Ein Vorschlag der EU-Kommission zur EU-Taxonomie würde Erdgas- und Kernkraftwerken unter bestimmten Bedingungen den Status „nachhaltige Aktivität“ bzw. „grünes Investment“ geben und damit die privilegierte Finanzierung solcher Projekte ermöglichen. Das wird scharf kritisiert. Auch Auswirkungen auf den Gebäudesektor sind zu erwarten.
Für die Deutsche Umwelthilfe (DUH) werden mit dem am 31. Dezember 2021 an die Mitgliedstaaten verschickten Vorschlag der EU-Kommission zur EU-Taxonomie umweltschädliche Investitionen unter einem grünen Deckmantel ermöglicht. Offenbar habe sich Bundeskanzler Olaf Scholz für die Aufnahme von fossilem Erdgas in die Taxonomie eingesetzt und dafür im Gegenzug den französischen Wunsch nach Aufnahme der gefährlichen Atomkraft unterstützt, mutmaßt die DUH und fordert von den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament, sich im weiteren Prozess klar gegen diese Ausgestaltung der Taxonomie zu positionieren und sich für eine Neuvorlage des Rechtsaktes einzusetzen.
Die Taxonomie für nachhaltige Aktivitäten der EU legt entlang mehrerer Kriterien fest, wann Investitionen als nachhaltig gelten können und hat damit eine zentrale Bedeutung für die Energiewende und die Umsetzung des Europäischen Green Deals (Klimaneutralität 2050 in der EU). Die EU-Kommission ist ermächtigt, die Taxonomie mit delegierten Rechtsakten auszugestalten. Ein delegierter Rechtsakt kann nur noch durch den Rat oder das Europäische Parlament verhindert werden, sobald er vorgelegt ist. Änderungen können nicht mehr vorgenommen werden. Der am 31. Dezember 2021 / 1. Januar 2022 bekannt gewordene Entwurf ist ein interner Vorschlag, der in den nächsten zwei Wochen innerhalb der Kommission abgestimmt wird.
DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner: „Atomkraft und Erdgas als nachhaltig zu kennzeichnen entzieht der Taxonomie jede Glaubwürdigkeit. Mit seiner Zustimmung riskiert Olaf Scholz darüber hinaus die klimapolitische Reputation der Bundesregierung. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit bricht er damit sein vielfach plakatiertes Wahlversprechen, als ‚Klimakanzler‘ anzutreten. Der Vorschlag bleibt zudem weit hinter anderen Standards am Finanzmarkt zurück, so ist etwa die Europäische Investitionsbank schon viel weiter: Weder bei grünen Anleihen noch bei der Vergabe von EIB-Krediten sind diese umweltschädlichen Technologien zulässig. Mit ihrem Vorgehen untergräbt die EU-Kommission die eigenen Klimaziele und den Green Deal insgesamt.“
Kritik kommt auch aus dem Bundeskabinett. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) bewertet in einem Statement gegenüber der Deutschen Presse-Agentur den Vorschlag der EU-Kommission als „Verwässerung“ des guten Labels für Nachhaltigkeit und sieht keine Zustimmung für die Vorschläge. Schwerpunkt seiner Kritik sind allerdings die Regelungen für die Kernkraft. Auch die erste Kritik von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Die Grünen) fokussiert sich auf die Einstufung der Kernkraftwerke.
Der Vorschlag der EU-Kommission ist bei Erdgas-Kraftwerken u. a. mit Vorgaben für maximale Treibhausgasemissionen und einer stufenweisen Umstellung von fossilem Erdgas auf bisher nicht verbindlich definierte „low-carbon gases“, beginnend Anfang 2026 mit 30 % und zu 100 % zum 31. Dezember 2035, gekoppelt. Als „low-carbon gases“ gelten aktuell erneuerbare oder [zertifiziert] kohlenstoffarme Gase, z. B. Biomethan und Wasserstoff; im noch nicht verabschiedeten „Gaspaket“ sind sie als Gase, die 70 % weniger Treibhausgase als herkömmliches Erdgas verursachen, definiert.
Einfluss auf den Gebäudesektor
Die vorgeschlagene Ausgestaltung der Taxonomie für Erdgas-Kraftwerke hätte auch Einfluss auf den Energiemix im Gebäudesektor, denn „low-carbon gases“ werden kurz- und mittelfristig knapp bleiben. Durch stufenweise Vorgaben ist zu diesen Zeitpunkten auch mit relevanten Preissprüngen zu rechnen, die bei einer Beibehaltung der nationalen CO2-Bepreisung bei einer Versteigerung der Emissionszertifikate ab 2027 auch hier zu Ausschlägen führen dürfte.
