. Die Politik muss die Klimaziele neu definieren.“

GV

Faktisch sind für den Inhalt des Ampel-Koalitionsvertrags die Parteien SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP verantwortlich. Allerdings wäre es sehr ungewöhnlich, wenn die Bundesregierung ihre Politik nicht am vorrangigen Ziel eines Koalitionsvertrags ausrichtet:

„Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität. Klimaschutz sichert Freiheit, Gerechtigkeit und nachhaltigen Wohlstand. […] Wir schaffen ein Regelwerk, das den Weg frei macht für Innovationen und Maßnahmen, um Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen.“

Klimaziele an einem CO2-Budget ausrichten

Eigentlich gibt es keinen 1,5-Grad-Pfad, jedoch mit dem Pariser Übereinkommen das Ziel, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 °C zu begrenzen. Die Verbindung zwischen Ziel und Pfad hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), der die Bundesregierung seit 50 Jahren zu Fragen der Umweltpolitik berät, 2020 in seinem Umweltgutachten 2020 aufgezeigt. Die Empfehlung des SRU: Die deutschen Klimaziele sollten an einem CO2-Budget ausgerichtet werden.

Hierfür schlug der SRU eine wissenschaftlich und ethisch begründete Berechnung für ein maximales deutsches CO2-Budget vor, das aus den globalen CO2-Budgets des Weltklimarats (IPCC) abgeleitet ist. Dieses Budget quantifiziert eine Obergrenze für die Gesamtmenge der CO2-Emissionen, die Deutschland nicht überschreiten sollte, um einen ausreichenden, angemessenen und gerechten Beitrag zur Einhaltung der Klimaziele von Paris zu leisten.

KSG-Pfad berücksichtigt kein Budget

In seinem Beschluss vom März 2021 („Klimaurteil“) zog das Bundesverfassungsgericht das vom SRU berechnete Budget heran, um zu prüfen, ob das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Das KSG wurde dann zwar von der GroKo im Eiltempo nachgeschärft, jedoch nicht auf Basis eines CO2-Budgets. Vielmehr gibt es weiterhin nur Minderungsziele, deren Festlegung nicht transparent ist. Bis 2030 gibt es auch sektorenspezifische Jahresemissionsmengen. Von 2022 bis 2030 addieren sie sich mit einer Linearisierung für die fehlenden Werte im Sektor Energiewirtschaft auf 5,4 Mrd. t CO2-Äquivalent. 2030 sollen noch Emissionen von 438 Mio. t CO2-Äquivalent zulässig sein.

Mitte Juni 2022 hat der SRU seine Berechnungen für ein deutsches CO2-Budget aktualisiert. Prof. Wolfgang Lucht, Humboldt-Universität zu Berlin und Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Mitglied des SRU: „Das noch verbleibende CO2-Budget schmilzt rapide. Dies ist vor allem eine Folge der zuletzt verschleppten Energiewende in Deutschland. Die Bundesregierung sollte jetzt mit noch mehr Nachdruck Maßnahmen für den industriellen und privaten Bereich beschließen, die uns auf einen Pfad bringen, der nachweisbar im Einklang mit den Klimazielen von Paris steht.“

Ein angemessener Beitrag ist schon bald unrealistisch

Für einen fairen, angemessenen Beitrag zu den internationalen Klimazielen verbleibt Deutschland nach dem Berechnungen des SRU ab Anfang 2022 noch ein maximales CO2-Budget von 6,1 Mrd. t CO2, um die Erderwärmung auf 1,75 °C zu begrenzen (mit 67 % Wahrscheinlichkeit). Für das 1,5-Grad-Ziel (mit 50 % Wahrscheinlichkeit) müsste Deutschland seine Emissionen auf maximal 3,1 Mrd. t CO2 begrenzen.

Mit „maximal“ meint der SRU ein Budget, das gerade noch als kompatibel mit dem Paris-Abkommen gelten kann. Würden die Emissionen von jetzt an linear auf null reduziert, müsste Deutschland demnach bereits 2040 (1,75 °C; 67 %) bzw. 2031 (1,5 °C, 50 %) CO2-neutral sein.

CO2-Emissionen haben in Deutschland einen Anteil von etwa 88 % der Klimawirkung aller Treibhausgase. Berücksichtig man dies im Vergleich zu den KSG-Werten wird klar: Auch bei optimistischen Annahmen ist das KSG weit von einem schlüssigen 1,5-Grad-Pfad entfernt. Dazu kommt, dass der SRU die Obergrenzen sowohl hinsichtlich wissenschaftlicher Unsicherheiten als auch normativer Entscheidungen großzügig zugunsten Deutschlands gewählt hat. Die Obergrenze ist also tatsächlich bereits eine Obergrenze.

Jochen Vorländer
Chefredakteur TGA Fachplaner
vorlaender@tga-fachplaner.de

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