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Energieträger

Studie: Wasserstoff ohne Gebäudewärme priorisieren

Mittelfristig kann Wasserstoff nur in wenigen Anwendungsfeldern ökonomisch und ökologisch sinnvoll eingesetzt werden.

Borderstep Institut 2022

Mittelfristig kann Wasserstoff nur in wenigen Anwendungsfeldern ökonomisch und ökologisch sinnvoll eingesetzt werden.

Ohne Wasserstoff keine Energiewende. Das Forschungsprojekt „Wasserstoff als Allheilmittel?“ warnt aber vor falschen Hoffnungen – auch für die Gebäudewärme.

Grüner Wasserstoff ist ein zentraler Baustein für das Gelingen der Energiewende. Dies betonen Akteure aus Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft fast täglich. Er soll nicht nur bei der Dekarbonisierung der Wirtschaft helfen, sondern auch zur Energiesicherheit beitragen und langfristig Erdgas ersetzen. Forschende vom Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit und vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) fordern aber, dass die Politik priorisieren muss, wo Wasserstoff eingesetzt wird. Sonst gefährden die Entwicklungspfade Klimaschutz, Energiesicherheit und Wirtschaftlichkeit.

Auf Basis aktueller Studien empfehlen die Forschenden, die Förderung von Wasserstoff auf Anwendungsfelder wie die Stahl- und Ammoniakproduktion sowie langfristige Energiespeicherung zu beschränken. Ohne klare politische Priorisierung würden Fehlentwicklungen drohen, die einen nachhaltigen Einsatz von Wasserstoff gefährden und gleichzeitig effizientere, preiswertere Alternativen verdrängen könnten.

In dem Impulspapier „Wasserstoff sparsam einsetzen“ geben die Forschenden basierend auf dem Bericht „Das Wasserstoffdilemma: Verfügbarkeit, Bedarfe und Mythen“ aktuelle Politikempfehlungen. Dazu zählt etwa: Wasserstoff wird für Pkw, Busse und für den Lieferverkehr als nicht sinnvoll erachtet. Auch die Erzeugung von Raumwärme auf der Basis von Wasserstoff wird mittelfristig kritisch gesehen.

Grüner Wasserstoff braucht große Mengen an grünem Strom

Kürzlich wurde in Niedersachsen die weltweit erste Wasserstoff-Zugflotte im Regelbetrieb in Betrieb genommen. Ministerpräsident Stephan Weil pries dies als „Fortschritt made in Niedersachen“. Das Beispiel zeigt: Wasserstoff wird in vielen Anwendungsbereichen als Lösung der Zukunft präsentiert: Er soll etwa im großen Stil Erdgas und Öl im Verkehr und in der Wärmeversorgung ersetzen.

Jens Clausen vom Borderstep Institut: „Optimistische Studien, die eine breite Verfügbarkeit von Wasserstoff versprechen, beflügeln diese Hoffnungen. Zwar wird grüner Wasserstoff ein unverzichtbarer Baustein im Energiesystem der Zukunft sein, aber seine Herstellung erfordert große Mengen an grünem Strom. Es dauert daher, bis größere Mengen verfügbar sein werden.“

Die Forschenden haben verschiedene Studien zum prognostizierten Bedarf und verfügbaren Angebot an grünem Wasserstoff in Deutschland verglichen. Sie wollen damit die Politik unterstützen, realistische und ambitionierte Transformationspfade zu entwickeln. Sowohl der Ausbau der notwendigen regenerativen Stromerzeugung als auch der Elektrolysekapazitäten werde Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

H2: unverzichtbar für Energiespeicher, Chemie- und Stahlindustrie

„Wir wollen eine hohe Versorgungssicherheit, Klimaschutz und bezahlbare Energiepreise. Um diese drei Ziele zu erreichen, brauchen wir parallel zum Aufbau der Wasserstoffwirtschaft und dem rasanten Ausbau der erneuerbaren Energien vor allem auch eine Priorisierung von Wasserstoffanwendungen“, sagt Florian Kern vom IÖW.

„In der Stahlherstellung, als Langzeit-Energiespeicher und als Rohstoff für Raffinerien und die Chemieindustrie ist Wasserstoff nach heutigem Stand der Technik unverzichtbar, um die Klimaziele zu erreichen. In anderen Bereichen sollten energetisch und preislich effizientere Lösungen bevorzugt werden.“

In diesem Zusammenhang zeige das Beispiel aus Niedersachsen: Zum Klimaschutz kann ein solcher Betrieb nur beitragen, wenn Wasserstoff aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Das ist zurzeit nicht der Fall. Der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien sei deshalb eine Grundvoraussetzung für die grüne Wasserstoffwirtschaft.