Andererseits sind solche Vorgaben für einen nachfragestarken Wirtschaftsraum dazu geeignet, dass Lieferanten international Investitionen für die erwartete Nachfrage tätigen. Gleichzeitig würde die Strommix-Dekarbonisierung beschleunigt, die bisher weitgehend auf einer Verdrängung des Einsatzes fossiler Kraftwerke und nicht auf dem eingesetzten Brennstoff basiert.
Auch der Ampel-Koalitionsvertrag geht davon aus, dass Erdgas im Kraftwerksbereich noch für einige Jahre nicht nur unverzichtbar, sondern auch vermehrt erforderlich ist: „Eine Energieinfrastruktur für erneuerbaren Strom und Wasserstoff ist eine Voraussetzung für die europäische Handlungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit im 21. Jahrhundert. […] Wir beschleunigen den massiven Ausbau der Erneuerbare Energien und die Errichtung moderner Gaskraftwerke, um den im Laufe der nächsten Jahre steigenden Strom- und Energiebedarf zu wettbewerbsfähigen Preisen zu decken. Die bis zur Versorgungssicherheit durch Erneuerbare Energien notwendigen Gaskraftwerke müssen so gebaut werden, dass sie auf klimaneutrale Gase (H2-ready) umgestellt werden können. Erdgas ist für eine Übergangszeit unverzichtbar.“
Zusammengenommen könnte dies für den Gebäudesektor bedeuten, dass (zumindest regional) schon in den nächsten Jahren Gas-Heizungen H2-ready sein müssen, weil sie zweitweise oder dauerhaft Gas mit hohen Wasserstoffbeimischungen erreicht. Analog zur 2014 begonnenen Marktraumumstellung von niederkalorischem Gas (L-Gas) aus den Niederlanden auf hochkalorisches Gas (H-Gas) ist anzunehmen, dass dafür anfallende Kosten auf alle Netznutzer bundesweit umgelegt werden. Mindestens in der Umstellungsphase werden also die Gaspreise durch mehrere Faktoren spürbar steigen.
Wegen der allgemeinen Knappheit „grüner“ Gase und einer anzunehmenden Priorisierung der Stromversorgung muss zudem damit gerechnet werden, dass die Ampel-Koalition bei der Erfüllung ihrer 65-%-Klausel für erneuerbare Energien keinen Schwerpunkt bei Erdgas-Substituten setzt. Auch bei einer Realisierung der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Neufassung der EU-Gebäuderichtlinie wird der Druck steigen, aus der Nutzung von Erdgas im Gebäudesektor auszusteigen. Denn künftig sollen Null-Emissions-Gebäude zum Standard werden und ihr verbleibender Primärenergiebedarf netto vollständig durch vor Ort erzeugte Energie aus erneuerbaren Quellen bzw. erneuerbare Energie aus einer Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft oder mit erneuerbarer Energie und Abwärme aus einem effizienten Fernwärme- und -kältesystem gedeckt werden. ■
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Die nächsten Schritte
Aufgrund der ihnen im Rahmen der Taxonomieverordnung zugewiesenen Expertenrolle müssen die „Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen“ und die „Sachverständigengruppe der Mitgliedstaaten für nachhaltiges Finanzwesen“ zu allen einschlägigen delegierten Rechtsakten angehört werden. Sie haben bis zum 12. Januar 2022 Zeit, ihre Beiträge vorzulegen.
Die EU-Kommission wird ihre Beiträge analysieren und die ergänzende Rechtsverordnung im Januar 2022 förmlich annehmen und den mitgesetzgebenden EU-Institutionen (Rat und Europäisches Parlament) zur Prüfung übermitteln.
Das Europäische Parlament und der Rat (sie haben der EU-Kommission die Befugnis zum Erlass des delegierten Rechtsakts übertragen) haben vier Monate Zeit, das Dokument eingehend zu analysieren und gegebenenfalls Einwände dagegen zu erheben. Im Einklang mit der Taxonomie-Verordnung können beide Organe eine Verlängerung der Frist um zwei weitere Monate beantragen. Der Rat kann mit umgekehrter verstärkter qualifizierter Mehrheit Einwände erheben (das bedeutet, dass mindestens 72 % der Mitgliedstaaten, also mindestens 20 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 % der EU-Bevölkerung vertreten, nötig sind, um Einwände gegen den delegierten Rechtsakt zu erheben). Das Europäische Parlament seinerseits kann mit einfacher Mehrheit (also mindestens 353 MdEP im Plenum) Einwände erheben.
Sofern keines der beiden gesetzgebenden Organe innerhalb des Prüfungszeitraums Einwände erhebt, wird der (ergänzende) delegierte Rechtsakt nach Ablauf des Prüfungszeitraums in Kraft treten und anwendbar sein.