Die Bundesregierung will die Integration von Ladeeinrichtungen für Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen in das Stromnetz neu regeln. Das Ziel: Die Verbraucher sollen Strom möglichst in Zeiten geringer Nachfrage beziehen. Denn im Zuge der Energiewende sollen künftig Millionen Elektroautos und elektrisch betriebene Wärmepumpen ans Netz gehen, sodass einer temporären Überlastung der Stromnetze bzw. einem unnötig hohen Netzausbau vorgebeugt werden muss.
Die Notwendigkeit ist allgemein anerkannt, aber es gibt unterschiedliche Lösungen. In einer ungewöhnlichen Koalition haben nun der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), der Verband der Automobilindustrie (VDA) und der Bundesverband der Wärmepumpe (BWP) mit einem offenen Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, weitere Bundesminister und Bundestagsabgeordnete appelliert, bei der Reform „das Modell der zeitvariablen Netzentgelte zu unterstützen, die Digitalisierung der Netze voranzutreiben und Netzbetreiber zur zügigen Flexibilisierung zu motivieren“.
Eigentlich geht es aber darum, das vom Beraterkonsortium EY/BET entwickelte Modell der „Spitzenglättung“ als alleiniges Instrument zu verhindern, da es quantitativ erhebliche Auswirkungen auf die Handlungsfreiheit und Kosten für die Verbraucher hätte. Dies hat ein vom vzbv beauftragtes Gutachten (Zusammenfassung und Langversion) ergeben, das gleichzeitig das Modell „zeitvariable Netzentgelte“ skizziert und bewertet.
Zwei Modelle
Beim Modell zeitvariable Netzentgelte werden Verbrauchern unterschiedliche Preise zu unterschiedlichen Zeiten angeboten, nach denen sie ihre Stromnutzung individuell anpassen können, wobei es ihnen freisteht, Anpassungen vorzunehmen. Zum Beispiel könnten Verbraucher ihr E-Auto und / oder ihre Wärmepumpe zu nachfragearmen und damit preisgünstigen Zeiten laden beziehungsweise betreiben. Zeitvariable Netzentgelte können ihre Wirkung nur entfalten, wenn Verbraucher mit einem intelligenten Messsystem (iMSys) ausgestattet sind und die Lieferanten das netzseitige Preissignal in ihren Strompreisen vollständig an die Verbraucher weiterreichen.
Das Modell Spitzenglättung schlägt vor, für alle Verbraucher (jedenfalls im Bereich der Kleinverbraucher und damit insbesondere der privaten Verbraucher) ein Bestellleistungsprinzip einzuführen. Unter Bestellleistung wird eine vertraglich zwischen Letztverbraucher und Netzbetreiber vereinbarte Leistungsgrenze für die Stromentnahme verstanden. Die Bestellleistung soll dabei in die bedingte und die unbedingte Bestellleistung unterteilt werden. Diese Unterscheidung soll im Regelfall den Leistungsbedarf für die flexiblen und die unflexiblen Verbrauchseinrichtungen abbilden. Das Modell sieht vor, dass Netzbetreiber im Umfang der bedingten Bestellleistung steuernd in das Verhalten der Verbrauchseinrichtungen eingreifen dürfen. Der Bestellleistungspreis soll für unbedingte Leistung wesentlich höher als für bedingte Leistung sein.
Das Modell der „Spitzenglättung“ als Regellösung lehnen die Verbände ab. Stattdessen fordern sie die Unterstützung des Modells der „zeitvariablen Netzentgelte“. Wobei die vzbv-Gutachter durchaus eine Kombination empfehlen, allerdings mit klarer Prioritätensetzung:
„Die präventive Beeinflussung des Engpassgeschehens durch zeitvariable Netzentgelte sollte als Regelfall einen möglichst großen Raum einnehmen, und die Abwehr akut drohender Engpässe durch netzbetreiberseitige Eingriffe sollte den Ausnahmefall darstellen.“
Die Verbände
Klaus Müller, Vorstand des vzbv: „Die geplante Reform der Stromnetzentgelte ist eine große Chance für mehr Klimaschutz, höhere Flexibilität und die Senkung der Stromkosten für die Verbraucher. Dafür muss die Bundesregierung sich aber für die zeitvariablen Netzentgelte als Standardmodell einsetzen. Der Vorschlag bietet eine hohe Wahlfreiheit bei den Tarifen, aber auch Entlastung bei den Kosten. Wenn Verbraucher ihr Elektroauto nachts laden und somit das Netz entlasten, muss sich das auch positiv auf ihre Stromrechnung auswirken. Das bietet Anreize zum Umstieg auf Elektromobilität und so einen Beitrag zum Klimaschutz.“
Paul Waning, BWP-Vorstand: „Steuerbare Wärmepumpen leisten schon heute ihren Beitrag zur Stabilisierung des Energiesystems. Bei einer Reform der Netzentgelte ist entscheidend, dass die über eine Million Wärmepumpenbesitzer finanziell nicht schlechter gestellt werden dürfen. Die alleinige Fokussierung auf das Modell der Spitzenglättung darf nicht dazu führen, dass neue Hindernisse beim Wechsel von fossil befeuerten Heizungen auf klimafreundliche Wärmepumpen geschaffen werden.“
VDA-Präsidentin Hildegard Müller: „Die Bundesregierung kann mit dieser geplanten Reform einen entscheidenden Beitrag zum Hochlauf der Elektromobilität und damit zum Klimaschutz leisten – wenn das Vorhaben richtig umgesetzt wird. Dazu gehört auch, auf zeitvariable Netzentgelte zu setzen. Eine ausschließliche Fokussierung auf die sogenannte Spitzenglättung in Verbindung mit einer zusätzlichen Bepreisung uneingeschränkter Leistung kann zu deutlichen Preissteigerungen führen. Wenn Besitzer von Elektroautos eine gesicherte Leistung nur zu besonders hohen Tarifen erhalten, kann das den Hochlauf der Elektromobilität und damit das Ziel einer CO2-freien Mobilität gefährden.“ ■