Im Rahmen des „Fit for 55“-Pakets hat die EU-Kommission am 15. Dezember 2021 einen Entwurf für die Überarbeitung der EU-Gebäuderichtlinie vorgelegt. Er sieht vor, dass bis 2030 alle Neubauten Null-Emissions-Gebäude (zero emission building) sein müssen. Im Gebäudebestand sind Mindeststandards für die energetisch schlechtesten Gebäude vorgesehen.
Eine bis 2050 klimaneutral wirtschaftende EU mit einem Einsparziel von 55 % der Treibhausgasemissionen im Jahr 2030 gegenüber dem Referenzjahr 1990 – das wird mit der bisherigen Vorgehensweise im Gebäudesektor kaum zu realisieren sein: Es werden zu wenige Gebäude energetisch saniert und nur wenige der aktuellen Neubauten sind klimazielkompatibel, müssen also voraussichtlich in den nächsten 29 Jahren oder – bei vorgezogenen nationalen Ziele für die Klimaneutralität – früher noch einmal energetisch optimiert werden. So kann das Ziel aufgrund mehrerer Engpässe schwerlich erreicht werden.
Bisher zielte die EU-Gebäuderichtlinie auf eine Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, nun auch auf die Reduktion der Treibhausgasemissionen von Gebäuden – mit dem Ziel, bis 2050 einen emissionsfreien Gebäudebestand zu erreichen.
Wie dies bezüglich nicht zu vermeidender Energiebedarfe aussehen kann, verdeutlicht der für Neubauten geplante Standard Null-Emissions-Gebäude („zero emission building“). Der Entwurf der EU-Gebäuderichtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass ab 2030 alle Neubauten Null-Emissions-Gebäude sind. Neue Gebäude, die von öffentlichen Stellen genutzt werden oder sich in ihrem Eigentum befinden, sollen bereits ab 2027 Null-Emissions-Gebäude sein.
Null-Emissions-Gebäude
Im Sinne der Richtlinie ist ein „Null-Emissions-Gebäude“ ein Gebäude mit einer sehr hohen Gesamtenergieeffizienz gemäß Anhang I [der Richtlinie], bei dem der noch sehr geringe jährliche Gesamtprimärenergiebedarf jährlich netto vollständig durch
● Energie aus erneuerbaren Quellen, die vor Ort erzeugt wird und die Kriterien von Artikel 7 der Richtlinie (EU) 2018/2001 erfüllt,
● erneuerbare Energie aus einer Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft im Sinne von Artikel 22 der Richtlinie (EU) 2018/2001 oder mit
● erneuerbare Energie und Abwärme aus einem effizienten Fernwärme- und -kältesystem
gemäß den Anforderungen in Anhang III [der Richtlinie] gedeckt wird.
Zu den Anforderungen in Anhang III gehört, dass der jährliche Gesamtprimärenergiebedarf in einer Tabelle angegebene Höchstwerte einhalten muss. Für ein Mehrfamilienhaus in der für Deutschland maßgeblichen Klimazone „Oceanic“ liegt der Wert beispielsweise bei < 60 kWh/(m2 ∙ a). Das klingt aus deutscher Sicht wenig ambitioniert. Mit der übergeordneten Festlegung, dass die Erzeugung erneuerbarer Energie vor Ort oder eine Belieferung mit den oben genannten Alternativen mindestens dem Primärenergieverbrauch entsprechen muss, wird man im Regelfall aber aus wirtschaftlichen Gründen ein Gebäude mit einem Primärenergiebedarf deutlich unter den Tabellenwerten entwerfen.
Zudem ist vorgesehen, dass für Gebäude das Treibhauspotenzial basierend auf ihren Emissionen über den gesamten Lebenszyklus im Energieausweis anzugeben ist.