H2: Ineffizient für Wärme- und Verkehrssektor

Da es bei der Herstellung von Wasserstoff hohe Umwandlungsverluste gibt, verbraucht Wasserstoff deutlich mehr Primärenergie als direkt-elektrische Lösungen: Eine Wasserstoff-Heizung etwa würde fünfmal so viel Energie verbrauchen wie eine elektrisch angetrieben Heizungs-Wärmepumpe. Und ein Pkw mit Wasserstoffantrieb benötigt doppelt so viel grünen Strom wie ein E-Auto mit Akku. Fördert die Politik Wasserstoff in solchen Bereichen trotzdem, könnten sich effizientere Technologien weniger durchsetzen.

Der Linienbetrieb der Wasserstoff-Zugflotte in Niedersachen etwa erfolgt auf einer kurzen Strecke, die vorher mit Dieselloks betrieben wurde. Die effizientere und billigere Lösung wäre gewesen, elektrische Batteriezüge einzusetzen.

„Für den Klimaschutz ist es ein riesiges Problem, wenn sinnvolle Investitionen durch Technologie-Hypes verhindert werden“, warnt Technologieforscher Kern. „Sollte sich herausstellen, dass die Prognosen zur Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff zu optimistisch waren, müssen wir uns weiterhin mit fossilen Brennstoffen behelfen und verfehlen die Klimaziele.“

„In der Wasserstoffstrategie klare Prioritäten setzen“

Zentrales Instrument der Politik ist die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung von 2020, die in diesem Jahr überarbeitet werden soll. „Die Politik muss Wasserstoffanwendungen priorisieren und so Richtungs- und Investitionssicherheit schaffen“, fordert Projektleiter Klaus Fichter vom Borderstep Institut. „Wir untersuchen, ob die aktuelle Politik – inklusive staatlicher Förderprogramme – sinnvoll ist und wie sie die Strategien zentraler Akteure beeinflusst.“

Kern ergänzt: „Pilotprojekte können sinnvoll sein, um Technologien weiterzuentwickeln und praktische Erfahrungen zu sammeln. Aber es braucht auch Richtungssicherheit, in welchen Bereichen Wasserstoff wirklich eine gute Option zur Dekarbonisierung ist. Fördermittel sollten in solche Anwendungen fließen, für die weitgehender Konsens besteht, dass Wasserstoff dort notwendig ist.“

Das Forschungsprojekt „Wasserstoff als Allheilmittel?“ läuft bis Ende 2023. Es wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Förderprogramm „Insight – interdisziplinäre Perspektiven des gesellschaftlichen und technologischen Wandels“.

In der Studie Das Wasserstoffdilemma: Verfügbarkeit, Bedarfe und Mythen heißt es zum Beispiel:

„Die Verantwortung der Technologie- und Energiepolitik liegt nun primär darin, Fehlinvestitionen, ‚sunk cost‘ und damit verbundene Pfadabhängigkeiten und ‚Sackgassen‘ zu vermeiden, also Investitionen in Technologien und Infrastrukturen, die sich langfristig nicht als sinnvoll herausstellen. Ein Beispiel einer solchen verlorenen Investition wäre z. B. die Umrüstung des Erdgas-Verteilnetzes auf Wasserstoff, nur um hinterher festzustellen, dass die Menschen die letztlich gegenüber Strom 4-mal so große und teure (Primär-)Energiemenge in Form von Wasserstoff aufgrund des Preises doch nicht kaufen und sich für eine strombasierte Heizung mit Wärmepumpe entscheiden.“

Und weiter: „Entwickelt sich die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff besser als angenommen, ließen sich Anwendungen, z. B. im Bereich des Verkehrs oder der Wärmeversorgung, später ausweiten. Plant die Wasserstoffpolitik diese Anwendungen aber von vornherein fest ein und erreicht die Wasserstoffverfügbarkeit dann doch nicht das hierfür erforderliche Ausmaß, dann droht der Lock-in in eine dauerhafte Nutzung von fossilen Energien, was aus Gründen der Klimapolitik unbedingt zu vermeiden ist.“ ■
Quelle: Borderstep Institut, IÖW / jv

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