Entwurf für die Neufassung der EU-Gebäuderichtlinie
Entwurf für die Anhänge zur Neufassung der EU-Gebäuderichtlinie
Für Renovierungen werden neue Mindeststandards für die Energieeffizienz vorgeschlagen. Sie sehen vor, dass die energetisch schlechtesten 15 % des Gebäudebestands jedes Mitgliedstaats von der Klasse G auf mindestens die Klasse F verbessert werden müssen. Für Nichtwohngebäude soll dies bis 2027 und bis 2030 für Wohngebäude erreicht werden. Die Konzentration auf die energetisch schlechtesten Gebäude soll das Potenzial zur Dekarbonisierung und zur Linderung von Energiearmut maximieren.
Die bloße Verbesserung in die Klasse F ist allerdings wenig sinnvoll, 2030 bzw. 2033 müssen alle Gebäude mindestens die Klasse E erfüllen. Unter Strich bedeutet das für den Wohngebäudebereich, dass innerhalb von zehn Jahren allein rund 30 % des Gebäudebestands mit dem höchsten Energiebedarf mindestens energetisch optimiert werden müssen.
Ähnliche Sanierungsraten werden zwar bereits seit langem gefordert, haben aber die Praxis bisher nicht erreicht. So moniert der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW: „Eine faktische Sofort-Verdoppelung der Sanierungsrate ist unter den aktuellen Bedingungen von knappen Handwerkskapazitäten sowie angesichts Materialmangel und -verteuerung absolut realitätsfern.“
„Kein ‚Brüsseler Bürokrat‘ wird Ihr Haus beschlagnahmen“
Wie zu erwarten war, hat die Vorlage der EU-Kommission zunächst hauptsächlich Schlagzeilen mit Ängsten und Zwängen gemacht. Dabei soll die Neufassung der EU-Gebäuderichtlinie in erster Linie die Renovierung von Wohnungen, Schulen, Krankenhäusern, Büros und anderen Gebäuden in ganz Europa erleichtern und neben der Verminderung der Treibhausgasemissionen auch die hohen Energierechnungen vieler Verbraucher senken.
Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans: „Die derzeitigen Energiepreise haben unverhältnismäßig starke Auswirkungen auf sozial schwache Haushalte. Ein Gebäude in der niedrigsten Energieklasse verbraucht zehnmal mehr als ein Gebäude in der höchsten Klasse. Die Menschen, die in Gebäuden mit den niedrigsten Energieklassen leben – und das sind meist die Ärmsten – zahlen viel mehr, als sie müssten.“
Timmermans hatte auch betont: „‚Brüssel‘ wird Ihnen nicht sagen, dass Sie Ihr Haus nicht verkaufen können, wenn es nicht renoviert ist. Und kein ‚Brüsseler Bürokrat‘ wird Ihr Haus beschlagnahmen, wenn es nicht saniert wird.“ Es sei Aufgabe der Mitgliedstaaten zu entscheiden, wie sie die vorgeschlagenen Mindeststandards durchsetzen wollen. Und: „Das kulturelle Erbe ist geschützt, Sommerhäuser können ausgenommen werden. Unser Vorschlag enthält kein Verkaufs- oder Vermietungsverbot für Gebäude, die in die Klasse G eingestuft werden, d. h. für die 15 % der Gebäude, die als die mit der schlechtesten Energieeffizienz in einem Land identifiziert wurden.“
Weitere Aspekte des Entwurfs
Neben der Mobilisierung von Finanz- und Fördermitteln (für die Umsetzung der Mindestnormen an die Gesamtenergieeffizienz will die EU bis 2030 bis zu 150 Mrd. Euro aus dem EU-Haushalt zur Verfügung stellen), wird insbesondere der Bedarf an Fachkräften zur Herausforderung, wie ein Blick auf weitere Aspekte zur Sanierungsförderung und zur Dekarbonisierung im Entwurfs für die Neufassung der EU-Gebäuderichtlinie zeigt:
● Die Verpflichtung, dass ein Ausweis über die Gesamtenergieeffizienz vorliegen muss, wird auf Gebäude, die einer größeren Renovierung unterzogen werden, auf Gebäude, für die ein Mietvertrag verlängert wird, und auf alle öffentlichen Gebäude ausgeweitet.
● Es gibt im Vorschlag eine Verpflichtung zum Aufbau einer Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge in Wohn- und Geschäftsgebäuden und zur Förderung spezieller Parkplätze für Fahrräder.
● Gebäude oder Gebäudeteile, die zum Verkauf oder zur Vermietung angeboten werden, müssen über einen Ausweis über die Gesamtenergieeffizienz verfügen, und die Energieeffizienzklasse und der -indikator sollten in allen Anzeigen angegeben werden.
● Die nationalen Gebäuderenovierungspläne sind vollständig in die nationalen Energie- und Klimapläne zu integrieren – um die Vergleichbarkeit und die Nachverfolgung der Fortschritte zu gewährleisten. Sie müssen Fahrpläne für den schrittweisen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen in der Wärme- und Kälteversorgung bis spätestens 2040 enthalten.
● Ein „Gebäuderenovierungspass“ soll den Verbrauchern Zugang zu Informationen ermöglichen und ihre Kosten senken, um ihre Planungen und eine schrittweise Renovierung hin zu einem emissionsfreien Niveau zu erleichtern.
● Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, Renovierungserwägungen in die Vorschriften für öffentliche und private Finanzierungen aufzunehmen und geeignete Instrumente, insbesondere für einkommensschwache Haushalte, einzurichten.
● Es wird eine Verfallsklausel für finanzielle Anreize zur Nutzung fossiler Brennstoffe in Gebäuden eingeführt: für die Installation von Heizkesseln, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, sollte es ab 2027 keine finanziellen Anreize geben, und die Mitgliedstaaten bekommen die rechtliche Möglichkeit, die Nutzung fossiler Brennstoffe in Gebäuden zu verbieten.
Ausblick
Faktisch übersetzt die EU-Kommission mit dem Entwurf für die Neufassung der EU-Gebäuderichtlinie die im Rahmen des Grünen Deals geplante Renovierungswelle in konkrete Vorschläge. Der Kommissionsvorschlag muss nun von Rat und Parlament beraten werden.
Es wäre nicht das erste Mal, dass die EU-Gebäuderichtlinie „auf dem Weg durch die Instanzen“ deutlich abgeschwächt wird, vielmehr ist die augenblickliche Situation im Gebäudesektor sogar eine Folge dieser Abschwächungen und der halbherzigen Umsetzung der Kompromisse in den Mitgliedstaaten.
Auch Deutschland war hier zuletzt kein Vorbild, einige Punkte aus der aktuellen EU-Gebäuderichtlinie sind bis heute nicht oder nicht im Sinne der Richtlinie realisiert. ■
Statements zum Entwurf der EU-Gebäuderichtlinie
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW)
ist vom Entwurf für die Neufassung der EU-Gebäuderichtlinie wenig begeistert. Die Richtlinie sollte einen klaren, technologieoffenen Rahmen für mehr Klimaschutz im Gebäudesektor formulieren. Technische Details der Umsetzung sollten aber weiterhin im nationalen Ordnungsrecht oder mithilfe der Normung beantwortet werden. So moniert der BDEW, dass der für den Wärmemarkt wichtige Einsatz erneuerbarer Energien unpraktikabel an neuen Begriffsdefinitionen festgemacht und Referenzklimazonen für die energetischen Anforderungen von Gebäuden vorgeschlagen werden.
Auch die Definition eines Null-Emissions-Gebäudes sowie eine Lebenszyklusbilanzierung aller neuen Gebäude im Rahmen einer EPBD sieht der BDEW kritisch. Stattdessen sollte ein stärkerer Fokus darauf liegen, Gebäudeeigentümer bei den so wichtigen Sanierungsvorhaben finanziell zu unterstützen. Die stufenweise Einführung verbindlicher Mindestvorgaben an die Gesamtenergieeffizienz der energetisch schlechtesten Bestandsgebäude bewertet der Verband hingegen positiv. Allerdings müsse sichergestellt sein, dass die Vorgaben den Einsatz kosteneffizienter Treibhausgas-Minderungsoptionen technologieoffen zulassen.
Der Zentrale Immobilien Ausschuss ZIA
hält die vorgeschlagene Einführung verbindlicher Mindeststandards für die energetisch ineffizientesten Gebäude für nachvollziehbar. Die Ausgestaltung bedürfe aber einer detaillierten Prüfung und Folgenabschätzung. Solche Vorgaben dürften nicht zu ungewollten Verkaufs- oder Vermietungsverboten führen, dann komme der Markt zum Stillstand.
Positiv bewertet der ZIA die Absicht der Kommission, in den einzelnen Mitgliedstaaten Gebäudedatenbanken zu etablieren. Hierdurch können wichtige Datenlücken geschlossen werden. Das Ziel klimaneutraler Gebäudebestands sei indes nur zu erreichen, wenn auch ausreichend Fachkräfte zur Verfügung stehen und Baumaterialien in genügender Menge und zu bezahlbaren Preisen vorhanden sind. Es sei schnellstens eine Ausbildungsoffensive bei Handwerkern und Ingenieuren nötig.
Für den Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI)
sind eine nachhaltige Elektrifizierung und Digitalisierung Schlüssel für mehr Energieeffizienz im Gebäudesektor. Dem werde der Entwurf für die Revision der EU-Gebäuderichtlinie aber nicht hundertprozentig gerecht.
Die Erhöhung der Renovierungsquote bewertet der Verband positiv. Richtig sei auch die Entscheidung, auch für die sogenannte Deep Renovation – umfangreiche, tiefe und zukunftssichere Renovierungsmaßnahmen – Anreize bieten. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen ihre Förderungen jedoch entsprechend ausbauen und vor allem langfristig ansetzen.
Der ZVEI kritisiert, dass sich der Ansatz Lebenszyklusbetrachtung zwar im Entwurf wiederfindet, Lösungen für digitales Planen und Bauen wie Building Information Modeling (BIM) derzeit noch nicht ausreichend berücksichtigt sind. Mit BIM könne aber die energetische Planung optimiert, die richtige Umsetzung im Bauprozess überprüft und die Kostenanalyse vereinfacht werden.
Mit Blick auf die Digitalisierung von Gebäuden sollte auch der Smart Readiness Indicator (SRI) gestärkt werden und perspektivisch auch für Wohngebäude verpflichtend sein. Der SRI sollten bei der Einführung des Gebäuderenovierungspasses berücksichtigt und dokumentiert werden.
Ein weiterer wichtiger Schritt hin zu mehr Elektrifizierung und Digitalisierung von Gebäuden wäre aus Sicht des ZVEI der breite Einsatz von Energiemanagementsystemen. Im aktuellen Entwurf der EU-Gebäuderichtlinie werden sie nicht berücksichtigt. Der ZVEI schlägt eine Pflicht für Energiemanagementsysteme in Gebäuden der öffentlichen Hand vor. Der Einsatz im Zweck- und Wohnbau sollte in Kombination mit dem Einbau von Photovoltaik-Anlagen und Stromspeichern gezielt gefördert werden.
Für die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (Deneff)
ist der Entwurf der Startschuss für eine auch in Deutschland dringend notwendige Welle zur Modernisierung für die Gebäude mit den höchsten Energierechnungen. Sie ergänze damit den Ampel-Koalitionsvertrag um einen Kernbaustein zur Erreichung der Klimaziele. Der Ansatz, mit der Modernisierungswelle zuerst dort anzusetzen, wo die Nutzer und Bewohner in den nächsten Jahren sonst am meisten unter stetig steigenden Energiekosten und CO2-Preisen leiden würden, sei auch sozialpolitisch geboten.
Da die Ampel-Parteien im Koalitionsvertrag explizit angekündigt haben, die Gebäudeinitiativen der EU-Kommission zu unterstützen, zählt die Deneff darauf, dass die neue Bundesregierung hierbei sowohl national als auch in den Verhandlungen im EU-Rat die Umsetzung der Maßnahme vorantreibt. Denn der Kommissionsentwurf müsse noch nachgebessert werden, um auch über 2033 hinaus mehr Planungssicherheit für Eigentümer und den Kapazitätsaufbau in Handwerk und Industrie zu bieten. ■